Tod eines Handlungsreisenden: zu Arthur Millers literarischem Psychodrama


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2005

15 Seiten


Leseprobe


Tod eines Handlungsreisenden: zu Arthur Millers literarischem Psychodrama

»Das Wunschbild der sexuell-sozialen Versorgtheit, der rationalisierten Sexualität (lässt) die Ehe zur bürgerlichen Einrichtung im Bürgertum werden (...) und setzt Familie als Refugium vor dem Lebenskampf.«

Ernst Bloch (1895-1977): Das Prinzip Hoffnung

I.

In seinem zuerst 1987 in den USA veröffentlichten Erinnerungsbuch »Time-bends« kommt Arthur Miller auch ein paar Mal und eher wie beiläufig auf sein ästhetisch und kommerziell erfolgreichstes Bühnenstück »Death of the Salesman. Certain Private Conversations in Two Acts & a Requiem« zu sprechen. Der Dramatiker will nämlich die ihn überraschende »unwahrscheinliche Wirkung« seines (inzwischen - 1953/54 und 1984/85 - zwei Mal verfilmten) dramatischen Konfliktstoffs erklären. Miller führt zwei besondere Auffälligkeiten an: Einmal beobachtete Publikumsreaktionen, zum anderen erfahrene Pressekritiken.

Bereits unmittelbar nach der ersten öffentlichen Aufführung von »Tod eines Handlungsreisenden« - dies war noch vor der New Yorker Premiere am 7. Oktober 1949 (in Philadelphia) - gab es seitdem anhaltende (und auch interkulturell vergleichbare, damit nicht auf die USA beschränkte) Betroffenheiten:

»Wie bei manchen späteren Vorstellungen gab es bei der ersten Aufführung nach dem Schlussvorhang keinen Applaus. Unter den Zuschauern ereigneten sich merkwürdige Dinge. (...) Besonders Männer saßen vorgebeugt und vergruben das Gesicht in den Händen, andere weinten. (...) Zuschauer gingen durch das Theater, um sich mit jemandem leise zu unterhalten. Eine Ewigkeit schien zu vergehen ehe jemand daran dachte, zu applaudieren, und dann hörte der Beifall nicht mehr auf.«

Was im ersten Moment als theatralische Inszenierung erscheinen könnte - war authentisch: Eine den Theater-Rahmen aufsprengende Reaktionsweise, merkwürdig und aufschlußreich zugleich. Und natürlich auch der (lower) middle-class-Identifikationsfigur Willy Loman (low man ...) als reisendem Kleinhändler (Vertreter) und Protagonisten des sprichwörtlichen ´kleinen Mannes´ oder ´des Manns auf der Straße´ zuzuschreiben...

Zum zweiten, Theaterkritiken der Presse, erinnert Arthur Miller, daß nur beim »Handlungsreisenden« mehrheitlich keine »schlechten, gleichgültigen oder höhnischen Kritiken« in der New Yorker Presse bei der Erstaufführung am Broadway erschienen und daß allein dieses Theaterstück des Dramatikers sofort bei Publikum und Presse gleichermaßen wohl-wollend auf- und angenommen wurde. Arthur Miller führt auch diese Besonderheit vor allem auf seine Loman-Figur zurück: Den Typus des »kleinen Mannes«, der doch nur lieben und geliebt werden will, der im Leben etwas zählen (also: etwas darstellen) und als Mensch wie er lebt respektiert, anerkannt und beliebt (»well-liked«) sein will. (1)

II.

Natürlich war »Tod eines Handlungsreisenden« weder Arthur Millers erstes noch sein letztes Bühnenwerk - wohl aber jenes seiner Theaterstücke, welches den Autor (so der »Literaturbrockhaus« 1995) zu einem der »führenden Vertreter des modernen amerikanischen Theaters« werden läßt - eines Dramatikers, »der in Anlehnung an europäische Vorläufer (...) gesellschaftskritische Themen mit neuen technischen Mitteln weitgehend realistisch auf der Bühne darstellt«. Dabei führt Millers »Handlungsreisender« wie schon sein zwei Jahre früher am Broadway aufgeführtes Schauspiel »All my Sons« (1947) wieder ein in ein, wenn man so will, petty- oder lumpenbürgerliches, vom (vormals Hausieren genannten) gewerblichen Vertreterwesen bestimmtes häusliches Familienmilieu judaisch-amerikanischer Ostküstenausprägung. (Anintellektualisiert und auf middle-class-Maß gehoben, dazu romanhaft-arabesk verdichtet und stärker mit Generationsrücksicht, damit auch auf Einwanderer Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts bezogen, ist auch Saul Bellows – Chicagoer Sozialwissenschaftler und Nobelpreisträger für Literatur 1976 - Kernmilieu in seinen auch deutsch publizierten Romanen: »Herzog«, 1961, »Mr. Sammlers Planet«, 1970 oder »Humboldt's Gift«, 1973).

Für seinen »Handlungsreisenden« erhielt Arthur Miller zwar nicht den Literaturnobelpreis... aber doch den bis heute in der literarischen US-Szene höchstanerkannten Pulitzerpreis (1949). Und dies auch wegen seiner kritischen und mit entwickelten ästhetisch-dramaturgischen Mitteln bühnenwirksam präsentierten Sicht auf US-amerikanische Erfahrung und Geschichte, in der trotz der großen Depressionserfahrung mit der Weltwirtschaftskrise (1929) eine soziale »Lebenslüge« wirksam war und ist: Der US-amerikanische Traum vom individuell möglichen und machbaren sozialen Aufstieg, vom Tellerwäscher zum Millionär ... US-Leistungs- und zugleich Lebensmythos überhaupt.

