Am Gemeinwohl vorbei geplant - Von der Durchsetzungskraft des Bürgerwillens


Diplomarbeit, 2004

62 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung
Das Gemeinwohl und die Interessen des gesellschaftlichen Steuerungssystems

II Die Verwaltung
1. Regierung und Verwaltung orientieren sich am Gemeinwohl
2. Auch Entscheider haben Eigeninteressen
3. Positionen, in denen die Darstellung der Interessen erlaubt ist
3.1. Interessendarstellung in Positionen des öffentlichen Interesses
3.1.1. Politik
3.1.2. Verwaltung
3.1.3. Kirche
4. Der Bedarf nach Eingrenzung der Eigeninteressen
4.1. Wege der Eingrenzung
4.1.1. Richter
4.1.2. Schöffen
4.1.3. Befristung von Macht
4.1.4. Auch diese Instrumente haben Eigeninteressen
5. Was tun?

III Das Verfahren „Planungszelle“
1. Die Historie der Planungszelle
1.1. Warum benötigt man die Planungszelle?
1.2. Erklärungen zur Begrifflichkeit und des Spannungspotentials
2. Der Ablauf einer Planungszelle
3. Die differenzierten Einsetzungsmöglichkeiten anhand stattgefundener Planungszellen

IV Das Beteiligungsprojekt „Meerbusch Mitte“ – Eine Fallstudie
1. Die Vorstellungen und Vorgaben der Verwaltung
1.1. Der Ablauf der Planungszelle Meerbusch Mitte
1.1.1. Die besondere Demografie der Stadt Meerbusch
1.1.2. Der Verlauf der Planungszellen und deren Teilergebnisse
1.1.3. Der Wille der Bürger zur Entwicklung ihrer Stadt
2. Die Divergenz zwischen den Vorgaben der Verwaltung und dem Ergebnis der Planungszellen
2.1. Das überraschende Ergebnis der Planungszelle
2.2. Die Unvereinbarkeit der Vorstellungen
2.3. Das aktive Ablehnen des Vorhabens durch die Bürger

V Der Widerspruch zwischen der Vorstellung der Verwaltung und dem Willen der Bürger
1. Der regierte Bürger tendiert zum regierenden Bürger
1.1 Der Wunsch nach mehr Mitspracherecht wird stetig größer
1.2 Die Möglichkeiten bei zunehmender Mitbestimmung
1.2.1 Integration
1.2.2 Identifikation

VI Zu Experten ausgebildete Macher – Ein neuer Zustand der Kooperation
1. Die Verwaltung als ausführendes Organ des Bürgerwillens?
1.1 Der Bürger plant seine eigene Umgebung
1.2 Mit Hilfe der Planungszelle wird es möglich, die Vorstellungen der Bürger zu harmonisieren und realisierbar zu machen
1.3 Die Verwaltung realisiert mit Hilfe ihrer Instrumente den Bürgerwillen
2. Ergebnis
3. Resümee
4. Literatur

I Einleitung

Das Gemeinwohl und die Interessen des gesellschaftlichen Steuerungssystems

Geht es um die Veränderung des Lebensraums der Bürger, die Umstrukturierung von Siedlungen, Straßen, Gemeinden, des öffentlichen Personennahverkehrs, der Kindergärten, Schulen oder die Zusammenlegung gewachsener Gemeinden zu komplexen Städten, so ist der eigentlich Betroffene, der Bürger, zumeist der Letzte, der in den Planungsprozess, wenn überhaupt, mit einbezogen wird. Der mündige Bürger, egal welcher Schicht er entstammt und egal welchen Beruf er ausübt und egal in welcher Art und Weise er sein Leben führt, hat zu jeder Veränderung seines ihn umgebenden Raums und jeder Veränderung seiner Lebensumstände eine eigene Meinung, die es wert sein sollte, in wichtige Entscheidungsprozesse mit einzufließen. Die Natur der Sache erlaubt es natürlich nicht in allen Belangen, jeden einzelnen Bürger um seine Meinung zu befragen. Hier kommt das Demokratiesystem zum Tragen und die gewählten Vertreter des Volkes vertreten die Meinung der Bürger in diesen Entscheidungs- oder Planungsprozessen. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist die nach der vollkommenen Freiheit von Eigeninteressen. Handeln die Beauftragten wirklich ausschließlich im Sinne ihrer „Auftraggeber“? Wissen sie ganz genau, wie sich die Bürger in der jeweiligen Situation entscheiden würden?

