Imitation von Gewalt durch Massenmedien - Nachahmung von Selbstmord


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Untersuchungen zur Überprüfung der Imitationshypothese bei Selbstmorddarstellungen
2.1. Die Wirkung realer Selbstmordmodelle
2.2. Die Wirkung fiktiver Selbstmordmodelle
2.3. Zusammenfassung der einzelnen Untersuchungsergebnisse

3. Überprüfung der Imitationshypothese am Beispiel der Fernsehserie „Tod eines Schülers“ (fiktives Modell)
3.1. Inhalt der Serie
3.2. Modellernen
3.3. Untersuchung zur Überprüfung der Imitationshypothese
3.4. Methodische Voraussetzung zur Überprüfung der Imitationshypothese
3.5. Methodik
3.5.1. Design
3.5.2. Modellvariablen, Datenerhebung und Auswertung
3.6. Ergebnisse
3.7. Zusammenfassung

4. Schwierigkeiten in dem Forschungsbereich der Nachahmungswirkung

5. Diskussion

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Ansteckungs- und Nachahmungswirkung von Gewaltdarstellung in den Medien stellt ein häufiges Forschungsgebiet dar. In diesen Studien wird versucht, zu überprüfen, ob die Darstellung gewalttätiger Handlungen in den Medien die Nachahmung ähnlicher Taten begünstigt. Die zentrale Fragestellung also lautet, ob das Verhalten in den Medien ein Modell für das Verhalten der Rezipienten liefert. „Die Vorstellung, die in den Massenmedien erfolgte Darstellung krimineller und gewalttätiger Verhaltensweisen würde zu einer Welle von Nachahmungstaten führen, besitzt, (...), eine lange Tradition und wird durch eine Vielzahl mehr oder weniger überzeugender Fallbeispiele belegt.“1

In Bezug auf Selbstmord, als eine Art von Gewalt an der eigenen Person, wird davon ausgegangen, dass durch ein Modell ein Anstoß zur Suizidhandlung und die Vermittlung einer bestimmten Suizidmethode gegeben wird. Untersuchungen, die die Wirkung eines Selbstmordmodells in den Medien überprüfen, werden im folgenden den Schwerpunkt bilden.

In diesem Zusammenhang wird eine Übersicht von Untersuchungen und Studien über die Nachahmung von Selbstmord durch Medienberichterstattung vorgestellt, als auch deren Ergebnisse aufgezeigt. Ebenso soll aufgezeigt werden, mit welchen Schwierigkeiten der Nachweis der Immitationshypothese konfrontiert sind. Zu unterscheiden sind bei diesen Untersuchungen zwischen realen und fiktiven Modellen, wobei die Wirkung eines fiktiven Selbstmordmodells ganz speziell an der Fernsehserie „Tod eines Schülers“, die 1981 und 1982 vom ZDF ausgestrahlt wurde, gezeigt werden soll.

2. Untersuchungen zur Überprüfung der Imitationshypothese bei Selbstmorddarstellungen

2.1. Die Wirkung realer Selbstmordmodelle

Bei den Untersuchungen, die im folgenden kurz dargestellt werden, handelt es sich um solche, die anhand von Zeitungen und mit Daten auf wöchentlicher oder monatlicher Basis durchgeführt wurden.

Der amerikanischen Soziologe David Phillips führte 1974 die mitunter erste systematische, wissenschaftliche Untersuchung eines Nachahmungseffekts bei Selbstmorden durch.

Inhalt dieser Studie war es, Schwankungen der Selbstmordhäufigkeit vor und nach Zeitungsberichten über Suizide von prominenten Persönlichkeiten zu untersuchen. D. Phillips verfasste hierbei eine Liste von 33 prominenten Selbstmorden, über die im Zeitraum 1947 bis 1967 auf der Titelseite der New York Times berichtet wurde und die im Index der wichtigsten Weltnachrichten - Facts on File - aufgeführt wurden. Zu nennen sind hier beispielsweise die Selbstmorde von Marylin Monroe und dem Ku Klux Klan-Anführer David Butros.

