Selbstgesteuertes Lernen ermöglichen durch den Personenzentrierten Ansatz


Masterarbeit, 2015

72 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung
1.1 Anlass und Problemstellung
1.2 Fokus und Eingrenzung
1.3 These und Hypothese
1.4 Fragestellung und Aufbau

2 Entwicklung und Veränderung
2.1 Gesellschaft
2.2 Der Einfluss von Sprache, Schrift und Medien
2.3 Das Individuum als Ressource der Wissensgesellschaft
2.4 Kritische Würdigung

3 Theorie des Lernens – psychologische und soziologische Aspekte
3.1 Lernhaltung
3.2 Das Selbstgesteuerte Lernen verlernen
3.3 Die Entwicklung des Selbst
3.4 Statische Sprache oder Prozess-Sprache
3.5 Kritische Würdigung

4 Von drei führenden Köpfen lernen
4.1 Rolf Arnold – Lernen ermöglichen
4.2 John Hattie – Forschung und Ergebnisse aus seiner Metastudie
4.2.1 Ein Konzept des exzellenten Lehrens
4.2.2 Lehrer-Schüler-Beziehung
4.2.3 Feedback
4.3 Carl Rogers – der Personenzentrierte Ansatz
4.3.1 Angeborene Aktualisierungstendenz
4.3.2 Der Symbolisierungsprozess
4.3.3 Emotion und Bewusstsein
4.3.4 Flexibles und rigides Selbstkonzept
4.3.5 Lernförderliche Beziehungen
4.3.6 Signifikantes Lernen
4.3.7 Ergebnisse von Rogers Forschung und Beweisführung
4.4 Kritische Würdigung

5 Schulung und Evaluation von Lehrpersonen
5.1 Schulung der Lehrpersonen anhand praktischer Beispiele
5.2 Arbeit mit Tonaufnahmen
5.3 Supervision
5.4 Transferhilfen
5.5 Checklisten und Beobachtungsschema von Rolf Dubs

6 Abschluss
6.1 Stellungnahme zu den Thesen
6.2 Beantwortung der Fragen
6.3 Fazit

7 Anhang
7.1 Bücher
7.2 Berichte und Zeitschriftenartikel
7.3 Internet
7.4 Beobachtungsschema von Rolf Dubs
7.5 Checklisten von Rolf Dubs

Abstract

In unserer modernen Gesellschaft ist die Fähigkeit zum lebenslangen, selbstgesteuerten Lernen unabdingbar. Auf der Niveaustufe der Höheren Fachschule wird deutlich, dass nicht alle Studierenden diese Fähigkeit mitbringen. Daher stellt sich die Frage, wie die Lehrperson ein Selbstgesteuertes Lernen ermöglichen kann.

Die Metastudie von Hattie zeigt, wie wichtig die „Lehrer-Schüler-Beziehung“ mit einer bestimmten Haltung und Kommunikation der Lehrperson ist, um ein Selbstgesteuertes Lernen zu ermöglichen. Rogers entwickelte bereits zu Beginn der Postindustriellen Gesellschaft den Personenzentrierten Ansatz, dessen lernfördernde Wirkung weltweit nachgewiesen wurde. Deshalb werden in dieser Arbeit dessen Elemente, ein Schulungsprogramm und einige Evaluationsinstrumente für Lehrpersonen dargelegt.

Wenn die „Lehrer-Schüler-Beziehung“, basierend auf dem Personenzentrierten Ansatz, einen so relevanten Einfluss auf das Selbstgesteuerte Lernen, die Entwicklung der Persönlichkeit und auf den Lernerfolg der Studierenden hat, dann müsste eine gezielte Schulung der Lehrpersonen auf die dargelegte Weise eine messbare Wirkung auf den Output erzielen.

1 Einleitung

Die Bedeutung von Wissen nimmt heute angesichts eines rapiden Wandels in Technik, Wirtschaft, Wissenschaft und aufgrund der globalen Vernetzung in besonderem Masse zu. Laut Frühwald befinden wir uns auf dem Weg zur „Wissensgesellschaft“. Wissen wird sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch für die einzelnen Mitglieder immer wichtiger. Wissen entscheidet auf der einen Seite über die Konkurrenzfähigkeit auf dem beruflichen und internationalen Markt, auf der anderen Seite bestimmt es den persönlichen Lebensweg des Einzelnen. Es beeinflusst seinen beruflichen Status, seine soziale Anerkennung und sein Selbstkonzept. Die Entwicklung zur „Wissensgesellschaft“ verlangt von jedem Einzelnen die Fähigkeit zum lebenslangen, selbstgesteuerten Lernen (vgl. Frühwald, 1996, S. 2ff).

