Um sich dem Zusammenhang zwischen Körper und Medien gewahr zu werden, scheinen Kafkas Novellen, insbesondere "Die Verwandlung" in unvergleichbarer Weise prädestiniert zu sein. Wie kein anderer richtet Kafka sein Augenmerk auf den Körper als den zentralen Wahrnehmungsapparat, indem er in eigenschöpferischer sogenannter „kafkaesker Weise“ den Körper als wandelbares Medium inszeniert.
Anhand der negativen Medientheorie von Dieter Mersch und Sybille Krämer untersucht die Arbeit die plötzliche Metamorphose Gregors zum Tierkörper als mediale Störung des intakten Prozessierens. Dabei wird die Denkfigur des Mediengenerativismus in Anschlag gebracht, der die Verwandlung als „korporalisierende Perforformativität“ versucht zu verstehen, wonach der Körper nicht nur als reine Vermittlungsinstanz zu verstehen ist, sondern als die Verkörperung des Körpers und damit als der Erzeuger dessen, was er vermittelt.
Entscheidend für diesen interpretativen Schritt ist dabei die Untersuchung des Wechselverhältnisses zwischen Tier und Mensch, das überhaupt erst den Körper in seiner verstörenden Darstellungsmacht zum Vorschein bringt. Des Weiteren wirft die Arbeit die Frage auf, inwieweit die dialektische Beziehung zwischen Gregor (Tier) und seiner Familie (Mensch) auch als intermediales Spiel zweier distinkter Medien betrachtet werden kann und umgekehrt.
Der Versuch die Medienästhetik auf die Ebene des organischen Körpers zu übertragen, wird dadurch möglich, das Kafka in seinem fiktiven Universum das Tier als den sonst vernachlässigten Genossen des Menschen auf die Bühne bringt. Mindestens gleichwertig neben dem Menschen als den eigentlichen Protagonisten, gesellt sich in seinen Romanen das wesensfremde Tier als „Subjekt“ hinzu und initiiert mit seiner exponierten Stellung nicht nur einen kontraintuitiven Rollentausch, sondern sorgt darüber hinaus für ein biologisches und phantastisches Durcheinander, dessen körperliche Zustandsveränderung eine Ähnlichkeit zum intermedialen Wechselspiel erkennen lässt. Ebenjene Zustandsveränderung von Mensch zu Tier bzw. Tier zu Mensch soll in dieser Arbeit medientheoretisch als (intermediale) Transformation aufgezeigt werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Körper als Medium
- 2.1. Körper als mediale Bedingung des Seins
- 2.2. Korporalisierende Performativität als körperliches Prozessieren (Sybille Krämer)
- 3. Gregors Verwandlung als Sichtbarwerden der korporalen Performativität
- 3.1. Verdrängung des Körpers
- 3.2. Wiederkehr des Körpers
- 4. Die Verwandlung als (Ver-)störung
- 4.1. Körperveränderung alias Medienwechsel als mediale Störung
- 4.2. Sprachverlust als mediale Störung
- 5. Funktion der Hybridfigur
- 5.1. Begegnung mit dem Alteritären
- 6. Fazit: Medientheoretische Applikation der Verwandlung Gregors als Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Wechselbeziehung zwischen Tier und Mensch in Franz Kafkas "Die Verwandlung" unter dem Aspekt der Medientheorie. Sie geht über die übliche Betrachtung technischer Medien hinaus und fokussiert auf den Körper als ursprüngliches Medium. Die Arbeit analysiert Gregors Verwandlung als medialen Störfall und beleuchtet die korporalisierende Performativität.
- Der Körper als ursprüngliches Medium
- Gregors Verwandlung als medialer Störfall
- Korporalisierende Performativität und der Verlust der Sprache
- Die Hybridfigur Gregor Samsa als Schwellenphänomen
- Die Reaktion der Familie auf Gregors Verwandlung
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Arbeit untersucht den Körper als genuines Medium und analysiert Kafkas "Die Verwandlung" als paradigmatisches Beispiel für die Medialität des Körpers. Sie verwendet die negative Medientheorie von Dieter Mersch und Sybille Krämer, um Gregors Metamorphose als mediale Störung zu betrachten und den Begriff der „korporalisierenden Performativität“ zu erörtern. Der Fokus liegt auf dem Wechselverhältnis zwischen Tier und Mensch und dessen Darstellung im Text.
2. Körper als Medium: Dieses Kapitel etabliert den Körper als das primäre Medium. Es bezieht sich auf Merleau-Ponty, der den Körper als „symbolique générale du monde“ beschreibt, und diskutiert die Leiblichkeit als Bedingung für Erkenntnis und Identität. Der Körper fungiert sowohl als Sender als auch Empfänger, unterliegt einem Gestaltwandel durch korporalisierende Performativität und ist der Ausgangspunkt für die spätere Analyse von Kafkas Werk.
3. Gregors Verwandlung als Sichtbarwerden der korporalen Performativität: Dieses Kapitel analysiert Gregors Verwandlung als mediale Störung. Zunächst wird die Verdrängung des Körpers durch Gregors leistungsorientiertes Leben thematisiert. Der plötzliche körperliche Wandel wird als Konflikt zwischen Körpergefühl und Geist interpretiert. Anschließend wird die Wiederkehr des Körpers beleuchtet, wobei Gregors Auseinandersetzung mit seiner neuen Körperlichkeit im Zentrum steht und seine veränderte Sinneswahrnehmung beschrieben wird.
