Mein Leben und Arbeiten in Indonesien

Wie definiert sich Kultur, wofür Kulturdimensionen hilfreich sind, über den Umgang mit einem Kulturschock, meiner eigenen Ambiguitätstoleranz und warum nicht jedermann interkulturell kompetent ist


Projektarbeit, 2014

65 Seiten, Note: 5.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Kultur
1.1 Einführung
1.2 Eine mögliche Definition von Kultur
1.3 Der eigene kulturelle Rahmen
1.4 Übung zur Selbstreflexion
1.5 Zusammenfassung und Fazit

2 Kulturschock
2.1 Was bewegt uns dazu fortzugehen?
2.2 Was ist ein Kulturschock?
2.3 Schilderung eines erlebten Kulturschocks
2.4 Die Intensität eines Kulturschocks
2.5 Was kann bei der Bewältigung eines Kulturschocks helfen?
2.6 Zusammenfassung und Fazit

3 Kulturdimensionen als Hilfsmittel
3.1 Beispiele und Erläuterung von Kulturdimensionen
3.2 In Indonesien ermittelte Kulturdimensionswerte
3.3 Fallbeispiele zu Theorie und Praxis am Arbeitsplatz
3.3.1 Der Todesfall
3.3.2 Analyse des Fallbeispiels (Kulturdimension grosse Machtdistanz)
3.3.3 Der Wutausbruch
3.3.4 Analyse des Fallbeispiels (Kulturdimension Kollektivität)
3.4 Fallbeispiel zu Theorie und Praxis privat
3.4.1 Ibu Bokir
3.4.2 Analyse des Fallbeispiels (Kulturdimension high context)
3.5 Zusammenfassung und Fazit

4 Achtsame Kommunikation
4.1 Das Kommunikationsquadrat
4.2 Fallbeispiel zu Theorie und Praxis am Arbeitsplatz
4.2.1 Beleidigung
4.3 Fallbeispiele zu Theorie und Praxis privat
4.3.1 Der Garten
4.4 Das Wertequadrat
4.5 Fallbeispiel zu Theorie und Praxis am Arbeitsplatz
4.5.1 Abmahnung
4.6 Zusammenfassung und Fazit

5 Das Zusammenspiel von Kultur und Identität
5.1 Personale Identität
5.2 Kulturelle Identität
5.2.1 Kulturelle Identität in Bali
5.3 Zusammenfassung und Fazit

6 Interkulturelle Kompetenzen
6.1 Aspekte interkultureller Kompetenz
6.2 Fallbeispiele zu Theorie und Praxis
6.2.1 Reflektierter Umgang mit Attributionen und Stereotypen, Fremdwahrnehmung
6.2.2 Beherrschung von Strategien des Nachfragens und der Informationsbeschaffung
6.3 Die interkulturelle Kompetenzstufenentwicklung
6.3.1 Meine eigene interkulturelle Kompetenzentwicklung
6.4 Zusammenfassung und Fazit

7 Persönliches Fazit und Resümee

8 Literaturverzeichnis

9 Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kulturdefinition in Schritten (adaptiert an Treichel 2012c)

Abbildung 2: Selbstreflexion Bild 1 (Hofstede, Pederson, Hofstede 2002, S.9)

Abbildung 3: Selbstreflexion Bild 2 (ebd., S. 10)

Abbildung 4: Kulturschock Phasenmodell (Wagner 1996, in Erb 2011, S. 286)

Abbildung 5: Das Kommunikationsquadrat (Schulz von Thun 2011, S. 14)

Abbildung 6: Das Wertequadrat (Schulz von Thun 2011, S. 38) mit eigenem Beispiel

Abbildung 7: Das Wertequadrat (Schulz von Thun 2011, S.38) mit eigenem Beispiel

Abbildung 8: Komplexe kulturelle Identität (Fischer, Furrer-Küttel)

Abbildung 9: Die Kompetenzstufenentwicklung (Schöffel, Gariazzo-Dessies 2011, S. 11)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Monochronie versus Polychronie (Hall / Hall 2011, S. 241 - 241) mit eigenen Beispielen

