Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Zweite Weltkrieg – ein kurzer Einblick
2.1 Die Generation Zweiter Weltkrieg – Kinder der Jahre 1935-1945
3 Karl Jaspers‘ Die Schuldfrage
3.1 Die vier Schuldbegriffe
3.1.1 Kriminelle Schuld
3.1.2 Politische Schuld
3.1.3 Moralische Schuld
3.1.4 Metaphysische Schuld
3.2 Die Kollektivschuld
3.3 Die Schuldfrage im Zusammenhang mit den Kriegskindern
4 Kritik an Jaspers‘ Werk
5 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Ein typisches Seniorenheim irgendwo in Deutschland im Jahr 2016: An einem anfänglich gewöhnlichen Tag ist das Heim plötzlich vom Lärm einer Sirene erfüllt. Es soll eine Feuerlöschübung sein, doch stattdessen bricht heilloses Chaos aus. Einige der Bewohner verstecken sich unter den Tischen, andere halten sich die Ohren zu und schaukeln vor und zurück, wieder andere sitzen starr vor Angst auf ihren Plätzen, unfähig, sich zu rühren. Was als normale Übung gedacht war, bringt der Kriegsgeneration Erinnerungen zurück, die solche Situationen, wie die hier angeführte, auslösen können. Manch einer von ihnen weiß nicht einmal mehr viel vom Zweiten Weltkrieg, hat das Schlimmste verdrängt oder vergessen. Andere erinnern sich sehr genau an die Brutalität, die Vergewaltigungen, den Hunger, den Geruch nach Tod. Die heute in Seniorenheimen lebenden Kriegszeugen waren damals oft noch Kinder. Kriegskinder.
Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Menschen für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht werden können, inwieweit sie Schuld tragen am Geschehen, an dem sie doch nur als eher Unbeteiligte mitwirkten. In dieser Arbeit wird ebendiese Frage, anhand der Schrift Die Schuldfrage von Karl Jaspers aus dem Jahr 1946, unter Zuhilfenahme des Titels Verantwortung für historisches Unrecht von Michael Schefczyk aus dem Jahr 2012, zu klären versucht.
Begonnen wird mit einem sehr kurzen Einblick in die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs und die Situation der Neugeborenen bis Zehnjährigen dieser Zeit. Es folgt ein Kapitel zu Die Schuldfrage, in dem auf die vier Schuldbegriffe nach Jaspers eingegangen wird, die Wichtigkeit und Rechtmäßigkeit der Kollektivschuld erläutert und die Schuld der Kriegskinder näher skizziert werden. Dem schließen sich eine kurze Kritik an Jaspers Werk im Zusammenhang mit dieser Arbeit und ein abschließendes Fazit an.
2 Der Zweite Weltkrieg – ein kurzer Einblick
Die Frage nach dem Schuldigen am Zweiten Weltkrieg wird auch heute noch ganz selbstverständlich mit ‚Deutschland‘ beantwortet. Es mag zwar einige wenige Menschen geben, die den Beginn des Krieges mit dem Beginn des zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges 1937 gleichsetzen, aber wenn man sich etwas mehr mit der Thematik befasst, wird deutlich, dass der Zweite Weltkrieg mit dem unrechtmäßigen Angriff der Deutschen auf Polen, am 1. September 1939 begann. Unrechtmäßig deshalb, weil die deutsche Seite vorher einige Vorfälle vortäuschte, um einen Angriff rechtfertigen zu können.
Durch die deutschen Truppen wurden unzählige Kriegsverbrechen verübt, unter anderem an Osteuropäern und Juden. Im Verlauf des Krieges starben Millionen Menschen, in Deutschland und in von Deutschen besetzten Gebieten wurden vor allem Juden, Oppositionelle und Widerständler, oder des Widerstands gegen das Regime Verdächtige, verschleppt, zu Zwangsarbeit gezwungen oder sofort hingerichtet. Aus Angst vor Strafen oder gar dem Tod lehnten sich daher nur wenige gegen das Naziregime auf. Bekannt ist hier vor allem die Widerstandsbewegung „Weiße Rose“.
Aufgrund von Überarbeitung, Erschöpfung und dem Gefühl des Ausgeliefertseins, wurde die Abneigung gegen die nationalsozialistische Regierung mit der Zeit immer größer, vor allem, nachdem auch die zivile Bevölkerung die Auswirkungen des Krieges zu spüren bekam.
Der Krieg endete in Europa am 8. Mai 1945 mit der Kapitulation der Wehrmacht. Das Ende des Weltkrieges insgesamt wurde am 2. September 1945 mit der Aufgabe Japans besiegelt.
2.1 Die Generation Zweiter Weltkrieg – Kinder der Jahre 1935-1945
Diejenigen Kinder, die zwischen 1935 und 1945 geboren wurden, werden den wenigsten Meinungen nach Schuld am Krieg sein. Doch was passierte eigentlich mit diesen Kindern in den Jahren des Krieges? Hier wird es wahrscheinlich deutlich mehr Möglichkeiten geben als die folgenden, aber dieser Abschnitt befasst sich in verkürzter Form mit den Gruppen der Kriegskinder, die sich im Lebensborn oder in der Kinderlandverschickung befanden.
Die Heime des Lebensborns, eines von der Schutzstaffel gegründeten Vereins, sollten zur Erhöhung der Geburtenziffer der arischen Kinder beitragen. Die Kinder gelangten durch unterschiedliche, nicht immer von den Eltern herbeigeführte, Arten in diese Heime, wo sie aufwuchsen, um eines Tages dem Deutschen Reich dienen zu können. War ein Kind nicht arisch genug oder sogar behindert, wurde dieses ermordet. Die Kinder, die tatsächlich als lebenswert erachtet wurden, wurden zum Großteil psychisch verkrüppelt, durch die fehlende Wärme und Nähe der Familie, insbesondere der Mutter, und leiden zum großen Teil noch heute an den Folgen dieser Zeit.
Ab 1940, als die Luftangriffe auf deutsche Städte dies notwendig machte, wurden zahlreiche Schulkinder oder Mütter mit Kleinkindern durch die Kinderlandverschickung aus den besonders gefährdeten Gebieten gebracht. Die Kinder in der Kinderlandverschickung oder bei, den Kriegsgebieten entfernt wohnenden, Verwandten, hatten es zwar deutlich besser als die Kinder im Lebensborn, aber auch sie litten in der so wichtigen Entwicklungsphase am mangelnden Kontakt zu den Eltern.
Viele der Kriegskinder leiden noch heute an extremen psychischen Störungen, bedingt durch die dramatischen Ereignisse, die sie erlebt haben, auch wenn einige sich nicht mehr daran erinnern können oder sie verdrängt haben.
Ist dieses Schicksal nicht schon Strafe genug? Haben diese Kinder überhaupt Strafe verdient? Sind sie wirklich zur Verantwortung zu ziehen für einen Krieg, den Deutschland begann, aber nicht gewinnen konnte? Auf diese Fragen soll im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen werden.
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