Vom "kranken Mann" zu "Europas Superstar". Deutsche Arbeitsmarktentwicklung in der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise


Bachelorarbeit, 2016

52 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum
2.1.Arbeitslosigkeit
2.2.Wirtschaftswachstum
2.3.Das Okun’sche Gesetz - ein theoretischer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum

3.Der deutsche Arbeitsmarkt im hberblick
3.1.Allgemeine Charakteristik
3.2.Historische Entwicklung

4.Die Finanzkrise von 2008/09 und ihre Folgen
4.1.Der Ausbruch der Krise
4.2.Auswirkungen der Krise im internationalen Vergleich
4.3.Die Auswirkungen der Krise in Deutschland

5.Wie erklärt man die deutsche Arbeitsmarktentwicklung während der Wirtschafts- und Finanzkrise?
5.1.Die Ausgangssituation und die Hartz-Reformen
5.2.Interne und externe Flexibilisierung
5.3.Lohnentwicklung und industrielle Beziehungen
5.4.Was hat zu mehr Flexibilität auf dem deutschen Arbeitsmarkt geführt?

6.Fazit

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 - Entwicklung der Arbeitslosigkeit und des Wirtschaftswachstums in Deutschland - 1963-2001

Abb. 2 - Beveridge-Kurve in Deutschland - 1963-1988

Abb. 3 - Beveridge-Kurve in Deutschland - 1975-2006

Abb. 4 - Entwicklung von CLI in Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2012.

Abb. 5 - Entwicklung der Industrieproduktion in Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2013

Abb. 6 - Entwicklung der Industrieproduktion(nur verarbeitendes Gewerbe) für Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2013

Abb. 7 - Entwicklung der Industrieproduktion(nur Baugewerbe) für Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2013

Abb. 8 - Entwicklung des realen BIP in Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2012

Abb. 9 - Entwicklung der Arbeitslosenquote in Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien - 2004-2012

Abb. 10 - Entwicklung von CLI in Deutschland - 2004-2012

Abb. 11 - Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland - 2004-2013

Abb. 12 - Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland(nur verarbeitendes Gewerbe) - 2004-2013

Abb. 13 - Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland(nur Baugewerbe) - 2004- 2013

Abb. 14 - Entwicklung des realen BIP in Deutschland - 2004-2012

Abb. 15 - Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland - 2004-2012

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die immer tiefgreifendere Verflechtung nationaler Volkswirtschaften hat in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Betrag zur Entwicklung des Wohlstands sowohl in den Industrie-, als auch in den Entwicklungsländern geleistet. Die Abschaffung von Handelsschranken hat neue Arbeitsplätze und einen primär exportorientierten Sektor geschaffen, der auf den Zustand der Weltwirtschaft stark angewiesen ist. Nachfrageschwankungen im Ausland sind seither in der Lage, einen negativen Einfluss auf die einheimische Wirschaftsleistung ausüben, der natürlich je bedeutender ist, desto größer der exportorientierte Sektor ist. Es ist folglich zu bemerken, dass sich die Globalisierung und die Verknüpfung nationaler Volkswirtschaften nicht nur positiv, sondern auch negativ auswirken könnten.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 dient als ein passendes Beispiel, diese Entwicklungen zu verdeutlichen. Die dauerhafte expansive Geldpolitik des Federal Reserve Systems führte zu niedrigen Nominal- und sowie negative Realzinsen und einem enormen Geldmengenwachstum. Unter diesen Bedingungen wurde die Kreditvergabe erleichtert, was in die Immobilienblase resultierte. Die Insolvenz von American Home Mortgage - einer der größten US-Hypothekenbanken, kennzeichnet den Anfang der Finanzkrise, deren Höhepunkt die Insolvenz vom Investmentbank Lehman Brothers ist. Diese Ereignisse und die herrschende Unsicherheit auf den Finanzmärkten haben zu einer Schrumpfung des realen BIP um 2,77% US Bureau of Economic Analysis zufolge beigetragen. Entsprechend ist auch die Arbeitslosenquote um knapp 4 % im Jahre 2009 gestiegen.

Infolge der miteinander verflochtenen internationalen Märkte verbreitete sich die Krise schnell weltweit. Das reale BIP sank in Großbritannien um 0,5 % im 2008 und um 4,2 % im 2009 und die Arbeitslosigkeit erreichte einen Wert von 7,8 % - etwa 2 % mehr als im letzten Jahr. Frankreich wurde in einem kleineren Maßstab von der Krise betroffen - ein Rückgang des realen BIP von 2,9 % und ein Anstieg der Arbeitslosenquote um fast 2 %. Die Entwicklung in Schweden folgte auch dem gleichen Muster - das reale BIP schrumpfte um 5,2 % im 2009 und die Arbeitslosenquote stieg um 2,1 %.

