Minnekonzeptionen in Liedern der Band "Subway to Sally"


Essay, 2015

16 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Thema und Fragestellung
Konzepte der Minne
„Minne“
Schluss

Literaturverzeichnis

Anhang

Thema und Fragestellung

Der Wunsch nach einer innigen, intimen Verbindung mit anderen Menschen war und ist ein kulturell relevantes Thema. Dementsprechend vielfältig findet es Verarbeitung - unter anderem in der Lyrik des höfischen Minnesangs des 11. und 12. Jahrunderts. Die musikalisch-lyrische Auseinandersetzung mit Zuneigung und Intimität ist jedoch kein isoliertes Phänomen des Mittelalters; bis heute sind Lieder über erfüllte, unerfüllte und gescheiterte Liebe in der (Populär-)Kultur präsent. Heute ist es zudem in der sogenannten Mittelalterszene im Rückgriff auf Motive mittelalterlicher Lyrik üblich, „mittelalterliche Texte akustisch zu vertonen, über die Wiedergabe mittelalterlicher Musikstücke auf historischen Instrumenten“[1].

Der vorliegende Essay soll der Frage nachgehen, inwiefern sich klassische Minnekonzeptionen in Texten der in der Mittelalterszene etablierten Musikgruppe Subway to Sally wiederfinden und ihnen somit in der Kultur der Gegenwart – der neuen Seite des Spagats - Aktualität verleihen. Hierzu werden exemplarisch zwei Lieder inhaltlich analysiert.

Konzepte der Minne

Der Begriff Minne kann „für Liebe […] zwischen Gott und Mensch oder Individuum und leidendem Mitmenschen stehen. minne kann auch verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen bezeichnen [...]“[2]. Im Minnesang wurde dieses Bedeutungsspektrum in einen amourösen, höfischen Kontext übertragen, der die Beziehung zwischen einem Ritter und einer Dame (frouwe) beschreibt. Unterteilbar ist das Minneprinzip in Hohe und Niedere Minne. Weiterhin „gilt es als Gemeinplatz der Minnesangforschung“[3], dass es sich weitestgehend um Rollenlyrik, bei der der Dichter nicht von eigenen Erlebnisse berichtet, sondern ein lyrisches Ich erzählen lässt.

Die Hohe Minne ist unerfüllt bzw. einseitig, da sie von der frouwe nicht erwidert oder sogar harsch zurückgewiesen wird und für das (ritterliche) lyrische Ich kein Weg existiert, diese Asymmetrie zu überwinden. Dennoch gibt es für den oft leidgeplagten Ritter keine Abhilfe.[4] Jedoch setzt er sein Werben nicht ohne Grund fort, erfüllt er so doch die Rittertugenden von staete (Beständigkeit) und triuwe (Treue) und legitimiert sich somit in seiner Rolle am Hof. Die Einhaltung der kiusche (Keuschheit) ergibt sich zudem mindestens aus der fehlenden Möglichkeit eines Verstoßes. Hierdurch wird die Lyrik der Hohen Minne zwar einerseits zum Leidgesang, da der Wunsch nach Zuneigung schmerzlicherweise nicht erfüllt wird, andererseits ist sie nützlich „für Wert und Ansehen, die man durch sie erreicht oder steigert“[5]. Walther von der Vogelweide, einer der bedeutendsten Minnesänger, äußert sich wie folgt zur Hohen Minne:

hôhe minne reizet unde machet, / daz der muot nâch hôher wird ûf swinget[6]

Sinngemäß übersetzt bedeutet dies, dass die Hohe Minne der eigenen Gesinnung (muot) zu edleren Werten verhilft, was auch der Einhaltung der erwähnten Tugenden staete, triuwe und kiusche entspricht.

Als Beispiel für Lyrik der Hohen Minne soll ein Auszug aus einem Gedicht des Autors Herr Hesse von Rinach (13. Jahrhundert) dienen:

Ich wil mîner frowen muoten,

das si mir genædic sî.