Daher fordert die Wissensgesellschaft von der Bildung, dass sie die Lernenden in die Lage versetzt, mit den Anforderungen zurechtzukommen. Bildung muss den Einzelnen also dazu befähigen, sich selbst zu steuern und sich selbst „gut zu informieren“. Der Auftrag der Bildung ist daher neben der Vermittlung von Basisfähigkeiten und Fachwissen die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und einer fachübergreifenden Lernkompetenz, die lebenslanges, selbstgesteuertes Lernen ermöglicht (vgl. Mandl & Reinmann-Rothmeier, 1998, S. 193ff).

Es häuften sich die Untersuchungen, die zeigen, dass das herkömmliche instruktionszentrierte Unterrichtsgeschehen nicht zu praxiswirksamem, also transferierbarem Wissen führt, da es hauptsächlich „träges Wissen“ erzeugt. Die Forderung nach einem wirksameren schulischen Lehren und Lernen deckt sich weitgehend mit den konstruktivistischen Vorstellungen. Das Problembasierte Lernen greift genau diesen Richtungswechsel auf. Die Bildung in der angesprochenen Neuorientierung erhält noch einen zusätzlichen Akzent. „Wirksames Lernen verlangt nach Lehr-Lernprozessen mit einer hohen Eigenaktivität der Lernenden, mit einer problemorientierten Ausrichtung sowie mit einer strukturellen Nähe zur Anwendungssituation“ (Weber, 2007, S. 7). Aus diesen Erkenntnissen entstanden weltweit einige Bildungszentren, die den Mut hatten neue Lernlandschaften zu erschaffen. Diese sollten das selbstgesteuerte, problembasierte Lernen in Reinkultur ermöglichen. Der Wandel der „Lernkultur“, der sich dabei vollzieht, wird durch diese ungewohnte Lernlandschaft provoziert. Auf der Seite der Lehrenden und der Lernenden verlangt dies die Entwicklung von noch schlummernden Kompetenzen (vgl. Arnold 2012, S. 1f). „Der sich dabei vollziehende Shift von Input- zur Outcom-Didaktik lebt einerseits von einer konzeptionellen Stringenz, andererseits von der didaktischen Phantasie, Entschlossenheit und Professionalität derer, die für die Gestaltung und Begleitung von Prozessen der Kompetenzreifung ‚zuständig’ sind“ (Arnold, 2012, S. 1).

1.1 Anlass und Problemstellung

In dieser Arbeit werden Erfahrungen beigezogen, die in einem schweizerischen Bildungszentrum gemacht werden konnten. Dort wird nun bereits seit zehn Jahren das Problembasierte und damit in einem hohen Masse das Selbstgesteuerte Lernen auf dem Niveau der Höheren Fachschule für diverse Berufe im Gesundheitswesen ermöglicht. Diese Unterrichtsform gilt als zukunftsweisend. Die Bildungsverantwortlichen, die diese Lernform vertreten, sehen den Erfolg dieses Konzeptes darin, die Kompetenzentwicklung innerhalb der Bildungsgänge zu etablieren und Lernprozesse und Handlungskompetenzen umfassend zu fördern (vgl. PBL Kongressflyer, 2015). Crittin ist davon überzeugt, dass Problemlösefähigkeit wichtiger ist als Faktenwissen und begründet dies damit, dass die meisten Lerninhalte nach kurzer Zeit wieder überholt sind (vgl. Crittin, 2004, S. 40). Nun zeigte sich jedoch in dieser Bildungsinstitution, dass eine nicht unwesentliche Anzahl von Studierenden die notwendigen Grundvoraussetzungen für ein Lernen mit einem so hohen Anteil an Selbststeuerung nicht mitbringen. Aus dem bisherigen Lehrerzentrierten Unterricht sind sie es gewohnt Faktenwissen auswendig zu lernen. Dadurch sind jedoch der Transfer zum praktischen Handeln und damit die Problemlösungsfähigkeit nicht gewährleistet. Das Wissen, das auf diese Weise erworben wird, ist nicht nachhaltig und führt nicht zu selbstverantwortetem Handeln. Aus Feedbacks, Diskussionen und Interviews mit dieser Gruppe von Studierenden wird deutlich, dass eine Orientierungslosigkeit und dadurch ein hoher Leidensdruck vorhanden sind. Diese Studierenden wünschen sich mehr Führung und Orientierung.

