Mediävalisierungsstrategien bei antiken Stoffen. Motive im "Eneasroman" von Heinrich von Veldeke


Essay, 2014

11 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Dieser Essay behandelt die Mediävalisierung von antiken Stoffen und deren Funktion. Als Grundlage dient dazu der Eneasroman[1], welcher um 1170 bis 1174 und nach 1183 von Heinrich von Veldeke verfasst worden ist. Im Hinblick auf die Mediävalisierung sollen sowohl die hier angewandten Strategien als auch die Motive im Antikenroman untersucht werden, wobei sich eine chronologische Vorgehensweise anbietet, um der Komplexität des Eneasromans gerecht zu werden. Zur Erarbeitung historischer Grundlagen wirdHöfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter.[2]von Joachim Bumke und hinsichtlich der Thematik der AntikenromaneDeutsche Antikenromane des Mittelalters[3]von Elisabeth Lienert verwendet.

Nach Jean Bodels trois matière desChanson de Saisneslässt sich der Antikenroman demmatière de Rommezuordnen, bei dem Stoffe aus der Antike auf das mittelalterliche Leben projiziert werden, was als Mediävalisierung zu bezeichnen ist. Es stellt sich die Frage, inwiefern diese im Eneasroman zum Tragen kommt und welche Funktion sie innehat. Anzunehmen ist, dass die Mediävalisierung dazu dient, die Antike als Ideal für Normen und Werte in der Projektion des antiken Stoffes an den Hof Teil der Realität zu machen. Die Antike stellt den Ursprung der Kultur dar und kann somit bestehende Verhältnisse legitimieren. Jedoch bilden nicht nur Motive wie der Hof und das Rittertum zentrale Aspekte der Mediävalisierung sondern auch die Liebe.