[...]

liesse eht mich ir ungefüeger nît,

der mir alsô nâhe lît;

fröiden si mich roubet zaller zît.[7]

Das lyrische Ich berichtet von seinem Bedürfnis nach der Gunst der Dame („das si mir genædic sî“), doch das Gegenteil tritt ein: Es erfährt Ablehnung („liesse eht mich ir ungefüeger nît“) und fühlt sich für alle Zeit seiner Freude beraubt („fröiden si mich roubet zaller zît“) . Das vergebliche Werben des leiderprobten Ritters um eine unerreichbare Dame veranschaulicht das Konzept der Hohen Minne.

Den Gegenpol zur Hohen Minne und gleichzeitig ein Umdenken des Minneprinzips bildet die Niedere Minne. Zu ihr äußert sich Walther von der Vogelweide als Begründer des Begriffs wie folgt:

Nidere minne heizet, diu so swachet, / daz der muot nâch kranker liebe ringet[8]

Paraphrasiert ausgedrückt sagt Walther hier aus, dass die Niedere Minne (sexuell) anregend ist („Nidere minne heizet“) und ihr ein starkes Bedürfnis nach körperlicher Liebe zugrunde liegt („muot nâch kranker liebe“), womit sie eine leibliche, bedürfnisorientierte Dimension erhält. Haferland schließt aus den Worten Walthers, dass „niedere Minne sich auf wertlose Liebe richtet, d.h. etwa auf bloße Bedürfnisbefriedigung“[9]. Ein weiterer Kontrast zur Hohen Minne ist jedoch mit der Abkehr von der einen, einzigartigen und idealisierten frouwe gegeben. In seinem Preislied lobt er pauschal die Schönheit aller deutschen Frauen:

Von der Elbe unz an den Rîn her wider unz an der Unger lant

dâ mügen wol die besten sîn[10]

De Boor und Newald stellen fest: „Damit ist etwas Wesentliches des Hohen Minnesangs aufgegeben, die Unvergleichlichkeit der Auserwählten, der man alleine dient [...]“[11]. Weiterhin wird die überlegene Position der Frau im Verhältnis zu der des Mannes herabgesenkt, indem sie im Preislied als wîp und nicht als frouwe bezeichnet wird, womit „die ständischen Grenzen durchbrochen [sind]“[12]. wîp lässt sich u.a. mit „Frau“ (also nicht mit „Dame“) sowie Frau von niedrigem Stand übersetzen[13]. Gerade Letzteres entspricht der Gleichstufung – oder sogar einer Unterstufung – des weiblichen Parts gegenüber dem männlichen und damit einem Schritt zur Aufhebung des durch die Unerreichbarkeit der Dame Unerfüllbaren der Minne.

Festzuhalten zum Konzept der Niederen Minne ist also, dass sie einerseits eine Dimension körperlicher Bedürfnisse, andererseits potentielle Erfüllbarkeit enthält, sodass das genannte Bedürfnisse zu befriedigen sind. Beispielhaft ist der Auszug aus folgendem Gedicht des Kols von Niussen (13 Jahrhundert):

Er nam si bî der wîzen hant,

er fuorte si in den walt […]

da wart diu maget vil gemeit

ein alsô schœne wîp[14]

Neben der Verwendung des Ausdrucks wîp entspricht auch die Führung der Frau durch den Mann („er fuorte si in den walt“) dem beschriebenen Konzept Niederer Minne insofern, als es nicht der weibliche Part ist, der Kontrolle ausübt. Weiterhin ist von dessen Entjungferung die Rede („da wart diu maget vil gemeit ein also schœne wîp“). Somit fand auch die Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses statt, die Frau war nicht unerreichbar.

Analyse der Lieder

„Minne“

Quelle: http://www.songtexte.com/songtext/subway-to-sally/minne-33dccc61.html (abgerufen am 28.02.2015)

Das erste zu analysierende Lied besteht aus zwei Strophen, enthält keinen Refrain und trägt einen Titel, der wohl nicht besser zum Thema des Essays hätte passen können. Tatsächlich dreht es sich auch um das Begehren einer bestimmten Person.

