Vor bald einem Vierteljahrhundert hat Detlev Frehsee mit seiner "Kriminalität der Angepassten" die bis dato bestehende Sicht von der sozialen Polarität der Kriminaliät verworfen, indem er die Kriminalitätsbelastung einer unauffälligen Mittelschicht in das grelle Licht der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zerrte. In der Folge ist immer wieder bestätigt worden, dass das Bild einer unbelasteten Mittelschicht mit normalen, durchweg gesetzestreuen Bürgern, nicht zuzutreffen scheint. Die Mehrheit der Bevölkerung verstoße im Gegenteil permanent gegen alle möglichen Normen. Der Versicherungsbetrug sei "weit verbreitet", ja es handele es sich geradezu um einen "Volkssport". Im Berufsalltag zeige sich "ein gigantisches Ausmaß an kriminellen Aktivtäten", bei Personen und Firmen herrsche eine "Mitnahme-", in der Ärzteschaft eine "Manipulationsmentalität", illegale Praktiken hätten im gesamten Gesundheitswesen "nahezu den Charakter eines Systems". Die Vorstellung, strafrechtlich relevantes Verhalten wäre vor allem eine Sache der sozial Abweichenden, sei falsch, vielmehr gebe es eine spezifische Kriminalität der Bürgerlichen, Braven, Angepassten, der Normalen.
In dieser Untersuchung soll der Versuch unternommen werden aufzuzeigen, dass es eine "Kriminalität der Angepassten" gerade nicht gibt. Vielmehr soll allein anhand des Phänomens gezeigt werden, dass alle Bereiche der Gesellschaft zu einem gewissen Grade kriminell belastet sind. Die Personengruppe der Angepassten weist dabei zwar Besonderheiten in Deliktzusammenhang, -begehung und -struktur auf. Löst man sich jedoch von einer personenbezogenen Betrachtungsweise, einer Kriminalität der "Ders", ergeben sich grundlegende Gemeinsamkeiten jeder Kriminalitästsform. Kriminalität ist ubiquitär.
Zur Untersuchung soll zunächst der Begriff der Kriminalität der Angepassten definiert und anhand rezenter Daten untermauert werden, dass die Bobachtung des Phänomens zutreffend ist. Danach soll herausgestellt werden, warum dies für den Befund der Ubiquität von Kriminalität von enormer Wichtigkeit ist.
Danach soll anhand eines Vergleichs mit Kriminalitätserscheinungen innerhalb anderer Gesellschaftsbereiche gezeigt werden, dass die Kriminalität der Angepassten zwar einerseits durch ihr eigene Merkmale gekennzeichnet ist, sich aber im Grunde durch nichts von den Kriminalitätsformen übriger Täter- und sozialer Gruppen unterscheidet.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Die Kriminalität der Angepassten
- I. Begriff
- II. Relevanz
- 1. Kriminalität als unangepasstes Verhalten
- 2. Unangepasstheit der Person als Kriminalitätsursache
- III. Ausprägung und Verhältnis zu anderen Kriminalitätsformen
- 1. Alltagskriminalität vs. Unterschichtenkriminalität
- a) Ausgewählte Kriminalitätsbereiche
- b) Betrug und das Verhältnis von Mittel- und Unterschichtskriminalität
- aa) Das Beispiel Versicherungsbetrug
- bb) Wahrnehmungsstörungen? Sozialbetrug und Steuerhinterziehung
- c) Zusammenfassung und Erstes Zwischenergebnis
- 2. Berufskriminalität vs. Oberschichtenkriminalität
- a) Ausgewählte Kriminalitätsbereiche
- b) Abgrenzung zur Wirtschaftskriminalität
- aa) Berufskriminalität: Abgrenzung nach situativen Charakteristika
- bb) Abgrenzung anhand Charakteristika der white-collar Kriminalität
- cc) Abgrenzung anhand Charakteristika der Wirtschaftskriminalität
- c) Zusammenfassung und Zweites Zwischenergebnis
- IV. Folgerungen für die Kriminologie
- 1. Kritische Konzepte: Entpersonalisierung
- 2. Integration in ätiologische Konzepte
- 3. Drittes Zwischenergebnis
- V. Kriminalpolitik und Prävention
- 1. Alltagskriminalität vs. Unterschichtenkriminalität
- C. Zusammenfassung und Ergebnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Kriminalität der Angepassten. Sie untersucht den Begriff, die Relevanz und das Verhältnis dieser Kriminalitätsform zu anderen Formen der Kriminalität. Die Arbeit analysiert die Auswirkungen auf die Kriminologie und die Kriminalpolitik.
- Begriff und Relevanz der Kriminalität der Angepassten
- Unterschiede zwischen Alltagskriminalität und Unterschichtenkriminalität sowie Berufskriminalität und Oberschichtenkriminalität
- Auswirkungen auf die Kriminologie und die Kriminalpolitik
- Präventionsmaßnahmen im Kontext der Kriminalität der Angepassten
- Bedeutung der Kriminalität der Angepassten für das Verständnis von Kriminalität im Allgemeinen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit definiert den Begriff der Kriminalität der Angepassten und beleuchtet deren Relevanz. Es werden verschiedene Ansätze zur Definition und Einordnung dieser Kriminalitätsform vorgestellt und diskutiert. Das zweite Kapitel untersucht die Ausprägung und das Verhältnis der Kriminalität der Angepassten zu anderen Kriminalitätsformen. Es werden Alltagskriminalität und Unterschichtenkriminalität sowie Berufskriminalität und Oberschichtenkriminalität gegenübergestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Das dritte Kapitel widmet sich den Folgerungen für die Kriminologie. Es werden kritische Konzepte zur Entpersonalisierung der Kriminalität der Angepassten vorgestellt und die Integration dieser Form der Kriminalität in ätiologische Konzepte diskutiert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Kriminalpolitik und Prävention im Kontext der Kriminalität der Angepassten. Es werden verschiedene Präventionsmaßnahmen vorgestellt und deren Wirksamkeit diskutiert. Das fünfte Kapitel bietet eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Arbeit und zieht Schlussfolgerungen für die weitere Forschung und Praxis.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Kriminalität der Angepassten, Alltagskriminalität, Unterschichtenkriminalität, Berufskriminalität, Oberschichtenkriminalität, Betrug, Wirtschaftskriminalität, white-collar Kriminalität, Kriminologie, Kriminalpolitik, Prävention.
- Quote paper
- Eric Sturzebecher (Author), 2015, Kriminalität der Angepassten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341548