Tabelle 2: Kollektivismus versus Individualismus (Hofstede 2011, S. 245 - 246) mit eigenen Beispielen

Tabelle 3: Grosse versus geringe Machtdistanz (Hofstede 2011, S. 244 - 245) mit eigenen Beispielen

Tabelle 4: Kurzfristige versus langfristige Zukunftsorientierung (Hofstede 2011, S. 248 - 249) mit eigenen Beispielen

Tabelle 5: Auswertung der Kulturdimensionen gemäss der GLODE STUDIE (Irawanto 2009, S. 43)

Tabelle 6: Arbeitsblatt Aspekte interkultureller Kompetenz (Scheitza 2012, S. 1)

Vorwort

Nachdem ich aus beruflichen Gründen acht Jahre in unterschiedlichen Ländern gelebt habe, entschloss ich nach längeren Überlegungen, dass es an der Zeit war, wieder in die Schweiz zurück zu kehren. Ich wollte zurück in ein Land, das ich kannte, dessen System mir bekannt und vertraut war und das mir damals weniger anstrengend erschien. Ich wollte endlich wieder so sein wie ich wirklich bin. Zumindest dachte ich das.

Die Realität zeigte sich anders. Nach meiner Rückkehr merkte ich schnell, dass mir die Schweiz weniger vertraut war und ich mich erst wieder einleben musste. Und das, obwohl ich hier aufgewachsen war und ich es doch gewohnt war, mich ständig anzupassen.

Hinzu kam, dass ich dachte, ich wüsste alles besser: Schliesslich hatte ich im Ausland meinen Horizont erweitert. Ich war nun interkulturell sensibler und trat meinen Mitmenschen mit weniger Vorurteilen gegenüber. Kurz gesagt, ich hatte mich zu einem weltoffenen und toleranten Menschen entwickelt. Wie kam es dann, dass ich mich als Weltenbürgerin so sehr an den in der Schweiz gelebten Werten, Traditionen und vor allem an den Regeln störte?

In Indonesien fühlte ich mich schon alleine aufgrund meiner Hautfarbe immer als Ausländerin und trotz der guten Sprachkenntnisse irgendwie immer als Aussenseiterin. Zurück in meiner Heimat, mit der Muttersprache und dem Leben hier bestens vertraut, fand ich mich plötzlich nicht mehr zurecht und war verloren.

Ich war verwirrt, denn es erschien mir nicht logisch, wie man sich in seiner Heimat verloren und orientierungslos fühlen konnte. Ich suchte nach einem Grund für den ungewohnten und irritierenden Zustand und stiess so auf die Themen Kultur, Identität und Kommunikation. Ich begann mich zu fragen: Was ist eigentlich Kultur? Wer bin ich? Wie interagiere ich mit meinen Mitmenschen? Leider stellte ich fest, dass ich mir bis zu diesem Zeitpunkt diese Fragen noch nie richtig gestellt hatte. Mein Fokus lag all die Jahre immer darauf, mich im Gastland anzupassen. Unbewusst war mir zwar klar, was mich motivierte und antrieb. Aber erst mit der bewussten Auseinandersetzung mit der Kultur und meiner eigenen Identität begann ich allmählich zu verstehen, was in all den Jahren geschehen war, warum ich aus der Schweiz auszog und was nach wie vor mit mir geschieht.

Um erfolgreich und über längere Zeit in einer fremden Kultur leben und arbeiten zu können, bedarf es zweier wichtiger Faktoren: Einerseits des Kennens und Erlernens der neuen Spielregeln, der Art der Kommunikation, der Kulturstandards usw. Nennen wir es die Hardware. Andererseits aber auch das Bewusstsein seiner eigenen kulturellen Prägung und Identität. Nennen wir diese soziologischen und psychologischen Faktoren hier Software. Sind diese beiden Komponenten erst einmal bewusst erkannt und definiert und besitzt man die Bereitschaft, beide zusammenzuführen, stehen die Türen offen für ein neues, persönliches transkulturelles Kulturkonstrukt. Die Software benötigt ein Computer um gut und richtig funktionieren zu können und vice versa. Ähnlich verhält es sich bei einem Auslandaufenthalt. Um erfolgreich im Ausland arbeiten zu können, genügt es nicht, die Kulturstandards eines Landes zu kennen oder eben die Hardware zu besitzen. Ohne passende Software ist der Computer nutzlos.

