Islamistische Radikalisierung in Deutschland. Warum schließen sich immer mehr westliche Kämpfer dem Islamischen Staat an?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Grundlagen
2.1 Begriffliche Grundlagen
2.1.1 Islamismus
2.1.2 Der „Islamische Staat“
2.2 Theoretische Grundlagen
2.2.1 Ein Kampf der Kulturen?
2.2.2 Push und Pull Faktoren des Islamismus
2.3 Die Rolle westlicher Kämpfer im „Islamischen Staat“
2.3.1 Kategorisierung von Dschihad Kämpfern im „Islamischen Staat“
2.3.2 Strategische Bedeutung für den „Islamischen Staat“

3 Deutschland als Rekrutierungsland
3.1 Quantitative Betrachtung
3.1.1 Politische Besonderheiten
3.1.2 Gesetzliche Besonderheiten

4 Radikalisierungsprozesse
4.1 Motive der Radikalisierung
4.1.1 Push Faktoren der Radikalisierung
4.1.2 Pull-Faktoren der Radikalisierung
4.2 Trend: Weibliche IS-Kämpferinnen

5 Institutionelle Radikalisierungsprävention

6 Zusammenfassung und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Im Fall Deutschland muss nicht mehr diskutiert werden, ob und inwiefern der Islam einen berechtigten Platz in der deutschen Gesellschaft hat. Am 3. Oktober 2010 in der Rede zum Jahrestag der deutschen Einheit bezeichnete der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff den „Islam als Teil von Deutschland“. Die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime wurde 2009 auf 4,0 bis 4,5 Mio. Menschen geschätzt, wobei der Trend dieser Anzahl steigt.[1]

Auf der einen Seite wird eine öffentliche Abneigung des Islams durch Parteien wie die AfD, Gruppierungen wie „Pegida“ in Deutschland oder des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump in den USA populär. Auf der anderen Seite ist zudem ein Anstieg der Verbindungen westlicher Personen zu islamistischen Gruppierungen und insbesondere von Ausreisen nach Syrien und in den Irak um sich dem „Heiligen Krieg“ anzuschließen zu verzeichnen.

Immer mehr westliche Kämpfer schließen sich dem „Islamischen Staat“ an. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Es stellt sich die Frage, wie meist junge Menschen sich bewusst für den religiösen Fundamentalismus entscheiden. Dies ist nicht allein ein Problem des Islams auch andere Religionen werden von der Ideologie radikaler und gewalttätiger Gruppierungen eingenommen. Dieses Framing der Religion nutzt diese lediglich als ideologischen Rahmen.

Die aktuelle Diskussion um einen religiös-politisch motivierten Terrorismus, der zum einen in Europa angekommen ist zum anderen aber auch dort entsteht, zeigt die Notwendigkeit die Entstehung zu erklären und somit Prävention an den „richtigen“ Stellen leisten zu können. Diese Arbeit will dem Versäumnis der Terrorismusforschung sich mit den Radikalisierten selbst zu beschäftigen[2] entgegenkommen.

1.2 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit möchte die islamistische Radikalisierung in Deutschland näher beleuchten. Zunächst werden begriffliche Grundlagen wie Islamismus als ein Aspekt von internationalem Terror und der „Islamische Staat“ erklärt. Darauf werden theoretische Grundlagen wie die Gültigkeit der Theorie der „Kampf der Kulturen“ und Push und Pull Faktoren der islamistischen Radikalisierung erläutert. Zudem sollen im zweiten Teil dieser Arbeit die Rolle des westlichen Kämpfers und seine strategische Bedeutung für den „Islamischen Staat“ erläutert werden. Deutschland wird auf politische und gesetzliche Besonderheiten untersucht, die Deutschland zu einem Rekrutierungsland machen oder dies zu verhindern suchen. Die Radikalisierungsprozesse werden nach den Motiven der Radikalisierung und deren Wege analysiert. Ein kurzer Exkurs wird das relativ neue Phänomen der weiblichen IS-Kämpferinnen erläutern. Abschließend werden bereits existierende und geforderte Präventionsprojekte vorgestellt.