Erstaunlich ist in diesem Kontext die Entwicklung in Deutschland. Aufgrund des starken Nachfragerückgangs auf den internationalen Märkten wurde der exportorientierte Sektor stark betroffen, was den realen BIP um 5,6 % fallen ließ. Im Gegensatz zu dem oben beschriebenen Schema - auf einen Rückgang des realen BIP kommt eine Erhöhung der Arbeitslosenquote, ist in Deutschland die Arbeitslosenquote stabil geblieben. In der Tat fiel sie sogar im Januar 2009 um 0,5 % verglichen mit dem Vorjahr. Was kann eigentlich diese Reaktion des deutschen Arbeitsmarktes auf die negative Wachstumsraten des realen BIP erklären?

Die Beantwortung dieser Frage sollte der Schwerpunkt dieser Arbeit sein. Am Anfang werden die Begriffe Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum ausführlich erläutert und dann werde ich auf die ökonomische Theorie eingehen und konkreter werde ich das Okun’sche Gesetz vorstellen. Im zweiten Kapitel wird der deutsche Arbeitsmarkt charakterisiert und im Bezug zu anderen, typischen Arbeitsmodellen differenziert. Danach wird beschrieben, wie er sich historisch entwickelt hat.

Im nächsten Kapitel wird auf den Ausbruch der Wirtschaftskrise eingegangen und danach werden ihre Auswirkungen im internationalen Vergleich ausführlicher dargestellt. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels beschäftigt sich mit der Frage, wie die Krise Deutschland betroffen hat.

Das letzte Kapitel befasst sich mit den Gründen für diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und konzentriert sich dabei auf drei mögliche Erklärungen - die wirtschaftsstarken Vor-Rezessionsjahre und die Hartz-Reformen, die Instrumente der externen und internen Flexibilisierung sowie die Lohnzurückhaltung und die industriellen Beziehungen. Es muss danach festgestellt werden, welcher der möglichen Erklärungsvorschläge die wichtigste Rolle für “Germany‟s job miracle” (Krugman, 2009) gespielt hat.

2. Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum

2.1. Arbeitslosigkeit

Am Anfang jeder analytischen Arbeit macht es Sinn, die wichtigsten und meistgebrauchtesten Begriffe genau zu definieren. Zum Zwecke dieser Arbeit müssen also in erster Linie die Begriffe Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum erklärt werden.

In Deutschland existieren zwei Definitionen des Begriffs Arbeitslosigkeit - eine der Bundesagentur für Arbeit und eine des Statistischen Bundesamts. Die beiden Konzepte unterscheiden sich methodologisch wesentlich voneinander, was auch zu verschiedenen Ergebnissen führt. Das Konzept des Statistischen Bundesamts misst konkreter die Erwerbslosigkeit, während das Konzept der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosigkeit misst. Eine Person kann nur erwerbslos, nur arbeitslos oder sowohl erwerbslos, als auch arbeitslos sein. Allgemein gilt eine Person als erwerbslos und arbeitslos, wenn sie im Rahmen eines bestimmten Zeitraums keinen Arbeitsplatz hat, aber Beschäftigung sucht, d.h. die Person steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. (vgl. Hartmann & Riede, 2005) Trotz der gemeinsamen Definition, unterscheiden die Arbeitslosen- und die Erwerbslosenquote voneinander - es gab im März 2016 1,89 Mill. Erwerbslose und 2,84 Mill. Arbeitslose. Eine Erklärung für die auseinandergehenden Ergebnisse ist die die den beiden Konzepten zugrunde liegende Methodologie und die deswegen unterschiedlichen Erhebungsmethoden.

Nach dem Erwerbslosigkeitskonzept werden die Daten mithilfe von telefonischen Interviews erhoben. Es werden Personen nach dem Zufälligkeitsprinzip nach ihrem Erwerbsstatus befragt, danach werden die Ergebnisse hochgerechnet. (vgl. Hartmann & Riede, 2005) Durch diese Stichprobenbefragung versucht man, auch erwerbslose Personen zu identifizieren, die nicht bei der Bundesagentur für Arbeit registriert sind. Als erwerbslos gelten Personen, die keine Beschäftigung haben oder weniger als eine Stunde pro Woche arbeiten, wodurch man auch Personen erfasst werden, die auf der Suche nach einer geringfügigen Beschäftigung sind. Das Kriterium der Verfügbarkeit dieses Konzepts besagt, dass der Arbeitsuchende in den nächsten zwei Wochen eine neue Beschäftigung antreten kann. Der Stichprobenumfang der Befragung beläuft sich auf 30 000 Personen monatlich. Da in solchen Studien nur einen Annährungswert eingeschätzt werden kann, muss man den Stichprobenfehler durch Hochrechnungsverfahren vermindern. (vgl. Hartmann & Riede, 2005) In der Regel liegen die Ergebnisse der Erhebung in den 90% Konfidenzintervall und man geht von einem Stichprobenfehlerwert von 2,5 % für die monatlichen Befragungen.

