Harmonische Analyse von Franz Schuberts Lied "Der Doppelgänger"


Hausarbeit, 2012

13 Seiten, Note: 1


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Aufbau

2. Harmonik Klavierstimme

3. Singstimme

4. Semantik und Textdeutungen

5. Tonartencharakteristik

6. Heines Gedicht „der Doppelgänger“

7. Schuberts „Doppelgänger“

8. Tabellarische Darstellung

9. Literatur

1. Aufbau

Als Voraussetzung für eine harmonische Analyse des Liedes „Der Doppelgänger“ von Franz Schubert kann zunächst eine grobe Gliederung der Formteile vorgenommen werden. Einen ersten Aspekt stellt das zugrundegelegte gleichnamige Gedicht von Heinrich Heine dar. Dieses ist in drei Strophen, zu je vier Versen gegliedert und besitzt das Reimschema aba, wobei die Kadenzen alternieren. Schubert vertonte das Gedicht als durchkomponiertes Lied. Allerdings lässt sich in der Klavierbegleitung eine große Ähnlichkeit zwischen erster und zweiter Strophe feststellen, die mit der dritten Strophe kontrastiert.

Das Klavier beginnt mit einem 4-taktigen Vorspiel (T. 1-4).

Anschließend wird die erste Strophe in zwei 8-taktigen Phrasen (A1 und A2 ) für jeweils ein Verspaar gegliedert, nach welchem jeweils ein 2-taktiges Zwischenspiel folgt. Während die Singstimme nur ornamentale Veränderungen erfährt, ist die Klavierbegleitung beider Verspaare identisch, sodass sie den einzelnen Versen entsprechend, weiter in 4-taktige Phrasen, die als Vorder- und Nachsatz beschreibbar sind, unterteilt werden kann, wodurch das Reimschema aba quasi musikalisch nachvollzogen wird. Die erste Gedichtstrophe kann somit als Abschnitt A bezeichnet werden.

In der zweiten Strophe wird das aba-Prinzip variiert fortgesetzt. In der Singstimme findet in Vers 1 und 3 eine Aufwärtsbewegung von d bis ais statt. Dem entspricht in Vers 2 und 4 eine Bewegung, die jedoch erst beim zweiten Mal am Zielton g ankommt. In der Klavierbegleitung wird das 4-taktige Schema der ersten Strophe fortgesetzt, allerdings wird das 2-taktige Zwischenspiel von A durch einen ausgehaltenen Akkord ersetzt (T. 33, 41) und der letzte Akkord des Schemas (T.41) verändert. Trotz dieser Veränderungen bleibt die Grundstruktur der Begleitung erhalten, wodurch sich dieser Abschnitt als A‘ bezeichnen lässt.

Die dritte Strophe ist musikalisch neu gestaltet und durch Chromatik und Rückungen vom Ausgangsmodell verschieden. Während das erste Verspaar noch eine 8-taktige Phrase erhält, besteht das zweite Verspaar der dritten Strophe nur aus 6 Takten. Diese Strophe kann im Lied als Abschnitt B bezeichnet werden.

Ein 8-taktiges Nachspiel, das sich wiederum in zwei Teile gliedern lässt beendet das Lied.

