Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) veröffentlichte im Herbst 2001 den neuen Prüfungsstandard „IDW PS 900: Grundsätze für die prüferische Durchsicht von Abschlüssen“. Ursächlich waren zum einen internationale Tendenzen vornehmlich in den USA und Großbritannien und andererseits gesteigerte Anforderungen des Aktienhandels in Deutschland, nicht nur Jahresabschlüsse von Unternehmen fachlich prüfen zu lassen, sondern auch Zwischenabschlüsse und andere veröffentlichte Mitteilungen einer Prüfung zu unterziehen. IDW PS 900 enthält sowohl Grundsätze zur beruflichen Verantwortung des Wirtschaftsprüfers bei der Durchführung einer prüferischen Durchsicht als auch Angaben zu Form und Inhalt der zu erstellenden abschließenden Bescheinigung als Ergebnis der prüferischen Durchsicht.
Durch diese neue nationale Regelung entfällt nunmehr die Notwendigkeit des vorher praktizierten Rückgriffs auf Standards außerhalb des deutschen Rechtskreises wie die United States Generally Accepted Auditing Standards (US GAAS) oder die International Standards on Auditing (ISA).
Aufbau und Inhalt des IDW PS 900 stellen eine direkte Umsetzung des internationalen Konzepts der prüferischen Durchsicht nach ISA 910 und damit nach US GAAS dar. Dies ist das Ergebnis einer Entwicklung mit dem Ziel, die Aussagefähigkeit der traditionellen Finanzberichterstattung der Unternehmen zu erhöhen und die Grundsätze für Prüfungen in Deutschland an internationale Standards anzupassen. Der international gebräuchliche Begriff Review wird daher in Deutschland als Synonym für die prüferische Durchsicht verwendet.
Von Wichtigkeit ist bei der Betrachtung des Instruments der prüferischen Durchsicht die strenge Abgrenzung zu der ebenfalls von Wirtschaftsprüfern durchzuführenden Abschlussprüfung gemäß §§ 316 ff. HGB. Zwar ist die prüferische Durchsicht ebenfalls als eine betriebswirtschaftliche Prüfung im Sinne von § 2 Abs. 1 WPO zu verstehen, sie stellt jedoch „keine, auch keine in ihrem Umfang reduzierte Abschlussprüfung“ dar. Schon der Wortlaut gibt Hinweise „auf einen andersartigen Prüfungsansatz und die grundsätzlich verschiedenen Kategorien von Prüfungsurteilen.“ Es handelt sich hier somit um eine andere Art der Prüfung, die in vielen Aspekten von den bei einer Jahresabschlussprüfung gegebenen Umständen und Anforderungen abweicht. So ist die Auswahl an zu verfügbaren Prüfungsinstrumenten stark beschränkt und das abschließende Urteil weicht in seinem Aufbau von dem der Abschlussprüfung ab.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Gang der Untersuchung
2 Die prüferische Durchsicht in der Prüfungstheorie
2.1 Die Bedeutung der Prüfungstheorie für die Praxis
2.2 Prüferische Durchsicht und Prüfungstheorie
2.3 Die Agency -Theorie
2.3.1 Charakterisierung der Agency -Theorie
2.3.2 Prüferische Durchsicht und Agency -Theorie
2.3.2.1 Problemstellung
2.3.2.2 Lösungsansätze
2.3.2.3 Zwischenergebnis
2.4 Die Spieltheorie
2.4.1 Charakterisierung der Spieltheorie
2.4.2 Spieltheorie und prüferische Durchsicht
3 Die prüferische Durchsicht aus internationaler Sicht
3.1 Überblick
3.2 Internationale Standardsetter als Einflussgrößen
3.2.1 Überblick
3.2.2 Harmonisierung der Rechnungslegungsstandards
3.2.3 Harmonisierung der Prüfungsstandards
3.2.3.1 Die IFAC
3.2.3.2 AICPA und SEC
3.3 Die prüferische Durchsicht in den USA und Großbritannien
3.3.1 US GAAS
3.3.2 UK GAAS
3.4 Die prüferische Durchsicht in den ISA
3.5 IDW PS 900 als Ergebnis internationalen Einflusses
4 Die prüferische Durchsicht in Deutschland
4.1 Einordnung und Entwicklung
4.2 Gegenstand einer prüferischen Durchsicht
4.2.1 Prüfungspflichtige Abschlüsse
4.2.2 Nicht prüfungspflichtige Unternehmensmitteilungen
4.2.2.1 Nicht prüfungspflichtige Jahresabschlüsse
4.2.2.2 Zwischenabschlüsse
4.2.2.3 Pro-Forma Angaben
4.2.2.4 Weitere Unternehmensverlautbarungen
4.3 Die Adressaten einer prüferischen Durchsicht
4.4 Der zeitliche Rahmen
4.5 Beauftragung zur prüferischen Durchsicht
4.6 Der Prüfer
4.7 Prüfungstiefe
4.7.1 Prüfungsergebnis
4.7.2 Der Grad an Sicherheit des gewonnenen Prüfungsurteils
4.8 Prüfungsplanung
4.9 Prüfungsmaßnahmen
4.10 Berichterstattung
4.10.1 Das Berichtsmedium
4.10.2 Einschränkung und Versagung der Bescheinigung
4.11 Interne Qualitätssicherung und Peer Review
4.12 Abweichungen zwischen IDW PS 900 und ISA 910
5 Problemfelder der prüferischen Durchsicht
5.1 Berichtsmedium und Erwartungslücke
5.1.1 Definition des Begriffs der Erwartungslücke
5.1.2 Die Erwartungslücke als Problem der prüferischen Durchsicht
5.1.3 Lösungsansätze
5.1.3.1 Überblick
5.1.3.2 Verschärfung des Peer Review
5.1.3.3 Einführung einer Enforcement -Institution
5.1.3.4 Modifikation des Prüfungsurteils
5.1.3.5 Initiativen der Gesetzgeber
5.1.3.5.1 Sarbanes-Oxley Act
5.1.3.5.2 Corporate Governance Kodex und weitere Maßnahmen
5.1.3.6 Zwischenergebnis
5.2 Fehlende gesetzliche Regelung
5.2.1 Das Prüfungsrecht in Deutschland
5.2.2 Anforderungen an eine gesetzliche Regelung zur prüferischen Durchsicht
5.2.3 Zwischenergebnis
5.3 Pflicht zur prüferischen Durchsicht jeder Unternehmensmitteilung?
5.3.1 Nutzenzuwachs vs. Kosten
5.3.2 Prüfung von Ad-hoc Mitteilungen
5.3.3 Prüfung von Zwischenberichten
5.4 Haftung des Prüfers
6 Die Durchführung einer prüferischen Durchsicht in der Praxis
6.1 Grundlagen
6.2 Analytische Prüfungshandlungen
6.3 Durchführung von Befragungen
6.4 Beispielhandlungen
7 Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) veröffentlichte im Herbst 2001 den neuen Prüfungsstandard „IDW PS 900: Grundsätze für die prüferische Durchsicht von Abschlüssen“.[1] Ursächlich waren zum einen internationale Tendenzen vornehmlich in den USA und Großbritannien und andererseits gesteigerte Anforderungen des Aktienhandels in Deutschland, nicht nur Jahresabschlüsse von Unternehmen fachlich prüfen zu lassen, sondern auch Zwischenabschlüsse und andere veröffentlichte Mitteilungen einer Prüfung zu unterziehen. IDW PS 900 enthält sowohl Grundsätze zur beruflichen Verantwortung des Wirtschaftsprüfers bei der Durchführung einer prüferischen Durchsicht als auch Angaben zu Form und Inhalt der zu erstellenden abschließenden Bescheinigung als Ergebnis der prüferischen Durchsicht.[2]
Durch diese neue nationale Regelung entfällt nunmehr die Notwendigkeit des vorher praktizierten Rückgriffs auf Standards außerhalb des deutschen Rechtskreises wie die United States Generally Accepted Auditing Standards (US GAAS) oder die International Standards on Auditing (ISA).[3]
Aufbau und Inhalt des IDW PS 900 stellen eine direkte Umsetzung des internationalen Konzepts der prüferischen Durchsicht nach ISA 910 und damit nach US GAAS dar.[4] Dies ist das Ergebnis einer Entwicklung mit dem Ziel, die Aussagefähigkeit der traditionellen Finanzberichterstattung der Unternehmen zu erhöhen[5] und die Grundsätze für Prüfungen in Deutschland an internationale Standards anzupassen.[6] Der international gebräuchliche Begriff Review wird daher in Deutschland als Synonym für die prüferische Durchsicht verwendet.[7]
Von Wichtigkeit ist bei der Betrachtung des Instruments der prüferischen Durchsicht die strenge Abgrenzung zu der ebenfalls von Wirtschaftsprüfern durchzuführenden Abschlussprüfung gemäß §§ 316 ff. HGB. Zwar ist die prüferische Durchsicht ebenfalls als eine betriebswirtschaftliche Prüfung im Sinne von § 2 Abs. 1 WPO zu verstehen, sie stellt jedoch „keine, auch keine in ihrem Umfang reduzierte Abschlussprüfung“[8] dar. Schon der Wortlaut gibt Hinweise „auf einen andersartigen Prüfungsansatz und die grundsätzlich verschiedenen Kategorien von Prüfungsurteilen.“[9] Es handelt sich hier somit um eine andere Art der Prüfung, die in vielen Aspekten von den bei einer Jahresabschlussprüfung gegebenen Umständen und Anforderungen abweicht. So ist die Auswahl an zu verfügbaren Prüfungsinstrumenten stark beschränkt und das abschließende Urteil weicht in seinem Aufbau von dem der Abschlussprüfung ab.