Die ersten drei Kapitel dieser Projektarbeit beziehen sich auf den CAS Transkulturelle Kommunikation. Die Kapitel vier, fünf und sechs konzentrieren sich auf den CAS Transkulturelle Kommunikation und Handlungskompetenzen. Dabei habe ich ausgesuchte Ereignisse und meine Erfahrungen mit den in den Kursen erlernten Werkzeugen analysiert, um im Anschluss daraus ein persönliches Resümee zu ziehen. Mit der Arbeit verfolge ich zwei Ziele: Erstens meine eigenen, ganz persönlichen Lehren aus transkultureller Sicht nach 4 Jahren in Indonesien zu ziehen und zweitens anderen Indonesienentsandten eine Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen oder Erlebnisse aus der Metaebene betrachten zu können.

Berufliches Kurzportrait

Das folgende berufliche Kurzportrait mit Fokus auf die Tätigkeiten im Ausland soll dem Leser als Hintergrundinformation dienen, damit einige der in dieser Arbeit geschilderten Fallbeispiele besser verständlich sind. Das Kurzportrait beinhaltet nur die berufliche Zeit im Ausland, nicht aber in der Schweiz.

Die Firma GoVacation Indonesia gehört zu den grössten Agenturen Indonesiens. Zum Zeitpunkt meines Arbeitsverhältnisses verfügte GoVacation über ca. 150 Mitarbeiter, davon sieben Europäer. Ihr Kerngeschäft beinhaltet den Hotelzimmereinkauf, die Organisation und Durchführung von Tagesausflügen oder mehrtägigen Rundreisen in ganz Indonesien (Sumatra, Borneo, Java, Komodo, Sulawesi usw.) per Bus, Schiff oder Flugzeug. GoVacation arbeitet entweder mit eigenen Niederlassungen (in Java und Lombok) oder auf anderen Inseln mit diversen Partneragenturen zusammen.

Seit Beginn der Zusammenarbeit des russischen Reiseveranstalters Pegas Touristik und GoVacation im Juli 2010 kümmert sich die Firma bis heute zusätzlich um Charterflüge. Aufgrund meiner mehrjährigen Erfahrung in der Abwicklung von Charterflügen fiel zusätzlich zum wie oben erwähnten Kerngeschäft eines Agenten auch diese Aufgabe in meinen Verantwortungsbereich.

GOVACATION INDONESIA, Bali (Member of REWE)

Service Director

Juli 2010 – Juni 2012

Gesamtverantwortung Aufbau, Organisation, Ressourcenplanung und Marketing für die ersten Charterflugketten von Russland nach Bali und Lombok, Einkauf von Service-Leistungen in Indonesien, Mitarbeiter-Rekrutierung, Führung von Mitarbeitern, Besuch von Messen (Moskau, Leisure Messe), Ansprechperson für den russischen Reiseveranstalter Pegas Touristik.

GOVACATION INDONESIA, Bali (Member of REWE)

Assistant Resident Manager

Februar 2009 – Juli 2010

Qualitätskontrolle der eigenen Dienstleistungsangebote (Rundreisen, Hotels, Tagesausflüge, Leistungen von Vertragspartner, Verfassen von Produkt und-/oder Destinationsinformationen für diverse Reiseveranstalter (Meier’s Weltreisen, Dertour, ITS Coop, Schauinslandreisen etc.), Mitarbeiterführung, Reklamationsbearbeitung im Zusammenhang mit Rundreisen.