4. Die Verwandlung als (Ver-)Störung: Dieses Kapitel betrachtet Gregors Verwandlung als einen Medienwechsel, der das bisherige familiäre Gleichgewicht stört. Der Körper Gregors wird als sichtbare Manifestation der Medialität interpretiert, die die Kommunikation unterbricht. Der Verlust der Sprache wird ebenfalls als mediale Störung analysiert, die Gregors Isolation und die fehlende Verständigung mit seiner Familie verstärkt. Die Reaktion der Familie wird als Abwehr der Störung und des Unverständlichen beschrieben.
5. Funktion der Hybridfigur: Dieses Kapitel analysiert Gregor als Hybridfigur, die die Grenzen zwischen Mensch und Tier aufhebt und so eine Konfrontation mit dem Alteritären ermöglicht. Die Reaktion der Familie auf Gregors Verwandlung wird als Scheitern an der Überwindung der Differenz interpretiert, deren Umgang mit Gregor deren eingeschränktes Körperverständnis offenbart.
Schlüsselwörter
Körper, Medium, Medientheorie, Kafka, Die Verwandlung, Gregor Samsa, korporalisierende Performativität, mediale Störung, Hybridfigur, Tier-Mensch-Verhältnis, Sprache, Kommunikation, negative Medientheorie, Materialität, Leiblichkeit.
Häufig gestellte Fragen zu "Die Verwandlung" - Eine medientheoretische Analyse
Was ist das Thema dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Franz Kafkas "Die Verwandlung" unter medientheoretischen Gesichtspunkten. Sie untersucht die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Tier und konzentriert sich dabei auf den Körper als ursprüngliches Medium, nicht nur auf technische Medien. Die Verwandlung Gregors wird als medialer Störfall interpretiert, der die korporalisierende Performativität beleuchtet.
Welche Theorien werden verwendet?
Die Arbeit stützt sich auf die negative Medientheorie von Dieter Mersch und Sybille Krämer, sowie auf Merleau-Pontys Konzept des Körpers als „symbolique générale du monde“. Der Fokus liegt auf dem Verständnis des Körpers als Sender und Empfänger, der durch korporalisierende Performativität einem Gestaltwandel unterliegt.
Wie wird Gregors Verwandlung interpretiert?
Gregors Verwandlung wird als mediale Störung und Medienwechsel interpretiert, die das familiäre Gleichgewicht stört und die Kommunikation unterbricht. Der körperliche Wandel wird als Konflikt zwischen Körpergefühl und Geist verstanden, und der Verlust der Sprache als zusätzliche mediale Störung, die Gregors Isolation verstärkt.
Welche Aspekte von Gregors Verwandlung werden besonders untersucht?
Die Analyse umfasst die Verdrängung des Körpers in Gregors leistungsorientiertem Leben, die Wiederkehr des Körpers durch die Verwandlung, die veränderte Sinneswahrnehmung Gregors, seine veränderte Kommunikation und die Reaktionen seiner Familie auf seine neue Körperlichkeit.
Welche Rolle spielt der Körper in dieser Analyse?
Der Körper ist der zentrale Punkt der Analyse. Er wird als primäres Medium verstanden, das sowohl Sender als auch Empfänger von Kommunikation ist. Die Verwandlung Gregors zeigt den Körper als Ort der Medialität und als Ausgangspunkt für die Störung der Kommunikation und des familiären Zusammenlebens.
Was ist die Bedeutung der "korporalisierenden Performativität"?
Der Begriff "korporalisierende Performativität" beschreibt den Gestaltwandel des Körpers, seine Fähigkeit, durch Handlungen und Prozesse seine Form und Bedeutung zu verändern. In der Analyse von "Die Verwandlung" manifestiert sich dies in Gregors körperlicher Metamorphose und den damit verbundenen Kommunikationsstörungen.
Welche Rolle spielt die Hybridfigur Gregor Samsa?
Gregor als Hybridfigur überschreitet die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Er ermöglicht dadurch eine Konfrontation mit dem "Alteritären", dem Fremden und Anderen. Die Reaktion der Familie offenbart ein eingeschränktes Körperverständnis und ein Scheitern an der Überwindung dieser Differenz.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel: Einleitung (Einführung in die Thematik und die verwendeten Theorien), Körper als Medium (Etablierung des Körpers als primäres Medium), Gregors Verwandlung (Analyse der Verwandlung als mediale Störung), Die Verwandlung als Störung (Analyse der Kommunikationsstörungen und der familiären Reaktionen), Funktion der Hybridfigur (Analyse von Gregor als Hybridfigur), Fazit (Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick).
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant für die Analyse?
Schlüsselbegriffe sind: Körper, Medium, Medientheorie, Kafka, Die Verwandlung, Gregor Samsa, korporalisierende Performativität, mediale Störung, Hybridfigur, Tier-Mensch-Verhältnis, Sprache, Kommunikation, negative Medientheorie, Materialität, Leiblichkeit.
Für wen ist diese Arbeit gedacht?
Diese Arbeit richtet sich an Leser, die sich für eine medientheoretische Interpretation von Franz Kafkas "Die Verwandlung" interessieren. Sie ist besonders relevant für Studierende der Germanistik, Literaturwissenschaft und Medientheorie.
- Arbeit zitieren
- Claudia Jaworski (Autor:in), 2016, Die Wechselbeziehung zwischen Tier und Mensch als medialer Störfall, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342211