Gleich zu Beginn der ersten Strophe werden der Person positive Eigenschaften zugeschrieben:

Du bist reich, du bist schön

Diese Belobigung steigert sich im Verlauf der Strophe zum Zeugnis tiefer Verehrung:

Augen sanft wie Mondenschein

Rosenblätter würd' ich streu'n

Verse schenkt ich dir aus tiefstem Herzensgrunde

Im zweiten und dritten Vers des Auszugs wird zudem klar, dass das lyrische Ich bereit wäre, um die Person zu werben – auffällig ist jedoch die Verwendung des Konjunktivs. An welche Bedingung die tatsächliche Realisierung des Werbens geknüpft ist, bleibt offen. Möglicherweise ist dies ein Hinweis auf eine Unerreichbarkeit der Person.

Nachfolgend wird die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der Person, gleichzeitig aber auch ihre Unerreichbarkeit deutlich gemacht:

Doch unerreichbar fern bist du auf ewig

Frommer Wunsch wird es sein

Der mir fuhr ins Herz hinein

Und seitdem verfluch' ich jede volle Stunde

Hier findet ein zwei Verse andauernder Tempuswechsel zum Futur statt; offenbar geht das lyrische Ich fest davon aus, dass sein „Wunsch“ auch in Zukunft nicht in Erfüllung gehen wird, was de zuvor getätigte Aussage bestätigt („Doch unerreichbar fern bist du auf ewgi“). Dies mündet in allzeit gegenwärtiges Leid („Und seitdem verfluch' ich jede volle Stunde“).

Auch die zweite Strophe beginnt mit einer Belobigung der begehrten Person, diesmal wird ihr Status außerdem noch durch eine Selbstabstufung des lyrischen Ichs relational erhöht:

Ich bin arm, du bist reich

Die Erwähnung von Armut im Verhältnis zu Reichtum mag ein Hinweis auf einen Standesunterschied sein und weist damit erneut auf die Unerreichbarkeit der begehrten Person hin.

Auch scheint das Leben des lyrischen Ichs ganz allgemein nicht einfach zu sein:

Meine Hände sind nicht weich

Denn die Welt ist alles and're als ein Garten

Deutet man die „nicht weich[en]“ Hände als Hinweis auf ein Leben körperlicher Arbeit, erhärtet sich hier der Verdacht eines Standesunterschiedes – eventuell muss das lyrische Ich im Gegensatz zur reichen, begehrten Person körperlich aktiv werden, um zu bestehen. Der nicht existente Garten steht wohl für fehlende Freude und Leichtigkeit im Leben des lyrischen Ichs.

Direkt danach wird, passend zum Garten, mit der Symbolik von Blumen gearbeitet:

Wo viel' bunte Blumen blüh'n

Rosen, Veilchen und Jasmin

Da der zugehörige Garten, wie bereits erwähnt, und damit auch die Blumen nicht existieren, sind auch sie Teil der Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einem besseren Leben, stehen doch gerade die Rosen noch heute für große Zuneigung.

Es folgt erneut eine Bekundung von Aussichtslosigkeit und Leid:

Und so muss ich bis zum jüngsten Tage warten

Tränen brennen heiß in meinen Augen

Offenbar hat das lyrische Ich es endgültig aufgegeben, der begehrten Person jemals nahe zu kommen, es „muss […] bis zum jüngsten Tage“, also in Seelenqual auf den Tod warten. Andererseits scheint es keine Ambitionen zu haben, sich nach Mitmenschen umzusehen, bei denen es mehr Erfolg haben könnte. Das Leid wird nun stärker betont als in der ersten Strophe, da es scheinbar intensiv genug ist, um auch körperliche Schmerzen hervorzurufen („Tränen brennen heiß in meinen Augen“), wodurch es noch eindrücklicher wird.

Das Lied endet mit der nicht erwiderten Zuneigung der anderen Person.