Und sind sie dazu in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse, den eigenen Status und die Karriere soweit außen vor zu lassen, dass eine objektive, dem Gemeinwohl entsprechende Entscheidung gefällt werden kann? Im Nachfolgenden soll sich mit diesem Thema befasst werden. Es wird sich zeigen, ob die Verwaltung im Einzelnen ohne die direkte Einbeziehung des Bürgers am Gemeinwohl vorbei plant und ob der Wille der Bürger in Entscheidungsprozessen Gehör finden kann.

II Die Verwaltung

1. Regierung und Verwaltung orientieren sich am Gemeinwohl

Das Grundgesetz besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.[1] Die Vorstellung des deutschen Demokratiesystems basiert darauf, dass sich nicht der einzelne Bürger an Entscheidungsprozessen beteiligt, sondern dass von der Bevölkerung gewählte Vertreter, im Namen und im Sinne des Volkes, diskutieren, entscheiden und planen. Das soll auf jeder Ebene geschehen. Sowohl die Regierungen und Ministerien des Bundes, als auch der Länder, sowie Land- und Stadträte, Gemeinderäte und alle zugehörigen Ämter sollen ihre Entscheidungen so fällen, dass der Bürgerwille erfüllt wird und die Mehrheit der Bürger einen Vorteil daraus ziehen kann. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Verantwortlichen ausschließlich dem Bürgerwillen genüge tun und persönliche Interessen, Bereicherungen und Statusdenken außer Acht lassen. Bei Umstrukturierungen und der Planung von Wohngebieten soll der Vorteil der Bürger oberste Priorität haben. Eigeninteressen der Verwaltung dürfen keinen Vorrang haben. In Kapitel IV wird sich zeigen, wie dieser Grundsatz eine Umkehr erfuhr.

2. Auch Entscheider haben Eigeninteressen

Können sich die Vertreter der Bürger von ihren Eigeninteressen distanzieren oder ist es ihnen sogar möglich, sich ganz von solchen Eigeninteressen frei zu sprechen? Das Beamtentum in Deutschland dient als Instrument, um diese Eigeninteressen zu minimieren. Der Verlauf der Karriere und der Verdienst sind nicht abhängig von Erfolg oder Misserfolg im Beruf. Er ist Abhängig vom Alter, Dauer der Dienstzugehörigkeit, Familienstand, Anzahl der Kinder und weiterer Variablen, die grundsätzlich nicht leistungsabhängig sind. Somit müsste sich eigentlich jeder Beamte in der Verwaltung von Eigeninteressen frei machen können. Doch was ist mit den persönlichen Ansprüchen, dem Geltungsbedürfnis unter den Kollegen und der Suche nach Anerkennung bei Vorgesetzten? Diese Interessen sind rein persönlicher Natur und sie sind je nach Wesen und Charakter des Einzelnen gänzlich verschieden. Sie sind nicht auszuschalten und im Bereich der Verwaltung, wenn es um die Belange der Bürger geht, können sie zu deren Ungunsten ausfallen.