Gemeinsam ist jedoch beiden Instrumenten das Gewinnen von Information und das Hervorbringen eines Prüfungsurteils. Zweck des wirtschaftlichen Prüfungswesens ist die Abgabe vertrauenswürdiger Urteile über die untersuchten Sachverhalte, auf deren Richtigkeit ein Adressat oder generell ein sonstiger Interessierter vertrauen kann.[10] Abschlussprüfung und prüferische Durchsicht sollen eine erhöhte Transparenz und Sicherheit von Unternehmensverlautbarungen ermöglichen und somit für eine bessere Information der Adressaten von Abschlüssen sorgen.
Die durch diese Zielsetzung hervorgerufene scheinbare Nähe zwischen der prüferischen Durchsicht und der Abschlussprüfung unter dem gleichzeitigen Erfordernis einer scharfen Trennung beider Instrumente erfordert eine genaue Betrachtung. Es obliegt dem Prüfer, seine Prüfungsmaßnahmen an die jeweiligen Erfordernisse anzupassen und ein den Ansprüchen gerechtes Ergebnis zu präsentieren. „Bei der Durchführung einer prüferischen Durchsicht ergeben sich in der Praxis vielfältige Fragestellungen, da zum einen das zugrunde liegende Konzept bislang weitgehend unbekannt war und sich zum anderen die Anforderungen, z.B. seitens des Kapitalmarkts, kontinuierlich verändern.“[11]
Darüber hinaus ist im Rahmen dieser Arbeit aber auch zu erörtern, wie das Instrument der prüferischen Durchsicht unter Heranziehung prüfungstheoretischer Grundlagen zu beurteilen ist.
Aufgrund der Tatsache, dass in Deutschland noch keine gesetzliche Pflicht zur Durchführung einer prüferischen Durchsicht besteht, wird zudem untersucht, welche Unternehmensverlautbarungen einer solchen Begutachtung unterzogen werden sollten und welche Anforderungen an eine gesetzliche Normierung zu stellen sind.
Neben diesen Aspekten, welche die Gründe für eine prüferische Durchsicht und deren Durchführung betreffen, eröffnet die Wirkung der Berichterstattung auf die Adressaten weitere Problemfelder. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass auch fachunkundige Marktteilnehmer das Ergebnis sachgerecht einzuordnen wissen und damit eine sog. „Erwartungslücke“ vermieden wird.
In der vorliegenden Arbeit sollen durch eine differenzierte Analyse des Instruments der prüferischen Durchsicht eine Beantwortung der aufgeworfenen Fragen vorgenommen und Lösungsansätze erörtert werden.
1.2 Gang der Untersuchung
Im ersten Hauptabschnitt der Arbeit wird zunächst untersucht, welche Ansprüche aus prüfungstheoretischer Sicht grundsätzlich an eine prüferische Durchsicht zu stellen sind und inwiefern hier die theoretischen Maßstäbe, die hinsichtlich der Jahresabschlussprüfung entwickelt wurden, anwendbar sind.
In dem darauf folgenden Teil wird, um der Entwicklung der prüferischen Durchsicht Rechnung zu tragen, die maßgeblich durch Strömungen der internationalen Rechnungslegung und -prüfung beeinflusst wurde, eine Beschreibung dieses Instruments unter Berücksichtigung internationaler Gesichtspunkte vorgenommen.
Hierauf folgt im dritten Hauptabschnitt eine detaillierte Darstellung aller relevanten Aspekte der prüferischen Durchsicht in Deutschland hinsichtlich zugrunde liegender Normen, Voraussetzungen und Durchführung einschließlich der Berichterstattung. Abgrenzend wird in diesem Abschnitt auf die Jahresabschlussprüfung Bezug genommen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich zu machen.
Eine Erörterung sich ergebender Problemfelder und die Darstellung beispielhafter Maßnahmen im Rahmen einer prüferischen Durchsicht schließen sich daran an.
Im abschließenden Teil werden schließlich die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und eine Gesamtbeurteilung formuliert.
2 Die prüferische Durchsicht in der Prüfungstheorie
2.1 Die Bedeutung der Prüfungstheorie für die Praxis
Allgemein wird eine Prüfung definiert als ein „Prozess zur Gewinnung eines vertrauenswürdigen Urteils über gegebene wirtschaftliche Sachverhalte durch Vergleich eines vom Prüfer nicht selbst herbeigeführten Istobjekts mit einem vorgegebenen oder zu ermittelnden Sollobjekt und anschließender Urteilsbildung und der Urteilsmitteilung an diejenigen, die aufgrund der Prüfung Entscheidungen fällen.“[12]
Die Prüfungslehre, die das theoretische Fundament aller mit einer Prüfung verknüpften Handlungen und Normen bildet, stellt einen Teilbereich der Betriebswirtschaft dar.[13] Ebenso wie diese besitzt auch die Prüfungslehre als Wissenschaft die Aufgabe, als angewandte Wissenschaft praxisrelevantes Wissen hervorzubringen und damit eine Gestaltungsaufgabe erfüllen.[14] Um dieses Ziel zu erreichen, muss zunächst die Realität erkannt werden, indem sie sich als Realwissenschaft mit den bestehenden Phänomenen der Erfahrungswelt befasst.[15] Es ist somit „das Erkenntnisinteresse dem Gestaltungsinteresse vorgelagert.“[16]
Zur Befriedigung des Erkenntnisinteresses werden Theorien gebildet, die mit Hilfe verschiedener Ansätze die Vorgänge der Realität zu erklären versuchen und in der Konsequenz Vorhersagen ermöglichen sollen. Durch den Begriff Prüfungstheorie werden somit Aussagensysteme bezeichnet, die explikative (Begriffssysteme darstellende), deskriptive (die Prüfungsrealität beschreibende), praxeologische (logische Sachzusammenhänge analysierende) oder explanatorische (erklärende und begründende) Funktionen erfüllen können.[17]
Die Erarbeitung bereits bestehender Ansätze erfolgte nicht in Form einer kontinuierlichen, evolutionären Entwicklung in der Weise, dass eine Theorie auf die andere aufbaute. Es bildeten sich vielmehr jeweils neue Grundansichten, nachdem man die Erkenntnis gewann, dass eine soeben entwickelte Theorie keine hinreichenden Erklärungen liefern könne. Hier prägte Loitlsberger den Begriff des „Paradigmenwechsels“[18]. Bezeichnend für die in der Literatur diskutierten Ansätze zur Prüfungstheorie ist, dass bisher kein einheitliches System einer geschlossenen „Supertheorie“[19] entwickelt wurde, sondern nur eine „Vielzahl prüfungstheoretischer Ansätze“[20]. Diese behandeln jeweils als spezifische Modellstrukturen ganz konkrete Probleme.
Bestimmend für die anzustrengenden prüfungstheoretischen Überlegungen ist, welche konkreten Erkenntnisse mit Hilfe der Theorie erlangt werden sollen. In der vorliegenden Arbeit sollen die Aspekte einer prüferischen Durchsicht näher beleuchtet werden. Bei der Prüfung von Unternehmensverlautbarungen wird grundsätzlich Urteilssicherheit angestrebt, um die Glaubwürdigkeit der enthaltenen Informationen zu erhöhen.[21]
Die Möglichkeit, eine unrichtige oder unangemessene Aussage hinsichtlich eines Prüfungsobjektes zu treffen, wird als Prüfungsrisiko bezeichnet. Zu unterscheiden sind hier zwei Ausprägungen:[22] Zum einen existiert das Risiko der irrtümlichen Annahme, so dass trotz objektiver Mängel ein positiver Befund über die zu prüfende Materie erzielt werden kann. Zum anderen besteht die Gefahr einer Ablehnung eines objektiv mangelfreien Prüfungsobjekts.
Gemessen am Umfang und an der Komplexität der zu prüfenden Information ist eine vollständige Urteilssicherheit nicht erreichbar.[23] Daher ist eine Aufdeckung von Unrichtigkeiten, Fehleinschätzungen, Unterschlagungen und sonstigen Gestzesverstößen im Rahmen einer Prüfung auch nicht gesetzlich verlangt.[24] Prüfungsurteile müssen so lediglich mit hinreichender Sicherheit und nicht mit absoluter Sicherheit gefällt werden können.[25] Eine theoretische Fehleranfälligkeit des Prüfungsergebnisses wird somit toleriert, wobei der Prüfer geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um dieses Risiko zu minimieren.
