Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Entwicklung der Fragestellung
2. Augustus und die Philosophie
2.1. Die Etablierung des Prinzipats im öffentlichen Diskurs
2.2. Pythagoreer, Epikureer, Stoiker und der princeps -Begriff
2.3. Augustus - ein „tugendhafter“ Philosoph? Der princeps und sein philosophisches Umfeld
2.4. Die „Hausphilosophen“ des Augustus
3. Resümee
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Entwicklung der Fragestellung
Im Gegensatz zur westlichen, säkularisierten Staatenwelt der Moderne, zeichnet die antike Weltordnung ein völlig anderes Bild im Bezug auf ihre kulturellen, religiösen und philosophischen Lebensbereiche. Statt einer strikten Trennung, wie sie uns aus unserer heutigen Lebenswelt bekannt ist, muss bei der Analyse antiker gesellschaftlicher Verhältnisse immer die starke Verzahnung verschiedenster Kulturphänomene betrachtet werden. Die Philosophie wirkt als außerordentlich wichtiger Faktor in politischen, sozialen und religiösen Bereichen und ist somit absolut prägend für alle Diskursbildungen der antiken Verhältnisse. Dort konnte sie einen Einfluss für sich in Anspruch nehmen, der in gegenwärtigen Gesellschaftsanalysen, auf Grund der strikten Trennung der Diskurse so gut wie ausgestorben zu sein scheint.
Wie kann man sich nun diese Überlagerungen von Politik und Philosophie im Zeitalter des Augustus, d. h. während der Konsolidierung des Prinzipats, vorstellen? Zwischen der in Bürgerkriegen sich selbst zermürbenden Republik und der Begründung des römischen Kaisertums manifestiert sich eine hochbrisante gesellschaftspolitische Lage.
Die unverkennbare Zäsur zwischen der so genannten libera res publica und der Etablierung der Alleinherrschaft des Augustus hatte Auswirkungen in allen gesellschaftlichen Bereichen und damit auch auf die Stellung der Philosophie. Was kann bzw. darf die Philosophie unter dem Monarchen Augustus noch leisten? Wird sie überhaupt noch gebraucht? Wie werden philosophische (und damit immer auch religiöse, politische und soziale) Diskurse von der Festigung des Prinzipats durch Augustus beeinflusst? Kann die Philosophie immer noch geistiger Vorbereiter und Ideengeber für Politik sein?
In der Forschung herrscht mehrheitliche Einigkeit darüber, dass mit dem Ende der Republik eine vorübergehende Bewusstlosigkeit, v. a. in Kreisen der „Intelligenz“, darunter auch viele Philosophen, einzog, die die Betroffenen zu lähmen schien. Mit der Etablierung der Alleinherrschaft, ging ein sukzessives Ersticken der freien politischen Diskussionskultur[1] im Sinne der res publica einher. Man versuchte sich mit den veränderten Gegebenheiten zu arrangieren, Aufschrei und Protest blieben weites gehend aus bzw. im Verborgenen verhaftet. „Römische Philosophie verstand sich in mancher Beziehung als innere ratio der Politik; sie war aktuell, denkerisch aber kaum originell, eher konservativ als kreativ. Der Umbruch Republik – Monarchie hatte eine der schwersten Bewußtseinskrisen im römischen Staat zur Folge. Denkerisch wurde die neue Situation erst allmählich bewältigt. Nach a- und antipolitischen Tendenzen hat sich Philosophieren doch wieder mit politischem Bewußtsein gepaart. […] Mit dem Untergang der Republik erstarb die freie politische Diskussion.“[2]
„Die Intensität, mit der sich der Nachwuchs der alten Führungsschicht gelegentlich der Philosophie ergeben hat, kann nur richtig eingeschätzt werden, wenn die stetig wachsende Übermacht des Princeps und seines Hofes berücksichtigt wird. Die alte politische Elite wurde ihrer Machtfülle mehr und mehr beraubt, wenn Augustus auch auf ihre Prestigebedürfnisse Rücksicht nahm. Für senatorische Selbständigkeit, libertas, im Sinne der alten Republik war die Uhr abgelaufen.“[3]
Nachdem sich die Regierungsform der Monarchie mehr und mehr etablierte bzw. von Augustus durchgesetzt wurde, stand nicht mehr die Diskussion um ihre bloße Körperlichkeit im Vordergrund, d.h. die Frage nach ihrer Legitimation, sondern vielmehr ging es um die Frage nach ihrer konkreten Ausgestaltung, dem Stil der Regierungspolitik. Hier fand auch die Philosophie ihre Rolle im neuen Staat.