Und was ist mit dem zunehmenden Einsatz von Angestellten in der Verwaltung? Bei ihnen ist die Sicherung der Karriere nicht gegeben; also werden sie dazu veranlasst, bei dem Wunsch nach Anerkennung und dem Streben nach Aufstieg persönliche Kriterien und den Fortbestand der eigenen Position zur obersten Priorität zu erklären. In der Industrie, der freien Wirtschaft, sind diese Eigeninteressen ein durchaus legitimes Instrumentarium zur Förderung der Karriere und des damit verbundenen Status innerhalb des Unternehmens. Nur aufgrund von Leistung, Ehrgeiz und persönlichem Engagement ist es möglich, die eigene Position voran zu treiben.

3. Positionen, in denen die Darstellung der Interessen erlaubt ist

Sollten Eigeninteressen erlaubt sein, so muss es dafür immer eine soziale Legitimation geben. Sobald man eine Position bekleidet, in der die Interessen anderer vertreten werden müssen, in der man nicht für die eigene Person verantwortlich ist, sondern Verantwortung für andere übernehmen muss und bei der Entscheidungen das Leben anderer beeinflussen oder sogar verändern, muss das Eigeninteresse hinten angestellt werden.

Anders verhält es sich, wenn man eine Position bekleidet, die nicht der Öffentlichkeit oder dem Gemeinwohl dienen soll, sondern in der es um Profit, Karriere oder persönlichen Status geht. Ein Angestellter in der Wirtschaft, der seine Position verbessern will und eine Beförderung anstrebt, wird dazu angehalten sich zu profilieren und stetig seine Eigeninteressen zu verfolgen. Für ihn bietet sich keine andere Möglichkeit beruflich voran zu kommen. Nur durch persönliches Engagement und die permanente Hervorhebung seiner persönlichen Fähigkeiten und Zielsetzungen wird sich herausbilden, ob er einer höheren Position und der damit verbundenen Verantwortung und deren Ansprüchen gewachsen ist. In dieser Situation muss sich der Angestellte von den ihn umgebenen Kollegen abheben. Er muss aus der Masse herausstechen und somit bei den Vorgesetzten Anerkennung erlangen. Hier geht es allerdings ausschließlich um die eigene Person. Das Konkurrenz- und Leistungsprinzip soll hier, im Idealfall, jedem die gleichen Chancen einräumen und Auswirkungen auf andere Personen sollen minimiert werden.

Auch eine Person des öffentlichen Lebens, um ein weiteres Beispiel anzuführen, ein Schauspieler, Sänger oder Künstler, wird stets darum bemüht sein, seine Eigeninteressen durchzusetzen. Hier geht es um Erfolg oder Misserfolg und darum, einen hohen Bekanntheitsgrad und den damit verbundenen Ruhm zu erlangen. Die Aussicht auf Anstellungen, Engagements oder Aufträge und somit die Aussicht auf den Verdienst des Lebensunterhalts hängen damit zusammen, inwieweit die bestehenden Eigeninteressen verfolgt werden. Aber auch hier ist charakteristisch für die Verfolgung der Eigeninteressen, dass nicht die Lebensräume der Allgemeinheit tangiert werden. Die erwähnten Personen tragen nur Verantwortung für sich selbst und sind nicht als Vertreter des Gemeinwohls oder Bürgerwillens für ganze Gruppen der Bevölkerung zuständig.

3.1. Interessendarstellung in Positionen des öffentlichen Interesses

Wie schon erwähnt, steht das Interesse der Öffentlichkeit im Vordergrund; so sind Eigeninteressen nicht legitim. Sie behindern objektive Entscheidungen und verhindern eine Planung, die sich im Sinne des Gemeinwohls entwickeln soll. Positionen und Tätigkeitsfelder, in denen Eigeninteressen in keinem Fall in den Vordergrund treten dürfen, sollen im Folgenden genauer betrachtet werden.

3.1.1. Politik

Eigeninteressen in der Politik zu verfolgen, spricht im ursprünglichen Sinn und der eigentlichen Aufgabenstellung der „Volksvertretung“ gegen die Natur der Sache. Politiker sind gewählte Vertreter des Volkes. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen der Wähler, und somit der Bevölkerung, in Entscheidungs- und Planungsprozessen durchzusetzen. Das demokratische System unseres Landes baut auf diesem Grundsatz auf.