Eine wertvolle Hilfe bei der Ausarbeitung geeigneter Prüfungsmaßnahmen leistet dabei die Prüfungstheorie, welche die für Prüfungen typischen Szenarien abbildet und unter Bildung verschiedener Annahmen handhabbar macht. Angesichts der Vielzahl bereits existierender Theorien ist es notwendig, eine Auswahl zu treffen, die es erlaubt, die prüferische Durchsicht näher betrachten zu können.
2.2 Prüferische Durchsicht und Prüfungstheorie
Bei der prüferischen Durchsicht handelt es sich - insbesondere in Deutschland - im Vergleich zur Jahresabschlussprüfung um ein neues Instrument der Wirtschaftsprüfung. Anders als bei Letzterer existieren in der Literatur bisher keine speziellen prüfungstheoretischen Ansätze zur prüferischen Durchsicht. Fraglich ist, ob dieses neue Instrument mit seinen in weiten Bereichen von der Abschlussprüfung abweichenden Voraussetzungen, Anforderungen und Wirkungen die Ausarbeitung neuer Theorieansätze verlangt.
Dafür spricht hauptsächlich die historische Entwicklung der Prüfungstheorie, die sich stets an der Abschlussprüfung orientierte und sich somit an diese angepasst entwickelte.
Als entscheidendes Argument gegen eine grundlegende Neuentwicklung ist jedoch anzuführen, dass die grundsätzlichen Ziele einer Prüfung, seien es die der Abschlussprüfung oder die der prüferischen Durchsicht, mittels Durchführung von Überwachungsmaßnahmen durch prozessunabhängige Personen erreicht werden. Diese sollen letztendlich feststellen, ob Zustände oder Vorgänge einer Norm entsprechen oder nicht. Lässt man somit die Detailanforderungen spezieller Prüfungsausprägungen außer Betracht, lässt sich unproblematisch eine Anwendung bereits entwickelter Prüfungstheorien auf die prüferische Durchsicht befürworten. Nur im Einzelfall ist auf deren spezielle Ausprägungen einzugehen.
Ziel bei der Entwicklung und Anwendung von Theorien ist es, theoretische Entscheidungsräume zu erarbeiten, mit Hilfe derer eine möglichst realitätsnahe Einschätzung der Prüfungssituation erfolgen kann. Die Ergebnisse sollten dabei direkt in der Praxis verwendet werden können. Kennzeichnend für Prüfungssituationen und die daraus abgeleiteten Theorien ist dabei Folgendes:
Durch die Unternehmenspublizität werden Informationsfunktionen und Rechenschaftsfunktionen erfüllt, indem Gläubiger und Investoren über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unterrichtet werden.
Die aus dem externen Rechnungswesen abgeleiteten Informationen werden als direkte oder indirekte Entscheidungsgrundlage für eine Vielzahl von Verträgen und Handlungen genutzt.[26] So messen sie beispielsweise den Erfolg des Unternehmens, der wiederum ausschlaggebend für die Managementvergütung ist.[27]
Prüfungen zur Verifizierung stellen so Interaktionen zwischen mehreren Personen oder Parteien dar, deren Verhalten bei Rechnungslegung und Prüfung zu beachten ist. Wichtig ist hier insbesondere die Tatsache, dass Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Parteien ein objektives Urteil verhindern können. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass sämtliche an eine Prüfung gestellten Anforderungen unproblematisch erfüllt werden. Vielmehr kann es zu zahlreichen Interferenzen kommen, die den Prüfungsprozess beeinflussen. Dies ist insbesondere eine Erkenntnis der Neuen Institutionenökonomie, die erstmals die vollkommene Modellwelt der Neoklassik mit ihren idealtypischen Annahmen nicht mehr als in der Realität gegeben ansah.[28] Der grundlegende Gedanke der Institutionenökonomie wurde von Alchian/Demsetz[29] in der Agency -Theorie[30] geäußert, die Faktoren wie Unvollkommenheiten, asymmetrisch verteilte Informationen und Externalitäten mit in ihre Theorie einbezogen.
Einen weiteren interessanten Ansatz stellt die Spieltheorie dar. Auch hier wird der Gedanke der Interaktion zwischen verschiedenen Parteien hervorgehoben und versucht, mittels dieses Modells eine Vorhersage über erwartete Handlungen treffen zu können.
Im Folgenden wird unter dem Blickwinkel eines Entscheidungsszenarios im Rahmen einer prüferischen Durchsicht zunächst eine Betrachtung der Agency -Theorie vorgenommen. Der anschließende Abschnitt beschreibt die Anwendung der Spieltheorie auf die prüferische Durchsicht.
2.3 Die Agency-Theorie
2.3.1 Charakterisierung der Agency -Theorie
Ziel der Agency -Theorie ist es, eine Untersuchung der vertraglichen Gestaltung der Beziehung zwischen einem Auftraggeber (dem sog. Prinzipal) und dem Auftragnehmer (dem sog. Agenten) unter den Bedingungen ungleicher Informationsverteilung und Unsicherheit sowie unter Einbeziehung der Risikoverteilung vorzunehmen.[31] Allgemein wird eine Agency -Beziehung charakterisiert als „a contract, under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involves delegating some decision making authority to the agent.“[32] Dabei wird angenommen, dass alle Wirtschaftssubjekte konsequent im eigenen Interesse handeln, indem sie ihre Entscheidungen an der Maximierung einer individuellen Nutzenfunktion ausrichten.[33]
Diese Konstellation ist keineswegs allein bei einer Prüfungssituation zu beobachten, sondern kann in einer Vielzahl denkbarer betriebswirtschaftlicher Vorgänge als Betrachtungsgrundlage gewählt werden.[34] Aufgrund dieser vielseitigen Einsetzbarkeit der Agency -Theorie verwischen Grenzen zwischen Teilgebieten zunehmend.[35] Im weiteren Verlauf wird daher allein auf eine grundlegende Variante eingegangen.
Untersuchungsgegenstand der Agency -Theorie sind die einzelnen Kontrakte zwischen den Parteien, die Ziel- und Interessenkonflikten unterliegen.[36] Aufgrund einer unterstellten bestehenden Informationsasymmetrie zugunsten des Agenten, der besser informiert ist als der Prinzipal,[37] ist es unmöglich, der jeweiligen anderen Partei jede Handlung detailliert vorzuschreiben.[38] „Aus der Perspektive eines Auftraggebers soll nun der Agent gerade diesen Informationsvorsprung zum Vorteil des delegierenden Principals nutzen.“[39] Problematisch ist hierbei jedoch, dass der Beauftragte diesen Vorsprung auch in opportunistischer Weise für das Erreichen eigener Ziele nutzen kann. Hierbei spielen insbesondere monetäre Vorteile eine Rolle, die als Disutilities bezeichnet werden und abhängig vom Arbeitseinsatz des Agenten sind.[40] Je intensiver und genauer die Prüfung durchgeführt wird, desto konstenintensiver wird sie für den Prüfer. Aufgrund einer Budgetbegrenzung beschränkt er seine Prüfungshandlungen. Er handelt somit nicht in der Weise, wie er handeln würde, träfen ihn selbst die Konsequenzen seiner Entscheidungen. Insgesamt wird so eine effiziente Lösung für den Prinzipal nicht erreicht.
Um die Durchsetzung eigener Interessen zu gewährleisten, müsste der Prinzipal Maßnahmen ergreifen, die den Agenten zu einer bestimmten Handlungsweise veranlassen. Problematisch ist jedoch, dass Anreizsysteme nicht etabliert werden können, wenn Einflussgrößen von außen nicht beobachtbar sind. Im Rahmen der Agency -Theorie soll hier ein Zusammenhang zwischen Risiko, Anreiz und Kontrolle geschaffen werden mit dem Ziel, optimale Anreizsysteme zu gestalten.[41]
Die nachfolgend dargestellte Zusammenfassung stellt typische Merkmale einer Principal-Agent -Beziehung dar, die Grundlage für eine weitergehende Betrachtung sind:[42]
- Der Agent hat eine Handlungsmöglichkeit auszuwählen.
- Es liegt eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen beiden Parteien vor.
- Rationale Verhaltensweisen beider Parteien werden unterstellt.
- Der Prinzipal hat die Aufgabe, eine Zuordnungsregel für die Folgen aufzustellen.
- Die ausgewählte Handlung oder deren Folge beeinflussen die Wohlfahrt beider Parteien.
- Die dabei auftretenden Effekte sind negativ.
