Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Hinführung zu Integration und Sport
2.1 Der Integrationsbegriff
2.2 Diskussion des Integrationsbegriffs
3 Vereinssport als Plattform zur Integration
3.1 Integrative Potenziale
3.1.1 Binnenintegrative Wirkung
3.1.2 Außenintegrative Wirkung
3.2 Betrachtung der Sozialintegration
3.2.1 Kulturation
3.2.2 Platzierung
3.2.3 Interaktion
3.2.4 Identifikation
3.3 Vereinssport als Möglichkeit zur Integration
3.3.1 Umgang mit Körperkontakt
3.3.2 Vertrautheit mit Vereinswesen
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der sogenannte olympische Gedanke und die implizierte Vorstellung von Sport stellen das gesellschaftliche Potenzial dar, welches mit sportlichem Miteinander in Zusammenhang steht. Sport gilt auch über den Rahmen der olympischen Bewegung hinaus als ein Verbindungsstück, das als ein Raum, in dem Begegnungen möglich sind, verstanden werden kann. In diesem Raum werden jegliche Hintergründe (sprachliche, kulturelle, religiöse, soziale) verdrängt, wodurch leichter Kontakt aufgebaut werden kann. Ausgehend davon wird Sport mit einer besonderen integrativen Wirkung verbunden, die ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Bildungsstandeses ermöglicht und fördert.
Insbesondere der Vereinssport kann als Plattform verstanden werden, auf der besondere Möglichkeiten integrativer Prozesse gegeben sind. Dies ist insbesonder der Fall, da im Prinzip jedem der Zugang zu Sportvereinen möglich ist. Da der Zugang in die Breitensportvereine keinerlei Leistungsnachweis benötigt, kann hierbei von Niedrigschwelligkeit gesprochen werden. Dies stellt einen wichtigen Unterschied zu anderen klassischen Feldern dar, in denen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Positionierung gegeben sind (vgl. Weber, 2008, S. 25).
Darüber hinaus können sich über die Aktivität in Sportvereinen kommunikative und soziale Kompetenzen sowie Wissensbestände angeeignet werden, dies es erleichtern soziale Kontakte zu knüpfen. Dies hat vor allem positive Auswirkungen auf weiterführende Integrationsprozesse, die auch über den Sport hinausgehen (vgl. Deutscher Olympischer Sportbund, 2010, S. 5f).
Die zum Teil kommunizierte These einer uneingeschränkten, integrativen Wirkung des Vereinssports ist undifferenziert und idealisierend. Auf Einschränkungen solcher integrativer Möglichkeiten wird auch im wissenschaftlichen Diskurs in den letzten Jahren deutlich hingewiesen (vgl. Braun/Finke, 2010, S. 7).
Die Argumentation dabei findet insbesondere auf den Umstand statt, dass Personen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen sowohl als Mitglieder als auch als ehrenamtlich engagierte Individuen unterrepräsentiert sind. Zugangsmöglichkeiten im Sport sind also offensichtlich nicht für alle in gleichberechtigter Art und Weise gegeben. Vielmehr sind diese für Personen mit Migrationshintergrund mit Barrieren verbunden. Außerdem stellen sich alltägliche interkulturelle Situationen im Vereinssport keineswegs immer integrativ dar, sondern beinhalten auch großes Konfliktpotenzial (vgl. Pilz, 2002).
Geht man also davon aus, dass mit dem vereinsorganisierten Sport besondere Möglichkeiten der Integration verbunden sind, dann gewinnt vor dem Hintergrund der im letzten Absatz gezeigten Umstände die Annahme an Plausibilität, dass solche Möglichkeiten voraussetzungsvoll und von bestimmten Bedingungen abhängig sind.
Im Zuge dieser Erkenntnis will die vorliegende Arbeit sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, unter welchen Bedingungen der Vereinssport Potenziale der Integration eröffnen kann. Es soll also untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen in Sportvereinen eine gleichberechtigte integrative Teilhabe stattfinden kann.
Die so formulierte Fragestellung stützt sich auf die Annahme, dass integrative Potenziale durch den Vereinssport zwar an bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft sind, aber dennoch die Möglichkeit einer integrationsfördernden Wirkung gegeben ist.
Die prinzipielle Möglichkeit einer außerordentlichen und nachhaltigen integrativen Wirkung durch den vereinsorganisierten Sport wird empirisch als gegeben betrachtet. Wie die dafür notwendigen Voraussetzungen aussehen, wird in dieser Arbeit genauer beleuchtet.
Dazu wird zunächst der Integrationsbegriff erläutert und näher diskutiert. Anschließend wird die Rolle des Vereinssports als Plattform für Integration erörtert. Schwerpunkte bilden hier eine analytisch ausdifferenzierte Beschreibung möglicher Integrationsprozesse durch den Vereinssport und Gesichtspunkte, die dabei integrativen Effekten entgegenstehen können. Darüber hinaus wird der Forschungsstand der sportbezogenen Integrationsforschung mit Blick auf die zugrundeliegende Fragestellung dargestellt.