Der erste wesentliche Unterschied zwischen den beiden Konzepten besteht in der Erhebung der Daten - das Arbeitslosigkeitskonzept misst die Arbeitslosenquote aufgrund einer persönlichen Meldung als arbeitslos bei der Bundeagentur für Arbeit. Dies erlaubt einen besseren hberblick über die “regionalen, sozialdemografischen, berufs- und wirtschaftsfachlichen“ Besonderheiten, die sich aus der Totalerhebung ergeben. (Hartmann & Riede, 2005, S.305) Als Arbeitssuchend gilt eine Person, wenn sie eine Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche ausüben und ihre Beschäftigungslosigkeit beenden will. Darüber hinaus muss die Person eine zeitnahe Inklusion in den Arbeitsmarkt anstreben. Hingegen, ist das Kriterium der Beschäftigungslosigkeit, bzw. Arbeitslosigkeit dann erfüllt, wenn eine Person weniger als 15 Stunden pro Woche arbeitet. An dieser Stelle ist auch der zweite Unterschied zwischen den beiden Konzepten erkennbar - im Arbeitslosigkeitskonzept gelten auch Personen dann als arbeitslos, wenn die eine geringfügige Beschäftigung ausüben und weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten. Hervorzuheben ist auch, dass die Sozialleistungen gemäß SGB III nur dann erbracht werden, wenn man als arbeitslos gemeldet ist. Dies kann zur Folge haben, dass die Arbeitslosenzahlen durch Personen überholt sind, “die nicht ernsthaft an Arbeit interessiert sind und sich nur deshalb arbeitslos melden, weil sie Sozialleistungen beziehen wollen (so genannte sozialrechtsinduzierte Arbeitslosigkeit)“ (Hartmann & Riede, 2005, S.307) Das ist ein Beispiel für unechte Arbeitslosen, die arbeiten können, aber als arbeitslos gemeldet sind und aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten möchten. Dazu zählen beispielsweise Personen, die auf dem Schwarzmarkt berufstätig sind. Zu einer Verzerrung der Ergebnisse kann auch die versteckte Arbeitslosigkeit führen. Als versteckt arbeitslos gilt eine Person, die sich nicht in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, aber sich nicht bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Das können zum Beispiel Ausländer sein, die keine Arbeitserlaubnis haben und deshalb nicht arbeiten dürfen oder Personen, in Unkenntnis vom Gesetzesverfahren sind. Dritte wichtige Gruppe, die in der offiziellen Statistik nicht erfasst wird, ist die stille Reserve - Personen, die zwar arbeitswillig sind, aber keinen Arbeitsplatz aufgrund von beispielsweise schlechter Konjunktur finden. Ferner könnten diese Personen nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sein, weil sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben oder nur bestimmte Arbeitsplätze suchen, was einen Wiederspruch zum Verfügbarkeitskriterium darstellt.

Es ist also zu bemerken, dass die beiden Konzepte sich mit verschiedenen Sachverhalten beschäftigen - das Erwerbslosigkeitskonzept stuft eine Person als erwerbslos, wenn sie in den letzten vier Wochen tatsächlich versucht hat, eine Arbeitsstelle zu finden. Aus diesem Grund zählt ein Arbeitsloser, der zwar Arbeitslosengeld bezieht, aber keine Initiative ergriffen hat, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, nicht als erwerbslos. Hingegen zeigt das Arbeitslosigkeitskonzept eher, wie viele Personen durch ihre Meldung bei der Bundeagentur für Arbeit sich verpflichtet haben, eine Arbeitsstelle zu suchen. (vgl. Hartmann & Riede, 2005) Eine Arbeitslosmeldung bedeutet für die jeweilige Person eine regelmäßige hberprüfung ihres Status von einem Vermittler und eine ständige Ermutigung, ein Beschäftigungsverhältnis anzutreten.

Im Allgemeinen sieht man, dass es bestimmte Unterschiede zwischen den beiden Konzepten bestehen. Im Laufe dieser Arbeit wird die offizielle Arbeitslosenquote der Bundeagentur für Arbeit benutzt, weil die Erwerbslosenquote erst seit 2007 gemessen wird. Die Arbeitslosenquote berechnet sich wie folgt:

Darüber hinaus existiert noch die Definition von OECD. Man kann sie gebrauchen, um Arbeitslosenquote international zu vergleichen. Sie wird definiert wie folgend: “Harmonised unemployment rates define the unemployed as people of working age who are without work, are available for work and have taken specific steps to find work. The uniform application of this definition results in estimates of unemployment rates that are more internationally comparable than estimates based on national definitions of unemployment. This indicator is measured in numbers of unemployed people as a percentage of the labour force and it is seasonally adjusted. The labour force is defined as the total number of unemployed people plus those in civilian employment.” Die Definition von OECD werde ich im Kapitel 4 verwenden, um einen Vergleich zwischen den betrachteten Ländern ziehen zu können.

Damit wurde der erste wichtige Begriff in dieser Arbeit geklärt. Im Folgenden beschäftigt man sich mit der Definition des Begriffs “Wirtschaftswachstum”.