2. Harmonik Klavierstimme

Der in einer harmonischen Analyse gewöhnlich erste Blick gilt dem Verhältnis der Tonarten zueinander, den Kadenzen und Modulationen und somit der Funktionsharmonik. Erst wenn diese Methode keine befriedigenden Ergebnisse liefert wird nach Auffälligkeiten von bestimmten Akkorden, Tönen, Intervallen gesucht. Im „Doppelgänger“ offenbart sich nach einer Akkordanalyse die Tonart h-moll, auf die ein leerer Quintklang auf h hindeutet und die durch Dreiklangsbrechungen in der Melodiestimme bestätigt wird. Dabei herrscht jedoch zunächst ein recht eintöniges Schema vor: t - D/d - tG - D. Der Grund dafür ist jedoch eine Folge von vier Tönen, die als Modell den Charakter des gesamten Stückes prägen. Die Tonfolge h - ais - d - cis wird als Figur bereits im Klaviervorspiel vorgestellt und stellt eine sequenzierte fallende Sekunde dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Linie wird dabei in den Außenstimmen parallel in Oktaven geführt, wodurch eine Art von Unisono entsteht. Damit ist die klangliche Grundlage des Stücks beschrieben, denn diese Figur oder das Motiv wird in A und A‘ bis auf T. 13f. und 23f. ständig und ausschließlich in Pfundnoten wiederholt. Dabei lässt sich die Abfolge als originales Motiv und Variation des Motivs oder als „Vordersatz und Nachsatz“1 darstellen, wobei die permanente Wiederholung einen Ostinatocharakter erzeugt. Während der Vordersatz des Ostinato, der bereits im Vorspiel vorgestellt wird und im Nachspiel wieder anklingt, stets demselben Muster folgt, unterliegt der Nachsatz bestimmten Variationen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die zweite Variation mit einer tief alterierten zweiten Stufe ist selten verwendet und nur in T. 32, 41 und 59 zu finden. Die erste Variation, in der ein aufgelöstes a das ais des Vordersatzes ersetzt, prägt jeden Nachsatz. Die Opposition von ais-a erweist sich damit als entscheidendes Prinzip, das den dualen Charakter des Stückes verdeutlicht. Die entsprechenden Dominant- Klänge Fis-Dur und fis-moll betonen den Gegensatz. Untersucht man die Klänge im Vordersatz, so zeigt sich, dass es kaum vollständige Akkorde gibt: Die t h-moll hat keine Terz, die D Fis-Dur hat keine Quint, dafür aber drei Terzen, der dritte Akkord hat als t keinen Grundton und als tP keine Quint. Damit kann kein kadenzierendes Fortschreiten möglich sein und die Funktionsharmonik kommt als analytische Methode an ihre Grenzen. Für eine Deutung muss daher die Figur als solche formbildend verstanden werden. Eine Möglichkeit des Zusammenhangs wäre die Bedeutung des Tons fis, um den sich die Klänge von Vorder- und Nachsatz gruppieren. Dieser zentrale Ton ist in jedem Klang enthalten und bildet damit ein mögliches Zentrum, um das sich alle anderen Klänge verschieben.

Eine andere Möglichkeit des internen Zusammenhalts bietet der Tetrachord mit seinen Variationsmöglichkeiten. So stammt das Tonmaterial der Figur aus einem Tetrachord, der kleinsten tonal sinnvollen Einheit. Denn durch die Aneinanderreihung der Figur, können die Töne auch zu einem absteigenden Tetrachord d - cis- h- a verbunden werden. Durch die Möglichkeit, den Leitton an verschiedenen Stellen zu platzieren, kann ein unterschiedlicher Charakter gewonnen werden. Der Tetrachord wird hier gestaucht eingeführt und tritt in zwei weiteren Varianten auf. Mit chromatischen Zusatztönen tritt er zudem auch in seiner Umkehrung auf:

Ob nun von einem sequenzierten, fallenden Sekundmotiv, das mit dem Ton h beginnt oder einem absteigenden Tetrachord, der mit dem Ton d‘ beginnt als Grundmodell ausgegangen werden soll, ist eine Frage der Tonauswahl. Für die erste Möglichkeit spricht, dass das Vorspiel wie auch jeder Versanfang mit dem Ton h beginnt und die fallende Bewegung des Tetrachords erst durch eine Verschränkung der Phrasen stattfindet.