2 Grundlagen

2.1 Begriffliche Grundlagen

2.1.1 Islamismus

„Es gibt keine philosophische Einführung in die Grundlagen des Terrorismus, keinen Clausewitz (...), weil es den Terrorismus nicht gibt, sondern eine Vielzahl von Terrorismen“[3]. Das Problem einer eindeutigen Definition von Terrorismus und deren Akteuren wird bestärkt durch das Fehlen von nationalstaatlichen Grenzen des Terrorismus. Für die gesetzliche Betrachtung definiert das Bundesamt für Verfassungsschutz Terrorismus wie folgt:

Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.[4]

Dabei stellt der Islamismus eine Form des Terrorismus, der sich auf eine religiöse Motivation stützt, und somit eine religiöse fundamentalistische Ideologie im Rahmen des Islams dar. Die Unterscheidung des Islams als Religion und des Islamismus als eine religiös-politische Ideologie ist daher unabdingbar.

Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staats- und Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des GG, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden.[5]

Der Islamismus lehnt somit die Idee des säkularen Staates ab. Beim Islamismus handelt es nicht um religiöse Gewalt, sondern eine politische.

Islamistische Gruppierungen in Deutschland organisieren sich in zwei verschiedenen Formen, das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt Islamistische Organisationen in zwei Kategorien ein:

Legalistische Organisationen, die eine Änderung der Staats- und Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an[streben] (...) sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen und Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen.[6]

Während der Islam allein die Religion der Muslime bezeichnet, ist der Islamismus eine religiös politische Ideologie unter deren Deckmantel und mit Berufung auf den Koran Terror verbreitet wird. Religion ist nicht an ein Territorium gebunden, dieser transnationale Aspekt macht die Form des Terrorismus zu einem schwer begreifbaren und noch schwerer bekämpfbaren Gegner. Bei der Bekenntnis zur Scharia handelt es um kein definitives oder kodifiziertes Gesetzbuch. Scharia dient Bezeichnung für den „Weg zur Tränke“ (Sure 45.18). “Weg/Ritus” bildet zentrales Motiv im Koran und meint die Rechtsleitung durch die Rechtsordnung Gottes. Scharia ist hier ein Synonym für Gottesrecht.

Der Islamismus in seiner politisch-ideologischen Form ist in den sechziger und siebziger Jahren entstanden.[7] Barth schreibt das entstandene Feindbild der westlichen Demokratien einem „Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen und seinen Errungenschaften“[8] zu. Zudem lehnen Islamisten eine säkulare Grundordnung ab und fordern einen Staat, dessen Ordnung auf der Scharia beruht.

2.1.1.1 Salafismus

Salafiten bezeichnen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islam und fordern einen Gottesstaat mit bestimmter Interpretation der Scharia nach einer ultrakonservativen Lesart des Korans.[9]

Deren Forderung nach einem Staat, der sich allein auf islamisches Recht stützt, in Verbindung mit einer transnationalen Organisation gibt Anlass diese Gruppierung in Verbindung zum Dschihadismus zu betrachten.

2.1.1.2 Dschihadismus

Die Bezeichnung „Dschihad“ wird oft fälschlicherweise mit „Heiliger Krieg“ übersetzt, dabei ist die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks „sich abmühen“, „sich Mühe geben für etwas“ und „nach etwas streben“.[10] Der Dschihad stellt dabei ein Handlungsprinzip dar, das zwischen dem „größeren“ und dem „kleineren“ Dschihad unterscheidet. Der größere Dschihad ist der Kampf gegen das Böse im eigenen Herzen. Der kleinere Dschihad ist in jeder Form zulässige Verteidigung des Islams. Die Definition des kleineren Dschihads ist also ein Faktor, der diesen Begriff zur Bezeichnung des „Heiligen Krieges“ der Islamisten werden lässt. Die Begriffsfindung für den Verteidigungsfall ist somit ein wichtiger Aspekt für die Unterscheidung des Islams als friedfertige Religion und des Islamismus als politische Ideologie.