Es werden mehrere Typen von Agency -Beziehungen unterschieden:
Mit Hidden Action, auch als Moral Hazard bezeichnet, wird das Phänomen beschrieben, dass der Prinzipal während der Dauer der Vertragsbeziehung und auch nach deren Beendigung keine genaue Kenntnis von den Handlungsmöglichkeiten und dem tatsächlichen Leistungsverhalten des Agenten hat.[43] Dessen Verhalten ist variabel, d.h. es können gezielt Handlungsalternativen gewählt werden, die für den Auftraggeber nicht beobachtbar sind und deren Risiken daher vor dem Prinzipal verborgen werden können.[44]
Verbirgt der Agent Eigenschaften seiner Person und/oder seiner Dienstleistung vor dem Prinzipal, spricht man von Hidden Characteristics. Die aus dem Verbergen von eigenen Absichten oder Strategien entstehende Qualitätsunsicherheit wird hingegen mit Hidden Intentions bezeichnet.[45]
Dem Prinzipal obliegt es nun sicherzustellen, dass der Agent die ihm übertragenen Aufgaben korrekt erledigt. Problematisch ist, dass der Prinzipal keine vollständigen Informationen besitzt, die es ihm ermöglichen, entsprechende Verträge zu konstruieren. Durch Anreiz- und Kontrollsysteme versucht er daher, mögliche Verluste zu minimieren. Hier kann jedoch immer nur eine Second-Best Lösung erreicht werden, die höhere Kosten[46] als die unter vollkommener Information erzielbare First-Best Lösung verursacht.[47]
Nach dieser grundsätzlichen Einordnung wird im Folgenden die konkrete Anwendung der Principal-Agent -Theorie auf das Szenario einer prüferischen Durchsicht beschrieben. Wo nötig, wird dabei auf Unterschiede zur Abschlussprüfung näher eingegangen.
2.3.2 Prüferische Durchsicht und Agency -Theorie
2.3.2.1 Problemstellung
Um eine korrekte Übertragung einer Prüfungssituation in die Modellwelt der Principal-Agent -Theorie vornehmen zu können, ist zunächst festzustellen, welche Parteien im Rahmen eines Prüfungsprozesses miteinander interagieren. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass die Rollen nicht von vornherein starr festgelegt sind, sondern je nach Situation wechseln können.[48] Insbesondere bei der Anwendung der Agency -Theorie auf die Wirtschaftsprüfung ist dies zu beachten. Darüber hinaus betrachtet die Principal-Agent -Theorie grundsätzlich nur zwei Parteien, während im Rahmen einer Prüfungssituation vornehmlich drei interagierende Gruppierungen auszumachen sind:
Das Management eines Unternehmens, das operativ und strategisch mit der Führung des Unternehmens betraut ist, stellt die erste Gruppe dar. Das Management hat durch seinen Wissensvorsprung insbesondere im Rahmen von Abschlusserstellungen und -prüfungen die Möglichkeit, Information selektiv freizugeben, und kann so einen wesentlichen Einfluss darauf ausüben, inwiefern die veröffentlichten Informationen mit der Realität übereinstimmen. In Extremfällen kann es hier zu absichtlichen Verfälschungen[49] kommen, so dass unter Umständen ein Einhalten von gesetzlichen oder vertraglichen Vorschriften nicht gewährleistet ist. „Bilanzmanipulationen sind gezielt darauf gerichtet, die Adressaten unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen zu einer für den Vorstand günstigen Einschätzung der künftigen Entwicklung des Unternehmens bzw. des in der betrachteten Periode erzielten Erfolges zu veranlassen.“[50] Der Grad der objektiven Wahrheit wird als „Publikationsqualität“[51] bezeichnet, wobei zu beachten ist, dass gegebenenfalls auch Wahlrechte und Interpretationsspielräume genutzt werden können.[52]
Die zweite Gruppe setzt sich aus den verschiedenen Adressaten des externen Rechnungswesens zusammen. Zu nennen sind hier einerseits die Kapitaleigner, die typischerweise keine Personenidentität mit dem Management aufweisen, und zum anderen Anleger, Investoren, Gläubiger, sonstige Stakeholder und Institutionen. Um diese Gruppe vor opportunistischem Verhalten des Managements zu schützen, sehen Gesetz und/oder Verträge vor, Maßnahmen zu dessen Überwachung und Disziplinierung einzusetzen. Hier wird erwartet, dass die durch das Einschalten von Prüfern neu entstehenden Transaktionskosten geringer sind als die sich bei Unterdrücken der schädlichen Verhaltensweisen ergebenden positiven Wohlfahrtseffekte.[53] Diese Transaktionskosten sind dann eine zu beachtende Größe, wenn innerhalb von Vertragsbeziehungen Informationen zwischen den Parteien ungleich verteilt sind,[54] wie dies auch in der vorliegenden Prüfungssituation der Fall ist.
Die Wirtschaftsprüfer, die ex post mit der Untersuchung bestimmter Unternehmensverlautbarungen beauftragt werden, stellen somit die dritte Partei im Rahmen der Principal-Agent -Theorie dar. Diese sollen - als Mittler zwischen Kapitalgeber und Management - für eine Objektivierung des Informationsflusses sorgen und einen „intersubjektiv nachprüfbaren Informationswert“[55] gewährleisten. Die Qualität der Prüfungsleistung ist abhängig von der Prüfungstechnologie und der Urteilsfreiheit des Prüfers.[56]
Fraglich ist nunmehr, wer im Rahmen dieser Beziehungen Agent und wer Prinzipal ist. Eindeutig erscheint die Zuordnung der Gruppe der Eigner und sonstigen Adressaten als Prinzipal und der des Managements als gut informierten Agenten.
Der einer agency -theoretischen Betrachtung zugrunde liegende Wissensvorsprung des Agenten besteht hier in der Möglichkeit des Unternehmensführung, die Kapitalgeber über die tatsächliche Unternehmenssituation hinwegzutäuschen, um einerseits individuelle Ziele abzusichern und um andererseits Risiken bei möglichen Kompetenzüberschreitungen zu mindern.[57] Diese Täuschung kann über Manipulationen der Rechnungslegung erfolgen, indem diese in Bezug auf Aktualität, Inhalt, Form oder Kontinuität verändert wird,[58] so dass die Gefahr besteht, dass den Eignern kein objektives Ergebnis vorgelegt wird.[59]
Daher wird die Möglichkeit genutzt, zur Verifizierung der Unternehmensverlautbarungen eine Prüfung durch unabhängige Dritte, die Wirtschaftsprüfer, anzuordnen, um eine effiziente Überwachung zu gewährleisten.
Die Wirtschaftsprüfer weisen jedoch kein eindeutiges Zuordnungskriterium auf. Einerseits sind sie durch ihre Prüfungstätigkeit gut informiert und somit auf der Seite der Agenten zu sehen, andererseits besitzen auch sie nur eine begrenzte direkte Einsicht und sind auf Mitteilungen der Unternehmensführung angewiesen. Es ist somit geboten, die Prüfer in intermediärer Position zu begreifen, wobei sie als Instrument der zweiten Gruppe eingesetzt werden und deren Informationsanspruch durchsetzen helfen.
Die Prüfer spielen hier eine Schlüsselrolle, da sie in den Interessenkonflikt zwischen Eignern und dem Management aufgrund gesetzlicher Vorschrift oder vertraglicher Vereinbarung eingreifen.
Das Ergebnis der prüferischen Durchsicht muss dabei sowohl objektiv verlässlich sein als auch das Vertrauen der Rechnungslegungsadressaten besitzen. Neben der Urteilsfähigkeit und -freiheit des Prüfers muss zum anderen auch der Prozess einer Urteilsbildung ordnungsgemäß ablaufen können.[60] Während sich die ersten beiden Aspekte auf persönliche Merkmale des Prüfers beziehen, die zumindest kurzfristig als statisch zu betrachten sind, handelt es sich bei der Urteilsbildung um die einzelfallbezogene Arbeitsweise des Prüfers. Hier sind die Grundsätze der Objektivität, Wesentlichkeit und Vollständigkeit[61] zu beachten, die jedoch nur dann erfüllt werden können, wenn der Prüfer umfassend über alle Sachverhalte informiert wird.