2 Theoretische Hinführung zu Integration und Sport
2.1 Der Integrationsbegriff
Der Begriff der Integration im Kontext der Migrations- und Integrationsforschung kann als sehr breit und äußerst kontrovers bezeichnet werden. Zunächst soll der Ansatz nach Hartmut Esser und dabei in erster Linie sein Konzept der Sozialintegration als begriffliche und theoretisch-analytische Grundlage der Ausführungen dienen.
Das Modell nach Esser wird deshalb verwendet, weil es möglich ist, durch die klare und logische Strukturierung dieses Konzepts der Sozialintegration verschiedene Aspekte sinnvoll auf Integrationsprozesse in und durch den Vereinssport zu übertragen.
Esser hat mit seinen migrationssoziologischen Beiträgen die deutschsprachige Integrations- und Migrationsforschung entscheidend mitgeprägt und gilt in diesem Zusammenhang als einer der meistbeachtesten Autoren. Dabei entwickelte er in den zurückliegenden Jahrzehnten seinen Integrationsbegriff ausgehend von seinem Modell der Eingliederung (vgl. Esser, 1980) bis hin zu aktuelleren Überlegungen zur Sozial- und Systemintegration (vgl. Esser, 2001) weiter. Innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik der Migration und Integration ist Esser als Vertreter eines assimilationstheoretischen Ansatzes zu verstehen. Klassische Assimilationstheorien zeichnen sich dadurch aus, dass Integration als ein in Phasen ablaufender Prozess verstanden wird, an dessen Ende mit der Assimilation ein Zustand der kulturellen und sozialen Anpassung von Personen mit Migrationshintergrund steht. Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass im Konzept der Sozialintegration nach Esser das Verständnis der Assimilation nicht uneingeschränkt mit der oben gezeigte Erklärung deckungsgleich ist (vgl. Esser, 2001, 19).
Im Hinblick auf eine allgemeine Definition wird Integration zunächst als der Zusammenhang verschiedener Teile in einem systemischen Ganzen definiert. Integration meint dabei, dass zwischen den einzelnen Teilen eine wechselseitige Abhängigkeit vorliegt, wobei die einzelnen Elemente Bestandteile des Ganzen bilden, die nicht wegzudenken sind. Durch den Zusammenhalt der Gesamtheit der einzelnen Teile liegt ein System vor, das sich als solches von einer bestimmten Umgebung abgrenzt bzw. als System in dieser Umgebung erkennbar wird. Von der Integration eines Systems ist also dann zu sprechen, wenn eine wechselseitige Abhängigkeit der beinhalteten Teile und eine Abgrenzung zur Umgebung gegeben sind (vgl. Esser, 2001, S. 1).
Diese allgemeine Definition von Integration wird auf soziale Systeme übertragen. Dabei wird diese Integration hinsichtlich sozialer Systeme in die Konzepte der Sozialintegration und Systemintegration ausdifferenziert (vgl. ebd., S. 1ff.). Bezüglich der vorliegenden Arbeit stellen Essers Überlegungen zur Sozialintegration den entscheidenden theoretischen Rahmen dar, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.
Vereinfacht ausgedrückt meint das Konzept der Systemintegration die Integration einer Gesellschaft als soziales System in seiner Ganzheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das Konzept der Sozialintegration auf die Integration von Akteuren oder Gruppen von Akteuren in das soziale System hinein. Systemintegration im beschriebenen Sinne ist somit als Integration zu verstehen, die unabhängig von Motiven, Absichten und untereinander bestehender Beziehungen von individuellen Akteuren ist. Dagegen sind mit „den Motiven, Orientierungen, Absichten und - insbesondere - Beziehungen der Akteure“ (ebd., S. 4) entscheidende Aspekte der Sozialintegration genannt (vgl. ebd., S. 3f).
Esser gliedert dieses Konzept der Sozialintegration in vier Formen: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Kulturation meint das Verfügen von Akteuren über Wissen und Kompetenzen, die notwendig sind, um im jeweiligen sozialen System (inter-)agieren zu können. Dabei handelt es sich um Kenntnisse über Verhaltensmuster in typischen und wichtigen Situationen, die als „Fertigkeiten, insbesondere sprachlicher Art“ (ebd., S. 8) zu verstehen sind. Kulturation ist somit ein Teil der kognitiven Sozialisation.
Dabei wird die erste Sozialisation, zu Beginn des Lebens als Enkulturation, eine spätere Sozialisation, die in neuen gesellschaftlichen und sozialen Bezügen notwendig ist, als Akkulturation bezeichnet. Esser weist darauf hin, dass vor allem sprachliche Akkulturation verstanden als kognitiver Lernprozess gewisser Gelegenheit bedarf. Der Spracherwerb ist also nur dann möglich wenn regelmäßige Gelegenheiten der Auseinandersetzung mit der „sprachlichen Umwelt“ (ebd., S. 9) gegeben sind und wahrgenommen werden (vgl. ebd., 8f). Der Kulturation kommt eine Schlüsselfunktion der sozialen Integration zu, da Akteure Kompetenzen und Fähigkeiten brauchen, die sie für andere Akteure „interessant“ machen, was als Bedingungen für die Formen der Platzierung und Interaktion zu verstehen ist (vgl. ebd., 12), wie noch beschrieben wird.