2.1.2 Der „Islamische Staat“

Der „Islamische Staat“ macht seit mehreren Jahren durch den wachsender Einfluss, der sowohl militärisch als auch finanziell sichtbar ist, auf sich aufmerksam. Im Juni 2014 wurde durch die Ausrufung des Kalifats unter dem Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi diese alte islamische Regierungsform wieder ins Leben gerufen. Der „Islamische Staat“ entstand 2003 nach dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen und ihrer Alliierten in den Irak.

Musharbash nennt die „Eroberung der Welt“ als Fernziel des Islamischen Staates.[11] Dies soll durchgesetzt werden, indem ein „Pseudo-Staat“ im Nahen Osten stabilisiert wird. Das Feindbild des „Islamischen Staats“ beinhaltet alle Ungläubigen d.h. auch die Ausmerzung der „Grauzone“ wird zum Handlungsziel des IS. So müssen sich nun Muslime im Westen entscheiden, ob sie den Ungläubige im Westen oder den wahren Gläubige, sprich dem IS., angehören wollen. Dies stellt Muslime im Westen nach dem „Generalverdacht“ nach 9/11 vor ein weiteres Problem: Sie stehen nun zwei Gegnern gegenüber, dem Islamismus und den immer wachsenden Anti-Islam-Bewegungen in den westlichen Ländern. Dies gibt den Muslimen einen Rechtfertigungsdruck. Beispielsweise versuchen Muslime weltweit durch Aktionen auf sozialen Medien auf die eigentliche Religion und nicht deren fundamentalistische Abweichungen aufmerksam zu machen. So distanzierten sich nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo zuerst britische Muslime, dann Muslime aus der ganzen Welt mit dem Hashtag #notinmyname von den Anschlägen „[to] show their solidarity against ISIS and their actions [and] how ISIS is misrepresenting Islam“.[12]

Der „Islamische Staat“ bewerkstelligte somit sowohl eine internationale Betroffenheit aller Muslime. Die mediale Aufmerksamkeit schaffte jedoch auch internationale Rekrutierungsmöglichkeiten.

2.2 Theoretische Grundlagen

2.2.1 Ein Kampf der Kulturen?

Huntington sagte einen Konflikt aufgrund eines „Clash of Civilizations“[13] voraus. Als Grund gibt er dafür die Unterschiedlichkeit der westlichen Welt und des Islams an. Jedoch vielmehr „fördert [Huntingtons These] Ignoranz und verhindert Verständigung“.[14]

Religion ist als ein getrennter Aspekt zur Kultur zu betrachten. Den in Deutschland lebenden Muslimen eine gesonderte Kultur zu unterstellen verallgemeinert und simplifiziert die Komplexität der Religion sowie die Unterschiede der Religion zur religiösen Ideologie. So ist auch die Formulierung „Kampf innerhalb der Kulturen“[15] nur teilweise zutreffend. Diese Beschreibung erkennt die Zerrissenheit und Konflikte innerhalb des Islams als Religion, allerdings wäre somit der Religion ein fester Platz im Kulturbegriff gestattet.

Die Kategorisierung in drei Typen Islamistischer Kämpfer in „Einheimische Kämpfer“, „Fremdkämpfer“ und „Kämpfer aus westlichen Ländern“ zeigt die Überschreitung der nationalstaatlichen und kulturellen Grenzen auch in Hinsicht auf die Rekrutierung der Kämpfenden.[16]

2.2.2 Push und Pull Faktoren des Islamismus

Push-Faktoren bezeichnen die Faktoren, die Personen einen Migrationsdruck weg von ihrer Heimat verspüren lässt, und Pull-Faktoren eine Anziehung des neuen Ortes.[17] Ursprünglich werden diese Faktoren für Erklärungsansätze der physischen Migration gebraucht. In dieser Arbeit werden die Pull-Faktoren auf Aspekte der psychischen Anziehungskraft des „Islamischen Staates“ in Deutschland angewandt, welche im Extremfall mit einer Ausreise nach Syrien resultiert. Die Push-Faktoren hingegen sind Faktoren, die Personen in die Radikalisierung treiben.

