Am 29. Oktober 2004 wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa (VEV) unterzeichnet. Durch die Aufnahme der EU-Grundrechtscharta (GRCH) in Teil II des VEV steht diese kurz davor, von einer reinen Auslegungshilfe zu einem bindenden Teil europäischen Verfassungslebens zu erwachsen. Doch der positive Klang einer Verfassung eilt den eigentlichen Kodifikationen schnell voraus, bringen sie dem Bürger doch gewöhnlich Rechtsschutz und Rechtssicherheit. Unterziehen sich die Kodifikationen jedoch dem kritischen Blick der gesamten europäischen Juristenzunft, wird diese Euphorie schnell gebremst. Schwächen der Kodifikation werden aufgedeckt und Problemkreise in Frage gestellt. Diese Arbeit wird sich mit der Bedeutung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten für die Auslegung der Grundrechte befassen. Probleme bestehen hierbei insbesondere dort, wo der Schutzbereich von Grundrechten unterschiedlicher Kodifikationen betroffen ist, nämlich der EMRK und der des VEV. Diese Kollisionen waren bisher unbedenklich, was sich mit dem Verbindlichwerden der GRCH ändern wird. Die Wurzel des Problems liegt zum einen im parallelen Grundrechtsschutz. Bisher unterlag der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dem die EMRK als Grundlage dient, und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH), dem bisher kein bindender Grundrechtskatalog zugrunde liegt. Art. II-112 Abs. 3 VEV, der diesen Problemen vorbeugen soll, birgt jedoch in seiner Begrifflichkeit einige Unklarheiten. Zum anderen entsteht das Problem, weil Grundrechtsschutz in Europa auf mehreren Ebenen, Grundgesetz, VEV und EMRK stattfindet. Um dem zu begegnen, fügte man mit Art. II-52 VEV Günstigkeitsklauseln in die Grundrechtscharta bzw. den VEV ein, die einerseits als Schranke dienen sollen, andererseits die Rechtssicherheit in Europa wahren sollen. Insbesondere bei der Anwendung dieser Klauseln ergeben sich z.B. im mehrpoligen Grundrechtssystem Widersprüche.
Inhaltsverzeichnis
- Problemstellung
- Die Grundrechte in der historischen Entwicklung
- Grundrechte in der Rechtsprechung des EuGH
- Grundrechtsschutz durch Art. 6 Abs. 2 EUV
- Die EU-Grundrechtscharta
- Der Vertrag über eine Verfassung für Europa
- Divergenzen zwischen der Rechtsprechung des EuGH und der Rechtsprechung des EGMR
- Grundsätzliche Orientierung des EuGH an der EGMR-Rechtsprechung
- Divergenzen in der Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe
- Die Funktion der Günstigkeitsklauseln im Vertrag über eine Verfassung für Europa
- Bedeutung der EMRK (Abs. 3)
- „Entsprechung“
- Verweis auch auf Zusatzprotokolle?
- Partielle Entsprechung
- „,Bedeutung und Tragweite“
- Weitergehender Schutz
- „Entsprechung“
- Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (Abs. 4)
- Einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten (Abs. 6)
- Bedeutung der EMRK (Abs. 3)
- Formeller Beitritt der EU zur EMRK zur Kohärenzsicherung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Bedeutung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten für die Auslegung der Grundrechte im Vertrag über eine Verfassung für Europa. Sie beleuchtet die Herausforderungen, die aus dem parallelen Grundrechtsschutz durch die EMRK und den VEV entstehen, insbesondere im Kontext der EU-Grundrechtscharta und der Günstigkeitsklauseln.
- Die historische Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU, insbesondere die Rolle der EMRK und der Rechtsprechung des EuGH.
- Die Divergenzen in der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR und die Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Grundrechte im VEV.
- Die Funktion der Günstigkeitsklauseln im VEV zur Wahrung von Rechtssicherheit und Kohärenz im mehrpoligen Grundrechtssystem.
- Die Frage, ob ein formeller Beitritt der EU zur EMRK zur Kohärenzsicherung beitragen könnte.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung der historischen Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU. Dabei wird die Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des EuGH für die Entwicklung des Grundrechtsschutzes herausgestellt. Anschließend werden die Divergenzen in der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR beleuchtet, wobei insbesondere die Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Grundrechte im VEV hervorgehoben wird. Des Weiteren wird die Funktion der Günstigkeitsklauseln im VEV analysiert, welche die Rechtssicherheit und Kohärenz im mehrpoligen Grundrechtssystem gewährleisten sollen.
Schlüsselwörter
EMRK, EU-Grundrechtscharta, VEV, Grundrechte, Grundrechtsschutz, Günstigkeitsklausel, EuGH, EGMR, Verfassungsüberlieferungen, Mitgliedstaaten, Rechtssicherheit, Kohärenz.
- Quote paper
- Christian Zimmermann (Author), 2005, Die Bedeutung der EMRK (Art. II-112 Abs. 4 VEV) und der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (Art. II-112 Abs. 4 und Abs. 6 VEV) für die Auslegung der Grundrechte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34306