Vor allem für die gebildeten Kreise bot die Philosophie Grundsätze des moralisch-richtigen Handelns, sie übernahm die Funktion des mos maiorum. Dieser Anspruch wurde nun auch auf das neu eingerichtete Prinzipat übertragen. Der Monarch sollte in seiner Regierungspolitik ethisch überzeugend vorgehen und ein Vorbild an moralischer Sittlichkeit und Tugend für das Volk darstellen.
Hier spiegeln sich die Leitideen römischer Geschichtsauffassung wieder: Wohl und Unwohl des römischen Volkes sind immer von seinem moralischen Verhalten abhängig.[4] Tugendhaftes Handeln eines jeden Einzelnen ist „gutes“ Handeln und Voraussetzung für das Wohlergehen des römischen Staates im Laufe von Tradition und Geschichte.
2. Augustus und die Philosophie
2.1. Die Etablierung des Prinzipats im öffentlichen Diskurs
Im Gegensatz zu seinem Adoptivvater Caesar, ging Augustus rücksichtsvoller und taktisch kluger mit den jahrhundertealten republikanischen Gegebenheiten um. Niemals ließ er große Interpretationsspielräume aufkommen, seine Machtansprüche als Usurpation zu deuten, alles geschah unter Rücksichtnahme auf das republikanische Gemeinwesen und unter dem Deckmantel, die bestehenden demokratischen Verhältnisse zu wahren. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Octavians Rückgabe der Allgewalt an Senat und Volk im Jahre 27 v. Chr.[5]
Er gab die Befehlsgewalt über die Provinzen und die dort stationierten Legionen wieder zurück in die Hände des Senats. Hier offenbart sich der kalkulierende und berechnende Machtmensch Augustus, dem es ganz und gar nicht darum ging, seine Machtposition abzugeben oder zu teilen. Mit der Rückgabe der uneingeschränkten Befehlsgewalt an den populus romanus suggerierte Augustus ein scheinbares Desinteresse an Machtzuwachs in den Händen eines Einzelnen und demonstrierte für weite Teile des Volkes seine innige Beziehung zur libera res publica. Diese Bescheidenheit hatte einzig und allein den Zweck, einen Topos zu erfüllen: Den Topos des Herrschers, der alle Machtzuwächse für sich verweigert, sich ihrer nicht legitimiert fühlt, obwohl sie ihm angetragen werden.
27 v. Chr. behielt Octavian sein Konsulat, konnte sich auf Grund seiner Finanzstärke der Loyalität seiner Legionen sicher sein und ließ sich ein wenig später, „aus Sorge um die Republik“, dazu „überreden“ die unbefriedeten Provinzen für eine Dauer von zehn Jahren zu übernehmen. Dazu gehörten Spanien (vollständig), Gallien (vollständig), Syrien, Kilikien, Zypern und Ägypten. Dem Machtmittel der dort stationierten Truppen konnte sich Octavian nun sicher sein. Nun bildete nicht mehr länger der etwas schwer zu fassende Begriff des consensus universorum die Legitimation seines Handelns, sondern der offizielle Beschluss des Senats. Er konnte darauf verweisen, dass ihm im Sinne der Republik und ihrer Institutionen seine Machtbefugnisse angetragen worden waren.[6] Kurz darauf wurde ihm vom Senat, auf Grund seiner Verdienste, der Beiname Augustus (der Erhabene) verliehen. Auch der Name Romulus ist wohl diskutiert, je doch nachher fallen gelassen worden, weil er zu sehr den Gedanken an das Königtum nahe legte.[7] Dies sind einige Beispiele für den machtpolitischen Strategen Augustus, der, unter Vorwand des Bescheidenheits-Topos, große Teile der römischen Öffentlichkeit täuschte, um de facto seine Zunahme an Macht, Einfluss und Privilegien immer weiter auszubauen und so die Republik und ihre Grundsätze zu untergraben.