Als Grundlage der Mediävalisierung werden den Protagonisten höfische Rollen zugesprochen. Eneas wird als Herzog[4]beschrieben, welcher über ein Heer von Rittern verfügt (vgl. V.146f.). Seine Geliebte Dido fungiert in Karthago als Landesherrin (vgl. V.291f.), die ebenso über Ritter und denen übergeordnete Grafen gebietet (vgl. V.364-367). Außerdem wird auch auf das Lehenswesen eingegangen, welches zu dieser Zeit Usus war (vgl. V.370f.). Darüber hinaus ist auffällig, wie detailliert Veldeke die Stadt Karthago beschreibt (vgl. V.382-396). Die Minne bildet ein zentrales Motiv der Mediävalisierung, welches im vorliegenden Roman zunächst hinsichtlich der Liebe von Dido und Eneas thematisiert wird (vgl. V.739ff.). Auch hier kommt eine detaillierte Beschreibung zum Tragen, nicht nur im Hinblick auf die Beziehung der beiden Protagonisten, sondern im Entfernteren auch bezüglich deren Bekleidung (vgl. V.772). Er verdeutlicht damit, welch ein großer Aufwand betrieben wird, um sich dem Geliebten als äußerlich attraktiv zu zeigen. In diesem Zusammenhang steht der Prunk, welcher am Hof Tagesordnung ist. Um den Aspekt der Minne in seinem Roman zu zentralisieren, beschreibt der Autor die Emotionen der beiden Liebenden besonders differenziert. Auch die Geschichte des Untergangs von Troja, welche in die Handlung eingeschoben wird, spielt in einem höfischen Rahmen, was als eine Mediävalisierungsstrategie verstanden werden kann (vgl. V.920ff.). Geschildert wird hinsichtlich der Beziehung Didos und Eneas vor allem Didos Qualen wegen ihrer Minne (vgl. V.1342ff.). Ihre Schwester Anna beschreibt in einem Gespräch mit Dido Eneas als einen Ritter, der „frumich unde guot“ (V.1547) sei. Damit wird das Idealbild eines Ritters geschaffen, welcher als ein Vorbild für die staufische Zeit fungiert. Auch die antike Mythologie spielt eine Rolle im Eneasroman, jedoch wird diese aufgrund der Problematik des Polytheismus reduziert dargestellt, indem der Fokus auf die Liebesgötter gesetzt wird. Der Göttin Venus wird eine besondere Rolle zugesprochen, da diese für die Minne verantwortlich ist und zudem auch Eneas Mutter ist. Die Liebe zwischen Dido und Eneas wird nicht nur beschrieben, sondern wird auch auf die Art der Liebe eingegangen: „daz ist der rechten minnen art.“ (vgl. V.1890). Neben der Minne stehen die höfischen Verhaltensweisen im Vordergrund, wie zum Beispiel Ascanius das Essen von Schüsseln als „hoveslich dinch“ (V.3782) bezeichnet. Den Protagonisten werden nicht nur höfische Rollen zugesprochen, sondern werden auch detailliert ihre Vorzüge und ihr Umfeld beschrieben (vgl. V.5068). Dem Herzog von Prenestine werden zum Beispiel Attribute wie „riche“ (V.5072), „wol giwafent“ (V.5073) und „wol beraten“ (V.5073) zugewiesen. Um ein getreues Bild zu kreieren, ist auch die Kleidung Teil der Darstellung der jeweiligen Protagonisten. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Prächtigkeit der Gewänder, da diese mit teuren Materialien geschmückt sind: „harmin“ (V.5194), „gruoner samit“ (V.5195), „zobel“ (V.5198). Das Motiv des Prunks zieht sich wie ein roter Faden durch den Eneasroman. Daher lässt sich dieser auch in der Beschreibung der Kampfausrüstung wiederfinden, wie zum Beispiel der Helm, welchen Vulcan geschmiedet hatte, in seinen einzelnen Bestandteilen wie folgt attribuiert wird: „gvlde“ (V.5711), „sidine“ (V.5722), etc. Veldeke mediävalisiert seinen Roman außerdem, indem er die Kampfhandlungen an den Hof lokalisiert (vgl. V.7119ff.). Dabei wird die „degenheit“ (V.7354) als besonders wichtige Tugend eines idealen Ritters skizziert. Erneut wird das Motiv des Kampfes aufgegriffen, als sich Pallas und Turnus gegenüberstehen (vgl. V.7519ff.). Der Gebrauch des Adverbs „ritterlichen“ (V.7532) im Vergleich mit dem Substantiv „Heliden“ (V.7533) lässt sich als eine Mediävalisierungsstrategie verstehen, da es den bereits in der Antike geläufigen BegriffHeldmit dem mittelalterlichen Rittertum verknüpft. Durch die Beschreibung des Verhaltens der beiden Kontrahenten wird ein