HOTELPLAN, Schweiz

Stationäre Reiseleiterin

Juli 2004 – Februar 2009

Führen von Tagestouren, administrative Tätigkeiten mit und / oder für die Agentur vor Ort, Charterflugabwicklung, allgemeine Gästebetreuung im Ausland, Hilfeleistungen in Notfällen (z.B. Unfall, Todesfall etc.), Qualitätskontrolle der Service und Hotelleistungen von Vertragspartnern.

12 Monate Griechenland (Zakynthos)

12 Monate Spanien (Ibiza)

12 Monate Indien (Goa)

6 Monate Indonesien (Bali)

4 Monate Malediven (diverse Inseln)

HOTELPLAN, Schweiz

Stationäre Reiseleiterin

April 2000 – Oktober 2000

6 Monate Griechenland (Kos)

1 Kultur

1.1 Einführung

Der Begriff Kultur ist aus unserem Wortschatz nicht mehr wegzudenken. Bei genauerem Nachfragen, was jemand denn unter dem Wort Kultur versteht, fallen die Definitionen unterschiedlich aus: Musik, Literatur und Kunst, Theater, andere Länder, Essen, Traditionen und Rituale usw. Da stellt sich die Frage: Wie kann Kultur definiert werden?

Schon in der Vergangenheit befasste sich die Wissenschaft mit der Begriffserklärung. Beispielsweise vergleicht das Modell von Herder, welches den deutschen Sprachraum geprägt hat, Kultur mit einer Kugel: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit wie jede Kugel ihren Schwerpunkt“ (Herder 1780, in Treichel 2012a). Später kamen weitere Erklärungen dazu wie dass sich „Kultur in Codes und Symbolen manifestiert, welche für eine Gruppe ein typisches Bedeutungs- und Orientierungssystem darstellen“ (Thomas 1996, in Treichel 2012b). Eine der neueren Erklärungen besagt, dass „Kultur ein offener und instabiler Prozess des Aushandelns von Bedeutungen ist, der im Falle einer Kompromissbildung zur Abschliessung sozialer Gruppen führt“ (Wimmer 2005, in Treichel 2012b). Eine klare, eindeutige, von allen gleich aufgefasste Definition von Kultur scheint es nicht zu geben. Im Folgenden soll eine mögliche, für diese Arbeit als Grundlage dienende Definition des Kulturbegriffs vorgestellt werden.

1.2 Eine mögliche Definition von Kultur

Alexander Thomas beschreibt die Entwicklung von Kultur und ihre Weiterentwicklung wie folgt:

Wenn man davon spricht, dass Menschen Kultur entwickelt haben und ihre Kultur weiter entwickeln, dann ist damit gemeint, dass sie ein gemeinsames, für alle verbindliches System von bedeutungshaltigen Zeichen entwickelt, das es ihnen erlaubt, die Welt und sich selbst in einer bestimmten Art und Weise wahrzunehmen, zu interpretieren und zu handeln, und zwar in einer Art, wie es die eigene soziale Gemeinschaft akzeptiert und versteht. Sozialisation und Enkulturation als ein lebenslanger Prozess beinhaltet das Bemühen, die sozial (kulturell) relevanten Normen, Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen zu erkennen, die ein Leben in derjenigen spezifischen Gemeinschaft ermöglichen, in die man hineingeboren worden ist (Thomas 2005, S. 22-23).

Oder zusammengefasst: Der Mensch lernt sich bereits als Kind in einem interaktiven System zurecht zu finden. Symbole, Werte, Normen (im Gegensatz zu Regeln meist nicht schriftlich festgehalten sondern implizit danach gelebt) werden gleichsam automatisch ausgeführt, ohne dass dabei ein besonderer psychischer Aufwand erforderlich wäre. „Bereits in früher Kindheit werden die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungs-Prozesse eingeübt, dann weiter ausdifferenziert und perfektioniert, bis sie automatisch stattfinden“ (Thomas 2005, S. 25).

