Alle Religionen, zumindest die drei großen Buch-Religionen, tendieren zur erkenntnistheoretischen Grenzüberschreitung. Sie begnügen sich nicht mit mythischer Erzählung und intuitivem Vortasten in transzendentale Sphären, die der rationalen Erfassung unzugänglich sind, sondern konstruieren mit dem Anspruch "höherer Wahrheiten" fest gefügte Denkgebäude, in denen sich die Menschen versammeln und fraglos einrichten sollen. Denken gilt hier als Sünde, zumindest als irreführend.
Solche Grenzüberschreitungen können aber die Existenzberechtigung, ja die Notwendigkeit von Religionen nicht in Zweifel setzen. Der Mensch lebt nicht allein vom Schwarzbrot der Rationalität. Er denkt mit seinem ganzen Körper und allen seinen Sinnen, er erlebt sich als beseelte Einheit und sucht dafür nach Erklärung und Bestätigung. Diese findet er in der Literatur, der Musik, der bildenden Kunst und der Philosophie, aber auch in Religionen (und manchen Ersatzreligionen). Für religiös sensible Menschen sind sie die Hauptquelle spiritueller Inspiration. Auch für mich war und ist die Bibel (und vieles, was ich über sie gelesen und gehört habe) mit ihrer eigenartigen poetischen Kraft und ethischen Dringlichkeit eine ständige geistige und moralische Herausforderung: Ermutigung und Verpflichtung, Anregung und Provokation.
Hier aber soll es nur um einen kleinen Ausschnitt gehen, nämlich um den Anspruch geistiger Disziplin, ohne den tiefen Grundton der biblischen Botschaft zu überhören. In freier Variation eines Jesus-Wortes: „Gebt dem Denken, was zu denken ist, und dem Glauben, was zu glauben bleibt.“ Für reflektierende Atheisten müsste sich seitenverkehrt das gleiche Postulat ergeben: Erkenne und akzeptiere, dass dein Denken und Fühlen auf Grundlagen beruht, die sich weder rational noch empirisch begründen lassen; woran glaubst du also?
Inhaltsverzeichnis
- I. Spekulatives Denken über Transzendenz.
- II. Glauben...
- 1. Die Zweiteilung Bubers.
- 2. Unmittelbares Gottvertrauen...
- 3. Religionsvermitteltes Gottvertrauen.
- III. Ethik und Moral...........
- IV. Glaubensfreiheit.
- Resümee .....
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay befasst sich mit der Frage des Glaubens und der Abgrenzung von rationaler Erkenntnis und spekulativem Denken. Der Autor beleuchtet die unterschiedlichen Formen des Glaubens, insbesondere in der jüdischen und christlichen Tradition, und stellt die Frage nach der Notwendigkeit von Religionen im modernen Kontext.
- Die Abgrenzung zwischen rationaler Erkenntnis und spekulativem Denken
- Die Bedeutung von Transzendenz für den Menschen
- Die unterschiedlichen Formen des Glaubens in der jüdischen und christlichen Tradition
- Die Rolle von Religionen in der modernen Gesellschaft
- Die Beziehung zwischen Glauben und Moral
Zusammenfassung der Kapitel
I. Spekulatives Denken über Transzendenz
Der Autor führt in das Thema ein und beschreibt seine persönliche Auseinandersetzung mit religiösen Fragen. Er stellt die Frage nach der Bedeutung von Transzendenz für den Menschen und beleuchtet die Grenzen der rationalen Erkenntnis.
II. Glauben
1. Die Zweiteilung Bubers
Der Autor stellt die Doppeldeutigkeit des Begriffs "Glauben" dar und erläutert die Unterscheidung zwischen "Glauben, dass..." und "Glauben an...". Er bezieht sich dabei auf Martin Buber und seine Analyse des Unterschieds zwischen jüdischem und christlichem Glauben.
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- Dr. Wolfgang Ruttkowski (Author), 2016, Nachdenken über Glauben, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341906