Ebenso wie in der oben dargestellten Situation zwischen Unternehmenseignern und Management herrscht auch hier eine Informationsasymmetrie vor, diesmal zwischen der Gesamtheit des Managements und der Prüfungsadressaten einerseits und den Wirtschaftsprüfern andererseits. Aus diesem Blickwinkel betrachtet besteht hier ebenfalls eine Principal-Agent -Beziehung. Der Wirtschaftsprüfer verlässt seine Rolle als reiner Intermediär und nimmt selbst die Rolle des Prinzipals oder des Agenten ein. Wie die Manager verspricht er sich eine ökonomische Besserstellung durch Annahme und Durchführung des Prüfungsauftrags. Wirtschaftlich agierend intendiert auch er eine Optimierung des Kosten-/Leistungsverhältnisses, was angesichts der möglichen Auswirkungen seines Handelns negative Folgen nach sich ziehen kann. Hinsichtlich seiner gesetzlichen Verpflichtung, Prüfungen ordnungsgemäß durchzuführen, sieht sich der Prüfer in der Rolle des Prinzipals, da er von den Informationen abhängig ist, die er vom Management erhält. Andererseits ist er jedoch auch Agent, da sich die Unternehmung als Auftraggeber kaum Einblick in seine Tätigkeiten verschaffen kann.[62]
Problematisch ist insbesondere, dass es hier zu Koalitionsbildungen zwischen einzelnen beteiligten Parteien kommen kann, die dem Ziel dienen, individuelle Zusatzvorteile zu realisieren, während die Gegenpartei benachteiligt wird.[63] Es können so eigene Interessen verfolgt werden, ohne Gefahr zu laufen, dass Missstände wie Hidden Information, Hidden Characteristics oder Hidden Actions der Gegenseite mitgeteilt werden.[64] Diese Verhaltensweisen begünstigen beide Seiten der Koalition. Dabei ist letztlich unerheblich, wer den Initialreiz zur Bildung einer Koalition gibt und wie dies geschieht. Entscheidend ist vielmehr, dass mit dem Phänomen der Koalitionsbildung gerechnet werden muss.
Grundsätzlich sind im Hinblick auf agency -theoretische Problemfelder keine signifikanten Unterschiede zu denen bei der Abschlussprüfung zu beobachten. Hier treten ebenfalls drei Parteien miteinander in Interaktion, die sich durch wechselseitige informatorische Abhängigkeiten auszeichnen, die opportunistisch ausgenutzt werden können. Unterschiede ergeben sich bei der Durchführung einer prüferischen Durchsicht jedoch insbesondere hinsichtlich der Durchführungsmethoden und hinsichtlich des zeitlichen Horizonts des Prozesses.
Der Prüfungsstandard zur prüferischen Durchsicht, IDW PS 900, sieht vor, dass die für die Abgabe des Prüfungsurteils notwendigen Nachweise durch Befragungen und analytische Beurteilungen einzuholen sind.[65] Schon diese Formulierung weist auf die geringere Intensität von Prüfungshandlungen im Gegensatz zu einer Abschlussprüfung hin, bei der wesentlich umfangreichere Maßnahmen zur Anwendung kommen können.[66] Zum Ausdruck kommt diese Differenzierung auch in der Bescheinigung, die eine negativ formulierte Aussage trifft, im Gegensatz zu der positiven Aussage im Bestätigungsvermerk nach Durchführung einer Abschlussprüfung.
Die Forderung nach einer möglichst großen zeitlichen Nähe, die das Ergebnis einer prüferischen Durchsicht zur Erstellung des Prüfobjekts haben sollte, könnte ansonsten auch nicht mit einer identischen Ergebnisformulierung in Einklang gebracht werden.
Ohne weiter auf Detailregelungen und Unterschiede eingehen zu wollen, um der Analyse im weiteren Verlauf der Arbeit nicht vorzugreifen, lässt sich trotz bestehender Gemeinsamkeiten feststellen, dass die prüferische Durchsicht hinsichtlich einer agency -theoretischen Betrachtung anders zu werten ist als eine Abschlussprüfung.
Informationsasymmetrien können ihr Potential in einer Situation, die von einem gewissen zeitlichen Druck gekennzeichnet ist, noch stärker zum Vorschein kommen lassen, als dies sonst der Fall wäre. Wo schon im Falle einer Abschlussprüfung Probleme in der Erkennung von Unstimmigkeiten auftauchen, werden diese bei einer prüferischen Durchsicht eher verstärkt auftreten. Es besteht hier eine größere Gefahr des falschen Testierens.
Das Argument, dass kollusive Koalitionsbildungen aufgrund des geringen zeitlichen Freiraums eingeschränkt werden, ist nicht gutzuheißen. Vielmehr liegt es nahe, dass in einer solchen Situation - nicht zuletzt wegen der schwächeren Aussage der Bescheinigung - noch eher auf die Bedürfnisse anderer Parteien eingegangen wird, wenn dies eigene Vorteile schaffen kann.
Es ist somit festzuhalten, dass bei der Anwendung der Agency -Theorie auf das Instrument der prüferischen Durchsicht zu befürchten ist, dass nicht nur ähnliche Verhaltensmuster zu beobachten sein werden wie bei der Abschlussprüfung, sondern dass diese auch verstärkt auftreten könnten.
2.3.2.2 Lösungsansätze
Es stellt sich die Frage, wie auf die soeben dargestellten Risiken, die sich im Laufe einer Prüfung ergeben können, reagiert werden kann. „Aufgrund der zentralen Bedeutung einer verlässlichen Rechnungslegung für die wirtschaftlichen Steuerungsprozesse setzt sich der Gesetzgeber für die Interessen von Rechnungslegungsadressaten ein.“[67] Insbesondere durch besondere Anforderungen im Handels- und Gesellschaftsrecht sowie im geltenden Berufsrecht wird versucht, Agency -Probleme zu vermeiden.
Ziel ist es jeweils, Vorgänge transparent zu machen und die Nichtbeachtung zwingender Vorschriften mit Sanktionen zu verbinden. Wegen der Intransparenzen einzelner Schritte bei Prüfungsvorgängen gestaltet sich dies nicht immer einfach. Daher ist es sinnvoll, nicht nur den Prozess der Prüfung selbst Regulierungen zu unterwerfen, sondern auch die zeitlich davor und danach liegenden Schritte. Da für die Durchführung der prüferischen Durchsicht noch keine explizite gesetzliche Regelung vorliegt, wird hier angenommen, dass für diese spezielle Prüfung die Regelungen für die Durchführung einer Abschlussprüfung zumindest analog anwendbar sind.
Besonders hervorzuheben sind folgende Regelungen, welche die Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Prüfers und damit eine möglichst objektive Urteilsfindung gewährleisten sollen:
- Die Wahl des Prüfers darf in den seltensten Fällen durch das Management selbst erfolgen, vgl. z.B. § 318 Abs. 1 HGB. Aktiengesellschaften, deren Verlautbarungen das Hauptanwendungsgebiet der prüferischen Durchsicht darstellen,[68] unterliegen detaillierten, strengen Vorschriften zur Bestimmung des Prüfers.
- Das Management besitzt keine Möglichkeit, das Mandat eines Prüfers zu beenden.[69]
- Auch der Prüfer selbst kann nach Annahme der Prüfungsvereinbarung nur aus wichtigem Grund von seinem Auftrag Abstand nehmen, § 318 Abs. 6 HGB.
- Auskünfte und Nachweise müssen durch die Geschäftsleitung auf Nachfrage des Prüfers hin erbracht werden, § 320 Abs. 2 S. 1 HGB.
- Der Aufsichtsrat hat weitreichende Kompetenzen, was Informations- und Einwirkungsrechte betrifft.[70] Insbesondere das Gesetz zur Verbesserung von Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)[71] hat zu einer Stärkung seiner Position geführt.[72] So muss beispielsweise der Prüfungsbericht auch dem Aufsichtsrat übergeben werden, § 170 Abs. 3 S. 2 AktG, und der Prüfer zur Bilanzsitzung eingeladen werden, § 171 Abs. 1 S. 2 AktG.
- Insbesondere erfolgversprechend gegen die Bildung von Koalitionen ist der Einsatz von weiteren Prüfern, die parallel arbeiten. Aufgrund des großen finanziellen und organisatorischen Aufwandes bietet sich ein solches Vorgehen jedoch nur im Falle des Vorliegens konkreter Verdachtsmomente an.[73]
- Der Prüfer hat bei Wahrnehmung seiner Tätigkeiten die Berufssatzung der Wirtschaftsprüferkammer (BsWPK)[74] zu beachten, wobei im Hinblick auf die Agency -Theorie insbesondere die Berufspflichten der Unabhängigkeit, der Unbefangenheit, der Unparteilichkeit und der Gewissenhaftigkeit eine Rolle spielen,[75] vgl. §§ 1 ff. BsWPK. Über den reinen Bestand dieser Pflichten hinaus ist jedoch wichtig, dass die Einhaltung derselben mit Hilfe von Sanktionsmechanismen durch die Berufsaufsichtbehörde durchgesetzt werden kann, §§ 57 Abs. 1, 63, 67 ff. WPO.
- Der Prüfer hat sein Vorgehen nach dem Fachgutachten (FG) 1/1988[76] in der Form zu dokumentieren, dass Verlauf und Vorgehensweise bei einer Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt auch von nicht involvierten, sachverständigen Dritten nachvollzogen werden können.
- Gemäß § 323 Abs. 1 S. 3 HGB haftet der Abschlussprüfer für vorsätzliche und fahrlässige Pflichtverletzungen, wobei sich die Beweisführung als kompliziert erweisen kann. Zumindest bei vorsätzlichem Verhalten leistet hier auch die gemäß § 54 Abs. 2 WPO zwingend abzuschließende Berufshaftpflichtversicherung keinen Schadensersatz. Im Hinblick auf die prüferische Durchsicht ist jedoch fraglich, wie diese Haftungsregel Anwendung finden wird.[77]
- Bei der Prüfung von Aktiengesellschaften besteht Rotationspflicht, so dass in bestimmten Zeitintervallen ein Wechsel des verantwortlich zeichnenden Abschlussprüfers obligatorisch ist, § 319 Abs. 3 Nr. 6 HGB.