Doch gerade in der heutigen Zeit, sind die Eigeninteressen der Politiker immer häufiger in den Blickpunkt des Interesses gerückt worden. Die Veruntreuung von Geldern, die private Nutzung von Fahrzeugen und Flugzeugen bis zu der Bezahlung der eigenen privaten Putzfrau mit öffentlichen Mitteln. Doch die Veröffentlichung solcher Vergehen und die Empörung, die damit in der Bevölkerung ausgelöst wird, verdeutlicht, dass die Verfolgung von Eigeninteressen in der Politik in keinster Weise als legitim angesehen wird.

3.1.2. Verwaltung

In der Verwaltung verhält es sich ähnlich wie in der Politik. Eigeninteressen haben keine Legitimation und sind der eigentlichen Aufgabe der Verwaltung, dem Bürger das Leben zu erleichtern, es zu regeln und gegebenenfalls im Sinne der Bürger einzugreifen, nur hinderlich.

Das bereits angesprochene Beamtentum soll dem, wie erwähnt, entgegenwirken. Doch sind auch hier immer wieder Vergehen publik geworden. Baudezernenten, die sich für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen Häuser bauen lassen oder Bestechungsvorfälle bei Polizei oder Richtern wären hier zu nennen. Die Liste der Vergehen zur eigenen Bereicherung wäre schier endlos und ist auch nicht in einen zeitlichen Rahmen einzuordnen. Solange Menschen diese Positionen bekleiden, wird es solche Entgleisungen geben und auch immer gegeben haben.

Doch auch die Eigeninteressen ganzer Verwaltungsinstitutionen werden verfolgt. Bei Planungsvorhaben wird ein zentrales Rathaus geplant, obwohl dieses nicht im Sinne der Bürger ist. Städteplanung wird betrieben, ohne auf die Vorstellungen der Bürger einzugehen. Die Frage nach der Legitimation und vor allem nach dem Umfang dieser Eigeninteressen und wie diesen begegnet werden kann, wird das Fallbeispiel in IV genauer verdeutlichen.

3.1.3. Kirche

Die Geschichte der Kirche, oder besser noch, die Geschichte der Menschheit ist immer wieder von den Eigeninteressen der Kirche beeinflusst, oder sogar bestimmt worden. Die Vergabe von Lehen an das Volk, die Einsetzung und Ernennung von Königen, Kaisern und Adeligen aus den eigenen Reihen oder auch deren Absetzung waren stets Mittel zur Stärkung der eigenen Position. Der Bann der von den Päpsten verhängt wurde und die Unterdrückung des Volkes, das alles waren Handlungen und Instrumente der Kirche zur Machterhaltung, Vergrößerung und Bereicherung. Die Duldung der Unrechtsregime weltweit dient einzig und allein dem Erhalt der Macht und der eigenen Position. Die Kirche hat sich stets innerhalb großer Konflikte zurückgehalten, von einzelnen Angehörigen natürlich abgesehen, um sich keine großen Feinde zu machen oder sich selbst ins Abseits zu manövrieren. Der Versuch, steten Einfluss auf die Menschen und deren Lebensführung zu nehmen, ist innerhalb der Kirche ebenso stark vorhanden, wie das Interesse daran, die eigene Position und Machtstellung zu festigen. Die eigentliche Aufgabe der Kirche, die aus Seelsorge, Religionslehre und dem Verbessern des Miteinanders bestehen soll, steht hinter diesen Eigeninteressen zurück, seit sie eine starke Institutionalisierung erfahren hat. Damit begann das Streben nach Macht, Einfluss und Reichtum. Zu beobachten ist hier jedoch eine starke Abhängigkeit der Eigeninteressen von der Stellung innerhalb der Kirchenhierarchie. Denn ich möchte an dieser Stelle keinem Seelsorger innerhalb einer Gemeinde seinen Idealismus und seinen Glauben absprechen. Dieser „reine“ Idealismus wird erst innerhalb der Bistümer, Diözesen und des Vatikans möglichen Eigeninteressen gewichen sein.

