Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Jugend und Jugendkulturen
2.1 Jugendliche Identitätsbildung in der Postmoderne
2.2 Zur Bedeutung von Jugendkulturen
3. Jugendkultur Hiphop: Repräsentation und Identifikation
3.1 Zentrale Elemente und thematisches Spektrum
3.2 Repräsentationen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Hiphop
3.3 Hiphop als „Sündenbock“? Pro und Contra einer Zensur
4. Zusammenfassung und Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im so genannten postmodernen Zeitalter lässt sich eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft feststellen, die Jugendliche vor neue Herausforderungen im Hinblick auf ihre Identitätsbildung stellt: Mit zunehmender Auflösung normierter Arbeitsverhältnisse lässt sich eine stärkere Zuwendung zu anderen Lebensbereichen außerhalb des Beschäftigungssektors bei Jugendlichen feststellen, die neue Formen der Weltinterpretation und Sinnzuschreibung bereithält. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein enormer Bedeutungszuwachs der sozialen Einbindung in jugendkulturelle Szenen feststellen.
Jugendszenen und -Kulturen bieten einen wesentlichen Orientierungspunkt innerhalb der von Diskontinuität gekennzeichneten Lebensphase Jugend. Jugendkulturen als internationale, globale Stilgemeinschaften bieten Jugendlichen die Möglichkeit, gegenüber bestehenden Lebensformen der Elterngeneration und gegenüber gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Lebensverhältnissen neue Ausdrucksweisen zu entwickeln, die den wachsenden Ansprüchen und Handlungsoptionen gerecht werden. In diesem Sinne fungiert die Teilnahme an einer Jugendkultur als eine Art Abgrenzungsmechanismus gegenüber bestehenden Lebenskonzepten.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll der Einfluss des Hiphop als eine der „dominantesten, erfolgreichsten und folgenreichsten Popkulturen“ im Hinblick auf die Identitätsbildung von Jugendlichen untersucht werden (Scheiper 2008: 14). Von übergeordnetem Interesse ist dabei zunächst die Frage nach den im Hiphop enthaltenen Repräsentationen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Im weiteren Verlauf wird danach gefragt, welche Auswirkungen die im Hiphop dargestellten Geschlechterrollen auf die Identitätskonstruktionen Jugendlicher haben können. Vor diesem Hintergrund soll insbesondere auch auf zwei grundlegende kritische Perzeptionen der repräsentierten Geschlechterrollen eingegangen werden: Nämlich der Überrepräsentation des Männlichen einerseits und einer gleichzeitigen Herabwürdigung und auf sexuelle Merkmale reduzierte Darstellung der Frau. Insbesondere wird Letzteres aus medienpädagogischer Sicht als jugendgefährdend eingestuft. Entsprechend soll im Anschluss erörtert werden, inwiefern Hiphop als Jugendkultur einen negativen Einfluss auf die Identitätsbildung von Jugendlichen haben kann.
Den Beginn dieser Arbeit bildet die theoretische Auseinandersetzung mit dem Terminus Jugend und der Problematik einer Eingrenzung des Jugendbegriffs. Im weiteren Verlauf wird auf die Identitätsbildung Jugendlicher in der Postmoderne eingegangen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Relevanz von Jugendkulturen und -Szenen eingegangen. Im Anschluss wird der Hiphop als spezifische Jugendkultur in den Fokus gerückt. Nach einem kurzen Abriss über die Entstehungsbedingungen wird auf die zentralen Elemente und das thematische Spektrum dieser Popkultur eingegangen. Daran anknüpfend wird auf die im Hiphop enthaltenen Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit eingegangen. Zuletzt soll diskutiert werden, inwieweit die dargestellten Geschlechterrollen sich als jugendgefährdend erweisen und sich eine Zensur gewisser Hiphop-Texte empfiehlt, oder aber, welche positiven Impulse Hiphop für die Identitätsbildung von Jugendlichen bieten kann.
2. Jugend und Jugendkultur
Der Terminus Jugend fand erst Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in den gesellschaftlichen Diskurs (Scheiper: 2008: 27). Als „eigenständige Lebensphase“ markierte der Jugendbegriff in seiner ursprünglichen Form die Trennlinie zwischen Kindheit und dem Erreichen des Erwachsenenstatus, orientiert an der Beendigung der Schulzeit sowie dem Beginn der Erwerbstätigkeit und der damit verbundenen Ablösung von der Herkunftsfamilie. Im Zuge der Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen im Kontext der Modernisierung und der damit einhergehenden Loslösung von herkömmlichen Lebensvorstellungen, erwies sich diese Definition jedoch zunehmend als problematisch: So lässt sich der Beginn der Lebensphase Jugend zwar noch relativ eindeutig mit dem Eintritt in die Pubertät in Verbindung bringen. Wiederum werden die Grenzen zwischen Jugend- und Erwachsenenphase im Zuge des soziokulturellen Wandels immer undeutlicher (ebd.; Gaugele & Reiss 2003: 23). Während die Lebensphase Jugend sich bis in die 1970er Jahre weiterhin als Vorbereitungsphase auf das Erwerbsleben konzentrierte, rückten mit zunehmender Verschlechterung des Arbeitsmarktes und der Auflösung normierter Arbeitsverhältnisse andere Lebensbereiche in den Vordergrund (Scheiper 2008: 29). Die zunehmende ökonomische Unsicherheit birgt heute die Notwendigkeit in sich, „bestehende Lebensperspektiven durch Bewusstwerdung der Problematik“ in Frage zu stellen und Identitätskonzepte jenseits der beruflichen Arbeit zu entwickeln (ebd. 30).