Idealbild eines Ritters erstellt, der sich durch Kampfbegier auszeichnet: „sie griffen zuo den swerten, des sie sere gerten“ (V.7538-7539). Mit dem Tod Pallas wird dieses Bild weiter skizziert, da er bis zuletzt um seine Ehre gekämpft hat (vgl. V.7571-7578). Im Gegensatz dazu wird Turnus als ein Exempel eines untugendhaften Ritters dargestellt, weil er den Ring des Toten geklaut hat: „er tet och bosliche“ (V.7617). Dass er daraufhin von seinem Heer abgeschnitten wird, erklärt er sich als Strafe der Götter (vgl. V.7690-7694), womit Veldeke an die Mythologie der Antike anschließt. Eneas wird in den Kämpfen als der ideale Ritter beschrieben: „Eneas ime daz vergalt harte ritterliche wider.“ (V.7794f.). Er lässt sich von seinen Gegnern nicht beeindrucken: „daz enwartime niht ein ei“ (V.7824). In seiner Trauerrede für Pallas skizziert er selbst das Bild eines idealen Ritters (V.8054-8066). Bei dessen Bestattung wird jedoch eine negative Verhaltensweise beschreiben, da Eneas eine unangemessene Emotionalität an den Tag legt, die nicht dem Idealbild eines Ritters entspricht (V.8078-8088). Für die Eltern von Pallas gilt eine emotionale Reaktion hingegen als angemessen, da sie den Tod ihres Kindes betrauern (vgl. V.8130-8134). Bei der Beschreibung der Grabstätte Pallas gelangt man erneut zum Motiv des Prunks, bei dem die „zierlichen sachen“ (V.8266) im Vordergrund stehen. Nun folgt ein Verweis auf die Krönung des Königs Friedrich, um einen Realitätsbezug zum derzeitigen Geschehen zu schaffen (vgl. V.8378f.). Hier bleibt der Autor der Lokalität des Machtzentrums dem antiken Vorbild treu: „ze Rome gewihet wart“ (V.8379). Bei dem Einzug von Frauen in den Kampf wird verdeutlicht, dass in jeder Situation um die Ehre zu kämpfen ist (vgl. V.8930f.). Die erste Annahme der Trojaner, dass es sich bei diesen um Göttinnen oder Meerjungfrauen handele, verweist auf das Motiv der antiken Mythologie (vgl. V.8907-8910). Bei der Überführung einer der von ihnen gefallenen Frauen steht erneut der Prunk im Fokus (V.9290ff.). Es folgt eine weitere Anspielung auf die Götter in ihrer Rolle als Richter über Leben und Tod: „wie mochten es die gote gestaden, daz du uerlure dein leben“ (V.9344-9345). Nicht nur ihre Überführung, sondern auch ihre Ruhstätte, welche sie sich zu Lebzeiten selbst errichten lassen hatte, wird motivisch als prunkvoll stilisiert (vgl. V.9394ff.). Der bevorstehende Kampf zwischen Turnus und Eneas steht in dem Zeichen ihre Ehre und ihr Leben zu verteidigen und das Mädchen für sich zu gewinnen (vgl. V.9724-9726). Das Motiv der Ehre in Bezug auf Kämpfe und Schlachten zieht sich wie ein roter Faden durch den hier vorliegenden Roman. Die Mutter der zu gewinnenden Lavinia beschreibt, dass Ehre und Minne in Beziehung zu einander stünden (vgl. V.9754-9765). Ihre Tochter soll sich der Ehre wegen Turnus zuwenden, da dieser ein „helt here“ (V.9754) sei. Das Motiv der Minne wird nun mit den höfischen Verhaltensweisen verknüpft, da Bezug darauf genommen wird, dass nur tugendhafte Männer als Partner in Frage kommen können. Darüber hinaus werden auch beide Seiten der Minne erörtert, um ihre Tochter vor einer aus ihrer Sicht falschen Entscheidung zu bewahren (vgl. V.9832ff.). Hier zeigt sich erneut die enorme Bedeutung des Motivs der Minne, welche sich der Wahrung der Ehre unterzuordnen hat. Doch die Entscheidung über die Wahl des Geliebten wird Venus zugesprochen (vgl. V.10031-10037), womit an die Mythologie der Antike angeknüpft wird. Die zuvor theoretisch beschriebenen Facetten der Minne werden durch die Darstellung der Emotionen Lavinias im Hinblick auf Eneas konkretisiert: „wie wol ich nv erchenne daz freisliche vnigmach“ (V.10080f.). Ausführlich werden ihre psychischen und physischen Veränderungen, welche durch die Minne hervorgerufen werden, beschrieben (vgl. V.10038). Neben Venus werden die Gestalten Amor und Cupido als Urheber ihrer Minne zu Eneas erwähnt (vgl. V.10242f.). An Amor richtet sich Lavinia mit ihrer Klage über die sie quälende Minne direkt und spricht ihm damit eine besondere Rolle zu (vgl. V.10246). Schlussendlich legt sie die Entscheidung über die Wahl ihres Partners in die Hand der Götter, wobei sie darauf hofft, dass sich diese für Eneas als Sieger entscheiden werden (vgl. V.10332-10337). Ihr Schicksal sei somit von den Göttern abhängig: „ez sol mir noch al werden guot, swenne mir got gibet daz heil.