Die Abbildung 1 basiert auf einer Definition des Kulturbegriffs von Prof. Dr. Dietmar Treichel. Um Stück für Stück an die Komplexität des Kulturbegriffs heranzuführen und der Leserin / dem Leser zu ermöglichen, bei einzelnen Teilen zu verweilen und darüber nachzudenken, wird diese Definition im Folgenden in einem Phasenmodell dargestellt.

Kultur ist…

Abbildung 1: Kulturdefinition in Schritten (adaptiert an Treichel 2012c)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kultur ist nach dieser Definition eine Sache der individuellen Wahrnehmung eines Menschen in einer Gemeinschaft. Menschliche Wahrnehmung ist kein Abbild der Welt - der Realität - sondern besteht aus einer individuellen Selektion, Interpretation und Konstruktion. Folglich kreiert jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit.

Welche Erlebnisse / Erfahrungen zur Bildung der individuellen Wirklichkeit herangezogen werden, hängt von der Art des Erwerbs dieser Informationen ab, also vom Verstehen. Durch diesen Prozess wird den Informationen so viel Bedeutung wie möglich zugemessen. Dabei spielen vergangene Erfahrungen und Erinnerungen eine wichtige Rolle, da sich das menschliche Hirn auf bereits existierende kognitive Strukturen verlässt, welche Informationen mit bereits bestehenden Schemata (Strukturen des Denken und Wissens, die Vorannahmen über beispielsweise Menschen, Situationen und die Art der Beziehung untereinander enthalten) vergleicht. Oder anders ausgedrückt: Die im Volksmund bekannte Schubladisierung beginnt bereits ohne unser zutun im Kopf.

Das Resultat der eigenen Wirklichkeit und der eigenen Interpretation ist entsprechend anders als die Realität. Beim Wahrnehmen wählen wir Signale und Reize, die für uns etwas bedeuten und Sinn machen.

1.3 Der eigene kulturelle Rahmen

Unsere Wahrnehmung und Interpretation hängen mit unserem eigenen kulturellen Rahmen zusammen, in dem wir herangewachsen sind. Wir lernen als Kind im Rahmen unserer Sozialisation erste Regeln, erhalten durch unsere Eltern Werte vermittelt und erlernen allgemein gültige Umgangsformen: Beispielsweise was Anstand, Höflichkeit und Respekt bedeutet, lernen das Interpretieren von Zeichen, die Sprache usw. Oder anders gesagt: wir lernen, wie wir uns in einem System und in der Gesellschaft bewegen und interagieren können. Wir lernen im Laufe unserer Sozialisation auch die auf unsere Aktion folgenden Reaktionen zu verstehen, zu bewerten und damit umzugehen.

Obschon wir uns wahrscheinlich nicht mehr in allen Einzelheiten an unsere Pubertät erinnern können, kann man sich vielleicht an das Gefühl des „Nicht-verstanden-werdens“ oder des „Alles-besser-zu-wissens“ erinnern.

Dass Pubertät (der physiologisch ausgelöste Beginn der Adoleszenz) und Adoleszenz gleichbedeutsam für die Aneignung von Kultur sind, waren den traditionellen Kulturen selbstverständlich […]. Die Gesellschaft macht sich diese Verunsicherung zunutze, um das Individuum ihren Normen und Institutionen besser anzupassen. Die sexuellen ebenso wie die aggressiven Triebimpulse werden in erlaubte und verbotene geordnet und damit erhält die kulturelle Identität ihre spezifische Prägung: Das Verhältnis zwischen Phantasie und Realität wird neu bestimmt (Erdheim 2011, S. 123).

Berücksichtigt man nun die Tatsache, wie viele Jahre uns für die Enkulturation zur Verfügung stehen, ist es kaum verwunderlich, dass unser gesamtes Fühlen, Denken, Handeln sowie Interpretieren so stark durch unser Umfeld geprägt wird.

1.4 Übung zur Selbstreflexion

Die Betrachtung einer Zeichnung (Abbildung 2 und 3) kann in unterschiedlichen Interpretationen resultieren; abhängig von der persönlichen, kulturellen Prägung.