Platzierung meint die Sozialintegration über die Besetzung gesellschaftlicher Positionen im bestehenden sozialen System. Das Einnehmen solcher Positionen ist dabei in den meisten Fällen mit Leistungen im Vorfeld verbunden. So stellen Leistungen der Bildung meist die Voraussetzung für berufliche Platzierungen dar. Neben der Besetzung gesellschaftlicher Positionen sind die Verleihung von bestimmten Rechten, wie zum Bespiel das Bürgerrecht oder das Wahlrecht und die Möglichkeit zur Bildung sozialer Kontakte entscheidende Aspekte der Platzierung. Dabei eröffnen sich Möglichkeiten der Platzierung meist dadurch, dass Akteure Fertigkeiten oder Ressourcen mitbringen, in denen andere Akteure instrumentelle Vorteile sehen, die sie dazu veranlassen Platzierungsmöglichkeiten zu schaffen. So muss beispielsweise ein Bewerber für eine Arbeitsstelle bestimmte Kenntnisse, Kompetenzen oder andere Fertigkeiten bzw. Ressourcen aufweisen können, damit so sein potenzieller Arbeitgeber instrumentelle Vorteile erkennt und ihn einstellt, also eine Möglichkeit der Platzierung eröffnet. Solche instrumentellen Gründe zur Schaffung von Platzierungsmöglichkeiten können mit nicht-instrumentellen Aspekten konkurrieren. So können Diskriminierungen, Vorurteile und andere Faktoren, die eine soziale Schließung bedingen, Barrieren für Platzierungsmöglichkeiten darstellen. Platzierung und Kulturation sind als wechselseitige Voraussetzungen zu verstehen. Über die Platzierung in zentralen Positionen können Wissensbestände erlangt werden, die für eine sinnhafte gesellschaftliche Partizipation notwendig sind. Gleichzeitig ist es eine Voraussetzung, um eine Platzierung in zentralen gesellschaftlichen Positionen zu erlangen auf durch Kulturation erworbene Wissensbestände zurückgreifen zu können (vgl. ebd., S. 9f).
Interaktion bezeichnet soziales Handeln, „bei dem sich die Akteure wechselseitig über Wissen und Symbole aneinander orientieren und so, und über ihre Orientierungen und ihr Handeln, Relationen miteinander bilden“ (ebd., S. 10). Wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit der Dimension der Interaktion sind alltägliche soziale Relationen auf einer emotionalen Ebene, wobei Nachbarschaften,
Freundschaften als Beispiele genannt werden können. Als wichtige Bedingung für
Prozesse der Sozialintegration über die Dimension der Interaktion sind Gelegenheiten eines Zusammentreffens bzw. eines Kontakts zwischen Akteuren zu sehen, die Interaktionen überhaupt erst ermöglichen (vgl. ebd., S. 10f)
Die Dimension der Identifikation meint eine identifizierende Haltung eines Akteurs zu einem sozialen System in seiner Ganzheit. Mit dieser Haltung sieht der Akteur „sich und das soziale Gebilde als Einheit“ und „wird mit ihm identisch“ (ebd., S. 12). Es ist somit von einer emotionalen Bindung des Akteurs zum sozialen System bzw. zu anderen Akteuren innerhalb dieses Systems zu sprechen.
Zum Erreichen der Voraussetzungen der Sozialintegration, wie beispielsweise des Spracherwerbs oder der Einnahme eines gewissen sozialen Status, ist nach den Ausführungen Essers „so etwas wie […] [ein] Standard, an dem sich Migranten nahezu einseitig zu orientieren haben“ (ebd., S. 23) gegeben. Dies wird damit begründet, dass es in nationalstaatlich organisierten Industriegesellschaften „Leit-“Institutionen über die Ressourcen verteilt werden und eine „Leit-“Kultur gäbe, an der es sich zu orientieren gilt (vgl. ebd., 23f). Dadurch folgt nach Esser, dass sich durch die „Teilhabe an den vorhandenen Vorgaben der (nationalstaatlich verfassten) Aufnahmegesellschaften empirisch auch […] [der] Grad der der (Sozial-)Integration in die Aufnahmegesellschaft bestimmt“ (ebd., 24). Kulturelle Differenzierung innerhalb einer Gesellschaft werden dadurch erklärt, dass es ständig zu neuen Migrationsbewegungen kommt. Diese Differenzierungen würden allerdings im Generationenverlauf mit assimilativen Entwicklungen zunehmend aufgelöst werden (vgl. ebd.). Eine kritische Auseinandersetzung vor allem bezogen auf den in diesem Absatz gezeigten Bestandteil des Modells der Integration nach Esser wird im Verlauf noch folgen.
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