Theodor Fontane hat in seinen berühmten Romanen vor allem Berlin porträtiert. Wie kaum ein anderer Schriftsteller zeichnete er ein gleichermaßen lebendiges wie pointiertes Panorama der Stadt, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts endgültig zum gesellschaftlichen und politischen Zentrum Preußens aufgestiegen war.
Zu diesen Berliner Gesellschaftsromanen zählt "Schach von Wuthenow". Fontanes Erzählung aus der "Zeit des Regiments Gensdarmes", so der Untertitel, handelt vom ebenso eitlen wie sensiblen Regimentsoffizier Schach, der die junge Victoire von Carayon verführt und schwängert. Deren Mutter, die wie Schach in den höchsten Kreisen der Berliner Gesellschaft verkehrt, fordert Schach auf, die Beziehung zu ihrer Tochter sowie das ungeborene Kind durch eine Heirat zu legitimieren. Schach jedoch fürchtet um sein Ansehen, da Victoire aufgrund einer früheren Pockenerkrankung äußerlich entstellt ist. Erst nachdem Frau von Carayon den König um Hilfe bittet und dieser seinem Offizier ein Ultimatum stellt, willigt Schach ein.
Er heiratet Victoire, erschießt sich aber nur wenige Stunden nach der Trauung. Alle wichtigen Personen und Ereignisse der Erzählung sind mit Berlin verknüpft, beinahe jedes Kapitel spielt hier. Dennoch gibt es ein Kapitel, das aus dem städtischen Rahmen fällt: „In Wuthenow am See“ lässt die Hauptstadt weit hinter sich und spielt, wie der Titel besagt, am Ruppiner See in Wuthenow. Hierhin, nördlich von Berlin in die Mark Brandenburg, flüchtet der Protagonist Schach, als er dem gesellschaftlichen Druck nicht mehr standhält.
Doch Wuthenow ist nicht irgendein kleines Dorf fernab der Großstadt, es ist der Geburtsort Schachs. Hier befindet sich sein Elternhaus, umgeben von einem paradiesischen Garten, hier, am Ufer des weiten Ruppiner Sees, lebte seine erst kürzlich verstorbene Mutter. Eine Nacht und einen Tag lang durchstreift Schach die vertrauten Orte aus Kindertagen. Bereits an dieser Stelle zeigt sich, was im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausgeführt werden soll: Das gleichsam idyllische wie morbide Wuthenow steht im Gegensatz zum elitären Berlin für Räume der Innerlichkeit und des Alleinseins. Wie Schach diese abgeschiedenen Räume erlebt und wie diese literarisch gestaltet sind, soll im Folgenden herausgearbeitet werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das philosophische Werk Gaston Bachelards und seine Rezeption
- Poetik des Raumes
- Inhalt und Aufbau
- Thesen, Begriffe und Argumentationsstruktur
- Schach in Wuthenow
- Der vornehme Salon
- Der unbekannte Schach
- Das vertraute Wuthenow
- Im Haus
- Im Garten
- Im Boot
- Zusammenfassung
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Raum als literarisches Element in Theodor Fontanes „Schach von Wuthenow“. Im Mittelpunkt steht die Analyse des Kapitels „In Wuthenow am See“, in dem der Protagonist Schach in seine Heimat zurückkehrt und die Orte seiner Kindheit besucht. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie die Räumlichkeit des Dorfes Wuthenow zur Darstellung der Innerlichkeit Schachs beiträgt und welche Bedeutung der Raum in diesem Kontext für die Analyse von literarischen Texten hat.
- Raum als literarisches Element
- Die Verbindung zwischen Raum und Innerlichkeit
- Die Rezeption von Gaston Bachelards „Poetik des Raumes“
- Die Bedeutung des Spatial Turn in der Literaturwissenschaft
- Die Rolle des Dorfes Wuthenow als Gegenpol zu Berlin
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet den Kontext von Fontanes „Schach von Wuthenow“ als Berliner Gesellschaftsroman. Die Handlung spielt zumeist in Berlin und zeichnet ein Panorama der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Kapitel „In Wuthenow am See“ bildet jedoch eine Ausnahme und bietet eine einzigartige Perspektive auf die Innerlichkeit des Protagonisten Schach.
Im zweiten Kapitel wird das philosophische Werk Gaston Bachelards vorgestellt und seine Rezeption in der Literaturwissenschaft beleuchtet. Es werden die beiden konträren Phasen in Bachelards Schaffen thematisiert und die Relevanz seiner Raumtheorie im Kontext des Spatial Turn hervorgehoben.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der „Poetik des Raumes“, einem zentralen Werk Bachelards. Es werden Inhalt und Aufbau des Werks beschrieben sowie die zentralen Thesen, Begriffe und Argumentationsstrukturen erläutert.
Kapitel vier untersucht das Kapitel „In Wuthenow am See“ aus „Schach von Wuthenow“. Es werden verschiedene Räume innerhalb des Dorfes, wie das Elternhaus, der Garten und das Boot, analysiert und deren Bedeutung für Schachs Innerlichkeit herausgearbeitet.
Die Schlussbemerkung fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und betont die Bedeutung des Raumkonzepts für die literarische Analyse.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen dieser Arbeit sind Raum und Innerlichkeit in der Literatur. Die Analyse von Fontanes „Schach von Wuthenow“ fokussiert dabei auf die Rezeption der Raumtheorie Gaston Bachelards und den Einfluss des Spatial Turn in der Literaturwissenschaft. Weitere Schlüsselbegriffe sind Berlin, Wuthenow, Heimat, Rückzug, Erfahrungsraum, Innenwelt, literarische Analyse, Raumtheorie.
- Arbeit zitieren
- Michael Thiele (Autor:in), 2011, Theodor Fontanes "Schach von Wuthenow". Räume der Innerlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344788