Der scheinbare behutsame Umgang mit der römischen Verfassung im politischen Bereich, wurde von Augustus auch in der ethisch-philosophischen Ausgestaltung seiner Macht verlangt. Langsam aber sicher gelang es ihm, zu suggerieren, das Prinzipat sei die ideale Staatsform. Gerade in intellektuellen Kreisen merkte man, wie das geistige Klima auszutrocknen begann und originelle, vielleicht sogar revolutionäre Gedanken unterdrückt wurden. Es war eine schleichende, kaum zu registrierende Form der Unterdrückung, die sich mit der Festigung der Monarchie Stück für Stück verbreitete. Das Hauptaugenmerk augusteischer Politik lag darauf, die neu gewonnenen Strukturen zu festigen und auszubauen. Tiefgreifende Veränderungen und revolutionäre Denkansätze gefährdeten das System und mussten vermieden werden.[8]
Nur aus der Zeit des frühen Prinzipats, die eine bedeutende Zäsur in der römischen Geschichte darstellt, ist diese überaus große Vorsichtigkeit zu erklären, mit der Augustus vorging. Er musste bedeutende Männer der römischen Oberschicht für sein Vorhaben gewinnen. Dies ging nicht ohne Zugeständnisse, viele Kompromisse, ein großes Maß an Empathie und geschicktes taktisches Lavieren. Mit Caesar hatte er das jüngste Gegenbeispiel immer vor Augen.
Nachdem das Prinzipat als Machtbasis installiert worden war, nahm die Behutsamkeit der Herrschenden gegenüber oppositionellen Interessen immer mehr ab. So dauerte es auch noch eine Generation bis zur Herausbildung einer so genannten „stoischen Senatsopposition“, in der Intellektuelle der philosophischen Schule der Stoa gegen die monarchische Herrschaftspraxis rebellierten.[9]
Um an die Macht zu gelangen, hatte Augustus einen blutigen Feldzug gegen seine politischen Feinde geführt: Während des 2. Triumvirats standen rund 300 Senatoren und 2000 Ritter auf den Proskriptionslisten.[10] Als er an der Macht war, verstand er es, durch sein berechnendes Vorgehen, sich so wenig Feinde wie möglich zu machen.
Augustus versuchte ganz deutlich zu zeigen, dass er die Position eines Königs oder gar Tyrannen entschieden ablehnte. Vielmehr versuchte er, die verschiedenen philosophischen Schulen, die damals in Rom prägend waren, für die ideologische Ausgestaltung des Prinzipats fruchtbar zu machen. Es war ihm sehr wichtig, das Bild des „ersten Bürgers“ überzeugend zu verkörpern, um die republikanische Tradition und ihre Träger nicht vor den Kopf zu stoßen.
2.2. Pythagoreer, Epikureer, Stoiker und der princeps -Begriff
Stoische, Epikureische, sowie pythagoreische Vorstellungen davon, wie ein Herrscher zu handeln hatte, bildeten die ideologischen Grundlagen für die semantische Aufgeladenheit des princeps -Begriffs. Vor allem der pythagoreische Ansatz ist in Augustus Herrscherbegriff stark ausgeprägt: Der Beherrschende ist von Natur aus dazu bestimmt, zu regieren und auserkoren, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten.[11]
Im Gewande dieser philosophischen Ideologie, versuchte Augustus den Anspruch des princeps durchzusetzen und seine Stellung als primus inter pares zu legitimeren.
Alain Michel beschreibt die philosophische Untermauerung des Prinzipats wie folgt : „le roi est donc un personnage d’une nature particuliérement élevée (divine ou semblable a celle des dieux) que le destin envoie selon les cycles du temps chez les hommes pour diriger leurs sociétés.“[12]
Augustus suggerierte seinen Zeitgenossen, dass er der Gesandte einer höheren Macht sei, und im Auftrag der Natur die außer Kontrolle geratenen Dinge neu ordnen werde. Er rechtfertigte also seinen Herrschaftsanspruch u.a. über die im princeps -Begriff inhärente pythagoreische Theorie der Vorbestimmtheit des Herrschers durch eine höhere Macht in der Natur.
Diese Definition des princeps, stellte einen ausgeklügelten und viel versprechenden Ansatz dar, der ein weiteres Mal Augustus’ Talent für sensible taktische Entscheidungen offenbart. In einer Zeit, die von Bürgerkriegen, Anarchie und großer Unsicherheit in vielen Lebensbereichen geprägt war, konnte Augustus sich als „starker Mann“ und Führer profilieren, indem er als restitutor scheinbar eine Periode der Stabilisierung und zunehmenden Sicherheit einzuläuten schien.
Neben dem Einfluss des Pythagoreismus auf den princeps -Begriff, sind für die Zeit des Augustus noch zwei andere philosophische Strömungen für die gesellschaftliche Diskursbildung prägend: Der Epikureismus und der Stoizismus.