Den amtlichen Statistiken entnahm er die monatliche Suizidanzahl in den USA.

Zum Nachweis des Imitationseffekts verglich er die Anzahl der Selbstmorde in dem Monat, in dem über einen prominenten Selbstmord berichtet wurde mit der Anzahl der Selbstmorde im gleichen Monat ein Jahr davor und ein Jahr danach. Betrachtet man nun zum Beispiel den Selbstmord des Ku Kux Klan-Anführers D. Butros am 1.11.1965, so lassen sich folgende Ergebnisse feststellen:

- aus der Selbstmordstatistik für den November 1964 lassen sich 1639 Suizide entnehmen
- 1665 Suizide für den November 1966.
- Für den November 1965, das Jahr seines Selbstmordes dagegen, sind 1710 Suizide zu finden

Der erwartbare Wert 1652 unterscheidet sich damit signifikant von dem beobachteten Wert 1710. Demzufolge lässt sich hier von einem überzufällig hohen Anstieg von Selbstmorden nach den Berichten über den Selbstmord von D. Butros sprechen. Der Zusammenhang zwischen Medienberichterstattung über prominente Selbstmorde und dem anschließenden Anstieg der Suizidhäufigkeit zeigt sich als hochsignifikant.

Darüber hinaus bestätigen noch zwei weitere Befunde die These des Imitationseffektes. Eine Analyse der Zeitung „New York Daily News“ ergab, dass die Selbstmorde, über die die Medien am intensivsten berichteten, den höchsten Anstieg zu Folge hatten.

- Wurde an einem Tag berichtet, betrug der durchschnittliche Anstieg 29 Selbstmorde
- Wurde an zwei Tagen berichtet, betrug der durchschnittliche Anstieg 35 Selbstmorde
- Wurde an drei Tagen berichtet, betrug der durchschnittliche Anstieg 82 Selbstmorde
- Wurde an vier Tag berichtet, wie bei dem Selbstmord von Marilyn Monroe, betrug der durchschnittliche Anstieg 198 Selbstmorde

Als weiteres Ergebnis ließ sich bei dieser Studie feststellen, dass der Anstieg der Selbstmorde am stärksten im geographischen Verbreitungsgebiet des untersuchten Mediums war. Der Anstieg blieb auch erhalten, wenn man jahreszeitliche Schwankungen und jährliche Trends berücksichtigt.

Eine weitere Frage, mit der sich D. Phillips in diesem Zusammenhang beschäftigte, war, ob handlungsbereite Personen ihre bereits getroffene Suizidentscheidung durch Zeitungsberichte vorziehen, oder ob durch Medienberichte auch solche zum Suizid motiviert werden, die sich normalerweise nicht umgebracht hätten. Da D. Phillips in den Folgemonaten nach dem Anstieg der Selbstmordrate kein deutlichen Rückgang der Selbstmordhäufigkeit feststellen konnte, ist nach ihm auszuschließen, dass die Suizidhandlung nur vorgezogen wurde. Demnach hätten sich auch Personen das Leben genommen, die es normalerweise nicht getan hätten. Das heißt, sie wurden durch die Berichte über Suizide motiviert. Zu bemerken ist hier allerdings, dass sich diese Schlussfolgerung D. Phillips nicht statistisch belegen lässt. „Hierzu wären Annahmen darüber nötig, über welchen Zeitraum ein Selbstmord aufgrund der Berichterstattung noch vorgezogen wird.“2

Weitere Untersuchungen die sich mit dem Nachahmungseffekt beschäftigten, analysierten den Einfluss von Fernsehberichten über Selbstmorde auf Tagesbasis. Eine dieser Studien, die D. Phillips und Carstensen durchführten, kam zu dem Ergebnis, dass Nachrichten über Selbstmorde, die auf mehreren Fernsehkanälen gezeigt wurden, im Verlauf der folgenden sieben Tage einen Anstieg von durchschnittlich 5,3 Suiziden unter amerikanischen Jugendliche zur Folge hatten.