2.2. Wirtschaftswachstum

Das magische Viereck postuliert die Hauptziele der Wirtschaftspolitik - ein hoher Beschäftigungsgrad, ein stabiles Preisniveau, ein außerwirtschaftliches Gleichgewicht und ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum. Unter einem angemessenen Wirtschaftswachstum versteht man einen Wohlstandszuwachs, das der ganzen Gesellschaft zugutekommt, während die Anforderung an ein stetiges Wachstum auf eine Vermeidung von Konjunkturschwankungen abzielt. Im Folgenden wird der Begriff des Wirtschaftswachstums näher erläutert.

Eine wachsende Wirtschaft sorgt für eine Erhöhung des Lebensstandards und folglich auch des Wohlstands. Man spricht von Wirtschaftswachstum, wenn das BIP eines Landes steigt. Wichtig ist natürlich, dass es sich um das reale BIP handelt - nämlich das nominale, preisbereinigte BIP. In der Regel bestimmt man das Wirtschaftswachstum durch seinen Anstieg im Vergleich zu einer früheren Periode. Das absolute Wachstum einer Volkswirtschaft bestimmt sich aus der Wachstumsveränderung gegenüber dem Vorjahr: (vgl. Clement, Terlau, & Kiy, 2013)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Wachstumsraten einer Volkswirtschaft liefern Aufschluss über das Verhältnis zwischen dem absoluten Wachstum und einer Ausgangsgröße. Sie berechnet sich wie folgt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine positive Wachstumsrate bedeutet einen Anstieg des BIPs über die beobachtete Periode, während eine negative Wachstumsrate mit einer Verringerung der Wirtschaftsaktivität verbunden ist. Den Wachstumszuwachs über eine gegebene Periode ergibt sich aus dem Durchschnittswert der Wachstumsraten in der Periode. Normalerweise werden die Wachstumsraten pro Quartal gemessen. Eine Zuwachsrate kann gegenüber dem Vorjahresquartal berechnet werden oder gegenüber dem Vorquartal. Ein Nachteil der beiden Berechnungsmethoden ist ihre Volatilität, wobei eine Berechnung der Wachstumsrate gegenüber dem Vorquartal abhängig von dem umgesetzten Saisonbereinigungsverfahren ist. Eine Saisonbereinung der Daten ist notwendig, damit man nicht auf falsche Schlussfolgerungen kommt. Die Wirtschaftsaktivität wird beeinflusst von vielen Faktoren, die regelmäßig auftreten und antizipiert werden können. Beispielsweise ist der Konsum Ende jedes Jahres höher als im Vergleich zu den Sommermonaten. Einen Einfluss auf die wirtschaftliche Leistung üben auch Ferien, Brückentage oder die Lage der Feiertage aus. Durch eine Saisonbereinung der Daten kann man den durchschnittlichen Anstieg des BIPs ohne die Auswirkung solcher Faktoren feststellen.

Ein wichtiges Element, das die Entwicklung des Wirtschaftswachstums bestimmt, ist das Produktionspotenzial. Als Produktionspotenzial definiert man diejenige Produktion, bei der die alle Produktionsfaktoren vollständig ausgelastet sind. Diese Definition ist jedoch problematisch und der SVR liefert eine Lösung dieses Problems durch seine Definition - das Produktionspotenzial ist “als jene Produktion interpretiert, die sich bei normaler Auslastung der vorhandenen Kapazitäten ergibt.“ (SVR, 2007) Eine normale Auslastung der Produktionskapazitäten kann auf zwei Weisen interpretiert werden. Kurzfristig wird sie als das nichtinflationsverursachende Produktionsniveau und langfristig hängt das Produktionspotenzial von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel vom technischen Fortschritt oder Renteneintrittsalter. Die Abweichung der realen BIPs von dem Produktionspotenzial bezeichnet man als Outputlücke. Eine positive Outputlücke korrespondiert mit einer hberauslastung der Produktionskapazitäten, während eine negative Outputlücke eine Unterauslastung der Produktionskapazitäten bedeutet.

Die Messung des Produktionspotenzials ist mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, was daran liegt, dass es konzeptionell schwierig ist, eine Vollauslastung der Produktionskapazitäten einzuschätzen. Es existiert eine Vielzahl an statistischen Methoden, die das Produktionspotenzial zu messen versuchen. Einige davon sind Messung durch eine Peak-to-Peak-Methode oder durch Produktionsfunktionen, die beispielsweise Bundesbank und OECD benutzen. Eine Alternative dazu stellt die Messung des Produktionspotenzials mithilfe vom Okun’schen Gesetz. Danach wird das Produktionspotenzial so gemessen:

Produktionspotenzialt =BIPt (1+3*(Arbeitslosenquotet - Nat. Arbeitslosenquote))