Zur Veranschaulichung dient nachfolgend eine Übung von den Wissenschaftlern Gert J. Hofstede, Paul B. Pedersen und Geert Hofstede (2002), welche dazu Menschen im Alter zwischen 14 und 50 Jahren aus unterschiedlichen Kulturen (Bolivien, China, Äthiopien, Frankreich, Indonesien, Italien, Holland, Peru, Tunesien und Uganda) befragten. Die Liste mit den von den Teilnehmern genannten Interpretationen findet sich im Anschluss an die Abbildungen 2 und 3.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Selbstreflexion Bild 1 (Hofstede, Pederson, Hofstede 2002, S.9)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Selbstreflexion Bild 2 (ebd., S. 10)

Die Zusammenfassung der genannten Interpretationen pro Bild (ebd., S. 9-10):

Interpretationen zum Bild 1

Ein Mann unterrichtet andere Männer.

Ein Chef, der seinen Arbeitnehmern Instruktionen gibt.

Ein Regierungsbeamter, der bei einer Zusammenkunft von unterschiedlichen Religionen Warnungen ausspricht.

Das Ritual des Segnens

Ein Pfarrer in der Kirche

Ein Regisseur, der einer Crew Instruktionen gibt, wo sie für die nächste Szenenaufnahme stehen sollten.

Ein Verkäufer, der versucht seine Ware an den Mann zu bringen.

Ein Lehrer, der einen Studenten tadelt.

Interpretationen zum Bild 2

Das Sprechen eines Gebets vor dem Essen, zwei Leute wollen kein Gebet sprechen.

Menschen, die nachdenken, um ein Problem zu lösen.

Eine heikle Diskussion.

Ein Meeting, das gerade beginnt.

Einen Familie, welche soeben einen traurigen Brief erhalten hat.

Ein Meeting, zwei Frauen auf der linken Seite unterhalten sich über ein Handy.

Die Person auf der linken Seite brachte Brot mit und offeriert gerade jedem ein Stück.

Leute, die nach der Lösung eines Problems suchen. Der Mann auf der linken Seite versteckt einen wichtigen Beweis, zeigt hingegen jedem etwas Unwichtiges.

Der Mann in der Mitte führt die Debatte. Ein Mann ist nicht involviert.

Ein religiöses Ritual.

1.5 Zusammenfassung und Fazit

Zusammenfassend liefert uns Kultur also eine Orientierungshilfe, die es uns ermöglicht miteinander zu interagieren und zu kommunizieren. Dies kann anhand von bekannten Sprachen, Symbolen, Regeln und Kriterien oder aber auch anhand von unsichtbaren Bestandteilen wie Werten, Erwartungen, Normen, Prinzipien oder Grundeinstellungen ablaufen. Kultur ist nicht statisch, sondern entwickelt sich stetig durch den ständigen Austausch der Akteure weiter.

2 Kulturschock

Im vorhergehenden Kapitel wurde erläutert, was Kultur ist und wie sie unser Handeln, Fühlen und Denken, Reflektieren oder Interpretieren beeinflusst. Durch eine berufliche Tätigkeit im Ausland bewegt man sich plötzlich in einem anderen Spielfeld mit teilweise oder gänzlich unbekannten Regeln. Eigene kulturelle Standards und Werte werden das erste Mal wirklich in Frage gestellt, da bis anhin die eigenen Spielregeln für selbstverständlich und allgemein gültig befunden wurden.

Auch wenn man sich dem Unbekannten vielleicht bereits bewusst ist und sich als kulturoffene Persönlichkeit sieht wird es schwierig, sobald Gefühle ins Spiel kommen. Gefühle können nicht einfach erlernt und / oder nachempfunden werden. Im Kulturschock spielen Emotionen / Gefühle eine zentrale Rolle. Dies steht im Zentrum dieses Kapitels.

Deshalb ist das grundlegende Wissen um einen Kulturschock sowie um seine möglichen Auswirkungen und Facetten zentral bei der Planung eines Aufenthalts in einer fremden Kultur. Ebenfalls können bereits im Vorfeld Hilfsmittel oder Strategien zur Vermeidung herbeigezogen werden. Im Folgenden soll deshalb zuerst darauf eingegangen werden, was jemanden überhaupt dazu bewegt fortzugehen.