“ (V.10356f.), was zeigt, dass ihnen eine handlungsbestimmende Funktion zugesprochen wird. Lavinia leidet sehr unter ihrer unerfüllten Liebe und verspürt „michel […] vnigmach“ (V.10460). Daher richtet sie ihre Klage direkt an die Minne (vgl. V.10476). In einem Dialog wird dargestellt, wie Lavinias Mutter auf die Liebe ihrer Tochter reagiert (vgl. V.10520ff.). Dabei beschreibt die Mutter Eneas im Gegensatz zu der bisher vom Autor getroffenen Charakterisierung als einen Mann, der „aller tugende ane schvlt“ sei (V.10671). Auch sie sieht Gott als Richter über das Schicksal an: „des mvoze dich got verwazen“ (V.10688). Wegen des unkonformen Verhaltens ihrer Tochter wünscht sich die Königin, dass Gott diese bestrafe (vgl. V.10692). Doch Lavinia sieht sich durch die Kräfte von dem „minnen got Cupido“ (V.10706) und der Venus, die „[…] geweltige gottine“ (V.10708), dazu bestimmt Eneas zu lieben, da diese ihr die Minne auferlegt haben (vgl. V.10706-10712). Der Streit geht so weit, dass Lavinia in Ohnmacht fällt (vgl. V.10718). Zum einen zeigt dies die tragende Rolle der Minne und zum anderen die Wichtigkeit des konformen höfischen Verhaltens, da sich die Mutter aus Wut über das unpassende Verhalten ihrer Tochter nicht einmal mehr in einer solchen Ausnahmesituation um sie kümmert (vgl. V.10719). Des Weiteren beklagt Lavinia erneut ihre Qualen, wobei die Minne charakterisiert wird (vgl. V.10726ff.). Bei ihrem Zusammentreffen bewirkt Amor es „mit einem guldinen gere“ (V.10983), dass Eneas getroffen wird und seine Mutter Venus verfügt es, dass Eneas Lavinia liebt (vgl. V.10982-10987). Auch hier wird die antike Mythologie als ein Aspekt der Minnekonzeption aufgefasst. Eneas empfindet seine Liebe zu Lavinia als „schone[n] minne“ (V.11026), jedoch ändert sich dies, als sich die physischen Auswirkungen bemerkbar machen. Es fühlt sich für ihn an als ob er von „suht oder fieber oder rite“ (V.11035) befallen werde, was auf die Krankheit als eine Facette der Minne hinweist. Den Grund dafür sieht er darin, dass es sich um eine „starche minne“ (V.11039) handele. Eneas wird zornig und stellt sich die Frage, wohin „herze“ (V.11044), „manheit“ (V.11045) und „wisheit“ (V.11046) abhanden gekommen seien. Dabei stellt er den Sinn der Liebe zu Lavinia in Frage. Eneas beschreibt sich selbst als „vertoret“ (V.11052) und ist deshalb auf sich selbst sauer. Seine Liebe sei für ihn „vnigmach“ (V.11058), die er als Rache seiner Brüder Amor und Cupido und seiner Mutter Venus auffasst (vgl. V.11060-11065). Aufgrund seiner sowohl psychischen als auch physischen Verfassung, sieht er den Kampf gegen Turnus in Gefahr (vgl. V.11084f.). Auch Eneas richtet sich mit seiner Klage direkt an die Minne (vgl. V.11098ff.). Als Konsequenz seiner Verhaltensveränderung durch die Kraft der Minne sieht er in Bezug auf den Kampf gegen Turnus seinen Tod (vgl. V.11116). Hier beschreibt Veldeke wie groß der Einfluss der Minne auf die Liebenden ist und welche Konsequenzen dies nach sich zu ziehen vermag. Eneas macht durch die Minne viele neue Erfahrungen, da ihm sein Verstand abhanden gekommen sei, was er sich zuvor nie hätte vorstellen können (vgl. V.11129ff.). Ihr Werk beschreibt er als „wunder“ (V.11145), welche sowohl „vbel“ (V.11148) als auch „guot“ (V.11148) seien. Er erbittet sich von der Minne Erbarmen und Trost, wobei er darauf anspielt, dass die Minne seine Mutter Venus sei (vgl. V.11161f.). Auf der Grundlage seiner neuen Erkenntnisse über die Minne reflektiert Eneas sein Verhalten gegenüber Dido und bereut dieses (vgl.11180-11186). Es zeigt sich hier, dass die Minne zur Selbstreflexion auffordert. Dies sieht er als einen Grund für sein Schicksal