Innerhalb Deutschlands konnte man in der jüngsten Vergangenheit zwei Entwicklungen verfolgen, bei denen die Eigeninteressen der Kirche ganz definitiv über das Gemeinwohl und den Willen der Bürger gestellt wurden. Da sind zunächst das „Kopftuch–Urteil“ und das „Kruzifix-Urteil“ zu nennen, welche eine klare Benachteiligung Andersgläubiger und reine Machtdemonstration seitens der christlichen Kirchen demonstrieren.

Der Rückzug der katholischen Kirche aus der Schwangerenberatung ist an dieser Stelle ebenso zu erwähnen, denn auch hier wird das Wohl der Betroffenen zugunsten des Interesses der Kirche vernachlässigt.

Zusammenfassend ist also auch zur Institution Kirche zu sagen, dass hier, obwohl ausschließlich das Seelenheil der Gläubigen im Angesicht des Interesses stehen sollte, die herrschenden Eigeninteressen klar auszumachen sind und immer wieder, mal schwerwiegender, mal von geringerer Bedeutung, in den Vordergrund treten.

4. Der Bedarf nach Eingrenzung der Eigeninteressen

Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, stehen Eigeninteressen immer wieder über den Interessen des Gemeinwohls. Diese zu minimieren oder sogar vollständig zu eliminieren, sollte innerhalb einer Gesellschaft zur obersten Priorität erklärt werden. Somit kann dem Gemeinwohl und dem Bürgerwillen die gesamte Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden. Im Folgenden sollen Lösungsmodelle erörtert werden, die ausschließlich dem Gemeinwohl zuträglich sind.

4.1 . Wege der Eingrenzung

Um der Verfolgung von Eigeninteressen und den damit verbundenen Problemen entgegenwirken zu können, müssen Mittel oder Instrumente geschaffen werden, die es ermöglichen, einen direkteren Weg der Entscheidungsfindung zu praktizieren. Das heißt, wenn der Wille der Bürger im Fokus des Interesses steht, dann müssen die Bürger beteiligt werden. Wenn Entscheidungen für die Allgemeinheit getroffen werden müssen, dann muss die Allgemeinheit mitentscheiden. Und wenn über die Planung einer Stadt gesprochen wird, dann brauchen die Einwohner ein Mitspracherecht.

4.1.1. Richter

Das Eigeninteresse, das immer wieder in Erscheinung tritt, ist der Drang nach Profit. Das Ziel ist die persönlichen Bereicherung, das in einigen Fällen durch Bestechung oder Korruption erreicht wird. Mittel, der Bestechlichkeit innerhalb der Gerichtsbarkeit entgegenzuwirken, werden seit es Gerichte gibt, gesucht und erprobt.

Ein gelungenes Mittel ist der Einsatz von Geschworenen. Hierbei werden dem Richter ausgewählte Laien zur Seite gestellt, die Einblick in alle Elemente der Verhandlung, alle Beweismittel, Indizien und Umstände der Tat haben. Diese verfolgen die Verhandlung, beraten untereinander und fällen nach Abschluss der Verhandlung das Urteil, das von dem vorsitzenden Richter nur noch auf seine Rechtmäßigkeit geprüft wird und dem dann gegebenenfalls ein Strafmaß zugeteilt wird. Hier ist also die Aussage: „Im Namen des Volkes“ in die Tat umgesetzt worden, da ein ausgewählter Teil der Bevölkerung, ohne jegliches Eigeninteresse, an der Rechtsprechung teilnimmt.