- Letztendlich tragen auch die obligatorisch durchzuführenden Maßnahmen der Qualitätssicherung gemäß § 57 Buchst. a WPO, die sowohl eine interne Nachschau als auch eine externe Kontrolle vorsehen, dazu bei, schädigendes Verhalten zu unterbinden. Hierdurch werden opportunistische Verhaltensweisen von Mitarbeitern des Prüfungsunternehmens zu Lasten der Auftraggeber verhindert und Risiken von Hidden Characteristics, Hidden Actions und Hidden Intentions eingeschränkt bzw. die spätere Aufdeckungswahrscheinlichkeit erhöht.[78]
- Die Einschränkung der Handlungsfreiheit in Bezug auf die Vereinbarung von Pauschalhonoraren bei Prüfungsaufträgen[79] soll sicherstellen, dass der Prüfer nicht aufgrund eines eventuell zu niedrig kalkulierten Pauschalhonorars bzw. Zeitbudgets die Urteilsqualität reduziert.[80]
2.3.2.3 Zwischenergebnis
Obwohl Kritiker der Agency -Theorie vor allem das Konzept der Agency Costs und die Grundannahme der Theorie, dass sowohl Prinzipal als auch Agent über unbegrenzte Rationalität verfügen und bereits bei Vertragsabschluss alle zukünftigen Entwicklungen antizipiert werden, angreifen,[81] wird diese doch regelmäßig zur Analyse von Problemen im Rahmen der Wirtschaftsprüfung herangezogen.[82] Kritisiert wird aber auch das Problem, dass die Principal-Agent -Theorie wenig anwendungsbezogen formuliert ist, so dass bei dem Versuch einer Übertragung auf die Praxis Umsetzungsprobleme entstehen.[83]
Um Risiken weiter zu minimieren, besteht theoretisch die Möglichkeit, statt eines Handelns ex-post, dem Prüfen (Auditing), ein prozessbegleitendes sog. Monitoring einzurichten, so dass der Prinzipal schon während der Handlungen des Agenten über Entwicklungen und Maßnahmen informiert wird.[84] Gegen eine solche Möglichkeit der Überwachung spricht jedoch neben dem Anfallen hoher Kosten und einem großen Koordinationsaufwand, dass der Prinzipal im Falle des Auditing Zugriff auf Informationen hat, den er im Falle des Monitoring nicht erhalten würde.[85]
2.4 Die Spieltheorie
2.4.1 Charakterisierung der Spieltheorie
Grundsätzlich ist es bei der Betrachtung wirtschaftlicher Verhaltensweisen das formale Ziel der Entscheidung eines Akteurs, die aus seiner Sicht optimale Position zu erreichen, die es ihm erlaubt, seinen Gewinn zu maximieren. „Bei Entscheidungen im wirtschaftlichen Bereich kommt es im allgemeinen darauf an, aus einer Reihe von möglichen Alternativen die beste auszusuchen und zu realisieren.“[86] Unter dem Einfluss bestimmter festzulegender exogener Vorgaben und Restriktionen hat der Handelnde grundsätzlich die unbeschränkte Wahl hinsichtlich des Werts der endogenen Variablen. Als Standardsituation ist hier die eines Individuums vor dem Hintergrund eines Marktes mit anderen Marktteilnehmern als Umfeld zu nennen. Dabei werden aufgrund der Zusammensetzung des Marktumfeldes aus einer Vielzahl von Akteuren deren Entscheidungen und Handlungsweisen als gegeben angenommen.
Für die hier vorliegende Situation einer Prüfung ist jedoch entscheidend, dass nicht nur ein Individuum zu beobachten ist, das isoliert vor einem exogen gegebenen Hintergrund betrachtet werden kann; vielmehr nimmt ein Prüfer eine Untersuchung der Übereinstimmung von Soll- und Istwerten vor, die der Geprüfte im Vorfeld unter bestimmten Annahmen konstatiert hat. Es wird nicht mehr von einer als unveränderlich gegebenen Umgebung ausgegangen. Obwohl die Parteien eigene Entscheidungen treffen und weiterhin für sich allein handeln, gilt es, das nicht beobachtbare Verhalten des anderen[87] in das eigene Entscheidungskalkül mit einzubeziehen.[88] Das Umfeld hat somit einen interaktiven Charakter: „The auditor and the auditee rationally anticipate each other´s actions and influence each other´s decisions.“[89]
Da eventuelle Manipulationen einer Aufdeckung entzogen werden sollen, während
der Auftrag der Prüfer das Gegenteil erreichen soll, handelt es sich hier um ein strategisches Spiel.[90]
Hier stellt der spieltheoretische Ansatz die Möglichkeit dar, durch Konflikt oder durch Kooperation gekennzeichnete Entscheidungssituationen zu simulieren[91] und strategisches Verhalten der Parteien einordnen zu können. „Die Spieltheorie als methodische Wissenschaft liefert das formale Instrumentarium zur Analyse rationaler strategischer Interaktion.“[92]
Wie in der soeben erfolgten Darstellung der Agency -Theorie[93] ist es daher möglich, Probleme im Bereich der prüferischen Durchsicht mit Hilfe der Spieltheorie zu beschreiben, wobei das Grundmodell ein nicht-kooperatives, sequentielles Spiel darstellt.[94] Kern dieses Szenarios ist die Interdependenz zwischen den Entscheidungen der Akteure, die ihre Züge machen und antizipieren, wie das eigene Handeln das künftige Handeln der anderen und dieses wiederum das eigene Handeln beeinflusst.[95] Dabei sind die im Prüfungsbereich bestehenden Probleme und Fragestellungen „vollständig von spieltheoretischen Zusammenhängen durchzogen.“[96] Insbesondere die Möglichkeiten der simultanen Erfassung der rational handelnden Akteure sowie deren strategisches Interagieren werden als Vorteile der Spieltheorie gegenüber der Agency -Theorie gesehen.[97]
Nachteilig ist jedoch, dass „weniger die Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen als die qualitative Untersuchung der bestehenden Wirkungszusammenhänge im Vordergrund“[98] der Untersuchung steht.
Aus diesem Grund wird im Folgenden auf eine detaillierte Erörterung verzichtet und statt dessen ein Problemaufriss im Rahmen der prüferischen Durchsicht dargestellt.
2.4.2 Spieltheorie und prüferische Durchsicht
Ebenso wie dies bei der Agency -Theorie der Fall war,[99] existiert auch für die Spieltheorie noch keine auf den speziellen Fall der prüferischen Durchsicht abgestimmte Variante. Es können jedoch bei Vornahme entsprechender Anpassungen Ansätze und Ergebnisse der klassischen Spieltheorie auf die prüferische Durchsicht übertragen werden. Insbesondere stellen der verkürzte Prüfungszeitraum und die Prüfungstechnik, die allein analytische Prüfungshandlungen und Befragungen kennt, maßgebliche Abweichungen dar.
Im Rahmen der auf das Szenario einer Abschlussprüfung abgestimmten Spieltheorie sind verschiedene Ansätze bekannt, die jeweils auf spezifische Schwerpunkte näher eingehen, wobei insbesondere die interdependenzorientierten, die haftungsorientierten und die vertragstheoretischen, die Disclosure -Ansätze und die Quasirentenansätze zu nennen sind.[100]
Im Folgenden näher behandelt wird allein der interdependenzorientierte Ansatz, der eine grundsätzliche Analyse der gegenseitigen Beeinflussungen verschiedener Strategien ermöglicht.[101] Die gegenüber der Abschlussprüfung veränderten Rahmenbedingungen der prüferischen Durchsicht können hier sinnvoll einbezogen werden.
Um diese Theorie sinnvoll anwenden zu können, ist das Herausarbeiten einer bestimmten Spielform und der Rahmenbedingungen und damit das Treffen von Annahmen notwendig, welche die Situation einer prüferischen Durchsicht am besten beschreiben.
Es soll in der betrachteten Situation von den Prämissen ausgegangen werden, dass Prüfer und Geprüfter Nutzenmaximierer sind und dass ihnen Effizienz und Effektivität der Prüfung bekannt sind.[102] Bedeutsam für die Komplexität der Situation und damit für die Handhabbarkeit des Modells ist zudem, ob zwei oder mehrere Parteien miteinander in Interaktion treten, was entsprechend als Zweipersonenspiel und als Mehrpersonenspiel bezeichnet wird.[103]
In der hier zu betrachtenden Situation einer Prüfung ist zunächst festzustellen, dass zumindest zwei deutlich von einander abgrenzbare Parteien an der Handlung beteiligt sind: Der Prüfer und der Geprüfte. Der Geprüfte wird hier durch das Management dargestellt, das die zu prüfende externe Rechnungslegung aufstellt.