2.1 Jugendliche Identitätsbildung in der Postmoderne
Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und dem damit einhergehenden Rückgang der ökonomischen Sicherheit bei gleichzeitiger Zunahme an Handlungsvielfalt sind Jugendliche heute mit einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne konfrontiert: Entsprechend erfolgt die Identitätsbildung von Jugendlichen auf Basis eines Jonglierens zwischen herkömmlichen und innovativen Lebenskonzepten im Sinne einer „Suche nach ‚postmodernen‘ Lebensstilen (Gaugele & Reiss 2003: 17). In diesem Zusammenhang macht Hall (1999) darauf aufmerksam, dass postmoderne Identitäten sich nicht einheitlich, sondern als fragmentierte Gebilde erweisen (Hall 1999: 393). Hier sei auch auf das Konzept der „Patchwork-Identität“ nach Keupp (1999) hingewiesen. Der Terminus „Patchwork“ ist auf eine intentionale Verknüpfung zahlreicher Identifikationsparameter gerichtet, die miteinander im Gleichgewicht stehen sollen. Dem „Patchwork“-Konzept liegt im Wesentlichen die Annahme zugrunde, dass Identitätskonstruktionen einem fortwährenden Prozess unterliegen, bei dem die Identität vor dem Hintergrund vielfältiger Lebensgestaltungsmöglichkeiten stetig neu ausgehandelt wird (ebd. 16f; Witzke 2004: 31).
Auch Hall verweist mit seinem Konzept „hybrider“ Identitäten auf einen andauernden Aushandlungsprozess zwischen dem „inneren Kern“ und der Außenwelt eines Individuums (Witzke 2004: 31). Vor diesem Hintergrund sei auf das von Hurrelmann und Neubauer (1986) entwickelte Modell des „produktiv selbstverarbeitenden Subjekts“ hingewiesen, das auf die Frage nach den Vergesellschaftungs- und Individuationsprozessen von Jugendlichen gerichtet ist (Scheiper 2008: 34f). Dem Modell unterliegt die Unterscheidung von „innerer“ und „äußerer“ Realität, wonach erstere das „soziale und materielle Umfeld“ und letztere die „Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und den eigenen Emotionen“ beinhaltet (ebd.). Zum Erwerb spezifischer Handlungskompetenzen muss das Subjekt, dem Ansatz folgend, spezifische Entwicklungsaufgaben, beispielsweise im Bereich der beruflichen Tätigkeit, dem „sozialen Bindungsverhalten zu Gleichaltrigen“ sowie für den „Aufbau eines eigenen Wert- und Normensystems und eines ethischen und politischen Bewusstseins“ bewältigen (ebd.).
Unter Berücksichtigung der fortschreitenden Individualisierung und Pluralisierung innerhalb der Postmoderne, lässt sich die Jugend heute als eine Phase der Emanzipation aus traditionellen Strukturen beschreiben, bei gleichzeitiger Herausforderung, neue und individuelle Lebensentwürfe zu entwickeln, die dem breiten Spektrum an Handlungsoptionen gerecht werden (Gaugele & Reiss 2003: 22f). Vor diesem Hintergrund bieten Jugendkulturen die Möglichkeit der Abgrenzung gegenüber bestehenden Lebensentwürfen, wie denen der Elterngeneration, und bilden für Jugendliche einen bedeutenden Nährboden für die Entwicklung neuer Ausdrucksformen und Sinnzuschreibungen (ebd.).
2.2. Zur Bedeutung von Jugendkulturen
Die Herausforderungen, mit denen Jugendliche im Kontext der Zunahme von Handlungsoptionen bei gleichzeitigem Rückgang traditioneller Strukturen und Sicherheiten konfrontiert sind, tragen zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs von Jugendkulturen bei. Sie ermöglichen Jugendlichen, „neue Ausdrucksweisen zu entwickeln, die den wachsenden Ansprüchen hinsichtlich Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverwirklichung und der wachsenden Verselbstständigung“ gerecht werden (Scheiper 2008: 35). In einem Umfeld zwischen mangelnder Orientierung aufgrund hoher Optionsvielfalt und den Unsicherheiten, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels ergeben, fungieren jugendkulturelle Gruppierungen als zentrale Orientierungshilfe für die Identitätskonstruktionen von Jugendlichen.