Dies war Arthur Millers Haupttopos: Und auch als nun schon seit Jahrzehnten »durchgesetzter« und weltweit bekannter Dramatiker geht der Autor diesen Pfad zurück in »The American Clock« (1980): Wenn auch ohne die ästhetische Dichte des »Handlungsreisenden« wieder zu erreichen, führt uns die lockere Spielszenenfolge mit den gut drei Dutzend Spielerinnen und Spielern in (so der deutsche Titel des Stücks) »Die Große Depression« zurück. Auch in diesem späten Bühnenwerk Arthur Millers zeigt sich des Autors im Bereich der Ökonomie begründete psychodramatische Virtuosität und dramaturgische Meisterschaft... wobei, zugegeben, der Autor auch auf publizierte Interviews zum Innern der Krise und langanhaltende subjektive Krisenerfahrungen (ich meine Studs Terkels Bände »Hard Times: Oral History of the Great Depression«, 1970, und »American Dreams: Lost & Found«, 1980) zurückgreifen konnte). (2)

Was jedoch im »Tod eines Handlungsreisenden« als Requiemschluß notwendig und zwingend wirkt - erscheint in der »Großen Depression« eher als willkürlich montierter Abspann: Die sarkastische Botschaft des alten Lee Baum, daß erst der (nächste und Zweite) Weltkrieg die wirtschaftliche Depression beenden und den ökonomischen Aufschwung bringen konnte. (Auch dieses Wirkliche war wohl wirklich, deshalb aber nicht notwendig vernünftig). - So gesehen, ist Arthur Millers Rückkehr zum Ausgangspunkt - dem von ihm als Dramatiker wesentlich mitbegründeten neo-realistischen Psychodrama (in) der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in »Die große Depression« - denn doch eher bloße Rückschau als produktive Weiterführung.

III.

Die Handlung des zwölf Personendramas - Doppelbesetzungen wären auch möglich, so daß auch kleinere Ensembles das Stück spielen könnten - ist um den Kern, die vierköpfige Kleinfamilie und ihren überdimensionalen und defekten, freilich noch nicht völlig abbezahlten Kühlschrank in der Wohnküche gruppiert. Im Mittelpunkt einerseits Willy Loman, Anfang 60, sein Leben lang Vertreter (Handlungsreisender), erfolglos, ausgelaugt, auch nervlich am Ende. Nun ist Willy altes Eisen, ausgemustert ohne Gehalt (Fixum), nur noch auf seine Abschlüsse in einem weiten Bezirk und in Konkurrenz zu jüngeren commis voyageurs angewiesen, vom Firmenchef grad noch als fünftes Rad am Geschäftswagen geduldet. Willy fährt unkonzentriert seinen alten Chevy, sollte wissen, dass er am Ende ist, hängt sich jedoch um so stärker an seine Illusion, dass er nach wie vor gebraucht würde und beliebt war. Dies ist eine durchaus psychotisch in Form von Selbsttäuschung, Depressions-schüben und Suicidevorbereitungen bemerkenswerte Auffälligkeit. Linda Loman, (Haus-) Frau und Mutter der Söhne Biff und Happy, weiß von den Problemen ihres Mannes und auch, daß ihr Mann, den sie nach vielen Ehejahren sicherlich nicht mehr heiß liebt aber doch als Person wie sie ist anerkennt, in seinem Lebenslüge-Syndrom aktuell suicidgefährdet ist ... kann gleichwohl nur zu ihm halten, ihm Mut geben und Willy Außenweltkonflikte mit einem ihn finanziell unterstützenden Nachbarn oder seinem Vorgesetzten zu vermitteln versuchen. Zusätzliche Spannungen kommen in das Beziehungsgeflecht als Willys ältester Sohn Biff - 34jährig - in die elterliche kleine Lebenswelt zurückkommt, aber vom Vater als »Versager« nicht akzeptiert wird. Diese Ebene ist durch (reale) Rückblenden ebenso deutlich wie die der Beziehung Willy zum »erfolgreichen« großen Bruder Ben, der gleichsam als Ich-Idol und damit unerreichbar erscheint (weshalb hier auch irreale Retroperspektiven dramatisiert werden). Insbesondere wird eine zwanzig Jahre zurückliegende Schlüsselszene benutzt, um Willy Loman als Mann, der sich selbst sowie seine Frau und besonders seinen Ältesten täuscht, vorzustellen: Biff sucht Nähe und Hilfe seines Vaters, reist ihm nach, der läßt sich verleugnen ... und schläft (um den Preis eines damals begehrten Paar Nylons) mit einer Firmeneinkäuferin in einer billigen Absteige. Dies erkennt der 14jährige Junge. Und damit ist das Verhältnis Vater-Sohn dauerhaft (und unumkehrbar) gestört infolge wechselseitiger Enttäuschungen.

[...]

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Details

Titel
Tod eines Handlungsreisenden: zu Arthur Millers literarischem Psychodrama
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V34302
ISBN (eBook)
9783638345668
Dateigröße
378 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Richard Albrecht ist Sozialwissenschaftler (Dr.phil., Dr.rer.pol.habil.) und Sozialpsychologe, Autor und Ed. von rechtskultur.de.
Schlagworte
Handlungsreisenden, Arthur, Millers, Psychodrama
Arbeit zitieren
Dr. Richard Albrecht (Autor:in), 2005, Tod eines Handlungsreisenden: zu Arthur Millers literarischem Psychodrama, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34302

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