1.2 Fokus und Eingrenzung

Die „konzeptionelle Stringenz“, die Arnold als eine der zwei wichtigen Voraussetzungen benennt, ist in der vorliegenden Institution bereits gewährleistet und entspricht den Erkenntnissen der modernen Bildungsforschung. Das Curriculum, das Unterrichtskonzept, die idealtypischen Fallbeispiele und die Architektur der Institution wurden sorgfältig durchdacht und professionell aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitet, erstellt und geprüft. Daher wird der Fokus auf den zweiten Teil von Arnolds Aussage gelegt: Auf die didaktische „(…) Phantasie, Entschlossenheit und Professionalität derer, die für die Gestaltung und Begleitung von Prozessen der Kompetenzreifung ‚zuständig’ sind“ – die Lehrpersonen.

Dass die Lehrpersonen den Unterschied ausmachen, entspricht auch der Schlussfolgerung, die John Hattie aus seiner Metastudie gezogen hat, an der die Bildungswelt der heutigen Zeit nicht mehr vorbeikommt. Der erste seiner sechs Wegweiser, die er für Exzellenz im Bildungsbereich formulierte, lautet: „Lehrpersonen gehören zu den wirkungsvollsten Einflüssen beim Lernen“ (Hattie, 2014, S. 21). Er zeigt auf, welche Faktoren einen Einfluss auf den Lernerfolg der Studierenden haben: „Es sind die Lehrpersonen mit einer bestimmten Geisteshaltung, die für den Unterschied sorgen. Dass Lehrpersonen die grösste Quelle von Varianz sind, wird oft bestritten. Aber wie viele Studien brauchen wir noch, um den Einfluss von Lehrpersonen zu belegen?“ (Hattie 2014, S. 20). Aus dieser Erkenntnis wird der Fokus in dieser Arbeit weiter eingegrenzt: Er bezieht sich auf die bestimmte Geisteshaltung der Lehrperson, die nach neuester Erkenntnis die grösste Quelle von Varianz ausmacht. Dabei kommt die Frage auf, wie diese Geisteshaltung ist oder sein sollte um einen förderlichen Einfluss auf den Lernerfolg zu haben und ob sich diese durch die Lehrperson beeinflussen lässt.

Carl Rogers erforschte schon zu Beginn der Postindustriellen Gesellschaft, welche Geisteshaltung das Lernen ermöglicht oder hemmt. Er erkannte, dass sich die Anforderungen an die Gesellschaft fundamental ändern werden und dass dies einen ebenso fundamentalen Wandel brauchen würde bei denen, die sich der Führung, Erziehung und Bildung von Menschen widmen, bei der „(…) das Wachstum – einer Person, einer Gruppe oder einer Gemeinschaft – eines der angestrebten Ziele ist“ (Rogers, 2012, S. 7). Aus seinen empirischen Forschungsergebnissen entwickelte er den Personenzentrierten Ansatz. Damals lösten seine Erkenntnisse und Forderungen einen Sturm der Entrüstung aus. Er rief zu einem fundamentalen Wandel weg vom Lehrerzentrierten hin zum Personenzentrierten Unterricht auf. Diverse Studien, die weltweit und auch im deutschen Sprachraum durchgeführt wurden, zeigten die hohe Wirksamkeit des Personenzentrierten Ansatzes auf den Lernprozess und die Reifung der Persönlichkeit.

Dass diese Form zu Lernen nicht diktiert, verordnet oder vermittelt, sondern nur ermöglicht werden kann, entspricht der heutigen Lernforschung, mit der sich Rolf Arnold beschäftigt. Aus diesen Erkenntnissen definierte und entwickelte er die Ermöglichungsdidaktik. Er sieht die zentrale Frage darin, wie hemmende Muster bewusst gemacht, gestört oder gar durchbrochen werden können, um einen nachhaltigen Lernkulturwandel zu bewirken. Nur so können veränderte Routinen ermöglicht werden (vgl. Arnold, 2012, S. 8). In seiner Theorie zur Ermöglichungsdidaktik zeigt er Einflüsse und Möglichkeiten auf, wie dieser Wandel bewirkt werden kann.