Das Niveau des Produktionspotenzials errechnet sich danach aus dem BIP der betrachteten Periode, multipliziert mit 1 plus 3 mal die Differenz zwischen der Arbeitslosenquote der Periode und der natürlichen Arbeitslosenquote. Daraus ergibt sich auch die 3:1 Regel - ein Rückgang der Arbeitslosenquote von 1 % bringt einen Anstieg des BIPs um 3 %. Ein bedeutender Bestandsteil dieser Regel ist die natürliche Arbeitslosenquote. Die natürliche Arbeitslosenquote - auch als NAIRU(non accelerating inflation rate of unemployment) bekannt, ist als die gleichgewichtige Arbeitslosenquote zu verstehen. Das ist diejenige Arbeitslosenquote, bei der die Inflation nicht mehr zunimmt, sie ist die „inflationsstabile Arbeitslosenquote“ (Franz, 2000, S.1) Ferner ist die natürliche Arbeitslosenquote eine Gleichgewichtsbedingung auf dem Arbeitsmarkt - die Unterbeschäftigung lässt sich aufgrund von verschiedenen Gegebenheiten nicht abbauen, weshalb die natürliche Arbeitslosenquote mit einer Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt gleichzusetzten ist.

Wie man es aus den dargestellten hberlegungen ableiten kann, besteht ein stabiler Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote und dem Wirtschaftswachstum. Diese Relation wird im nächsten Abschnitt näher erläutert.

2.3. Das Okun’sche Gesetz - ein theoretischer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum

Der 1963 vom US-Wirtschaftswissenschaftler Arthur Okun dargestellte Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gilt als ein fundamentales, ökonomisches Gesetz, bekannt auch als das Okun’sche Gesetz (Okun‟s law). In einem Artikel präsentierte er die empirische Beziehung zwischen den beiden ökonomischen Variablen, indem er ihre Entwicklung in den USA im Rahmen von zwei fast Jahrzehnten - von 1948 bis zum 1960, beobachtete. Mathematisch lässt sich diese Relation durch die folgende Gleichung beschreiben:

Ut - Ut-1 =a + β*(gyt - gyt-t)

Der Term auf der linken Seite zeigt die Veränderung der Arbeitslosenquote zwischen Zeitraum t und t-1. Der Koeffizient β ist auch Okun’s Koeffizient genannt, beschreibt den Zusammenhang, der zwischen den beobachteten Variablen besteht und wird mit der Veränderung der Wachstumsraten des BIPs für den Zeitraum multipliziert. Man sollte erwarten, dass dieser Koeffizient einen negativen Wert annimmt, weil ein Anstieg des Wirtschaftswachstums mit einem Rückgang der Arbeitslosenquote einhergeht. Das Verhältnis “-a/b” ergibt die Wachstumsrate, bei der eine stabile Arbeitslosenquote besteht oder wie schnell eine Volkswirtschaft wächst bei einer gegebenen Arbeitslosenquote. (vgl. Knotek, 2007) Die Korrelation besagt, dass eine Verminderung der Arbeitslosenquote um 1 % das Wirtschaftswachstum um 3 % ansteigen lässt. Da Okun diese Schlussfolgerungen ausschließlich aus Beobachtung von empirischen Daten ableitete, gilt das Okun’sche Gesetz als eher als eine Daumenregel. Die Beziehung zwischen den Variablen erschließt sich aus der einfachen Beobachtung, dass typischerweise ein Mehr an Gütern und Dienstleistungen durch ein Mehr an “labour“ produziert wird. (vgl. Knotek, 2007) Natürlich könnte man den Arbeitsumfang in der Volkswirtschaft auf verschiedene Art und Weisen erweitern - beispielsweise durch Einstellen von mehreren Arbeitskräften oder durch Verlängerung der Arbeitszeiten, sodass die gleiche Anzahl von Arbeitnehmer mehr produzieren kann. Der Einfachheit halber nahm Okun an, dass die Arbeitslosenquote als ein nützliches Instrument umgesetzt werden kann, um den Umfang der eingesetzten Arbeit zu bestimmen. (vgl. Knotek, 2007)

Seinen Beobachtungen zufolge berechnete Okun eine Gleichung, die die Beziehung zwischen den beiden Variablen in den USA für den betrachteten Zeitraum wiedergeben sollte:

Ut - Ut-1 = 0,3 - 0,07*(gyt -gyt-1)

Die Gleichung impliziert, dass eine nichtwachsende Volkswirtschaft -[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] gt = 0, eine Erhöhung der Arbeitslosenquote um 0,3 % bewirkt. Ein Wirtschaftswachstum von etwa 4 % lässt die Arbeitslosenquote stabil, während ein Wachstum über 4 % mit einer sinkenden Arbeitslosenquote einhergeht. Die Koeffizienten geben außerdem an, dass eine Erhöhung des realen BIPs um 1 % über die Grenze von 4 % eine Reduzierung der Arbeitslosenquote von 0,07 % mit sich bringt.

