In der Theaterwissenschaft ist man der Meinung, dass die räumlichen Strukturen einen großen Einfluss auf die Wirkung einer Aufführung besitzen. Die Geschichte des Theaters ist geprägt von den verschiedenen Bühnenformen, den Veränderungen in der Ästhetik des Bühnenbildes und den unterschiedlichen Arten der Anordnung von Zuschauerraum und Bühnenraum. Die jeweilige Beschaffenheit des Aufführungsortes war immer schon abhängig von dem zu einer Zeit bestehenden ästhetischen Verständnis der Gesellschaft sowie von den gegebenen Möglichkeiten zur Gestaltung.
Als eines der herausragendsten Merkmale des Theaters wird die leibliche Ko-Präsenz zwischen Zuschauer und Schauspieler genannt, die den Live-Charakter des Theaters verdeutlicht.
Dieser Umstand bringt das Theater in einen engen Bezug zur Realität, da das Theatererlebnis für den Zuschauer real erfahrbar ist. Frank Castorf hat für viele seiner Inszenierungen ein Raumkonzept entworfen, das als revolutionär bezeichnet werden kann. Mithilfe verschiedener Mittel erschafft er einen Raum, der den Bezug des Theaters zur Realität in besonderem Maße verstärkt.
Nach Michel Foucault gehört das Theater zur Gruppe der Heterotopien, es ist also ein realer Ort, der gleichsam einen Gegenort darstellt, eine Auffassung, auf die ich später noch intensiver eingehen werde. Frank Castorfs Inszenierung von „Der Idiot“ nach dem Roman von Fjodor Dostojewskij setzt den Gedanken Foucaults in einer besonderen Form um, was ich im Verlaufe dieser Arbeit aufzeigen möchte.
Ich werde zunächst einen kurzen Überblick über das Thema der Raumtheorie allgemein und in Bezug auf die Theaterwissenschaften im Besonderen geben, anschließend auf Michel Foucaults Begriff der Heterotopie eingehen und diese Erkenntnisse schließlich anhand der Inszenierung „Der Idiot“ von Frank Castorf ausführen. Im Besonderen soll untersucht werden, wie Raum konstituiert wird, welche Mittel Castorf zur Konstitution des Raumes anwendet und auf welche Weise die Inszenierung dadurch einen hohen Bezug zur Realität erhält.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Raumtheorie
- Raumtheorie in der Wissenschaft
- Die vier Raumkategorien des Theaters
- Raumkonstitution im Theater
- Theater als Heterotopie
- Die Medialität des Theaters
- Die Realität der Räume - „Der Idiot“ als Heterotopie
- Raumkonstitution in Castorfs „Der Idiot“
- Exkurs: Film und Raum
- Live-Video bei Castorf
- Raum durch Bewegung
- Fazit: Realität durch Raum
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung von Raum in Frank Castorfs Inszenierung von "Der Idiot" nach dem Roman von Fjodor Dostojewskij. Die Arbeit beleuchtet die Rolle des Raumes als konstitutives Element des Theatererlebens und analysiert, wie Castorf mithilfe verschiedener Mittel einen Raum schafft, der einen intensiven Bezug zur Realität herstellt.
- Raumkonstitution im Theater
- Michel Foucaults Konzept der Heterotopie
- Die Rolle des Raumes in Castorfs Inszenierung "Der Idiot"
- Die Auswirkungen von Raum auf die Rezeption des Stücks
- Der Bezug des Theaters zur Realität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Raumtheorie im Theater ein und stellt die Relevanz von Raum für die Wirkung einer Aufführung heraus. Sie erläutert den spezifischen Raumansatz von Frank Castorf und stellt den Bezug zu Michel Foucaults Konzept der Heterotopie her.
Kapitel 1 bietet einen Überblick über die Raumtheorie in der Wissenschaft und im Theater. Es werden die vier Raumkategorien des Theaters (Aufführungsraum, Bühnenraum, dramatischer Raum und Aufführungsort) vorgestellt und die Bedeutung der leiblichen Ko-Präsenz von Zuschauer und Schauspieler für das Theatererlebnis erläutert.
Kapitel 2 analysiert die Raumkonstitution in Castorfs Inszenierung "Der Idiot". Es wird untersucht, wie Castorf mithilfe von verschiedenen Mitteln wie Live-Video und Bewegung einen Raum erschafft, der den Bezug des Theaters zur Realität verstärkt.
Schlüsselwörter
Raumtheorie, Heterotopie, Frank Castorf, "Der Idiot", Raumkonstitution, Theatererlebnis, Live-Video, Bewegung, Realität, Inszenierung
- Quote paper
- Hannah Krause (Author), 2009, Theater als Heterotopie. Raumkonstitution im Theater am Beispiel von Frank Castorfs Inszenierung „Der Idiot“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342957