1.3 These und Hypothese

Aus diesen Anforderungen und Erkenntnissen wurden für diese Arbeit folgende Thesen und Fragen entwickelt.

These: Eine optimale Strukturierung eines Lehrganges nach den neuesten Erkenntnissen der Bildungsforschung genügt nicht, um bei den Studierenden die Reifung der Persönlichkeit und die Fähigkeit zu eigenständigem, Selbstgesteuertem Lernen zu ermöglichen, das zu sozial verträglichem und nachhaltigem Wissen führt.

Hypothese: Erst wenn die Lehrpersonen, und idealerweise auch deren Vorgesetzte, eine Beziehungsgestaltung ermöglichen, in welcher der Lernende im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, kann eine Lernkultur ermöglicht werden, die das Selbstgesteuerte Lernen bei den Studierenden ermöglicht und dadurch zur Reifung der Persönlichkeit führt, die es braucht, um selbstverantwortet zu handeln.

1.4 Fragestellung und Aufbau

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Kapitel zwei soll aufgezeigt werden, wie es zu diesem fundamentalen Wandel in unserer Gesellschaft gekommen ist, der so viel Veränderung in der Bildung fordert, und welche Rolle das Individuum in der Postindustriellen Gesellschaft spielt. Diese Frage soll geklärt werden, um ein übergeordnetes Verständnis zur momentanen Situation unserer Gesellschaft zu erhalten.

Im Kapitel drei werden Aspekte der Theorie des Lernens aus der Sicht der Psychologie und der Soziologie dargestellt. Zudem wird das Zusammenspiel von Fremd- und Selbstgesteuertem Lernen thematisiert.

Im Kapitel vier werden die drei führenden Wissenschaftler Rolf Arnold, John Hattie und Carl Rogers vorgestellt, die sich mit dem fundamentalen Wandel befassten, der durch die Globalisierung auf uns zukommt. Sie zeigen auf, was dies für die Bildungsstätten bedeutet und in welchem Bereich ein Wandel bewirkt werden muss, um die Anforderungen nach lebenslangem und in einem hohen Masse selbstgesteuerten Lernen zu ermöglichen.

Im Kapitel fünf wird auf ein erprobtes Schulungsprogramm für Lehrpersonen und einige Instrumente eingegangen, die nachweislich zu besseren Lernergebnissen führen. Diese Schulung konzentriert sich auf die „Lehrer-Schüler-Beziehung“. Eine Schulung, die diesen Bereich fördert, basiert auf dem Personenzentrierten Ansatz und entspricht den neuesten Erkenntnissen aus Hatties Studie.

Das Kapitel sechs schliesst diese Arbeit mit der Stellungnahme zu den Thesen, der Beantwortung der zentralen Fragen und einem Fazit zu den gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen ab.

2 Entwicklung und Veränderung

„Mehr als das Gold

hat das Blei die Welt verändert.

Und mehr als das Blei in der Flinte

das im Setzkasten.“

Georg Christoph Lichtenberg,

deutscher Physiker und Schriftsteller

2.1 Gesellschaft

Die Zivilisationsepochen werden immer kürzer. Die Agrarische Gesellschaft entstand vor etwa 12’000 Jahren und löste die Jäger-und-Sammler-Gemeinschaft ab, die sich in grauer Urzeit entwickelte. Mit der technischen Entwicklung anfangs des 18. Jahrhunderts entstand die Industriegesellschaft, welche seit den 70er-Jahren von der Dienstleistungsgesellschaft abgelöst wird. Die Industriegesellschaft wird als Stufe zwischen der Agrar- und der Dienstleistungsgesellschaft betrachtet. Dieser historische Ablauf, der auf einer Interpretation von Fourastié beruht, wird Drei-Sektoren-Hypothese genannt. Gemäss der Drei-Sektoren-Hypothese findet „in dem namensgebenden Sektor jeweils der Hauptanteil an Beschäftigung wie an wirtschaftlicher Wertschöpfung statt (...)“ (Stettler, 2008, S. 26) .

