Thomas Luckmann: Identität als universale Form


Referat (Ausarbeitung), 2005

21 Seiten, Note: nicht bewertet


Leseprobe


Inhalt

1
1.1 Biblio-Biographisches
1.2 Die Bedeutung seines Essays „Die unsichtbare Religion“

2 Die anthropologische Bedingung der Religion

3 Die gesellschaftlichen Formen der Religion
3.1 Die Sprache als die wichtigste Objektivierung der Weltansicht
3.2 Die Weltansicht = Religion = persönliche Identität

4 Die individuelle Religiosität

5
5.1 Fazit und Kritik
5.2 Erfahrung soll sinnlos sein?

1

1.1 Biblio-Biographisches

Der mit mehreren Honoris-causa-Doktortiteln geehrte Professor Thomas Luckmann (geb.1927) ist sowohl ein Schüler Carl Meyers (1902-1974) und Alf­red Schütz´ (1899-1959 ) als auch ein bedeu­tender zeitgenössischer So­ziologe. Seit sei­ner Emeritierung 1994 verfügt das „Alfred-Schütz-Gedächt­nis-Archiv“ des Sozialwissenschaftlichen Archivs Kon­stanz über die Manu­skripte seines bishe­rigen Schaffens.

Dr. phil. h. c.(Linköping/Schweden), Dr. rer. pol. h. c. (Ljubljana/Slowenien), emeritierter Professor für Soziologie der Universität Konstanz; Studium der Philosophie, ver­gleichenden Sprachwissen­schaft, Geschichte und Soziologie in Wien, Innsbruck und New York. Dozentu­ren und Pro­fessuren am Hobart College, Geneva/New York, an der Graduate Faculty der New School for Social Research New York, an der Universität Frankfurt und seit 1970 an der Uni­versität Konstanz. Gastpro­fessuren an den Universitäten Freiburg, Harvard Divinity School, Cam­bridge/Mass., Wollongong/N.S.W. (Australien) Wien. Honorarprofessor der Universi­tät Salzburg, ordentlicher Professor Universität Ljubljana/Slowenien. (Ehem.) Fel­low, Center for Advanced Studies in the Behavioral Sciences, Stanford Kali­fornien; Korres­pondierendes Mit­glied, Slowenische Akademie der Wissen­schaften und Künste, Dr. phil. h. c., University of Science and Technology, Trondheim/Norwegen.

Veröffentlichungen (Auswahl): The Invisible Religion, New York, 1967, auch auf Deutsch, Italienisch, Spanisch, Polnisch, Japanisch, Chinesisch. The Social Construction of Rea­lity (mit Peter Berger), Gar­den City/N.Y.1966, auch auf Deutsch, Dänisch, Schwedisch, Franzö­sisch, Italienisch, Spanisch, Katalanisch, Portugiesisch, Russisch, Polnisch, Slowenisch, Fin­nisch, Japanisch und Chinesisch. Die Strukturen der Lebenswelt (mit Alfred Schutz) Bd. I, Neuwied, 1975, I and II, Frankfurt, 1979, 1984, auch englisch; The Sociology of Lan­gu­age, Indianapolis, 1975; Life-World and Social Realities, London, 1983, auch deutsch; Theo­rie des sozialen Handelns, Berlin, New York, 1992, auch spanisch; Modernity, Plu­ralism and the Cri­sis of Meaning (mit Peter Berger), Gütersloh, 1995, auch deutsch u. spanisch.

Herausgeber: Berufssoziologie (mit Walter Sprondel), Köln 1972; Phenomenology and So­ci­ology, Harmondsworth 1978; Religion in den Gegenwartsströmungen der deutschen Sozio­lo­gie (mit Fritz Daiber), München 1983; The Changing Face of Religion (mit James A. Beck­ford), London, New­bury Park and New Delhi, 1989. Herausgeber und Mitherausgeber ver­schiedener soziologischer, sozialpsychologischer, philosophischer und geschichtswissen­schaftlicher Zeitschriften und Reihen.

1.2 Die Bedeutung seines Essays „Die unsichtbare Religion“

Dieses von Luckmann selber als Essay bezeichnete und erstmals 1967 in New York erschie­nene Werk wird bald zu den Klassi­kern unter den neueren Religionstheorien gezählt. Er­staunlich ist, dass es, obwohl bereits in mehrere Sprachen übersetzt, erst 1991 im deutschen Sprach­raum zu­gänglich gemacht wurde, nachdem ein Vorläufer (Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft, Freiburg/Br. 1963) längst ver­grif­fen war.