2.1 Was bewegt uns dazu fortzugehen?

So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind die Gründe, die sie dazu bewegen, ihr Heimatland zu verlassen. Man unterscheidet in diesem Fall zwischen Pushfaktoren (die jemanden von der eigenen Kultur abstossen) und den sogenannten Pullfaktoren (die jemanden zur Fremdkultur hinziehen).

Die zahlreichen Pushfaktoren variieren je nach Herkunftsland. Physische Gefahren wie Kriege, Kriminalität, Blutrache, Hungersnöte, Erdbeben oder Epidemien können mögliche Gründe sein. Auch ökonomische Aspekte wie schwierige wirtschaftliche Bedingungen oder schlechte Ernten, keine Aufstiegsmöglichkeiten können eine Rolle spielen. Ebenso sind politische und ethnische Aspekte wie Verfolgung, politische Unterdrückung, kein Zugang zu Bildungseinrichtungen oder soziale und psychologische Konflikte innerhalb der eigenen Familie oder mit dem Umfeld, bei der Arbeit oder mit sich selbst sind zu nennen.

Viele Pushfaktoren entstehen aus der Motivation des reinen Überlebens. Pullfaktoren hingegen sind eher egoistischer und freiwilliger Natur wie der Wunsch nach Selbsterfahrung und Selbstentfaltung, beruflicher Selbständigkeit, einer Auszeit, humanitäre Hilfe zu leisten oder die Suche nach mehr Spannung und Abenteuer im eigenen Leben. Ebenfalls können emotionale Gründe vorliegen; wie mit der Familie oder einem ausländischen Partner zusammenleben zu wollen (vgl. Endres 2012a).

2.2 Was ist ein Kulturschock?

Geht man von der Grundannahme aus, dass ein Schock dann eintritt, wenn man auf etwas Unbekanntes oder Schlimmes trifft und er weit grösser ist, wenn er jemanden unvorbereitet trifft, könnte er folglich mit einer guten und gründlichen Vorbereitung auf eine Situation minimiert oder sogar vermieden werden.

Heute bietet das Internet, Webseiten von Auswandern, Blogs, Reiseführer oder Bücher mit dem Titel Kulturschock eine Fülle von Tipps und Hinweise für Auswanderer, Expatriats oder Firmenentsandte. Sie beschreiben die vorhandenen Regeln, Rituale, Do’s & Dont’s, mögliche Probleme und Herausforderungen.

Diese Vorbereitung alleine sollte nicht der einzige Ansatz zur Vorbereitung sein, zu viele Faktoren spielen im Leben in einer anderen Kultur mit. Sie birgt die Gefahr, bereits vor der Ankunft zu Vorurteilen und Vorstellungen zu tendieren, die gegebenenfalls hinderlich sind und eine unvoreingenommene Haltung erschweren oder ausschliessen.

Massgebend ist das Erkennen eines sich manifestierenden Kulturschocks um mögliche Strategien und Hilfsmittel anzuwenden.

Grundsätzlich besteht der Kulturschock aus fünf Phasen, welche nicht unbedingt in der nachfolgend dargestellten Reihenfolge (Abbildung 4) stattfinden müssen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Kulturschock Phasenmodell (Wagner 1996, in Erb 2011, S. 286)

Euphorie: Die Anfangsphase dauert ca. 6 Monate, die Umwelt wird durchwegs positiv aufgenommen, ähnlich dem Zustand des Verliebtseins.

Entfremdung: Die Andersartigkeit der Fremdkultur wird plötzlich nur all zu deutlich sichtbar, Ablehnung und Missfallen ihr gegenüber stellen sich ein.

Eskalation: Die Phase des eigentlichen Kulturschocks in der sich oftmals auch entscheidet, ob man das Gastland verlässt oder durchhält. Idealisierung des Heimatlandes, Ablehnung des Gastlandes.