Dieselben Autoren führten eine Wiederholungsstudie durch, der ein Untersuchungszeitraum von achtzehn Jahren (1968-1985) zugrunde lag. Diese Untersuchung wiederum führte zu dem Ergebnis, dass ein Selbstmordanstieg bei allen demographischen Bevölkerungsgruppen nach Medienberichterstattung zu verzeichnen ist - also nicht nur bei Jugendlichen. Am stärksten jedoch bei weißen, unverheirateten Männern und Jugendlichen unter 20 Jahren.

2.2. Die Wirkung fiktiver Selbstmordmodelle

Das Wissenschaftlerteam Gould und Shaffer konnten 1986 nach der Ausstrahlung von drei Selbstmordfilmen einen Ansteckungseffekt bei amerikanischen Jugendlichen feststellen.

In einem kontrollierten Experiment 1989 von Steede und Range aber, konnte keine erhöhte Selbstmordbereitschaft unter Schülern nachgewiesen werden. In ihrer Untersuchung sahen sich Jugendliche einen Videofilm über eine verzweifelte Schülerin an. Nach dem Videofilm sollten sich die Jugendlichen dann in die Lage des Modells - der verzweifelten Schülerin also - versetzen und aus vorgegebenen Handlungsalternativen, wie zum Beispiel Selbstmord, weglaufen, Alkoholmissbrauch, psychische Beratung aufsuchen, wählen, um ihre mögliche Reaktion auf eine ähnliche Lebenssituation zu beschreiben.

Ähnliche widersprüchliche Ergebnisse zeigten sich auch bei der Wirkung von Selbstmorddarstellungen in Unterhaltungsserien, den sogenannten Seifenopern.

D. Phillips stellte bei einer Untersuchung 1982 eine signifikanten Anstieg von Selbstmorden nach der Thematisierung von Suiziden in Seifenopern fest - vor allem unter Frauen -, sowie von schweren und tödlichen Einpersonen-Autounfällen, die nach ihm als „versteckte Selbstmorde“ gelten.

In einer methodisch verfeinerten Wiederholungsstudie wiederum, konnte kein signifikanter Nachahmungseffekt festgestellt werden.

Die Autoren dieser Wiederholungsstudie konnten nachweisen, dass D. Phillips einige Selbstmorde in den Serien fehlerhaft datierte. Demzufolge beruhte der Vergleich zwischen dargestellten und tatsächlichen Selbstmorden zum Teil auf falschen Daten.

2.3. Zusammenfassung der einzelnen Untersuchungsergebnisse

An den vorangehend erläuterten Widersprüchlichkeiten in den Untersuchungsergebnissen zeigt sich, dass es in diesem Gebiet der Forschung nur sehr schwer ist, eindeutige und klare Ergebnisse zu finden. Aber trotz der im Detail widersprüchliche Ergebnisse zeigen die Studien ein relativ klares Bild:

- Die Berichterstattung über prominente Selbstmorde geht einher mit einem Anstieg der Selbstmordanzahl in der Bevölkerung
- Zwar lässt sich kein direkter kausaler Zusammenhang ableiten, aber die Differenzierungen der Ergebnisse deuten im Sinne der Sozialen Lerntheorie auf solche kausalen Beziehungen hin
- Am deutlichsten ausgeprägt ist die Steigerung der Selbstmordrate bei der Bevölkerungsgruppe, die dem jeweiligen Modell in den Medien am ähnlichsten war
- Die Prominenz der Selbstmordopfer hat im Sinne der Auffälligkeit einen positiven Effekt auf die Suizidhäufigkeit
- Je intensiver die Medienberichterstattung, desto intensiver der Selbstmordanstieg

3. Überprüfung der Imitationshypothese am Beispiel der Fernsehserie „Tod eines Schülers“ (fiktives Modell)

Im folgenden soll eine weitere Studie über die Vermittlung von Selbstmordmotivation und Selbstmordhandlung durch fiktive Modelle vorgestellt werden. Diese Studie wurde im Rahmen eines Projekts der Weltgesundheitsorganisation von A. Schmidtke (Abteilung für Klinische Psychologie) und H. Häfner (Psychiatrische Klinik des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Mannheim) durchgeführt.