Die verschiedenen Pull und Push-Faktoren sollen zeigen, welche Faktoren von außen und welche von innerhalb der Gesellschaft auf den Radikalisierungsprozess wirken. Zu den Pull-Faktoren gehören: Der Salafismus als rekrutierende Szene, der „Islamische Staat“ mit präsenter und offensiver Propaganda, emotionale Motive, wie Auflehnung gegen die Eltern, Sinnsuche und religiöse Motive.

Die Push Faktoren sind: der fehlende Religionsunterricht, eine wachsende Islam-Abneigung in der westlichen Gesellschaft und sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung und Straftaten.

2.3 Die Rolle westlicher Kämpfer im „Islamischen Staat“

2.3.1 Kategorisierung von Dschihad Kämpfern im „Islamischen Staat“

Kategorisierungen von extremistischen Kämpfenden wurden bereits nach verschiedenen Aspekten unterteilt. In der zeitlichen Einteilung der Radikalisierungsprozesse nach Sagemann finden die „Homegrown“ Terroristen einen Platz in der „dritten Radikalisierungswelle“[18]. Waldmann bezeichnet sie als „Angehörige der muslimischen Diaspora“.[19]

Seikh unterscheidet drei Typen von Dschihadisten im „Islamischen Staat“: Der „einheimische Kämpfer“, der „Fremdkämpfer“ und der „Kämpfer aus westlichen Ländern“. Der „einheimische Kämpfer“ kann sowohl freiwillig als auch alternativlos zum „Islamischen Staat“ gekommen sein. Freiwillige Kämpfer sind Sunniten, die unter schiitischen Regierungen diskriminiert wurden. Sie suchen nach Würde und empfinden starken Frust über amerikanische Invasion im Irak 2003. Alternativlos Kämpfende sind oft Frauen und Kinder, die sonst kein Geld verdienen können. Auch werden Mitglieder sunnitischer Stämme, deren Stammesältesten sich dem „Islamischen Staat“ angeschlossen haben, unter diese Kategorie gezählt.

Zweitens, als „Fremdkämpfer“ bezeichnet Seikh junge Menschen aus dem Nahen Osten aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die die Aussicht auf Abenteuer, Ruhm, Ehre und eine Ehefrau in den Kampf lockt. Sie motiviert der Kampf gegen den angeblich islam-feindlichen Westen, unter dessen Macht sie leiden.

Als dritte Kategorie nennt Seikh „Kämpfer aus westlichen Ländern“. Diese sind im Westen aufgewachsen, oft sind sie auch dort geboren. Meistens haben sie einen Migrationshintergrund und deren Großeltern sind in das Land gekommen. Diese Kämpfer werden oft auch „Homegrown terrorists“ genannt. Diese Bezeichnung betont ihre Verwurzelung im westlichen Land, allerdings drängen sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, wie diese meist jungen Menschen radikalisiert werden können und wie dieser Entwicklung entgegen gewirkt werden kann.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz macht hier eine weitere Unterscheidung vom „Homegrown terrorist“ zu den Konvertiten, von denen „ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen sich islamistisches Gedankengut zu eigen [macht] und sich für islamistische Ziele [engagiert]“.[20] Gründe für eine Reise zum „Islamischen Staat“ von Personen, die in westlichen Ländern geboren und aufgewachsen sind, können sein: Identitätssuche, Propagandawirkung und die Auflehnung gegen “zu liberale” Eltern[21].