an, dass er dazu bestimmt wurde Lavinia zu lieben. In seiner Klage verwirft Eneas getroffene Gedanken wieder und macht sich neue (vgl. V.11216ff.). Seine inkohärente Argumentation zeigt, wie sehr er durch die Minne verwirrt ist. Am Ende seiner Klage kommt er dazu, dass ihm durch die Liebe Lavinias Tapferkeit und Verstand zuteil geworden seien (vgl. V.11334f.). Lavinia macht währenddessen den Sinn ihres Lebens von der Liebe zu Eneas abhängig: „owe ich bin div verlorne“ (V.11382). Sie wünscht sich, dass sie zuvor gestorben wäre, um einer Entehrung wegen der Liebe zu Eneas zu entgehen (vgl. V.11390-11394). Nun sei Lavinia ihr Leben gleichgültig geworden (vgl. V.11400). In ihrem Unmut empfindet sie kontroverse Emotionen: „der scone vbel Eneas“ (V.11435). Ihr Zorn gegenüber Eneas geht so weit, dass sie sich wünscht, dass er des Landes verstoßen werde: „daz im got geswiche“ (V.11465). Doch als Eneas dann angeritten kommt, bereut sie ihre Beschimpfungen: „warumbe schalt ich den troian vnd sprach im an sein ere?“ (V.11510f.) und möchte Buße tun. Lavinia ärgert sich über ihre Vorschnelligkeit hinsichtlich ihres stark emotional gelenkten Verhaltens, jedoch vergisst sie allen Ärger, als sie Eneas erblickt (vgl. V.11544ff.). Die einhergehende Beschreibung des Verhaltens der Liebenden verdeutlicht die Kraft der Minne und deren Auswirkungen. Nun kommt Veldeke auf das Motiv des Kampfes zurück (vgl. V.11605ff.). Vor der Begegnung mit Turnus richtet Eneas sein Wort an den König Latinus (vgl. V.11665ff.). Dabei geht er auf das Lehenswesen ein, welches ein Motiv der Mediävalisierung darstellt, da der antike Stoff der gesellschaftlichen Ordnung des Mittelalters angepasst wird (vgl. V.11720ff.). Doch während seiner Rede bricht ein Kampf zwischen den beiden verfeindeten Lagern aus, weshalb der König den Kampfplatz verlässt, da er sich durch diese Umstände verraten fühlt (vgl. V.11838ff.). Hier wird das Motiv der Ehre aufgegriffen. Trotz einer Verletzung von Eneas (vgl. V.11893) verläuft der weitere Kampf ritterlich: „div swert sie riterleiche zugen“ (V.11940). Dies zeigt Eneas auch in Extremsituationen ungebrochene Willensstärke, die als erstrebenswerte Tugend eines Ritters gilt. Er kämpft um die Herrschaft über das ihm bereits durch Erbschaft zugeschriebene Land (vgl. V.12000), was dem Motiv der Genealogie zuzuordnen ist. Außerdem geht es um die Wahrung der Ehre, wobei niemand als „uerrater“ (V.12034) dastehen will, um weiterhin dem Ideal eines Ritters gerecht werden zu können. Hier spielt das Motiv der Rache zur Ehrerhaltung eine Rolle. Doch über der Ehre steht für Turnus der Erhalt seines Lebens, weshalb er vor Eneas und seiner Truppe flieht: „er muoste dannen cheren mit schanden vnd niht mit eren“ (V.12085f.). Als der Kampf bis an die Stadt vorrückt, kommen auch „chöfman vnd gebouren, ritter vnd herren“ (V.12152f.) in Bedrängnis. Die hier erwähnten Stadtbewohner wurden zur Mediävalisierung an die Gesellschaft des Mittelalters angepasst, was eine vorrangige Strategie Veldekes darstellt. Turnus will sich angesichts der prekären Situation Eneas stellen, da er lieber sterben möchte als in Schande sein Leben in der Gegenwart seines Feindes zu verbringen und seine Ehre retten will (vgl. V.12158-12167). Veldeke skizziert weiterhin das Bild des Eneas als einen idealen Ritter: „der chuone vnd der staete“ (V.12172). Auch Lavinia baut ihre Hoffnung auf einen für sie positiven Ausgang des Kampfes auf dieses Idealbild auf: „[…]ich bin dez aber gewis, daz Eneas so houesch is“ (V.12289f.). Jedoch hofft sie auch auf die Hilfe der Götter, womit die antike Mythologie aufgegriffen wird (vgl. V.12288). Im Kampf gegen Turnus wird Eneas beim Anblick der Lavinia von „grimmigen hohen muot“ (V.12432) erfasst, der ihm noch mehr Kampfeswillen schenkt, was die die enorme Kraft der Minne zeigt. Noch in dem Kampf sieht sich Turnus gezwungen zu fliehen, da er Eneas unterlegen sei (vgl. V.12486). Doch als Eneas ihn darauf hinweist, dass es sich bei seinem Verhalten nicht um „frumichleichen tun“ (V.12492) handele und er damit seine Ehre verlieren würde, rafft dieser sich erneut auf, wodurch er dem ritterlichen Wert der „manheit“ (V.12498) gerecht wird. Jedoch wird Turnus von Eneas schwer verletzt und bittet um Gnade (vgl. V.12535ff.). Trotz der Feindschaft der beiden erwärmt Eneas diese Bitte (vgl. V.12573). Als er aber den Ring seines toten Gefährten Pallas an Turnus erblickt, sieht er sich gezwungen diese „bosiv girshait“ (V.12599) zu rächen. Hier steht demnach das Motiv der Rache zur Wahrung der Ehre im Vordergrund. Doch trotzdem wird Turnus als Ritter mit den entsprechenden Tugenden beschrieben (vgl. V.12610ff.). Der Grund seines Todes sei das Schicksal (vgl. V.12630f.). Mit dieser Erklärung greift Veldeke das antike Konzept desfatumauf. Auch Eneas knüpft an diesen Gedanken an, wenn er seinen Sieg als von den Göttern vorbestimmt bezeichnet (vgl. V.12702). Er zeigt sich seinen Mitmenschen gegenüber als großzügig, indem er diese beschenkt. Um dem höfischen Verhalten gerecht zu werden, ertragen Lavinia und Eneas vor ihrer Hochzeit trotz quälender Sehnsucht eine Zeit der Abstinenz (vgl. V.12716ff.). Doch dadurch erhält ihr Wiedersehen einen hohen Wert, welcher sich äußerlich im Prunk widerspiegelt (vgl. V.12800ff.). Hier zeigt sich erneut die Macht der Minne: „irs laides sie vergazen mit fraüden und mit guote“ (V.12888f.). Doch das Glück der Beiden bereitete Lavinias Mutter so großen Zorn, dass sie nach einem Konfliktgespräch mit Lavinia stirbt (vgl. V.13022ff.). Dies zeigt welche Ausmaße nicht konformes Verhalten am Hof nach sich ziehen kann. Die Hochzeit von Eneas und Lavinia steht unter dem Motiv des Prunks, wie der Erzähler deutlich beschreibt: „ich waene, alle, die nu leben, daz si dehein grozer haben gesehen“ (V.13234f.). Auch lässt sich das Motiv der ritterlichen Ordnung hier wiederfinden, wenn der Erzähler von der Schwertleite spricht (vgl. V.13231). Eneas Machtübernahme, die damit einhergehende Gründung der Stadt Alba Longa und Eneas Nachkommen stehen zum Schluss des Romans im Fokus (V.13290 ff.). Dabei verweist Veldeke auf die Stadtgründung Roms und skizziert dessen Herrschaftsgeschichte bis zu Kaiser Augustus in der Zeit Christi Geburt (vgl. V.13332). Somit wird nicht nur die Geschichte und Heilsgeschichte thematisiert, sondern wird dadurch auch die eigene Herrschaft legitimiert. Abschließend wird darauf verwiesen, dass der hier vorliegende Eneasroman auf den „auzer welschen büchen […]“ (V.13507) beruht, welche auf eine wahrheitsgetreue Übersetzung der lateinischen Quelle zurückgehen. Damit spricht sich Veldeke von Unwahrheiten in seinem Roman frei, da diese von Vergilius stammen müssten, und beurteilt damit die Mediävalisierung als angemessen (vgl. V.13511ff.).

[...]


[1]Heinrich von Veldeke:Eneasroman Die Berliner Handschrift mit Übersetzung und Kommentar. Hrsg. von Hans Fromm. Frankfurt am Main 1992.

[2]Joachim Bumke:Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 122008.

[3]Elisabeth Lienert:Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2011.

[4]Heinrich von Veldeke:Eneasroman. Die Berliner Handschrift mit Übersetzung und Kommentar.Hrsg. von Hans Fromm. Frankfurt am Main 1992.Vgl. V.44-71. Im Folgenden wird nach dieser Ausgabe unter der Angabe der Zeilenzahl im fortlaufenden Text zitiert.

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Details

Titel
Mediävalisierungsstrategien bei antiken Stoffen. Motive im "Eneasroman" von Heinrich von Veldeke
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,0
Jahr
2014
Seiten
11
Katalognummer
V341098
ISBN (eBook)
9783668305861
ISBN (Buch)
9783668305878
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mediävalisierungsstrategien, stoffen, motive, antikenroman, eneasroman, heinrich, veldeke
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, Mediävalisierungsstrategien bei antiken Stoffen. Motive im "Eneasroman" von Heinrich von Veldeke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341098

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