4.1.2. Schöffen

Der Einsatz von Schöffen in der Rechtsprechung entspricht im Groben dem Einsatz von Geschworenen, die auch als Schöffen bezeichnet werden könnten. Sie sind als Beisitzer, neben dem Richter, der Verhandlung zugeteilt und haben Zugang zu allen relevanten Elementen. Sie beraten sich jedoch nicht ausschließlich untereinander, sondern gemeinsam mit dem Richter über Urteil und Strafmaß.

Hierbei wird zwar Laien ein Mitspracherecht eingeräumt, dieses Mitspracherecht ist jedoch nicht frei von Beeinflussung durch den Richter und kann somit durchaus der Erfüllung der Eigeninteressen des Richters dienen. Ein reines Schöffengericht oder der Einsatz eines Schiedsmannes, die durch ihren Laienstatus auch keinen Eigeninteressen folgen, sind hier probatere Mittel. Die Gefahr der Bestechlichkeit oder Korruption ist hier aber wiederum höher, da nur ein Einzelner über die volle Entscheidungsgewalt verfügt.

Das lässt schon an dieser Stelle die Schlussfolgerung zu, dass eine Erhöhung der Anzahl der Personen, die an Entscheidungen oder Planungen beteiligt sind, die Gefahr der Verfolgung von Eigeninteressen minimiert.

Sollten diese Personen dann auch noch Laien sein, die der Bevölkerung zufällig entnommen wurden, so kann man in deren Zusammenspiel Eigeninteressen nahezu vollständig eliminieren.

4.1.3. Befristung von Macht

Je klarer Machtpositionen definiert sind, desto schwieriger ist die Verfolgung von Eigeninteressen. Der Missbrauch der verliehenen Macht wird durch die Beschränkung der Befugnisse und der Zeit, in der die Position bekleidet wird, erschwert. In einer Position, der kein zeitlicher Rahmen gesetzt wird, und deren Befugnisse nicht ganz klar umrissen sind, wird es dem Machtinhaber ermöglicht seine Eigeninteressen stetig zu verfolgen und seine Position dementsprechend auszubauen. Er wird dazu befähigt, sich ein komplettes Netzwerk zu schaffen, in dem er seiner Person Vorteile verschaffen kann, die über eine unbestimmte Zeit nutzbar sind. Er bekommt, im schlimmsten Fall, die Möglichkeit, Personen, die sich in seinem Einflussbereich befinden, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu manövrieren und sich ihrer bei Konflikten zu entledigen. Der ständig andauernde Einfluss seiner Macht und die fehlende Limitierung ermöglichen und begünstigen diesen Zustand.

Diese Erkenntnis führt zur klaren Forderung nach Begrenzung von Machtpositionen sowohl im Hinblick auf deren Befugnisse, als auch im Hinblick auf einen klar abgesteckten zeitlichen Rahmen.

4.1.4. Auch diese Instrumente haben Eigeninteressen

Aber trotz aller Möglichkeiten und Konstrukte, die in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt wurden, ist ein Faktor nicht auszuschalten. Egal in welchem Bereich und egal in welchem, wie auch immer definierten Rahmen oder Umfeld eine Person tätig ist, bleibt diese doch immer ein Individuum, welches von Natur aus Eigeninteressen verfolgt. Diese müssen auf keinen Fall immer negative Auswirkungen auf ihren Wirkungskreis mit sich bringen, jedoch wird ihre Tätigkeit von diesen Eigeninteressen beeinflusst. Der Wunsch nach Anerkennung oder nach Selbstverwirklichung spielt eine nicht unterzuordnende Rolle bei jeder Art der Beschäftigung. Die Sicherung der eigenen Position, sich unabkömmlich zu machen und der Umgang mit Existenzängsten sind stets ein Teil der eigenen Identität, die sich innerhalb eines Lebens, mit verschiedensten Ausprägungen, manifestieren. Wie stark diese Eigeninteressen in die Tätigkeiten einfließen und welche Auswirkungen sie haben, ist individuell unterschiedlich. Sicher ist jedoch, dass Eigeninteressen Bestandteil jeder menschlichen Identität sind und innerhalb jeder Rolle, die ein Individuum ausübt, von Bedeutung sind. Die Fähigkeit zur Empathie, Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz ermöglichen ein sozial verträgliches Miteinander, sind aber innerhalb von Machtpositionen ein absolutes Muss, da hier Verantwortung für andere übernommen wird und das Gemeinwohl über die eigene Position gestellt werden muss.