2.3.2 Strategische Bedeutung für den „Islamischen Staat“

Die westlichen Kämpfer sind im Kampf gegen die ungläubigen (Nicht-)Muslime von großer strategischer Bedeutung. Ihr Engagement bestätigt die islamistische Ideologie und deren moralische Wahrheit. Da sich die westlichen Kämpfer aus dem Lager des Feindes heraus dem „Islamischen Staat“ anschließen, wird dies mit einer Erleuchtung der Wahrheit gleichgestellt. Die bewusste Abkehr vom Westen bedeutet ähnlich wie das religiöse Engagement von Konvertiten ein motiviertes Engagement im Kampf für den „Islamischen Staat“.

Weiter ist die Staatsbürgerschaft der westlichen Kämpfer für die Möglichkeit der Rückkehr eines IS-Kämpfers mit einem Attentat-Motiv einfacher. Die Kenntnis der Kultur und Städte sowie westlicher Gegebenheiten zeigten sich bereits in den vergangenen Terrorattentaten in Paris 2015 und Brüssel 2016, wo jeweils in Europa lebende Islamisten die Attentate planten und durchführten. Welche Rolle Deutschland in dieser Entwicklung spielt, wird im nächsten Kapitel erläutert.

3 Deutschland als Rekrutierungsland

3.1 Quantitative Betrachtung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzte Ende 2014 das islamistische Potential in der Bundesrepublik ein wie folgt: 43.890 Islamisten, davon wurden 2.500 als gewaltorientiert bewertet. Diese waren in 25 bundesweit aktiven islamistischen Organisationen vertreten. Obwohl dies ein Rückgang der 30 aktiven islamistischen Organisationen im Vorjahr bedeutete, ist die Anzahl der Mitglieder der verbleibenden Organisationen insgesamt gestiegen. Dies ist vor allem dem Zuwachs an Mitgliedern in salafistischen Bewegungen zuzuschreiben.[22]

Während durch eine solche Bewertung der Quantität schwer das tatsächliche Gefahrenpotential abzuschätzen ist[23], lässt die „ex-post“ Betrachtung der bereits ausgereisten Personen eine genauere Abschätzung zu. Die Anteile der aus Deutschland ausgereisten Personen ist zu einer Mehrheit in Deutschland geboren: 61 Prozent der ausgereisten Personen. Darauf folgen als Geburtsländer die Türkei (6%), Syrien (5%), die Russische Föderation (5%) und Afghanistan (3%). Konvertiten machen dabei einen Anteil an 116 Personen aus.[24]

3.1.1 Politische Besonderheiten

Nachdem die Einflussfaktoren zum Radikalisierungsprozess ausgeführt wurden, werden im folgenden Kapitel die wichtige institutionelle und kulturellen Voraussetzung auf den Fall in der Bundesrepublik Deutschland bezogen.

3.1.1.1 Religionspolitik

Die Besonderheiten in der Politik, die Religion betreffen, schaffen Einflussfaktoren auf die Radikalisierung. Eine „Institutionelle Gleichstellung des Islams“[25] ist in Deutschland noch nicht erreicht. Islamische Organisationen können den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen bekommen. Zur Verleihung, deren Kompetenz bei den Ländern liegt, gibt es keine genauen Formalia oder Vorgaben. Die Körperschaftsverleihung gilt dabei als überregionaler Akt und somit gelten Körperschaften im gesamten Bundesgebiet als juristische Person des öffentlichen Rechts im verleihenden Land. Beispielsweise hat „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts in Hessen (2013) und Hamburg (2014) hat und somit befugt ist Imame auszubilden sowie Religionsunterricht anzubieten.

Problematisch bei der Diskussion ist, dass der innerislamischer Konflikt wird vernachlässigt. Dies ist keine Besonderheiten von Deutschland sondern im Großteil des westlichen Diskurs, die allerdings die Anziehungskraft des „Islamischen Staates“ bestärkt.

[...]


[1] BAMF 2010: Mitgliederzahlen: Islam, in: http://remid.de/info_zahlen/islam/; 14.06.2016.

[2] vgl. Waldmann, Peter 2009: Radikalisierung in der Diaspora: Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden, Hamburg, S. 81.