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Grafik 1: „Drei-Sektoren-Hypothese“ (Dückert, 2013)

Inzwischen bestimmt der Begriff „Wissensgesellschaft“ zunehmend die politische Debatte. Der Begriff „Dienstleistungsgesellschaft“ wurde als zu diffus und „Informationsgesellschaft“ als zu technokratisch empfunden. Mit diesen neuen Bezeichnungen der heutigen Gesellschaft soll vor allem die relative Positionierung von Volkswirtschaften erklärt werden, die sich dank der digitalen Technologie veränderte. Diese Veränderung bewirkte einen gesellschaftlichen Strukturwandel, der sich seit den 70er-Jahren auf unterschiedliche Weise in allen westlichen Industriestaaten vollzieht. Aufgrund der enormen Dynamik durch den internationalen Wettbewerb sind Wissen, Bildung und Innovation immer wichtigere Produktionsfaktoren für die Volkswirtschaft, wenn sie im internationalen Wettbewerb bestehen will.

Nach Boden, Kapital und Arbeit wird Wissen zunehmend zu einem immer zentraleren Faktor und wird deshalb als der vierte Produktionsfaktor bezeichnet. Dadurch verändert sich die gesamte gesellschaftliche Struktur. In der Agrar- und auch in der Industriegesellschaft war die gesellschaftliche Ordnung noch stabil. Die soziale Schichtung, die religiöse Praxis und die Bildung waren fest und damit nahezu undurchlässig organisiert. Die Tradition und die Institutionen gaben die Lebensentwürfe vor (vgl. Stettler, 2008, S. 26).

Die Entwicklung der einzelnen Individuen und der menschlichen Gesellschaft wurde massgeblich durch die Entwicklung der Sprache sowie die Erfindung von Medien zur Verbreitung von Wissen und Information beeinflusst.

2.2 Der Einfluss von Sprache, Schrift und Medien

Die Kommunikationswissenschaften befassen sich mit der Kulturgeschichte des Menschen in Bezug auf die Sprache und die Medien zu deren Übermittlung. Sie zeigen auf, dass es kein Wahrnehmen und kein gesellschaftliches Leben ausserhalb der Vermittlung von Realität gibt. Ein wesentlicher Einfluss auf die Entwicklung und den Wandel von Gesellschaft und Kultur findet in der bewussten menschlichen Wahrnehmung, also vermittelt über Sprache, Schrift oder Medien, statt.

Sprache und Schrift spielen eine wichtige Rolle in der Bildung. Denn die geschriebenen Texte können eine Komplexität darstellen, die in der wörtlichen Rede kaum nachvollziehbar wäre. Dadurch kann das Vokabular detailreicher werden. Die Erfindung von Vermittlungstechniken wie die Einführung der Schrift bewirkten eine wesentliche Umstrukturierung von Denkweisen und Mentalität. Die Auswirkungen der grafischen Speicherung von Sprache in der Form abstrakter Schriftzeichen hatten in der Urzeit einen wesentlichen Einfluss auf die kognitiven Prozesse der Menschen. Der ungleiche Zugang zu den handschriftlichen Dokumenten festigte im Laufe der Zeit die sozialen Strukturen in der Agrargesellschaft (vgl. Wolschner, 2014, S. 102ff).

Mit den grossen Entwicklungsschritten der Technik sind auch jedes Mal grosse Umwälzungen in der Bildung und deren Stätten der Vermittlung gefordert. Wissen ist Macht. Durch den ungleichen Zugang zu Wissen konnte sich in den Anfängen der Zivilisation die Zweiklassengesellschaft bilden und sich entsprechend heterogen weiterentwickeln. Die Entwicklung der Technik bewirkte einen Wandel in der Gesellschaft. Einerseits brauchte es mehr Arbeitskräfte in den Fabriken, andererseits führte die geniale Erfindung einer preiswerteren Drucktechnik von Johannes Gutenberg (1400–1468) dazu, dass Wissen und Informationen schneller verbreitet werden konnten. Diese führte zu einem fundamentalen gesellschaftlichen Wandel. Denn durch Gutenbergs Erfindung des Buchdruckes konnte in der Industriegesellschaft auf einen Schlag eine breite Masse erreicht werden. Dieser ungewohnte Zugang zu Wissen führte zu Revolutionen gegenüber der herrschenden Klasse. Der Zugang zu Wissen löste die sogenannte „Wissensrevolution“ aus, die unter anderem die katholische Kirche entmachtete. Bauern schmähten frei nach dem Schlachtruf „sola scriptura” (Wolschner, 2014, S. 101) den Papst, stürmten Kirchen und zerstören Heiligenbilder. Denn es gab „(…) plötzlich kein feudales oder klerikales Herrschaftsgeheimnis mehr. Mit dem Kommunikationsmittel Flugschrift übersprang der kleine Mönch Luther die Stufen der kirchlichen Hierarchie und konnte öffentlich mit dem Papst streiten, ob der wollte oder nicht. Luther begrüsste die Druck-Kunst als das letzte und zugleich grösste Geschenk Gottes“ (Wolschner, 2014, S. 101).