Viele empirische Studien belegen die Korrelation zwischen den beiden Variablen, die das Gesetz von Okun postuliert. Es ist jedoch nicht eindeutig, welche der Variablen eine Wirkung auf die andere hat - nämlich in welche Richtung die Kausalität zu interpretieren ist. Ein Versuch, dieses Problem zu überwinden, stellt das Konzept der Beschäftigungsschwelle, die man aus dem Gesetz von Verdoorn ableiten kann. (vgl. Schäfer, 2005) Das Gesetz von Verdoorn stellt das Postulat auf, dass ein stabiler und positiver, kausaler Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate des realen BIPs und der Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität besteht. Als Grundlage für dieses Gesetz gilt die Annahme, dass die durchschnittlichen Kosten in der Herstellung sinken, wenn ein Mehr an Gütern hergestellt wird. Folglich kann man mehr produzieren, wenn die Produktivität ansteigt. Aus diesem Grund muss die Wirtschaft mit einer solchen Rate wachsen, die die beschäftigungsdämpfenden Effekte der Produktivität überwindet, damit eine Reduzierung der Arbeitslosenquote, bzw. eine Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen erfolgt. Empirisch wurde bestätigt, dass das BIP um mindestens 3 % ansteigen muss, damit es zu positiven Beschäftigungseffekten überhaupt kommt. (vgl. Clement, Terlau, & Kiy, 2013)

Dieser Wert des BIPs, der die Beschäftigung fördert, wird als die Beschäftigungsschwelle bezeichnet. Aus den bereits erwähnten Gründen kann man den doppelten Effekt des technischen Fortschritts ableiten. Zum einen führt der technische Fortschritt zu einer Produktivitätssteigerung - man kann mit dem gleichen Arbeitskräfteeinsatz mehr herstellen, aber zum anderen wird dadurch die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft. (vgl. Clement, Terlau, & Kiy, 2013) Solange ein Anstieg des Wirtschaftswachstums keine neuen Arbeitsplätze schaffen kann, kann man behaupten, dass es auf dem Arbeitsmarkt strukturelle Probleme zu beobachten sind, die nicht nur durch Wachstum zu lösen sind. In einer solchen Situation spricht man auch von jobless growth.

Das Gesetz von Okun ist auch empirisch belegt worden. Zum einen ergibt sich das aus der Tatsache, dass seine Formulierung aus rein empirischen Daten erfolgt ist. Empirische hberprüfungen des Okun’schen Gesetzes findet man aber auch in neueren ökonometrischen Arbeiten.1

In diesem Abschnitt wurde das Gesetz von Okun als ein fundamentaler, ökonomischer Zusammenhang vorgestellt. Darüber hinaus wurde mit dem Gesetz von Verdoorn und dem daraus resultierenden Konzept der Beschäftigungsschwelle eine Erweiterung dieses Modells dargestellt, die auch eine Richtung der Kausalität impliziert - wirtschaftliches Wachstum bewirkt eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit, wenn es die beschäftigungsdämpfenden Effekte der Produktivitätssteigerung überwindet.

3. Der deutsche Arbeitsmarkt im hberblick

3.1. Allgemeine Charakteristik

Um den deutschen Arbeitsmarkt genau zu charakterisieren, sollte man ihn von den anderen Arbeitsmarktypen differenzieren. Man kann grob zwei Typen von Arbeitsmärkten unterscheiden - den angloamerikanischen und den europäischen/skandinavischen Arbeitsmarkt. Das angloamerikanische Modell weist die folgenden Merkmale auf - weniger ausgeprägten Kündigungsschutz, kürzere Arbeitsverträge, geringes Arbeitslosengeld, schwache Gewerkschaften sowie dezentralisierte Lohnverhandlungen. (vgl. Möller, 2015) Wie man es auch aus dem Namen erschließen kann, sind typische angloamerikanische Länder die USA und Großbritannien. Im Unterschied dazu wird im europäischen Modell Wert auf Kündigungsschutz, längere Arbeitsverträge, großzügiges Arbeitslosengeld, starke Gewerkschaften und zentralisierte Lohnverhandlung. (vgl. Möller, 2015) Unter diese Charakteristik fallen beispielsweise Frankreich und Schweden.