Das Stichwort von der „unsichtbaren Religion“ brachte Luckmann schon 1963 in die Dis­kus­sion. Damals war längst ersichtlich, wenn man nicht gar auf Friedrich Nietz­sche (1844-1900) zurückgreifen wollte, dass nach dem beobachtba­ren Traditionsabbruch in der modernen In­dustriegesell­schaft, dem Zerfall der Plausibilität herkömmlicher Religi­ons­sys­teme und dem Abbröckeln religiöser Institutionen die „Religion“ jedoch nicht ver­schwun­den war. Sie war vielmehr abgewandert, ausgewan­dert und unsichtbar geworden. Wohin hat sie sich verflüch­tigt? Etwa in die Politik als civil reli­gion ? Oder in die Alltagserfahrung als Er­fahrun­g klei­ner, mittlerer und großer Transzendenzen?[1]

Solche Fragen werden auch im 21. Jahrhundert weiter diskutiert. So lief z. B. unter der Lei­tung von Winfried Gebhardt (geb. 1954) ein For­schungsprojekt bis März 2002 mit den Pro­fesso­ren Christoph Bochinger (geb. 1959), Ottmar Fuchs (geb. 1945) und Wolf­gang Scho­berth (geb. 1958) unter dem Titel: „Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Re­ligion. Formen spiritueller Orientie­rung in der Alltagsreligiosität evangeli­scher und katholi­scher Christen“.

Christoph Bochinger von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Bayreuther Universität bezieht sich in seinem Artikel „Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion“[2] ausdrück­lich auf Luckmann, der sich gegen die damals und noch heute weit verbreitete Vor­stellung wandte, „dass die Religion im Zuge der modernen Säkularisierung allmählich aus der Gesellschaft verschwinde. Vielmehr handle es sich um einen Verlagerungsprozess. Religion verlagere sich aus ihrem traditionellen, kirchlich-institutionellen Rahmen in Bereiche der Ge­sellschaft, die traditionell nichts mit Religion zu tun haben. Sie werde in diesem soziologi­schen Sinne ‚unsichtbar’, dass sie nicht mehr in der überkommenen, institutionalisierten Form verortet werden kann. Die Kirchen bleiben sonntags leer, aber Religion findet trotzdem statt, vielleicht auf dem Fußballplatz oder im Theater, vielleicht beim samstäglichen Autowaschen oder bei der Bergtour im Sommerurlaub. Dem liegt ein sehr weiter, funktionalistischer Reli­gionsbegriff zugrunde. Religion hat bei Luckmann die Funktion der Bewältigung von Trans­zendenzerlebnissen.“[3]

Auch Ingo Mörth (geb. 1949) gesteht in seiner Rezension zur Neuauflage der „un­sichtbaren Religion“Luckmann zu, dass er sowohl theoretisch als empirisch viel in Bewe­gung gesetzt habe: „Theoretisch eine neue Beschäftigung mit Begriff und Funktion von Re­ligion im all­ge­meinen, unabhängig von ihren historisch und kulturell definierten Erschei­nungsformen, und empirisch die Suche nach Spuren der Entwicklung neuer Sozialformen von Religion in der Moderne, nachdem die alten christlich-kirchlichen offensichtlich einem Ver­dunstungsprozess unterlagen (und heute weiterhin unterliegen).“

Hubert Knoblauch (geb. 1959), der das Vorwort[4] zur deutschen Erstauflage schrieb, hält Luck­manns Arbeit für „eine der wesentlichen Säulen des ‚wissenssoziologi­schen Ansat­zes’ der Religionssoziologie“[5], die nicht nur für die deutschsprachige Soziologie Folgen gezei­tigt habe.

Der italienische Professor Piergiorgio Grassi (geb. 1937) sah in Luckmanns „Unsichtbarer Religion“ drei Hauptthemen zusammenströmen: „Die Entwicklung einer Definition der Reli­gion (…); das Schicksal der Religion in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften und schließ­lich die Ankunft einer neuen Sozialform der Religion…“[6]

2 Die anthropologische Bedingung der Religion

Nicht nur orthodoxe Theologen sehen den christlichen Glauben „in einem Gegensatz zur Ge­sellschaft“[7] stehen, sondern allen scheint es heute offensichtlich geworden zu sein, dass „die Ent­stehung der modernen Welt mit einem Schwund der Religionen“[8] einhergeht.

(Besonders deutlich wird dies, um ein aktuelles und unsere Zukunft bestimmendes Beispiel hier schon einzuflechten, dass in der Verfassung der Europäischen Union bekanntlich kei­n unmittelbarer Got­tesbezug geduldet wurde, im Gegensatz zu den Vorstellungen der äl­testen eu­ropäischen Eini­gungsbewegung „Paneuropa-Union“, die 1922 von Grafen Richard Couden­hove-Kalergi ge­grün­det wurde und der zum Beispiel neben Albert Einstein auch Thomas Mann, Franz Wer­fel, Otto von Habsburg oder der spanische Philosoph Salvador de Mada­riaga angehörten; sie sahen allesamt im Christentum die Seele Europas, ohne durch be­sondere fromme Religiosität aufgefallen zu sein.)