Die Monarchien und Diktaturen wichen zwar demokratischen Formen. Doch die Schenkel der berühmten sozialen Schere sind dadurch nicht näher zueinander gerückt. Im Gegenteil, sie sind weiter auseinander denn je. Und nun, mit der Entwicklung der digitalen Datenübermittlung, wurde der Austausch global. Mit dieser ungewohnten Flut an Informationen müssen der Mensch und die Gesellschaft erst lernen umzugehen (vgl. Stettler, 2008, S. 22f).

Die Digitalisierung der Schrift, und mit ihr die globale Verbreitung von Wissen und Information, fordert einen nächsten Wandel in unserer heutigen Gesellschaft. Heute verändert eine „(…) digitale Medienrevolution die Welt“ (Stettler, 2008, S. 308). Es gibt keinen gesellschaftlichen Bereich, in dem die neuen Kommunikationstechniken nicht eine schwindelerregend schnell wachsende Rolle spielen würden „(…) und das schon wenige Jahrzehnte, nachdem die Elektronik-Tüftler ihre ersten technischen Innovationen erfunden haben. In der Liebe wie in der Politik, im privaten Alltagsleben wie in politischen Machtkämpfen und das global: in Hongkong, Kairo, Washington, Paris (…)“ (Stettler, 2008, S. 308) - und auch hier in Zürich.

In der heutigen Zeit sind aufgrund der Erfindungen mächtige Weltkonzerne entstanden, deren Produkte Strukturen umwälzen. Es wird sich weiter in allen Bereichen viel verändern. Allein schon in Bezug auf die private Kommunikation wird in Zukunft einiges möglich werden. In unserer Postindustriellen Gesellschaft lösen sich die stabilen sozialen Strukturen zunehmend auf. Produkte und Leistungen werden variabler. Ebenso die Rollen und Funktionen der Menschen. Die Gesellschaft verliert an Bindungskraft. Dadurch wird es zunehmend die Aufgabe von jedem Individuum, seinen Lebensentwurf selbst zu steuern, zu bestimmen und zu verantworten. Zukunftsorientierte Unternehmen und Mitarbeitende kümmern sich daher um ihre Ressource „Wissen“ (vgl. Stettler, 2008, S. 24f).

Damit unsere Gesellschaft im globalen Wettkampf bestehen kann, ist das angestrebte Ziel unserer hochentwickelten Kultur die „Wissensgesellschaft“. Dazu braucht es jedes Individuum, das fähig ist zur Selbststeuerung und zum kooperativen Austausch. Das blosse Sammeln von Wissen und Information genügt nicht. Mandl und Krause sehen den Anspruch, den die Wissensgesellschaft an die Bildung stellt, darin, dass sie zusätzlich zur Informations- und Wissensvermittlung, diese auch sozial verträglich nutzen soll. Dazu muss Bildung die entsprechende Werteorientierung unterstützen.

Der Auftrag an die Bildung ist es daher, neben der Vermittlung von Basisfähigkeiten und Fachwissen, die Persönlichkeitsentwicklung sowie eine fachübergreifende Lernkompetenz zu fördern, die das lebenslange Lernen überhaupt ermöglichen. Dazu muss Bildung die Lernenden in die Lage versetzen, mit den Anforderungen der Wissensgesellschaft zurecht zu kommen. Bildung muss den Einzelnen dazu befähigen, sich „gut zu informieren“. Mit der rasanten Entwicklung in Wissenschaft und Technik und zudem mit der Globalisierung und dem damit verbundenen raschen Zerfall von aktuell gültigem Wissen bedeutet dies, die Fähigkeit zu eigenständigem, lebenslangem Lernen zu entwickeln (vgl. Mandl & Krause, 2001, S. 3ff).