Es enthält mehrere Merkmale der Hohen Minne: Die Person der Begierde wird durch das lyrische Ich idealisiert, scheint jedoch unerreichbar. Dies verursacht großes Leid und dennoch kommt es nicht zu einer Abwendung von der Person – mit staete und triuwe wird sie weiterhin verehrt. Auch ist das lyrische Ich bereit, um die Person zu werben, warum es davon nur im Konjunktiv spricht, bleibt allerdings unklar. Ebenfalls wird ein Standesunterschied angedeutet, der ein weiteres Merkmal der Hohen Minne ist. Ein wichtiger Unterschied zum Hohen Minnesang des Mittelalters besteht jedoch in der Nichtdeterminierung der Geschlechter beider Akteure.[15]. Ausgehend von der Annahme, dass Minnesang Rollenlyrik ist, kann der Rezipient diese nun trotz eines männlichen Sängers (von Subway to Sally) beliebig zuweisen. Demnach kann der vorliegende Text aus Sicht beider Geschlechter und aller sexuellen Orientierungen zutreffen, was der heutigen Zeit mit ihren mannigfaltigen individuellen Lebensentwürfen gerecht wird.

Interessanterweise existiert neben der hier analysierten auch eine später produzierte Duettversion des Liedes (entstanden in Zusammenarbeit mit der Musikgruppe Faun). Darin kommt kommt über einen Wechsel, im Original des Sängers mit einer Sängerin, eine sich wiederholender Refrain nach den Strophen hinzu.

Sag, warum bin ich so allein bei Tag und bei Nacht

Such den einen, der mich befreit

Mich verehrt aus seinem tiefsten Herzensgrunde

Und mit Minne mich begehrt zu jeder Stunde[16]

Die Art des Einbaus ins Gefüge der Strophen und die Tatsache, dass diese Textstelle von einer Sängerin realisiert wird, erinnert zunächst an einen Wechsel zwischen Männer- und Frauenstrophen. Dabei ergeben beide keinen Dialog, sondern zwei isolierte Monologe. Die hier zu Wort kommende Person weiß offenkundig nicht, dass es bereits eine Person gibt, die sie „aus tiefstem Herzensgrunde [verehrt]“. Es jedoch bleibt offen, ob überhaupt eine Liebesbeziehung mit zustande käme, selbst, wenn die Person vom lyrischen Ich wüsste. Erwähnenswert ist, dass durch die Pronomen „einen“ und „der“ erstmals eine Geschlechtszuordnung stattfindet. Das Geschlecht lyrischen Ichs der Strophen bleibt jedoch unbekannt, dies gilt ebenso für das lyrische Ich des Refrains.

[...]


[1] Iwan Schmees: Musik in der Mittelalter-Szene. Stilrichtungen, Repertoire und Interpretationen. 1. Auflage. Hamburg 2008. S. 3.

[2] Klaus-Peter Wegera/Simone Schultz-Balluff/Nina Bartsch: Mittelhochdeutsch als fremde Sprache. Eine Einführung für das Studium der germanistischen Mediävistik. 2., neu bearbeitete Auflage. Berlin 2013. S. 169.

[3] vgl. Harald Haferland: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone. Berlin 2000. S. 26.

[4] Ebenda. S. 281.

[5] Ebenda . S. 217.

[6] zitiert nach ebenda. S. 217.

[7] Rolf D. Fay/Joachim Kuolt (Hg.): Poetae Minores. Weniger bekannte Dichter der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Stuttgart 1987. S. 16.

[8] zitiert nach Haferland: Hohe Minne. S. 217.

[9] Ebenda.

[10] Wegera/Schultz-Balluff/Bartsch: Mittelhochdeutsch als fremde Sprache. S. 169.

[11] Helmut de Boor/Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zweiter Band. München 1953. S. 300.

[12] Ebenda. S. 303.

[13] vgl. Beate Hennig: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Tübingen 2007. S. 471.

[14] Fay/Kuolt (Hg.): Poetae Minores. S. 106.

[15] Aus diesem Grund ist in der gesamten Analyse nur von einer „Person“ die Rede.

[16] http://www.songtextemania.com/minne_duett_songtext_faun.html (abgerufen am 28.02.2015)

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Minnekonzeptionen in Liedern der Band "Subway to Sally"
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V342371
ISBN (eBook)
9783668321533
ISBN (Buch)
9783668321540
Dateigröße
618 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
minnekonzeptionen, liedern, band, subway, sally
Arbeit zitieren
Niklas Selz (Autor:in), 2015, Minnekonzeptionen in Liedern der Band "Subway to Sally", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342371

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