Rezeption des Thomas Hobbes


Rezension / Literaturbericht, 2008

4 Seiten, Note: 1,0

Selina Thal (Autor:in)


Leseprobe

Seminarvorbereitung: Rezeption des Thomas Hobbes

Thomas Hobbes konstruierte seinen absolutistischen Staat im Leviathan unter Verwendung eines zutiefst liberalen Hilfsmittels: der Vertragstheorie. Dieser dem Werk immanente Gegensatz ist auch der Grund für die ambivalente Rezeptionsgeschichte. Wolfgang Kersting unterscheidet in diesem Kontext zwischen der „weißen“ und „schwarzen“ Hobbes-Rezeption (Kersting 2005: 204). Die „weiße“ Hobbes-Rezeption verkörpert dabei das kontraktualistische Argument, die „schwarze“ Rezeption hingegen, das Souveränitäts- bzw. Letztinstanzlichkeitsargument (Kersting 2005: 204).

Zunächst soll auf die „weiße“ Hobbes-Rezeption eingegangen werden. Das kontraktualistische Argument ist hierbei mit dem philosophischen Liberalismus gleichzusetzen, dessen frühe Vertreter Locke und Kant darstellen (Kersting 2005: 205). Später können sich dann noch John Rawls, Nozick, Buchanan, Gauthier und andere in jene Kategorie einordnen lassen (Kersting 2005: 205). Warum gelang es dem Hobbesschen Ansatz jedoch sogar bis in die zeitgenössische politische Philosophie des Liberalismus vorzudringen?

Ideenhistorisch und politiktheoretisch ging es vor Hobbes nie um die Herrschaftslegitimation an sich. Vielmehr begriff die klassische politische Theorie den Menschen als ein genuin politisches Wesen. Es bedurfte daher nie einer Rechtfertigung von Macht und Herrschaft. Mit Hobbes’ Konstruktion des vorpolitischen Individuums wird der Mensch erstmals als ein Wesen begriffen, welches autonom und deshalb absolut souverän ist. Die Gesellschaftsordnung musste fortan – da sie sich nicht mehr vom göttlichen Willen ableiten ließ – durch den individualisierten homo oeconomicus gerechtfertigt werden. Dieser Hobbessche Ansatz bricht mit Aristoteles und dem gesamten antiken politischen Denken. Die Vertragstheorie stellt in diesem Zusammenhang eine Art Gedankenexperiment dar, welches die gesellschaftlichen und politischen Institutionen als die freiwillige und rationale Übereinkunft der in einem definierten Ausgangszustand lebenden Individuen durch einen von ihnen beschlossenen Vertrag begreift. Das von Hobbes entworfene kontraktualistische Argument muss sich dabei keineswegs ausschließlich mit der Herrschaftslegitimierung auseinandersetzen, sondern kann, wie zum Beispiel bei John Rawls, auch den Sozialstaat mit seinen Verteilungsprinzipien untersuchen. Rawls greift etwas mehr als 300 Jahre später auf die Vertragstheorie zurück, um eine Antwort auf die Frage, ob Gerechtigkeit als Teil des vorherrschenden Gesellschaftsideals sowie als universeller moralischer Grundsatz einer rationalen Entscheidung des autonomen Individuums unterläge, zu finden. Die von Rawls entwickelte Gerechtigkeitstheorie ist eine an die Gegenwart angepasste Neufassung des vertragstheoretischen Arguments. Er orientierte sich an den traditionellen Vertragstheoretikern Locke, Rousseau und Kant (Rieger/ Renker 2007: 441). Bis heute bedarf es einer Rechtfertigung für die Existenz des Sozialstaats, da immer noch keine einstimmige Meinung darüber herrscht, was als gerechte Verteilung der gesellschaftlichen oder ökonomischen Grundgüter gelten soll. Da der sozialstaatliche Umverteilungsprozess auch Einschränkungen der Rechte und Freiheiten von den an einer Gesellschaft beteiligten Mitgliedern bedeutet, drängte sich zwangsläufig die Frage nach einer adäquaten Legitimation auf (Kersting 2000: 7).

Der zuvor beschriebene rechtfertigungstheoretische Prozeduralismus, der jedem Individuum eine Stimme im Legitimationsdiskurs zuweist, ist auch der Grund – so Kersting – für die nicht nachlassende Attraktivität des Kontraktualismus in der politischen Philosophie (Kersting 2000: 34).