Soziologisch ist dem Phänomen nach Ansicht Luckmanns jedoch nur beizukommen, wenn man sich der Definition vom Wesen der Religion entzieht, also der substanziellen Defi­nition die funktionale vorzieht, ohne in die „Erklärungsweisen des psychologischen Funktio­nalis­mus“[9] zu verfallen. Er stellte sich deshalb, um eine struktur-funktionale Analyse sinnvoll füh­ren zu können, folgende „Fragen von beträchtlicher Allgemeinheit“[10] voran:

1.) „Welches sind die allgemeinen anthropologischen Bedingungen für das, was als Reli­gion institutionalisiert werden kann?
2.) Welche Realität hat Religion als soziale Tatsache, noch bevor sie institutionalisiert wird?
3.) Wie bildet sie sich heran, bevor sie eine der verschiedenen historischen Formen reli­giö­ser Institutionen annimmt?
4.) Lassen sich die Bedingungen angeben, unter denen sie zur Institution wird?“[11]

Luckmann bezeichnet die uns bekannten Formen der Religion, vom Stammes- und Ahnen­kult bis hin zu den Kirchen und Sekten, als „symbolische Universa“, die für ihn „sozial ob­jektivierte Sinnsysteme“[12] ergeben, weil sie „alltägliche Erfahrungen mit einer ‚transzenden­ten’ Wirklichkeitsschicht in Beziehung“ setzten. Alle Sinnsysteme seien „aus Objektivierun­gen konstruiert“.

Nebenbei bemerkt: Schon sein Zeitgenosse Niklas Luhmann (1927-1998) glaubte mit der Ka­tegorie des Sinnes, der seine eigene Negierbarkeit einschließt, einen Begriff gefunden zu ha­ben, der mit relativ wenig Tradition belastet sei, obwohl er „seit mehr als hundert Jahren viel und vieldeutig verwendet“[13] wurde. Da von ihm die Religion als ein kommunikatives Ge­sche­hen verstanden wurde, hielt er auch - im Gegensatz zur Psychologie oder Anthropologie - die Soziologie für „die eigentlich zuständige Religionswissenschaft“.[14]

[...]


[1] Nach der Unterscheidung Luckmanns gibt es drei Arten von Transzendenz: Kleine Transzendenzen: Erfahrungen des Individuums, die beim Handeln in der All­tagswelt auf Raum und Zeit bezogen sind. Anders formuliert: Erfahrungen von Raum oder Zeit, die außer ‘Reichweite’ sind und auf Grund früherer Erfahrungen durch eine Transzendierung in ‘Reichweite’ gebracht werden. Mittlere Transzendenzen: Erfahrung eines gegebenen Mitmenschen. Dem Individuum ist der Andere durch die Gestalt seines Körpers gegeben. Es kann diesen ande­ren Körper jedoch nicht selber erfahren. Durch eine mittlere Transzendenz kann das Individuum auf der Ba­sis der eigenen Körpererfahrung von dem Äußeren des Anderen auf die Er­fahrung im Inneren des Anderen schließen. Große Transzendenzen: Erfahrungen, die Natur und Ge­sellschaft, die die Lebenswelt des Alltags überschreiten. Sie verweisen auf andere Wirklichkeiten, in denen das pragmati­sche Motiv aufgehoben ist. Das Individuum kann in anderen Wirklichkeiten nicht wir­ken und han­deln. Zu den anderen Wirklichkeiten gehören z.B. die Welt des Schlafes, der Träume, des Todes.

[2] Untertitel: Zur Alltagsreligiosität evangelischer und katholischer Christen in Franken. In: Bayreuther Beiträge zur Religionsforschung, Heft 5, Dezember 2001

[3] Ebenda S. 5

[4] Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. Thomas Luckmanns Unsichtbare Religion, in: Luckmann S. 7 bis 41 (Zitate aus Luckmanns Essay werden fortan nur mit der Seitenzahl angegeben.)

[5] Ebenda, S. 9

[6] P. Grassi: La „religione invisible“ di Thomas Luckmann, in: Rassegna di Teologia 5, 1978, S. 375

[7] S. 77

[8] Ebenda

[9] S. 78

[10] S. 79

[11] Ebenda

[12] Auch die folgenden Zitate: S. 80

[13] In: Die Religion der Gesellschaft. Hg. von A. Kesterling, Frankfurt: Suhrkamp 2000, S. 15

[14] Ebenda, S. 44

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Thomas Luckmann: Identität als universale Form
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Seminar: Klassiker der Religionssoziologie
Note
nicht bewertet
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V34480
ISBN (eBook)
9783638346863
ISBN (Buch)
9783640521982
Dateigröße
626 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vollständige Zitierung über Fußnoten, daher kein extra ausgewiesenes Literaturverzeichnis.
Schlagworte
Thomas, Luckmann, Identität, Form, Seminar, Klassiker, Religionssoziologie
Arbeit zitieren
Siegmar Faust (Autor:in), 2005, Thomas Luckmann: Identität als universale Form, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34480

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