Erholung: Kann die Krise überwunden werden, beginnt die Erholungsphase. Fremdartigkeiten wird wieder Positives abgewonnen etc.

Anpassung: Integration im Gastland, der Besucher fühlt sich wohl (vgl. ebd.)

Zur Illustration der Phasen und wie diese jeweils erlebt werden könnten folgt eine persönliche Erzählung zu einem erlebten Kulturschock.

2.3 Schilderung eines erlebten Kulturschocks

Meine Zusage zu einer Stelle in Indonesien erfolgte ohne langes Überlegen. Ich hatte bereits zuvor einmal sechs Monate in Bali gearbeitet und entsprechend bereits erste berufliche Erfahrungen in Indonesien gesammelt. Noch unbekannt waren mir die Firma, der Arbeitsort und die neuen Arbeitskollegen, die ich antreffen sollte.

Bereit für ein neues Abenteuer und eine neue Herausforderung packte ich meine Koffer einmal mehr und reiste voller Euphorie nach Bali.

In der Anfangsphase musste ich mich mit sehr vielen Hotels vertraut machen, die Insel erkunden und zahlreiche Vertragspartner kennen lernen. Es erbot sich die Möglichkeit, an Rundreisen quer durch Indonesien teilzunehmen. Alles war spannend, faszinierend, interessant und kein Tag glich dem anderen. Ich lernte viele neue Menschen kennen und versuchte mich mit den Bräuchen und Sitten vertraut zu machen. Abends brummte mein Kopf von den vielen neuen Eindrücken und dem Erlebten. Meine neue Umgebung und mein neuer Arbeitsplatz verlangten permanente Aufmerksamkeit von mir. Darüber hinaus wollte ich auf keinen Fall etwas verpassen. Ich beobachtete meine Arbeitskollegen und das Leben der Einheimischen, kämpfte mich buchstäblich durch den Verkehr, kostete alle einheimischen Gerichte und versuchte meine Arbeitskollegen besser kennen zu lernen. Da ich inmitten von Indonesiern lebte (die kein Englisch sprachen) gab es auch wenig Berührungspunkte mit anderen Ausländern. Wenn ich beispielsweise kein Wasser oder keinen Strom hatte, musste ich meine indonesischen Nachbarn um Hilfe bitten, dass sie mir zeigten und erklärten, was in so einem Fall zu tun war. Die Listrik (die Elektrizität) wurde in einem kleinen Büro inmitten der Stadt Denpasar bezahlt. Es erwies sich als sehr schwierig, das Büro überhaupt zu finden. Danach benötigte ich für die Bezahlung jedoch die Unterlagen meines Vormieters. Leider wussten weder meine Nachbarn noch ich, wer das war und wo diese Unterlagen zu finden wären. Dies resultierte darin, dass ich meine Rechnung nicht bezahlen konnte und zuerst einmal ohne Strom auskommen musste.

[...]

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Mein Leben und Arbeiten in Indonesien
Untertitel
Wie definiert sich Kultur, wofür Kulturdimensionen hilfreich sind, über den Umgang mit einem Kulturschock, meiner eigenen Ambiguitätstoleranz und warum nicht jedermann interkulturell kompetent ist
Hochschule
Institut für Kommunikation & Führung
Veranstaltung
CAS
Note
5.5
Autor
Jahr
2014
Seiten
65
Katalognummer
V343793
ISBN (eBook)
9783668358003
ISBN (Buch)
9783668358010
Dateigröße
1905 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturelle Sensibilität, Kulturschock, Ambiguitätstoleranz, Schulz von Thun, Kommunikationsquadrat, Rückkehrschock, Indonesien, Arbeiten in Indonesien, Leben in Indonesien, Geschäftlich im Ausland, Auswandern, Interkulturelle Kommunikation, Transkulturelle Kommunikation, fremde Kulturen, Südostasien, Bali
Arbeit zitieren
Daniela Boxler (Autor:in), 2014, Mein Leben und Arbeiten in Indonesien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/343793

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