2.3 Das Individuum als Ressource der Wissensgesellschaft

In der Pädagogik und auch in der Psychologie setzt sich zunehmend die konstruktivistische Betrachtungsweise durch. Nach diesem Ansatz bedeutet „Wissen“ die Integration von handelnd erworbenen Erfahrungen über gemeinschaftliche Bedeutungs- und Sinngebung und dient der Antizipation von Handlungen und Ergebnissen. Wissen wird als Konstrukt gesehen, das nicht die Realität abbildet, sondern lediglich eine Landkarte mit Handlungsvarianten darstellt. Wissen ist in den Köpfen der Menschen gespeichert, wird durch sie verkörpert und kann nicht direkt übertragen werden. Wissen als Ressource dehnt sich in dem Masse aus, wie man es nutzt und erschliesst. Je mehr man also sein Wissen nutzt und in Bewegung hält, desto wertvoller wird es. Dadurch wird das Individuum zum „Inhaber und Produzenten immaterieller Vermögenswerte“ (Stettler, 2008, S. 27).

Damit Daten und Informationen zu Wissen werden, müssen sie mit konkreten Erfahrungen und Handlungen verknüpft und überprüft (validiert) werden. Erfahrungen wiederum sind noch kein Wissen, solange sie nicht mit anderen geteilt und gemeinsam für nützlich gehalten werden. Erst dadurch entsteht ein Veredelungsprozess, der Wissen zu einer relevanten Ressource in Betrieben werden lässt (vgl. Stettler, 2008, S. 23ff). Und dadurch wird das einzelne Individuum und die Fähigkeit zum kooperativen Austausch für jede Institution und für die ganze Gesellschaft immer wichtiger, wenn sie ihre bisherigen Errungenschaften in dieser rasanten Entwicklung erhalten oder gar weiter entwickeln will.

2.4 Kritische Würdigung

Einen zentralen Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit hatte seit jeher die Sprache. Durch die Erfindung der Schrift, der Drucktechniken und der heutigen digitalen Medien konnten Wissen und Information mit einer immer grösser werdenden Zahl von Individuen ausgetauscht werden. Dies bewirkte eine kontinuierliche Entwicklung von zunehmend differenzierterem Denken. Da sich jede Entwicklung an einem bestimmten Punkt sprunghaft in einen nächsten „Level“ bewegt, entstanden in der Geschichte fundamentale Wandlungen. Für die betroffene Gesellschaft bedeutet ein solcher Wandel jeweils ein krisenhaftes Ereignis, das nur gelingen kann, wenn alte Muster, die dieser Entwicklung hinderlich im Wege stehen, durchbrochen und gewandelt werden.

Im Umbruch von der Agrar- zur Industriegesellschaft waren es offen ausgelebte Revolutionen, die von der unteren Bevölkerungsschicht ausgingen und die Macht der herrschenden Elite durchbrachen. Durch den Buchdruck bekam die breite Bevölkerung der zweiten Klasse plötzlich Zugang zu Wissen und Information. Dies verunmöglichte die Aufrechterhaltung von Monarchien und führte zur Demokratisierung.

Nun stehen wir erneut vor einem fundamentalen Wandel, der ebenfalls durch die Weiterentwicklung der Technik und dadurch auch der Medien hervorgerufen wurde. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung wird ersichtlich, warum sich die Aneignung von Wissen in der heutigen Gesellschaft und in den Bildungsinstitutionen stark verändern muss. Da der neueste Produktionsfaktor in der Postindustriellen Gesellschaft „Wissen“ ist und dieser untrennbar mit dem einzelnen Menschen verbunden ist, muss nun die Fähigkeit jedes einzelnen Individuums zu Selbstgesteuertem Lernen gefördert werden, wenn wir in der Weltwirtschaft weiterhin ganz vorne mithalten wollen. Dies bedingt die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit, da Wissen nur im kooperativen Austausch „veredelt“ werden kann und dadurch richtungsweisend wird.