Das deutsche Modell kann man als eine Mischung von den beiden oben diskutierten Modellen interpretieren, obwohl es eher dem europäischen Modell ähnelt. Laut Joachim Möller ist Deutschland aufgrund von geringer Einkommensungleichheit, stärkeren Gewerkschaften sowie solidarischer Lohnpolitik eher als ein egalitaristisches Land zu klassifizieren. (vgl. Möller, 2015) Wolfgang Streeck(1995) beschreibt das deutsche Modell als “an institutionalized high-wage economy combining high competitiveness in world markets with strong social cohesion and, in particular, low levels of inequality along a variety of dimensions. This combination is explained by a unique set of socio-economic institutions, in particular socially instituted and circumscribed markets, negotiated firms commanding long-term attachment of both labor and capital, a facilitating state relying mainly on indirect means of intervention, widespread associational self-governance by organized groups in civil society and institutionalized cultural patterns that promote long-term commitments and continuity”. (Streeck, 1995, S. 2) Eine zentrale Rolle in diesem Modell spielen korporatistische Strukturen, eine soziale Partnerschaft und ein großzügiges, soziales Sicherungssystem. Hervorzuheben sind auch die dualen Ausbildungsprogramme, die Praxis und Theorie verbinden, wodurch die Auszubildenden eng spezialisiertes, Fachwissen erwerben. Der exportorientierte Sektor ist auch ein wichtiger Teil des Modells - dem Statistischen Bundesamt zufolge beläuft sich die Exportquote(der Anteil der Exporte am BIP) im Jahre 2015 in Deutschland auf 39,5 %. (vgl. Statistisches Bundesamt, 2015) Dies erklärt auch die im Unterschied zu den anglo-amerikanischen Ländern typischen Leistungsbilanzüberschüsse der deutschen Wirtschaft, die auch bei einem höheren, durchschnittlichen Lohnniveau erzielt wurden. Nicht übersehen werden darf auch die geringe Einkommensungleichheit, die typisch für den deutschen Arbeitsmarkt ist. (vgl. Streeck, 1995) Streeck betont noch : “Moreover, during the 1980s, at a time when in all other industrialized countries the wage spread increased, the relation of the high Germany wage to the median remained essentially unchanged, whereas the low wage increased substantially from 61 to 65 percent of the median wage. Furthermore, intersectoral wage dispersion was dramatically low in West Germany compared to both Japan and the U.S., and so were the earnings differentials between workers in small and large firms.” (Streeck, 1995, S. 7) Ferner studiert Streeck(1995) einige charakteristische Eigenschaften des deutschen Modells, die im Nachfolgenden erläutert werden.

Wie bereits erwähnt muss man das deutsche Modell als eine Mischung von liberalen, Laissez-faire-Elementen und sozialen Sicherungssysteme, die Protektion für verschieden Bevölkerungsgruppen anbietet. Die erste Besonderheit dieses Modells ist starke politische und soziale Regulierung der Märkte - es existiert eine Vielzahl von Quasi-Märkten, die nicht durch die Marktkräfte, sondern durch politische Entscheidungen reguliert werden. (vgl. Streeck, 1995) Darüber hinaus haben Unternehmen oft den Status von sozialen

Institutionen. Entscheidungen werden koordiniert getroffen, was länger dauert, aber dafür werden sie einfacher umgesetzt. Ferner ist der Kündigungsschutz ein Bestandsteil des Systems - laut OECD Indicators of Employment Protection gehört Deutschland mit einem Indexwert von 3,0 zu den Ländern mit der striktesten Gesetzgebung, was die Entlassung von fest angestellten Arbeitskräften.

Das auffallendste Merkmal auf dem Arbeitsmarkt ist mit Sicherheit die Lohnverhandlung, die von großer Bedeutung ist, weil sie das Niveau der Löhne die Produktivität sowie die Konkurrenzfähigkeit einer Volkswirtschaft bestimmt. Lohnverhandlungssysteme variieren nach dem Zentralisierungsgrad - werden die Verhandlungen auf gesamtwirtschaftlicher, sektoraler oder Unternehmensebene geführt. (vgl. Ochel, 2005) Ferner sind auch die Perspektiven der horizontalen und der vertikalen Koordinierung zu berücksichtigen. Die horizontale Koordinierung zielt darauf ab, die Spanne der Lohnverhandlung „durch Einbeziehung von Branchen, Berufen usw. zu erweitern, während die vertikale Koordinierung darauf gerichtet ist, die nachgelagerte (z.B. betriebliche) Ebene zur Einhaltung der auf der zentralen Ebene erzielten Ergebnisse zu veranlassen.“ (Ochel, 2005, S. 7). Die Lohnverhandlung wird in Deutschland typisch auf intermediärer(sektoraler oder regionaler) Ebene geführt, wobei auch die Gewerkschaften eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, was auch zu einer solidarischen Lohnpolitik beträgt. Die Arbeitnehmer haben die Chance durch ihre Vertretung, gegen niedrige Löhne zu kämpfen und bessere Arbeitsbedingungen zu verlangen. Die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie garantiert die selbstständige und unabhängige Regelung von Löhnen und Arbeitsbedingungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Bei erfolgreichen Verhandlungen zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeberverband wird ein Flächentarifvertrag geschlossen. Eine Alternative dazu stellt der Haustarifvertrag dar, der zwischen einer Gewerkschaft und einem einzelnen Unternehmen geschlossen werden kann. Unter einen Tarifvertag fallen die Arbeitgeber, die Mitglieder des Arbeitgeberverbands sind und die Arbeitnehmer, die Mitglieder der Gewerkschaft sind. Weiterhin ist ein Tarifvertrag bindend, falls er für allgemein verbindlich erklärt ist. Von einem Tarifvertrag kann in zwei Fällen abgewichen werden - wenn diese Abweichung den Arbeitnehmer begünstigt(Günstigkeitsprinzip) und wenn eine Öffnungsklausel geregelt wird. Die Öffnungs- und die Härtefallklauseln werden im Laufe der Verhandlungen vereinbart und könnten aktiviert werden, um von verschiedenen Aspekten des Tarifvertrags abzuweichen. Streeck(1995) betrachtet den Lohnverhanldungsprozess als “the single most important source of egalitarianism in the German economy”. (Streeck, 1995, S. 11) Durch die spezifischen und zum Teil einmaligen Lohnverhandlungsprozesse kann man auch die geringe Einkommensungleichheit in Deutschland. Mit der Einführung des flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde ist jedoch ein Hindernis für die Tarifautonomie entstanden. Diese Arbeit beschäftigt sich aber vornehmlich mit dem Zeitraum vor der Einführung des Mindestlohns, sodass er nicht weiter berücksichtigt wird.