Die Epikureer reagierten auf die Etablierung des Prinzipats und der damit einhergehenden sukzessiven Lähmung der Diskussionskultur der libera res publica sowie dem Verfall der republikanischen Werte mit dem Rückzug von der öffentlichen Bühne. Waren die sie gegen den Diktator Caesar noch zur Tat geschritten, um die Werte der libera res publica zu retten, hielten sie sich unter Augustus ganz an den Rat ihres Gründervaters, keine politische Verantwortung zu übernehmen und das öffentliche Geschehen nur aus dem otium zu verfolgen. Der Anführer der Verschwörung gegen Caesar war der bekehrte Epikureer Gaius Cassius Longinus, der erst kurz vor seiner Tat die philosophische Schule gewechselt hatte.[13]
Unter Augustus schien dieser revolutionäre Geist, der den Tyrannenmord legitimiert hatte, erlahmt zu sein. Die Epikureer „kehrten wieder in ihre Gärten zurück, sahen in den späteren Kaisern die Friedensbringer und –erhalter.“[14]
Neben den Epikureern, deren Reaktion auf die langsame aber kompromisslose Etablierung des Prinzipats darin bestand, die Lehrsätze ihres Gründungsvaters zu neu zu verinnerlichen und tendenziell einen Rückzug von der politischen Bühne ins Private anzutreten, waren die Stoiker die zweite bedeutende Schule in Rom. Augustus, dessen Leidenschaft für die Philosophie sehr beschränkt ausgeprägt war, soll der stoischen Doktrin nicht ganz fern gestanden haben.[15] Der Altertumswissenschaftler Jürgen Malitz geht davon aus, dass Augustus in seinem „Sprachgebrauch“ den Terminus der statio principis pflegte, der stoisch beeinflusst gewesen sein dürfte.[16] Der Schriftsteller Aulus Gellius (2. Jh. n. Chr.) gibt darüber in seinen noctes atticae einen Einblick: „deos autem oro, ut, mihi quantumcumque superest temporis, id salvis nobis traducere liceat in statu reipublicae felicissimo andragathounton hymon kai diadechomenon stationem meam.“[17]
Augustus hatte diesen Terminus wohl aus der Militärsprache entlehnt und benutzte ihn, um die Bedeutungsfülle des Prinzipats zu charakterisieren und dessen Einführung nachträglich zu legitimieren. Er betrachtete das neue Herrschaftssystem als munus custodiendi und tat alles dafür, diese ideologische Propaganda unter seinen Ergebenen zu verbreiten. Er suggerierte seinen Mitbürgern (v.a. der einflussreichen Oberschicht), er sei als primus inter pares zu verstehen, der sich aus natürlicher Vorbestimmtheit mutig der Bürde des Prinzipats stelle, um die Verhältnisse neu zu ordnen. Der stoische Begriff der statio principis wurde zum Topos und spielte als Charakteristikum der Herrschaftsausübung auch in späteren Kaisergenerationen eine wichtige Rolle.[18]
[...]
[1] Dass dieser Ausdruck nicht im modernen Diskursrahmen zu verstehen ist, sondern immer unter antiken Staatsverhältnissen interpretiert werden muss, ist selbstredend, also nicht weiter erörterungswert.
[2] Vgl. Maier: Philosophie und römisches Kaisertum, S. 5f.
[3] Vgl. Malitz: Philosophie und Politik, S. 163
[4] Vgl. Krefeld: Literatur, S. 90 bzw. Bringmann: Römische Geschichte, S. 59.
[5] Vgl. Eck: Augustus und seine Zeit, S. 44.
[6] Ebd., S. 45f.
[7] Ebd., S. 48.
[8] Vgl. Maier: Philosophie und römisches Kaisertum, S. 10.
[9] Ebd., S. 149ff.
[10] Vgl. Eck: Augustus und seine Zeit, S. 19.
[11] Vgl. Maier: Philosophie und römisches Kaisertum, S. 38f.
[12] Vgl. Michel: La philosophie politique, S. 26.
[13] Vgl. Malitz: Philosophie und Politik, S. 158f.
[14] Vgl. Maier: Philosophie und römisches Kaisertum, S. 36.
[15] Vgl. Bringmann, Wiegandt: Augustus, S. 183 bzw. Malitz: Philosophie und Politik, S. 159.
[16] Vgl. Malitz: Philosophie und Politik, S. 159.
[17] Gellius: Noctes Atticae, Buch 15, Kapitel 7.
[18] Vgl. Beck: Das dramatische Datum, S. 168.