Überblickt man die Debatten über Jugendkulturen lassen sich insgesamt folgende Aussagen über deren Beschaffenheit treffen: In der Jugendforschung werden Jugendkulturen grundsätzlich als „internationale, globale Stilgemeinschaften“ definiert, die jenseits der Grenzen von Sprache, geografischem Standpunkt und Nationen konstituiert sind (Gaugele & Reiss 2003: 23; Scheiper 2008: 35). Nach Baake (1988) lassen sich Jugendkulturen als „kulturell vermittelte Definitionsspielräume“ begreifen, die Jugendlichen einen spielerischen Umgang mit verschiedenartigen Lebenskonzepten ermöglichen (Baake 1988: 62; Scheiper 2008: 37). In Anbetracht des Rückgangs konventioneller Identifikationsparameter erweisen sich Jugendkulturen als identitätsstiftend, obgleich die Identifikation mit einer Jugendkultur nicht notwendigerweise das „Festlegen auf etwas Ganzes“ bedeutet (Scheiper 2008: 38). Vielmehr bieten Jugendkulturen die Möglichkeit, unterschiedliche Identitätskonzepte auszuprobieren. Dabei ist anzumerken, dass Jugendliche sich zu unterschiedlichen Jugendkulturen gleichzeitig zugehörig fühlen können (ebd.). Analog können sich jugendkulturelle Stile gegenseitig überschneiden. Baake zufolge unterliegen Jugendkulturen dem Bedürfnis Jugendlicher nach Abgrenzung gegenüber bestehenden sozialen Strukturen. Jugendliche wollen sich nicht „pädagogischen Zwecken unterworfen wissen“ sondern sich „abgrenzen, irritieren“ und das „Risiko der Selbstsuche auf sich nehmen“ (Baacke 1988: 62). Entsprechend sind die in Jugendkulturen enthaltenen Normen und Werte auf eine Art Widerstand gegenüber der „hegemonialen Gesamtgesellschaft“ zu sehen.[1]
Die theoretische Auseinandersetzung mit Jugendkulturen in der Jugendforschung geht einher mit einer Vielfalt an Termini, wie Jugendszene oder Jugendstil, die häufig als Synonyme verwendet werden. In Anlehnung an die Definition von Hiztler et al. (2000), sind Szenen als thematisch fokussierte „Netzwerke von Gruppen“ zu begreifen, die „über eine gemeinsame Interessenslage miteinander verwoben sind“ und der sozialen Verortung dienen (Scheiper 2008: 47). In der Tat weist diese Definition wesentliche Überschneidungen mit dem Begriff der Jugendkultur auf, was eine synonyme Verwendung beider Termini legitimiert.[2] Hingegen lässt sich der Jugendstil, gemäß Soeffners (1986) Definition von Stil, als „beobachtbare und spezifische (Selbst-) Präsentation“ beschreiben, in der sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jugendkultur bzw. -Szene manifestiert (Scheiper 2008: 41).
Die Entstehung von Jugendkulturen reicht zurück bis auf die Anfänge der Popkultur im Kontext der Nachkriegszeit und verzeichnete seither einen enormen Bedeutungszuwachs für die Identitätsbildung von Jugendlichen (ebd. 45; Gaugele & Reiss 2003: 23). Die soziale Einbindung Jugendlicher in Szenen geht entsprechend häufig einher mit der Identifikation über spezifische Elemente einer Popkultur, wie beispielsweise einen bestimmten Musik- und Kleidungsstil. Im Folgenden wird auf den Hiphop als eines der prominentesten Beispiele einer popkulturellen Jugendszene eingegangen.[3] Zunächst folgt ein kurzer Abriss über die historischen Begleitumstände für die Entstehung des Hiphop sowie dessen Kernelemente und gesellschaftliche Relevanz. Im Anschluss werden die innerhalb dieser Szene dargebotenen Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit skizziert und im Hinblick auf ihre Bedeutung für die identitäre Verortung von Jugendlichen diskutiert. Um der häufig geäußerten Kritik an dem herabwürdigenden Frauenbild innerhalb des Hiphop Rechnung zu tragen, wird anschließend erörtert, inwiefern sich diese popkulturelle Jugendszene aus medienpädagogischer Sicht als jugendgefährdend erweist.
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[1] In diesem Zusammenhang wird häufig von Jugendsubkultur gesprochen. Dem Subkulturkonzept entsprechend, suggeriert der Terminus ein der dominanten Kultur untergeordnetes kulturelles Element, dessen Fortbestand vom Integrationspotential der Gesamtkultur abhängt (Scheiper 2008: 39).
[2] Vor diesem Hintergrund werden die beiden Termini auch in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.
[3] An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass aufgrund des limitierten Umfangs dieser Arbeit ausschließlich auf US-amerikanischen Hiphop eingegangen wird. Diese Entscheidung liegt darin begründet, dass hier die Ursprünge dieser popkulturellen Szene und den damit verbundenen Geschlechterrepräsentationen zu finden sind. Es ist jedoch anzumerken, dass sich grundsätzlich eine Unterscheidung von US-amerikanischem und europäischem Hiphop empfiehlt (Czerwenka-Wenkstetten 2009: 58).