Des Weiteren lassen sich Dritte ausmachen, die zumindest indirekt am Prüfprozess teilhaben. Zu nennen sind hier Adressaten des zu prüfenden Abschlusses wie beispielsweise Unternehmenseigner, Gläubiger und Institutionen, die Einfluss auf das Wirken des Unternehmens haben. Diese verwerten die im Abschluss enthaltene Information für die Abstimmung ihrer eigenen Handlungen und haben daher ein besonderes Interesse an der Verifizierung durch den Prüfer. Andererseits sind sie reine Informationsempfänger und haben keinerlei direkte Einflussmöglichkeit auf den Ablauf des Prüfprozesses, der bei der Spieltheorie im Vordergrund steht. Die Tatsache, dass ihre Erwartungen Einfluss auf die Handlungen des zu Prüfenden haben, ist für eine Einbeziehung in die Interaktion nicht ausreichend.
Es ist somit davon auszugehen, dass Prüfer und Geprüfter die einzigen aktiv teilnehmenden Parteien darstellen und die weitere Betrachtung auf ein Zweipersonenspiel auszurichten ist. Der Ablauf der Handlung erfolgt in mehreren Stufen, so dass auch von einem mehrstufigen oder dynamischen Spiel gesprochen wird:[104]
Zunächst erfolgt in einem ersten Schritt die Auswahl der Prüfer durch das Management. Die folgenden Stufen stellen den Kern des Spiels dar und umfassen die nähere Ausgestaltung der Prüfung und die Maßnahmen des Managements.
Die Parteien können im Rahmen der Prüfung zwischen zwei Alternativen wählen:[105] Die Unternehmensführung kann die Rechnungslegung nach ihrer bilanzpolitischen Strategie objektiv richtig oder falsch erstellen, wobei die falsche Darstellung annahmegemäß ein für sie positives Ergebnis bedeuten soll. Der Wirtschaftsprüfer kann je nach gewählter Prüfungsstrategie entweder ordnungsgemäß prüfen, was vorhandene Mängel aufdecken würde, oder er missachtet die Prüfungsgrundsätze. Bei Aufdeckung von Mängeln wird eine positive Bescheinigung als Ergebnis verweigert, ansonsten erteilt. Keine der Parteien kennt jedoch die Handlung des anderen im Voraus.
Die Interaktion besteht nunmehr darin, dass der Manager von einer objektiv falschen Rechnungslegung profitieren würde, falls der Prüfer diese nicht erkennt. Dieser könnte es ebenfalls als günstig erachten, ungenau zu prüfen, da bei einer gemäß den Grundsätzen ordnungsgemäßer Abschlussprüfung durchgeführten Prüfung für ihn höhere Kosten anfallen. Es besteht aber die Möglichkeit einer späteren Aufdeckung unentdeckter Fehler, was Haftungsfragen und Reputationsverluste nach sich ziehen kann.[106] Langfristig müssen darüber hinaus die Effekte einer positiven Bescheinigung auf die Adressaten und auf die erneute Erteilung des Prüfmandats an denselben Prüfer berücksichtigt werden.
Grundsätzlich besteht der Gewinn des einen jedoch im Verlust des anderen, so dass hier von einem sog. Nullsummenspiel gesprochen wird.[107] Ein Gleichgewicht kann hier bei der Durchführung einer Strategie mit eindeutigen Präferenzen bezüglich einer Handlung nicht erreicht werden.[108] Es ist somit aus Sicht der Spieltheorie ohne genauere Definitionen der Präferenzen der Parteien nicht möglich, die Anpassungsreaktionen der Parteien vorherzusagen. Die Spieltheorie befindet sich in ihrem derzeitigen Entwicklungsstadium „aus materieller Sicht erst am Anfang“[109] und beleuchtet nur Teilaspekte. Zumindest zur Beurteilung von Reformvorhaben könnte sie jedoch teilweise herangezogen werden.
Wie bei der Agency -Theorie auch könnte es aus Sicht der Spieltheorie hilfreich sein, Intransparenzen im Rahmen des Prüfungsprozesses zu minimieren, was beispielsweise durch strenge Qualitätskontrollen und sonstige Überwachungsmaßnahmen der Prüfungsaktivitäten erfolgen könnte. Hier sei auf die im Rahmen der Agency -Theorie dargestellten Lösungsansätze verwiesen.[110]
3 Die prüferische Durchsicht aus internationaler Sicht
3.1 Überblick
Bei der Betrachtung der prüferischen Durchsicht als Instrument der Wirtschaftsprüfung in Deutschland, das im Jahre 2001 durch den Prüfungsstandard IDW PS 900 eine Regelung fand, ist hinsichtlich seiner Entwicklung insbesondere der Einfluss internationaler Rechnungslegung und -prüfung als wichtiger Aspekt hervorzuheben. Obwohl das Instrument der prüferischen Durchsicht als Prüfungsmaßnahme zu werten ist, ist seine Entwicklung eng mit der der Rechnungslegung verknüpft, so dass beide Prozesse im gemeinsamen Kontext betrachtet werden müssen. Letztendlich folgt die Harmonisierung der Prüfungsstandards der Harmonisierung der Rechnungslegung.
Unter dem Begriff der internationalen Prüfungsstandards werden in diesem Zusammenhang zum einen die ISA verstanden, die im Wege der internationalen Vereinheitlichung der Prüfungsnormen gebildet wurden, und zum anderen die reinen ausländischen Standards, die eine direkte nationale Rechtswirkung entfalten.[111]
Auf den Einfluss internationaler Standards weist schon die Vorbemerkung des IDW PS 900 hin, die eine Übereinstimmung mit dem entsprechenden internationalen ISA 910 bescheinigt.[112] Diese Übereinstimmung wird unter Gliederungspunkt 10 des IDW PS 900 genauer beschrieben, wonach eine vollständige Berücksichtigung der Anforderung der internationalen Norm ISA 910 stattfindet.[113]
Diese Angleichung findet ihren Ursprung in dem Streben nach internationaler Harmonisierung der Prüfungsstandards, die aktuell durch die Verpflichtung des IDW, die ISA in deutsche Prüfungsstandards zu transformieren,[114] umgesetzt wird.
Unter Harmonisierung wird der Prozess verstanden, „den gleichen Sachverhalt regelnde wirtschaftliche Standards oder rechtliche Normen verschiedenen Ursprungs in Einklang“[115] zu bringen. Dabei ist davon auszugehen, dass ein gesamter Prozess und nicht nur einzelne Normen Gegenstand dieser Harmonisierung ist, wenn als Generalziel die Schaffung von grenzüberschreitendem Vertrauen anvisiert ist.[116]
Als Zwecke der Harmonisierung sind insbesondere die Vereinfachung der Vergleichbarkeit von Abschlussinformationen, die Risikoreduzierung für internationale Investoren, die Vereinfachung der Prüfung und die Stärkung der Kontrollen in internationalen Konzernen zu nennen.[117]
Der Einfluss internationaler Prüfungsstandards, die über die Entwicklung der ISA als allgemein anerkannte Normen letztlich Eingang in die deutschen IDW PS fanden, soll im Folgenden beschrieben werden.
3.2 Internationale Standardsetter als Einflussgrößen
3.2.1 Überblick
In den letzten Jahren ist eine zunehmende Tendenz zu einer Vereinheitlichung von Rechnungslegungs- und Prüfungsstandards im internationalen Umfeld festzustellen.
Eine Harmonisierung ermöglicht nicht nur den betroffenen Unternehmen einen erheblich geringeren Verwaltungsaufwand, da auf die mehrfache Aufstellung und Prüfung von Abschlüssen verzichtet werden kann. Vielmehr sind auch Kapitalanleger, Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer, Aufsichtsbehörden und Regierungen aufgrund der erleichterten Vergleichbarkeit unterschiedlicher Unternehmen hinsichtlich ihrer Vermögens- Finanz- und Ertragslage besser informiert und damit auch besser gestellt.[118]
Insbesondere ist im Hinblick auf die Entwicklung der ISA die gesteigerte Wichtigkeit ausländischer und insbesondere amerikanischer Handelsplätze für die internationale Rechnungslegung zu beachten. So sind ausländische Börsen für global operierende Unternehmen von zunehmender Bedeutung im Hinblick auf deren Finanzierung und die Erreichbarkeit internationaler Märkte. Eine Notierung an wichtigen Standorten weltweit kann somit Wettbewerbsvorteile bieten.
Voraussetzung für die Notierung an einer Börse ist eine entsprechende Zulassung durch die jeweilige Behörde, die von verschiedenen Voraussetzungen abhängig ist. Naturgemäß bedeutet es einen erheblich geringeren zeitlichen und finanziellen Aufwand, einen Abschluss nur einmal aufstellen zu können und diesen nach einheitlichen Standards prüfen zu lassen. Langfristig ist somit eine Vereinheitlichung dieser Anforderungen erstrebenswert.