5. Was tun?

Der Weg zur nahezu vollständigen Eliminierung der Eigeninteressen wurde in den vorherigen Kapiteln immer wieder angerissen. Er liegt darin, die Menschen, um die es in Entscheidungsfragen oder Planungsangelegenheiten geht, in den Prozess der Entscheidungsfindung und der Planung einzubeziehen. Hierbei muss darauf geachtet werden, den Beteiligten einen klaren Rahmen innerhalb ihrer Befugnisse zu stecken. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits herausgestellt wurde, ist auch eine klare zeitliche Limitierung unumgänglich.

Im Folgenden werde ich ein Verfahren vorstellen, dass all diese Ansprüche erfüllt. Mit seiner Hilfe, so wird deutlich werden, ist die Möglichkeit gegeben, ein effizientes und von Eigeninteressen freies Entscheidungs- und Planungsverfahren zu gestalten.

III Das Verfahren „Planungszelle“

1. Die Historie der Planungszelle

Der Begründer und, wenn man so will, „geistige Vater“ des Verfahrens Planungszelle ist Professor Dr. Peter C. Dienel, mittlerweile emeritierter Sozialwissenschaftsprofessor der Bergischen Universität - Gesamthochschule Wuppertal und seit 1975 Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren an der Bergischen Universität - Gesamthochschule Wuppertal.

Im Jahr 1970 erwähnte Professor Dienel erstmals das Verfahren in Vorträgen, bevor ein Jahr später der erste Zeitungsartikel den Begriff „Planungszelle“ in der Überschrift trug und proklamierte: „Wie Planung unter Beteiligung der Bürger sich optimal organisieren lässt, ist eine der Großforschungsaufgaben der Zukunft!“[2]

Die ersten drei Testläufe wurden im Winter 1972/1973 vorgenommen[3] bis schließlich 1977 das Buch „Die Planungszelle“, von Peter C. Dienel erschien.

Mittlerweile blickt das Verfahren „Planungszelle“ auf über 300 erfolgreich durchgeführte Planungszellen auf verschiedensten Gebieten und mit unterschiedlichsten Aufgabenstellungen zurück. Aufgrund der teilweise spektakulären Ergebnisse vieler dieser Planungszellen liegen zur Zeit unter anderem Anfragen aus Israel, Tansania, Südafrika und Japan vor.

[...]


[1] vgl.: Grundgesetz, Artikel 20 (2)

[2] vgl.: Dienel, Peter C.: Wie können die Bürger an Planungsprozessen beteiligt werden? Planwahl und Planungszelle als Beteiligungsverfahren. In: Der Bürger im Staat. 3/1971. 21. Jahrgang, S. 151 ff.

[3] vgl.: Dienel, Peter C.: Am Anfang war Schwelm. Zur Realisierung eines Verfahrens bürgerschaftlicher Planungsbeteiligung. In: Wuppertaler Geographische Studien. Heft 2. Wuppertal: Universität Gesamthochschule. 1981, S. 241-254.

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Am Gemeinwohl vorbei geplant - Von der Durchsetzungskraft des Bürgerwillens
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
62
Katalognummer
V34163
ISBN (eBook)
9783638344678
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gemeinwohl, Durchsetzungskraft, Bürgerwillens
Arbeit zitieren
Dipl. Soz.-Wiss. Sascha Kuflik (Autor:in), 2004, Am Gemeinwohl vorbei geplant - Von der Durchsetzungskraft des Bürgerwillens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34163

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