[3] Laqueur, Walter 2004: Krieg dem Westen: Terrorismus im 21. Jahrhundert, Berlin, S. 8.

[4] Bundesamt für Verfassungsschutz: Terrorismus, in: https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lT; 14.06.16.

[5] Bundesamt für Verfassungsschutz: Islamismus, in: https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lI; 14.06.16.

[6] Bundesamt für Verfassungsschutz: Islamismus, in: https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lI; 14.06.16

[7] vgl. Barth, Peter 2004: Islam und Islamismus : eine Herausforderung für Deutschland, München, S. 104f

[8] ebd. S. 105

[9] vgl. Jokisch, Benjamin 2015: „Salafistische“ Strömungen im vormodernen Islam, in: Ceylan, Rauf/ Jokisch, Benjamin (Hrsg.): Salafismus in Deutschland, Frankfurt am Main, 15-36.

[10] vgl. Barth, Peter 2004: Islam und Islamismus : eine Herausforderung für Deutschland, München, S. 70f

[11] Musharbash, Yassin 2015: Die Antwort auf den IS kann nur multidimensional sein. in: http://www.zeit.de/video/2015-12/4639425489001/terrorismus-die-antwort-auf-den-is-kann-nur-multidimensional-sein; 22.1.2016.

[12] N.A.: About #notinmyname, in: http://isisnotinmyname.com/; 14.06.16.

[13] Huntington, Samuel 1998: Kampf der Kulturen, München.

[14] Harnisch, Sebastian 2015: The Clash of Ignorance: Huntingtons These fördert Ignoranz und verhindert Verständigung, in: http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/samuel-huntington-revisited/artikel/detail/the-clash-of-ignorance-759/; 14.06.16.

[15] Barth, Peter 2004: Islam und Islamismus : eine Herausforderung für Deutschland, München, S. 145.

[16] Seikh, Hammad 2015: Die drei Grundformen des Dschihad, in: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-12/islamischer-staat-syrien-kaempfer-westen-typologie-motivation; 14.06.16.

[17] vgl. Han, Peter 2000: Soziologie der Migration, Stuttgart.

[18] vgl. Sageman, Marc 2004: Understanding Terror Networks, Philadelphia.

[19] Waldmann, Peter 2009: Radikalisierung in der Diaspora, Hamburg, S. 85.

[20] Bundesamt für Verfassungsschutz: Islamistischer Terrorismus, in: https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lI; 14.06.16.

[21] Damir-Geilsdorf, Sabine 2014: Zu politischer Identitätsbildung als Radikalisierungsfaktor bei jungen Muslimen in Deutschland, in: Ceylan, Rauf/ Jokisch, Benjamin (Hrsg.): Salafismus in Deutschland, Frankfurt am Main, S.215.

[22] Bundesamt für Verfassungsschutz 2014: Islamistisches Personenpotential, in: https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/zuf-is-2014-islamistisches-personenpotenzial.html; 14.06.16.

[23] Barth, Peter 2004: Islam und Islamismus : eine Herausforderung für Deutschland, München, S. 232.

[24] Innenministerkonferenz 2015: Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind: Fortschreibung 2015, in: http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2015-12-03_04/anlage_analyse.pdf?__blob=publicationFile&v=2; 14.06.16.

[25] von Beyme, Klaus 2015: Religionsgemeinschaften, Zivilgesellschaft und Staat, Wiesbaden, S. 214.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Islamistische Radikalisierung in Deutschland. Warum schließen sich immer mehr westliche Kämpfer dem Islamischen Staat an?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
25
Katalognummer
V341152
ISBN (eBook)
9783668306721
ISBN (Buch)
9783668306738
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
islamistische, radikalisierung, deutschland, warum, kämpfer, islamischen, staat
Arbeit zitieren
Vera Henne (Autor:in), 2016, Islamistische Radikalisierung in Deutschland. Warum schließen sich immer mehr westliche Kämpfer dem Islamischen Staat an?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341152

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