In der ersten Phase ihrer Geschichte war Soziologie so gut wie ausschließlich Lehre von der Gesellschaft. Um die Jahrhundertwende verschob sich der Akzent auf die soziale Gruppe. Im weiteren Verlauf hat dann die Kategorie der »sozialen Rolle« fast die Stellung der Gruppe in der soziologischen Diskussion übernommen und zwar quer durch alle sonst so differenten wissenschaftstheoretischen Richtungen hindurch, obwohl diese Kategorie ursprünglich aus systemtheoretischem Zusammenhang stammt und auch heute noch ihren ersten Platz dort einnimmt. Vielleicht deshalb, weil die Rolle verspricht, das zu einem sozialen Wesen sozialisierte Individuum ebenso wie die soziologischen Probleme der Kleingruppe und die »makrosoziologischen Systeme« (Organisationen, Gesamtgesellschaft) unter einem gemeinsamen Erklärungsansatz erfassen zu können.
Wegen der Möglichkeit des Begriffes der Rolle als Erfassung der Vermittlung von Einzelnen und der Gesellschaft zu dienen, sieht Ralf Dahrendorf in diesem Begriff eine analytische Elementarkategorie der Soziologie.
Neben Ralph Linton war es vor allem George Herbert Mead, der den Begriff der Rolle für die Diskussion von Problemen der Vergesellschaftung des Menschen aufgriff. Mit beiden Namen verbinden sich zwei unterschiedliche Rollenkonzepte.
Einmal das konventionelle Rollenkonzept, das von Linton ausgehend durch Talcott Parsons und Robert K. Merton aus der strukturell-funkionalistischen Perspektive entwickelt wurde. Zum anderen die Rollenkonzeption des Interaktionismus. Die Meadsche Tradition des symbolischen Interaktionismus aufgreifend entwickelten Ralph H. Turner, Lothar Krappmann und Hans Peter Dreitzel ein wesentlich anderes Rollenkonzept.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Die Rolle als soziologische Kategorie
- Das konventionelle Rollenkonzept
- Die Aneignung der Rollen
- Die Rolle und die Sanktionen
- Der Rollenkonflikt
- Die Funktion der Rolle in der konventionellen Rollentheorie
- Das interaktionistische Rollenkonzept
- Die Rolle und die Ich-Identität
- Erfolgreiches Rollenhandeln
- Die Struktur der Ich-Identität
- Kritik der rollentheoretischen Ansätze
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Das Buch analysiert den Begriff der Rolle in den Sozialwissenschaften. Es untersucht die Entwicklung und die verschiedenen Interpretationen dieses zentralen Konzepts, sowohl innerhalb des konventionellen Rollenkonzepts als auch im interaktionistischen Rollenkonzept.
- Die Rolle als zentrale Kategorie in der Soziologie und ihre Bedeutung für die Analyse von Sozialisation und Vergesellschaftung
- Die Entstehung und Entwicklung des konventionellen Rollenkonzepts und seine Kritik
- Das interaktionistische Rollenkonzept und seine alternative Sichtweise auf die Rolle in der Interaktion
- Die Rolle und die Ich-Identität: Wie Rollen im Laufe der Sozialisation zur Formung der Identität beitragen
- Die Dynamik von Rollenkonflikten und ihre Auswirkungen auf das soziale Handeln
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
- Kapitel 1: Die Rolle als soziologische Kategorie: Dieses Kapitel beleuchtet die historische Entwicklung des Rollenbegriffs in der Soziologie und seine zunehmende Bedeutung als analytische Elementarkategorie. Es werden die Beiträge von Ralph Linton und George Herbert Mead zur Diskussion der Vergesellschaftung des Menschen im Kontext von Rollenkonzepten hervorgehoben.
- Kapitel 2: Das konventionelle Rollenkonzept: Hier wird das Rollenkonzept aus der strukturell-funktionalistischen Perspektive vorgestellt, das von Linton ausgehend durch Parsons und Merton weiterentwickelt wurde. Es werden die Begriffe "Status" und "Rolle" definiert und die Bedeutung von Verhaltenserwartungen für die soziale Ordnung herausgestellt.
- Kapitel 3: Die Aneignung der Rollen: In diesem Kapitel wird der Prozess der Sozialisation im Kontext von Rollen betrachtet. Es wird untersucht, wie Individuen Rollenerwartungen erlernen und "internalisieren", um ein normkonformes Verhalten zu entwickeln. Die Thesen von Dahrendorf und Adorno zur Entfremdung und "Entpersönlichung" des Menschen durch die Vergesellschaftung werden diskutiert.
- Kapitel 4: Die Rolle und die Sanktionen: Dieses Kapitel untersucht die normative Seite von Rollen und die verschiedenen Sanktionen, die zur Einhaltung von Rollenerwartungen eingesetzt werden. Dahrendorf unterscheidet zwischen Muß-, Soll- und Kann-Erwartungen und zeigt die unterschiedlichen Arten von Sanktionen auf.
- Kapitel 5: Der Rollenkonflikt: Dieses Kapitel analysiert die Herausforderungen, die sich aus der Vielschichtigkeit von Rollenerwartungen ergeben können. Es werden Intra- und Inter-Rollenkonflikte beschrieben und Mechanismen aufgezeigt, die das Konfliktpotential vermindern können.
- Kapitel 6: Die Funktion der Rolle in der konventionellen Rollentheorie: Dieses Kapitel beleuchtet die Sichtweise der strukturell-funktionalistischen Rollentheorie auf die Rolle von Konflikten in der Gesellschaft. Es wird diskutiert, wie abweichendes Verhalten als dysfunktional für das Gleichgewicht des Systems betrachtet wird.
- Kapitel 7: Das interaktionistische Rollenkonzept: Hier wird eine alternative Sichtweise auf Rollen aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus präsentiert. Es wird betont, dass ein gewisser Spielraum für die subjektive Interpretation von Rollenpartnern existiert und dass die individuelle Bedürfnisbefriedigung nicht immer vollständig mit den institutionellen Wertvorstellungen übereinstimmt.
- Kapitel 8: Die Rolle und die Ich-Identität: Dieses Kapitel untersucht die Beziehung zwischen Rollen und der Ich-Identität. Es wird die Bedeutung der Identitätsbalance für ein erfolgreiches Rollenhandeln im Kontext von Interaktionsprozessen hervorgehoben.
- Kapitel 9: Erfolgreiches Rollenhandeln: Dieses Kapitel beschreibt den Verlauf einer normalen Interaktion und zeigt auf, wie Individuen in einem komplexen Rollenspiel erfolgreich handeln können, indem sie unterschiedliche Erwartungen in ihre Handlungsstrategie aufnehmen.
- Kapitel 10: Die Struktur der Ich-Identität: Dieses Kapitel untersucht die Voraussetzungen für die Identitätsbalance und beschreibt die Fähigkeiten, die für ein erfolgreiches Rollenhandeln notwendig sind. Dazu gehören Reflexionsfähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Empathie und Identitätsdarstellung.
Schlüsselwörter (Keywords)
Soziale Rolle, Sozialisation, Vergesellschaftung, konventionelles Rollenkonzept, strukturell-funktionalistische Rollentheorie, interaktionistisches Rollenkonzept, symbolischer Interaktionismus, Ich-Identität, Identitätsbalance, Rollenkonflikt, Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, Empathie, total institution.
- Arbeit zitieren
- Peter Busse (Autor:in), 1992, Die Rolle. Zur Geschichte und Kritik eines zentralen sozialwissenschaftlichen Begriffes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342768