Es kommt hier zu einer starken Beeinflussung der Rechnungslegung und deren Prüfung durch die Berufsstände der angelsächsischen Länder, wobei insbesondere die USA und Großbritannien eine tragende Rolle spielen.[119] Die Schaffung einheitlicher Vorschriften „ist ein inzwischen allgemein anerkanntes Ziel von zwischenstaatlichen und privaten Organisationen.“[120] Anders als durch den Gesetzgeber, der eine intensive Abwägung unterschiedlicher Interessen und Rechtsgüter vornehmen muss, bevor eine Regelung zur Norm werden kann, kann durch solche nicht- oder teilstaatlichen Organisationen, die sog. Standardsetter, flexibler agiert werden.
[...]
[1] Vgl. IDW (2004a).
[2] Vgl. IDW PS 900, Tz. 1.
[3] Vgl. ISA (2003).
[4] Vgl. IDW PS 900, Tz. 3.
[5] Vgl. Fey (2002), S. 163 m.w.N.
[6] Vgl. Kirsch/Dohrn (2001), S. 425; Ruhnke (2000), S. 97 ff.; Grasses (2000), S. 1 ff.
[7] Vgl. WP-Handbuch (2002), Abschn. P, Tz. 1.
[8] IDW PS 900, Tz. 2.
[9] Schindler (2002), S. 1122.
[10] Vgl. Leffson (1998), S. 8.
[11] Schindler (2002), S. 1121.
[12] Leffson (1998), S. 13.
[13] Vgl. Wöhe (1996), S. 19.
[14] Vgl. Sieben (1998), S. 5.
[15] Vgl. Chmielewicz (1994), S. 34.
[16] Ruhnke (2000), S. 193.
[17] Vgl. Sieben/Mostowfi (1998), S. 644.
[18] Loitlsberger (1997), S. 669.
[19] Ewert (1990), S. 9.
[20] Sieben/Mostowfi (1998), S. 644.
[21] Vgl. Ewert/Stefani (2001a), S. 148.
[22] Vgl. Quick (1996), S. 24.
[23] Vgl. Quick (1996), S. 23.
[24] Vgl. Langenbucher/Blaum (1997), S. 438.
[25] Vgl. IDW PS 200, Tz. 24 f.
[26] Vgl. Ewert/Stefani (2001a), S. 147.
[27] Vgl. Hoffmann-Becking (1999), S. 114 f.
[28] Vgl. Kasperzak/Mölls (1998), S. 3; der Begriff der Neuen Institutionenkonomie geht auf Williamson zurück, vgl. Richter (1990), S. 581 m.w.N.
[29] Vgl. Alchian/Demsetz (1972), S. 777 ff.
[30] Diese wird im Folgenden auch als Principal-Agent -Theorie bezeichnet.
[31] Vgl. Ebers/Gotsch (1993), S. 203.
[32] Jensen/Meckling (1976), S. 308.
[33] Vgl. Ewert (1986), S. 1.
[34] Vgl. Kiener (1990), S. 20.
[35] Vgl. Schoppe (1995), S. 181.
[36] Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 310 f.
[37] Vorstellbar ist hier, dass z.B. nicht jede Handlung des anderen beobachtet werden kann oder dass einseitige Informationsvorsprünge bestehen.
[38] Vgl. Husemann (1992), S. 23.
[39] Fischer (1995), S. 320.
[40] Vgl. Karmann (1992), S. 557.
[41] Vgl. Fischer (1995), S. 320.
[42] Vgl. Laux (1990), S. 10 ff.; Petersen (1989), S. 30 ff.
[43] Vgl. Ebers/Gotsch (1993), S. 207.
[44] Vgl. Karmann (1992), S. 558.
[45] Vgl. Marten/Quick/Ruhnke (2003), S. 28.
[46] Diese werden auch als „Agency Costs“ bezeichnet, die die „costs of structuring, monitoring and bonding a set of contracts among agents with conflicting interests“ umfassen, Fama/Jensen (1983), S. 304.
[47] Vgl. Trumpp (1995), S. 39.
[48] Vgl. Stegemeyer (2002), S. 73.
[49] Als Gründe für ein solches Fehlverhalten nennen Ewert/Stefani insbesondere die Möglichkeit, durch Manipulation Einfluss auf die eigene Entlohnung zu nehmen oder Finanzierungsmöglichkeiten zu erweitern, vgl. Ewert/Stefani (2001a), S. 148.
[50] Stefani (2002), S. 218.
[51] Ewert (1993), S. 293.
[52] Vgl. Stefani (2002), S. 218.
[53] Vgl. Khalil/Lawree (1995), S. 444.
[54] Vgl. Hartmann-Wendels (1992), S. 413.
[55] Ewert/Stefani (2001a), S. 148.
[56] Vgl. Stefani (2002), S. 219.
[57] Vgl. Franke/Hax (1999), S. 135.
[58] Vgl. Ballwieser (1987), S. 352.
[59] Vgl. Stefani (2002), S. 224.
[60] Vgl. Herzig/Watrin (1995), S. 777.
[61] Vgl. WP-Handbuch (2000), Abschn. R, Tz. 16 ff.
[62] Vgl. Quick/Warming-Rasmussen (1999), S. 132.
[63] Vgl. Ewert (1990), S. 142.
[64] Vgl. Herzig/Wartrin (1995), S. 790.
[65] Vgl. IDW PS 900, Tz. 10.
[66] Vgl. WP-Handbuch (2000), Abschn. R, Tz. 70 ff.
[67] Stegemeyer (2002), S. 161; vgl. Husemann (1992), S. 53.
[68] Vgl. WP-Handbuch (2002), Abschn. P. Tz. 5.
[69] Vgl. Budde/Steuber (1999), § 320, Tz. 35.
[70] Vgl. WP-Handbuch (2000), Abschn. Q, Tz. 9 ff.
[71] Vgl. KonTraG (1998).
[72] Vgl. Röller (1994), S. 333.
[73] Vgl. Stegemeyer (2002), S. 113.
[74] Vgl. BsWPK (1996).
[75] Vgl. Stegemeyer (2002), S. 131.
[76] Vgl. IDW (2003d).
[77] Vgl. unten Abschn. 5.4.
[78] Vgl. Stegemeyer (2002), S. 148.
[79] Vgl. WP-Handbuch (2000), Abschn. A, Tz. 515.
[80] Vgl. Baetge (1985), S. 283.
[81] Vgl. Trumpp (1995), S. 47 m.w.N.
[82] Vgl. Ewert/Stefani (2001a), S. 147 ff. m.w.N.
[83] Vgl. Meinhövel (1999), S. 213
[84] Vgl. Stefani (2002), S. 225.
[85] Vgl. Strausz (2002), S. 1.
[86] Neumann (1975), S. 20.
[87] Vgl. Ewert/Stefani (2001b), S. 180.
[88] Vgl. Illing (1995), S. 107.
[89] Deshmoukh (1999), S. 188.
[90] Vgl. Loitlsberger (2002), Sp. 1558.
[91] Vgl. Ruhnke (2000), S. 201.
[92] Illing (1995), S. 107.
[93] Vgl. oben Abschn. 2.3.
[94] Vgl. Husemann (1992), S. 27.
[95] Vgl. Dixit/Nalebuff (1995), S. 34.
[96] Ewert/Stefani (2001b), S. 176.
[97] Vgl. Stefani (2002), S. 231 f.
[98] Stefani (2002), S. 234.
[99] Vgl. oben Abschn. 2.2.
[100] Vgl. Ewert/Stefani (2001b), S. 178.
[101] Dieser wird auch als „Strategieansatz“ bezeichnet, vgl. Ewert (1993), S. 716.
[102] Vgl. Deshmoukh (1999), S. 189.
[103] Vgl. Braun (1993), S. 1132.
[104] Vgl. Loitlsberger (2002), Sp. 1559.
[105] Vgl. Ewert/Stefani (2001b), S. 180.
[106] Vgl. Ewert/Stefani (2001b), S. 182.
[107] Vgl. Loitlsberger (2002), Sp. 1560.
[108] Vgl. Ewert/Stefani (2001b), S. 182.
[109] Ewert/Stefani (2001b), S. 212.
[110] Vgl. oben Abschn. 2.3.2.2.
[111] Beispielhaft zu nennen sind hier die US-amerikanischen oder britischen Prüfungsstandards US GAAS und UK GAAS, vgl. unten Abschn. 3.3.
[112] Vgl. IDS PS 900, Tz. 4.
[113] Vgl. IDW PS 900 Tz. 34 f.
[114] Vgl. Baetge/Sell (1999), S. 518.
[115] Richter (2003a), S. 137.
[116] Vgl. Richter (2003a), S. 137.
[117] Vgl. Richter (2003a), S. 138 ff. m.w.N.
[118] Vgl. Biener (1995a), S. 87.
[119] Vgl. Biener (1997), S. 651.
[120] Biener (1995a), S. 87.
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