Die konservative Kultur ist noch ein Element, das die deutsche Wirtschaft prägt. Traditionell ist die Sparquote hoch und der Verbraucherkreditanteil ist vergleichsweise gering. (vgl. Streeck, 1995) Ein progressives Steuersystem gewährleistet erfolgreiche Umverteilungsmechanismen und eine strenge, qualifikationsbasierte Hierarchie im Unternehmen sorgt für den normalen Ablauf des Arbeitstags.

Ein weiterer, wichtiger Bestandsteil des deutschen Arbeitsmarktes sind die infolge der Flexibilisierung immer mehr an Bedeutung gewinnenden atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Um atypische Arbeitsverhältnisse zu erläutern, muss zuerst geklärt werden, was ein Normalarbeitsverhältnis darstellt. Dietz und Walwei definieren ein Normalarbeitsverhältnis als „die sozialversicherungspflichtige, unbefristete und abhängige Vollzeitbeschäftigung” (Dietz & Walwei, 2006) Alle Beschäftigungsformen, die sich von dieser Definition unterscheiden, fallen unter den Begriff atypische Beschäftigungsverhältnisse. Dazu zählen die geringfügige Beschäftigungen(Mini-, bzw. Midi- Jobs) und Zeitarbeitsverhältnisse. Mehr als die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten arbeitet auf geringfügiger Beschäftigung, die “kein existenzsicherendes Einkommen” gewährleistet. (Dietz & Walwei, 2006) Ein Mini-Job ist ein Arbeitsverhältnis mit kurzem Dauer und niedrigem Entgelt, das die Einkommensgrenze von 450 Euro im Monat nicht überschreiten darf. Bis zu dieser Einkommensgrenze werden auch keine Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Eine alternative Vertagsgestaltung kann einen Mini-Job auf 70 Arbeitstage im Jahr begrenzen. Wird die Grenze von 450 Euro monatlich überschritten, dann verwandelt sich das Arbeitsverhältnis in einen Midi-Job, bei dem Sozialversicherungspflicht besteht. Die Beträge werden proportional zu dem monatlichen Bruttolohn abgeführt, wobei bei einem Einkommen von 850 Euro den vollen Beitrag gezahlt wird.

Die Zeitarbeit(auch als Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung bekannt) ist das dritte atypische Beschäftigungsmodell, das hier diskutiert wird. Bei einem Zeitarbeitsverhältnis handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis, bei dem der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber - das Zeitarbeitsunternehmen, an ein drittes, externes Unternehmen überlassen wird. Die Bundesagentur für Arbeit definiert Zeitarbeit als “ein Dreiecksverhältnis zwischen einem Verleiher, einem Arbeitnehmer und einem Entleiher.” (Bundesagentur für Arbeit, 2015, S.5) Der Arbeitnehmer steht unter einem Arbeitsvertrag mit dem Zeitarbeitsunternehmen, das allen üblichen Arbeitgeberpflichten nachkommt, aber die Arbeitsleistung erbringt er im Einsatzbetrieb. Um Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben, benötigt das Zeitarbeitsunternehmen eine Erlaubnis von der Bundesagentur für Arbeit. Die Zeitarbeit dient als ein Flexibilitätsinstrument auf dem Arbeitsmarkt und kann von Unternehmen bei Personalengpässen umgesetzt werden.

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1 usführliche ökonometrische nalysen des Okun’schen Gesetzes findet man in Lee, 2000; und Knotek, 2007. 9

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Details

Titel
Vom "kranken Mann" zu "Europas Superstar". Deutsche Arbeitsmarktentwicklung in der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise
Hochschule
Universität Münster  (Centrum für interdisziplinäre Wirtschaftsforschung)
Note
2.3
Autor
Jahr
2016
Seiten
52
Katalognummer
V340627
ISBN (eBook)
9783668300903
ISBN (Buch)
9783668300910
Dateigröße
1758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
VWL, Arbeitsmarkt, Deutschland, Wirtschaftskrise, Analyse, Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts, Arbeitsmarktökonomik, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit
Arbeit zitieren
Georgi Dimchev (Autor:in), 2016, Vom "kranken Mann" zu "Europas Superstar". Deutsche Arbeitsmarktentwicklung in der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340627

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Titel: Vom "kranken Mann" zu "Europas Superstar". Deutsche Arbeitsmarktentwicklung in der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise



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