Die „schwarze“ Hobbes-Rezeption ist hingegen antiliberal und kritisch gegen die Herrschaftslegitimierungsbemühungen der Kontraktualisten gerichtet. „Die herausragende Gestalt der «schwarzen» Hobbes-Rezeption ist Carl Schmitt“ (Kersting 2005: 206). Als Hobbes-Interpret bezog Schmitt unmittelbar Stellung zu den staatstheoretischen Vorstellungen des Leviathan. So wurde 1938 das Buch „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“ veröffentlicht, welches die vermeintlichen Konstruktionsfehler des Hobbesschen Staates zum Thema hat. Carl Schmitt meint, die Achillesferse der Hobbesschen Staatskonstruktion in dem Umgang mit Glaube und Wunder gefunden zu haben (Schmitt 1938/2003: 79). Durch die Unterscheidung von fides und confessio – innerem Glauben und äußerer Bekenntnis – entwickelte sich der liberale Rechts- und Verfassungsstaat und somit die moderne individualistische Gedanken- und Gewissensfreiheit. In diesem Zusammenhang macht Baruch de Spinoza die Gedankenfreiheit zur notwendigen Bedingung des öffentlichen Friedens (Schmitt 1938/2003: 86ff.). Der Glaubensvorbehalt des Einzelnen ist letztlich Teil genau jener individualistischen Freiheitsrechte, durch welche der eigentlich absolutistische Leviathan am Ende dem Liberalismus zufällt. Durch die Unterscheidung von Innen und Außen gewinnt das Innerliche die Oberhand und der Leviathan wird von „innen her zerstört“ (Schmitt 1938/2003: 86). An dieser Stelle wird auch deutlich, dass bei Schmitt – genauso wie bei Hobbes – der Ausnahmezustand als Ausgangspunkt seines Denkens fungiert. Carl Schmitt übersieht bei seiner Kritik jedoch, dass die Trennung zwischen innerem Glauben und öffentlicher Bekenntnis einerseits eine logische Schlussfolgerung des Vertragsschlusses ist. Andererseits dient sie der Legitimation des Souveräns und ist daher eher konflikthemmend als konfliktträchtig. Religiosität, die ja auf Glauben beruht, ist im Menschen genuin angelegt und kann ihm als Keim auch nie wirklich ausgetrieben werden (Hobbes 1651/1966: 90). Das Recht auf Glauben kann folglich nicht durch einen Vertrag an den Souverän abgegeben werden. Dennoch besitzt der Souverän die Legitimation, alle erdenklichen Mittel für die Friedenssicherung anzuwenden. Dies bedeutet, dass er im öffentlichen Bereich sehr wohl den Glauben vorgeben darf. Die anzuwendenden Mittel können dabei soweit gehen, dass der Souverän den Untertanen ein Lippenbekenntnis abverlangen kann, welches nicht dem inneren Glauben entsprechen muss (Hobbes 1651/1966: 381). Um religiöse Spaltungen, Märtyrertode und damit Unruhe zu verhindern, reduziert Hobbes das öffentliche Bekenntnis auf die Formel „Jesus ist der Christus“ (Hobbes 1651/1966: 383). Des Weiteren intendiert Hobbes durch eine Trennung zwischen innerem Glauben und äußerer Bekenntnis dem Atheismus seine politische Brisanz zu nehmen. Auf der anderen Seite beabsichtigt er dadurch ebenfalls, die politische Sprengkraft des Glaubens in einer nicht-religiösen Umgebung zu entschärfen. So dient der innere Glaubensvorbehalt als Garant für den Gehorsam gegenüber einem etwaigen nicht-christlichen Herrscher.

Schmitt leitet von der angeblichen Schwachstelle der Hobbesschen Staatskonstruktion die Entstehung des modernen Rechtsstaates ab. In einem weiteren Schritt untersucht der die Ursachen für dessen Untergang. Parteien und Verbände, die in einem vom Verfassungsstaat erschaffenen rechtsfreien Raum miteinander konkurrieren können, zerbrechen – so Schmitt - als indirekte Gewalten den Staat und damit die gesetzesstaatliche Legalität selbst (Schmitt 1938/2003: 118).

Carl Schmitt und John Rawls sind Ausdruck für die ambivalente Rezeption des Hobbesschen Werkes. Abschließend lässt sich somit sagen, dass eine einheitliche Interpretation des Werkes wohl auch nicht in Zukunft zu erwarten sein wird, da sich an dem Gegensatz zwischen der liberalen Basis seiner Theorie und den aus ihr erwachsenen antiliberalen Konsequenzen immer die Geister scheiden werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Rezeption des Thomas Hobbes
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Thomas Hobbes’ politische Theorie
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
4
Katalognummer
V343914
ISBN (eBook)
9783668341364
ISBN (Buch)
9783668341371
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Carl Schmitt, John Rawls, Thomas Hobbes, Wolfgang Kersting, Günter Rieger, Jan Renker, Prozeduralismus, Kontraktualismus, Kontraktualisten, Letztinstanzlichkeitsargument, weiße Rezeption, schwarze Rezeption, Vertragstheorie, Hobbes-Rezeption, Rezeption Hobbes, Souverän, Liberalismus, Seminarvorbereitung, Rezeptionsgeschichte, Zusammenfassung Rezeption
Arbeit zitieren
Selina Thal (Autor:in), 2008, Rezeption des Thomas Hobbes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/343914

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