In seinem Roman „Sturmflut“ verknüpft Friedrich Spielhagen die Sturmflut an der Ostsee im Herbst 1872 mit der großen Krise der Finanzwirtschaft, dem „Gründerkrach“ der 70er Jahre. Spielhagen gelang es mit dieser Konstruktion, denn einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Finanzaktionen und dem Wettergeschehen gab es nicht, an gewisse „kollektive Phantasien“ der Leserschaft anzuknüpfen:
Die Metapher der „Flut“ war selbst in Kreisen der Ökonomie durchaus existent. So heißt es in den „Preussischen Jahrbüchern“ schon angesichts einer ökonomischen Krise im Jahr 1959, es sei „eine solche Masse von Wechsel und Wechselbeziehungen“ entstanden, „daß die Kontrolle unmöglich wäre und die Börse mit schlechten Papieren überschwemmt würde“. Die gesellschaftspolitische Situation um 1970 gestaltete sich ebenso dramatisch: Frankreich hatte nach dem verlorenen Krieg bis 1973 insgesamt 5 Milliarden Goldfranc Kriegskontributionen an Deutschland zu entrichten. Da in so kurzer Zeit für derart viel freies Kapital nicht ausreichend Anlagemöglichkeiten geschaffen werden konnten, kam es zu wilden Finanzspekulationen, Gründungen von Kapitalgesellschaften und letztlich zu Inflation und Zusammenbrüchen: zur Gründerkrise. Das Symbol der „Überflutung ([...] mit barem Gelde)“ war in diesem Zusammenhang im Bewußtsein der Bevölkerung fest etabliert. „Indem Spielhagen diese Symbolik aufgreift und mit zwei realen Ereignissen verknüpft, verleiht er ihr eine besondere Evidenz “.
Gleichzeitig nutzt er die Flutsymbolik mit ihren Anschlüssen an andere Kollektivsymbole wie z.B. „Fluten der Leidenschaft“ oder „Menschenflut in der Großstadt“ zur Integration der verschiedenen Handlungsebenen und schuf damit einen Roman, der die Empfindungen der zeitgenössischen Leserschaft gut genug traf, um zu einem echten „Bestseller“ zu avancieren. In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Rolle der Natursymbolik in dieser Konstruktion zukommt. Es wird zu klären sein, ob die Darstellung der Sturmflut neben ihrer symbolischen Bedeutung und ihrem funktionalen, die einzelnen Ebenen des Romans integrierendem Charakter auch einen eigenen Reiz hat, der in der Symbolik nicht aufgeht. Diese Fragestellung gewinnt umsomehr an Berechtigung, bezieht man in die Überlegungen wesentliche Stationen der Biographie Spielhagens und die Verwendung der Ostseelandschaft in seinen anderen Romanen mit ein.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Natursymbolik in Friedrich Spielhagens Roman „Sturmflut“.
- Zum Autor.
- Kollektivsymbolik in der „Sturmflut“: Übersicht über Einsatz und Funktion der Naturbilder
- Ebene 1: Die Mechanismen der Sturmflut als Bedeutungsfolie für alle anderen Sinnebenen
- Ebene 2: Goldflut – Übertragung auf den ökonomischen Themenkomplex
- Ebene 3: Großstadt
- Ebene 4: Fluten der Leidenschaft.
- Stellungnahme zu dem Artikel „Empirische Beobachtung und Realismus“ von Drews und Gerhard
- Kritik: Position der Figur Kapitän Reinhold Schmidt
- Einbettung der Figur in den Themenkomplex „Natur“.
- Das Fischerdorf als Topos des einfachen Lebens
- Aura der Geborgenheit
- Keine Angriffsfläche für Aufstauung.
- legendenhaft überhöhte Retterposition Reinholds
- Elses Beziehung zur Natur
- Ottomar
- Fazit
- „Sturmflut“ und Bürgerlicher Realismus
- Literatur.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Bedeutung von Natursymbolik in Friedrich Spielhagens Roman „Sturmflut“. Dabei wird untersucht, wie die Sturmflut an der Ostsee im Herbst 1872 in Verbindung mit der Finanzkrise der 1870er Jahre steht und welche Rolle die Naturbilder in der Konstruktion des Romans spielen. Die Arbeit geht der Frage nach, ob die Darstellung der Sturmflut neben ihrer symbolischen Bedeutung einen eigenen Reiz hat, der in der Symbolik nicht aufgeht.
- Die Verwendung von Kollektivsymbolen wie „Überflutung“, „Aufstauung“ und „Untergang“ in ihrer Funktion als Bindeglied und Bedeutungsfolie zwischen den einzelnen Sinnebenen des Romans.
- Die Rolle des Kapitäns Reinhold Schmidt als Repräsentant der Natur und die Darstellung des Fischerdorfs als Topos des einfachen Lebens.
- Die Verbindung der Natur mit den Themenkomplexen Ökonomie, Großstadt und Leidenschaft.
- Der Bezug zur Biographie Spielhagens und die Verwendung der Ostseelandschaft in seinen anderen Romanen.
- Die Frage nach dem Verhältnis von Empirie und Symbolik in der „Sturmflut“.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik der Natursymbolik in „Sturmflut“ vor und beleuchtet den Hintergrund der Finanzkrise der 1870er Jahre. Sie zeigt auf, wie Spielhagen die „Flut“ als Metapher für ökonomische Krisen nutzt und damit an „kollektive Phantasien“ der Leserschaft anknüpft.
Kapitel 2 analysiert die Verwendung der Kollektivsymbolik „Überflutung“ in der „Sturmflut“ und untersucht ihre Funktion als Bindeglied zwischen den verschiedenen Ebenen des Romans.
Kapitel 3 bezieht sich auf einen Artikel über „Empirische Beobachtung und Realismus“ und analysiert, wie Spielhagen die Sturmflut als empirisches Ereignis darstellt und gleichzeitig mit Symbolen arbeitet.
Kapitel 4 beleuchtet die Figur des Kapitäns Reinhold Schmidt und seine Positionierung im Kontext des Themas „Natur“. Es werden die Aspekte des Fischerdorfs als Topos des einfachen Lebens und die überhöhte Retterposition des Kapitäns behandelt.
Kapitel 5 befasst sich mit Elses Beziehung zur Natur und untersucht, wie diese in der „Sturmflut“ dargestellt wird.
Schlüsselwörter
Natursymbolik, Kollektivsymbolik, Sturmflut, Finanzkrise, Gründerkrise, Ökonomie, Großstadt, Leidenschaft, Ostseelandschaft, Friedrich Spielhagen, Kapitän Reinhold Schmidt, Fischerdorf, Empirische Beobachtung, Realismus, Bürgerlicher Realismus.
- Arbeit zitieren
- Andreas Steiner (Autor:in), 2000, Natursymbolik in Friedrich Spielhagens 'Sturmflut', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34354