3 Theorie des Lernens – psychologische und soziologische Aspekte

"Man kann einen anderen nur belehren,

wenn man ihn dafür gewinnen kann,

selbst zu denken und zu lernen.“

Thomas von Aquin

Aus den aktuellen Diskussionen in unserer Postindustriellen Gesellschaft ist der Begriff des „Selbstgesteuerten Lernens“ nicht mehr wegzudenken. Dieser Begriff festigte sich im Jahre 1978 mit dem Erscheinen des Sammelbandes von Horst Neber u.a. (vgl. Dohmen 1996, S. 44). In den letzten Jahren tauchten eine Vielzahl von ähnlichen Begriffen wie „selbstgesteuert“, „selbstorganisiert“, „selbstbestimmtes Lernen“, „selbstsorgendes Lernen“, „autodidaktisches Lernen“, „selbstverantwortetes Lernen“ und viele weitere Ausdrücke und Formulierungen auf (vgl. Dietrich 2001, S. 22). Diese Begriffe sollten die veraltete Form des Lehrerzentrierten Unterrichts mit seinem hohen Mass an Fremdsteuerung ersetzen. Dietrich betont, dass es letztendlich nicht um die Frage nach dem Fremd- oder Selbstorganisierten Lernen geht, sondern lediglich darum, wie hoch der Grad an Selbstbestimmung ist, die dem Lernenden in Bezug auf das Ziel, den Inhalt, die Lernregulierung, den Lernweg und die Erfolgsprüfung zugeteilt wird oder den er selbst ergreift. Seiner Ansicht nach ist es lediglich ein begriffliches Missverständnis, das zu dieser eigenartig polarisierenden Debatte zwischen der „Alternativbewegung“, die sich mit dem Ansatz der autonomen Selbststeuerung beschäftigt und der öffentlichen Weiterbildung, der das Stigma „alt, traditionell, verstaubt und fremdbestimmt“ aufgedrückt wird. Das Prinzip der Selbststeuerung lässt sich nur ideologiefrei führen, wenn sie entlang der Kriterien Ziel, Inhalte, Lernregulierung, Lernweg und Erfolgsprüfung geführt wird (vgl. Dietrich 2001, S. 7f). Das menschliche Lernen braucht immer Anstösse, Anforderungen, Eindrücke und Informationen aus der Aussenwelt, auf das es sich beziehen kann. Es gibt überhaupt kein Lernen, das sich völlig autonom entwickelt. Es ist ein Zusammenspiel, das in einem „Raum“ zwischen dem Lernenden und der Lehrperson stattfindet.

Diesen Raum, den es zu eröffnen gilt um eine Differenzierungserfahrung zu machen, trennt Walber klar zwischen einer Selbstorganisation und einer Selbststeuerung. Denn aus der Sicht des Konstruktivismus ist jeder Lernprozess selbstorganisiert, da der Lernende in seiner eigenen „Endo-Welt” lernt und kein noch so aufgezwungenes Lernen in diesen Bereich hineindringen kann (vgl. Walber, 2007, S. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Er definiert zu dieser absolut selbstorganisierten „Endo-Welt“, auf die auch das Individuum selbst keinen direkten Einfluss ausüben kann, den „Potentiellen Selbststeuerungsraum“. Auf diesen Raum, der in Grafik 2 grün dargestellt ist, kann der Studierende bewusst einwirken um bei sich selbst Lernen zu ermöglichen. Der Studierende kann dazu Einfluss auf die Wahl seines Lernortes, seiner Lernziele, Lerninhalte, Lernbewertung, seiner Lernzeit sowie auf die gewählten Lernmedien, -methoden und seine Lernteilnahme nehmen.

Die Lehrperson kann aus dem „Potentiellen Fremdsteuerungsraum“, der in Grafik 3 rot dargestellt ist, mit unterschiedlichen Techniken und Methoden versuchen auf den „Potentiellen Selbststeuerungsraum“ der Studierenden einzuwirken. Die Lehrperson bestimmt für ihren Unterricht den Lehrort, setzt die Lehrziele, die Lehrinhalte, bewertet ihr eigenes Lehren, bestimmt die Lehrzeit, die Lehrmedien und ihre Lehrmethoden.

[...]

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Details

Titel
Selbstgesteuertes Lernen ermöglichen durch den Personenzentrierten Ansatz
Hochschule
Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Hochschule Luzern  (PH Luzern -PH Luzern in Adult and Professional Edukation)
Veranstaltung
Master of Advanced Studies
Autor
Jahr
2015
Seiten
72
Katalognummer
V344516
ISBN (eBook)
9783668351851
ISBN (Buch)
9783668351868
Dateigröße
2310 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erwachsenenbildung, Höhere Fachschule, Reformpädagogik, Ermöglichungsdidaktik, Hattiestudie im Vergleich
Arbeit zitieren
Bernadette Gubser (Autor:in), 2015, Selbstgesteuertes Lernen ermöglichen durch den Personenzentrierten Ansatz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344516

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