3.1. Inhalt der Serie

Gegenstand dieser Studie ist die Wirkung eines fiktiven Selbstmordmodells. Zugrunde liegt dieser Untersuchung die sechsteilige Fernsehserie „Tod eines Schülers“, die 1981 und eineinhalb Jahre später, 1982, vom ZDF ausgestrahlt wurde. Diese Serie behandelt die Geschichte des neunzehnjährigen Schülers Claus Wagner, der sich vor einen Eisenbahnzug warf und sich so das Leben nahm. In diesen sechs Folgen wurde die Entwicklung bis hin zum Selbstmord aus verschiedenen Aspekten behandelt: „Das fehlende Motiv“, „Die Eltern“, „Die Lehrer“, „Die Mitschüler“, „Die Freundin“ und „Claus Wagner“.

Zu Beginn der Folgen zwei bis sechs wurde der Schüler, unmittelbar bevor er sich vor den fahrenden Zug warf, gezeigt. Dies bedeutet, nicht nur der Selbstmord an sich wurde als Gegenstand in dieser Serie behandelt, sondern dem Rezipienten wurde zu Beginn der Serie immer wieder die Tat und die Methode selbst zu einem gewissen Teil vor Augen gehalten.

Für A. Schmitdke und H. Häfner ergab sich durch die Fernsehserie die Möglichkeit, „... mittels eines ‚natürlichen Experiments’ erstmals die Hypothese des Anstoßes einer Suizidhandlung und der Vermittlung einer bestimmten Suizidmethode durch ein fiktives Modell insgesamt und darüber hinaus differentielle Imitationseffekte zu prüfen.“3

3.2. Modellernen

Bei der Überprüfung der Wirkung eines Modells, spielt die Vermittlung von Handlungsmustern durch Modellernen eine zentrale Rolle.

„Unter Modellernen versteht man den Erwerb neuer Verhaltensweisen durch Beobachtung, ohne dass der Nachvollzug der am Modell erlernten Verhaltensweisen einer Verstärkung bedürfte.“4

Der Lernerfolg kann von einigen Faktoren abhängen: zum einen von der Anzahl und Eigenschaften der Modelle und zum zweiten von Beobachtungsmerkmalen und Ähnlichkeiten mit den Eigenschaften des Modells - wie etwa Alter, Geschlecht oder Sozialstatus.

Die Imitation ist nicht ausschließlich auf die Nachahmung realer Modelle beschränkt, sondern kann auch in der Nachahmung fiktiver, durch Erzählung, literatur- oder medienvermittelter Modelle, wie es bei dieser Studie der Fall ist, bestehen.

3.3. Untersuchungstypen zur Überprüfung der Imitationshypothese

Bei neueren Untersuchungen zur Überprüfung der Imitationshypothese lassen sich zwei Typen unterscheiden:

[...]


1 Kunczik: Brutalität aus zweiter Hand...1978; S. 60 1

2 Brosius; Esser: Eskalation durch Berichterstattung?... 1995, S. 58

3 Schmidtke; Häfner: Die Vermittlung von Selbstmordmotivation und Selbstmordhandlung durch fiktive Modelle... 1986; S. 504

4 vgl. ebd., S.502

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Imitation von Gewalt durch Massenmedien - Nachahmung von Selbstmord
Hochschule
Universität Trier
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V34387
ISBN (eBook)
9783638346160
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Hausarbeit als Teil der Vordiplomsprüfung, Bereich Soziologie im Fach Pädagogik
Schlagworte
Imitation, Gewalt, Massenmedien, Nachahmung, Selbstmord
Arbeit zitieren
Andrea Adam (Autor:in), 2001, Imitation von Gewalt durch Massenmedien - Nachahmung von Selbstmord, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34387

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