Während im Vordersatz nie kadenziert wird, gibt es Ansätze zur Kadenz im Nachsatz. So wird in T. 10 erstmals eine Kadenz angedeutet. Durch eine Hervorhebung des Tons fis in einer Oktave und durch die Platzierung auf der dritten Zählzeit, wodurch zum ersten Mal das starre Rhythmusschema verlassen wird, wird die Erwartung einer Bassklausel nach h geschürt, die dann durch einen Trugschluss nach D-Dur enttäuscht wird. Um wieder nach h-moll zu gelangen, folgt nach D-Dur ein Fis-Dur Septakkord als Quartsextakkord. Statt diesen aber direkt aufzulösen wird der Akkord durch ein 2-taktiges Klavierzwischenspiel erweitert, das sich harmonisch als Prolongation des Fis-Klanges (T. 12) und melodisch eine Imitation der Gesangsstimme durch das Klavier darstellt. Das Unisono der Außenstimmen ist ab T. 11 einem Quintabstand gewichen, der sich chromatisch zur Sexte erweitert und schließlich wieder zur Oktave wird. Dass es sich bei der Rückführung nach h- moll nicht um eine reine Kadenz handelt, wird auch durch die falsche Lage der Klauseln angezeigt, da sich Bassklausel im Diskant und Altklausel im Bass befinden. Zudem fehlt dem Zielklang h-moll die Terz. So ist es schlichtweg so, dass nach einem prolongierten Nachsatz wieder der Vordersatz anfängt.

Die entsprechende Stelle im A‘-Teil in T. 31-34 sieht einer Kadenz bedeutend ähnlicher. So fällt der prolongierte Fis-Klang weg und der Leitton ais kann sich direkt nach h auflösen. Zudem wird hier die dritte Variante des Tetrachords mit einem c statt cis ausgespielt. Die tiefalterierte zweite Stufe liegt nun im Bass und verstärkt als phrygische Sekunde die Leittonwirkung, da der Zielton h nun von zwei Richtungen aus angesteuert wird. Allerdings tritt das fis der Gesangsstimme hinzu und ergibt so mit dem c des Basses einen Tritonus.

Im B-Teil (T. 43-56) werden die bisher geltenden Formprinzipien aufgelöst. Die Parallelstelle in T. 40-42 wird in ihrer Expressivität noch deutlicher. So wird zum ersten Mal der Ton fis aufgegeben und zum g erhöht. Damit ergibt sich ein klingender C-Dur Septakkord, der zu h- moll in einer neapolitanischen Verwandtschaft steht.

Im B-Teil wird das gesamte Ostinato aufgelöst. Im Vordersatz erscheint nun ein umgekehrter Tetrachord, beginnend mit a und zusätzlichem c, wodurch eine chromatische Linie entsteht. Endend auf d, wird im Nachsatz eine Rückung nach dis-moll durchgeführt. Die aufsteigende Linie beginnt mit einem reinen h-moll Akkord (T. 43), wird mit einer verminderten Quinte fis-.c fortgesetzt, worauf die reine Quinte fis - cis folgt und auf dem Terzklang d - fis eine kurze Ruhepause erreicht und schließlich mit einer Rückung nach dis- moll zum Stehen kommt. Bezeichnenderweise fehlt in den beiden Quintklängen als harmonisch entscheidender Ton das ais/a, das als Optionston im Tetrachord fungierte. Der zentrale Ton fis ist jedoch wieder präsent. Die Tonart dis-moll ist mediantisch begründbar, jedoch ohne eine tonale Verwandtschaft zur vorherrschenden Tonart h-moll. In den Takten 47-59 wechselt die Zwischentonika dis-moll zweimal zur Dominante Ais-Dur. Bedeutsamer ist jedoch der taktweise chromatische Wechsel von cisis nach dis, der den Tetrachord systematisch überschreitet.

Von Ais-Dur findet eine Rückmodulation über G-Dur als Septakkord (T. 51) und Fis-Dur (T. 52-55) nach h-moll (T. 56) über sechs Takte hinweg statt.

[...]


1 vgl. Werner Thomas, Schubert-Sudien, in: Quellen und Studien zur Musikgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, hrsg. von Michael von Albrecht, Band 21, Frankfurt a.M. 1990.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Harmonische Analyse von Franz Schuberts Lied "Der Doppelgänger"
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Musikforschung)
Note
1
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V341556
ISBN (eBook)
9783668313699
ISBN (Buch)
9783668313705
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Harmonische Analyse, Doppelgänger, Schubert, Hexachord
Arbeit zitieren
Philip Henri Unterreiner (Autor:in), 2012, Harmonische Analyse von Franz Schuberts Lied "Der Doppelgänger", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341556

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