Mehrfachadressierung im postmodernen Kinderroman


Seminararbeit, 2016

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Fragestellungen und methodisches Vorgehen

2. Mehrfachadressiertes Sprachhandeln
2.1 Mehrfachadressierung in der (post-)modemen Kinder- und Jugendliteratur
2.2 Adressatenqualifizierungen

3. Rico, Oskar und die Tieferschatten (Steinhöfel, 2008)
3.1 Analyse

4. Fazit

5. Ausblick

6. Literaturverzeichnis

7. Eigenständigkeitserklärung

1. Einleitung

Gibt man in das Suchfeld Online-Kataloges der Universitätsbibliothek Leipzig den Begriff „Mehrfachadressierung“ ein, so erscheint bereits an sechster Stelle ein Sammelband mit dem Titel Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht[1]. An neunter Stelle erscheint ein weiterer.

Dies erscheint auf den ersten Blick nicht unbedingt nachvollziehbar, da ja allein schon der Begriff „Kinder- und Jugendliteratur“ den Adressaten eindeutig zu bestimmen scheint- aber ist das wirklich so? Muss im Zeitalter der sogenannten „All-Age-Literatur“[2], der früh einsetzenden Förderung von Kindern und Jugendlichen nicht vielmehr davon ausgegangen werden, dass auch die Grenzen zwischen Kinder- und Jugendliteratur auf der einen und Erwachsenenliteratur auf der anderen Seite zunehmend aufgeweicht werden? Gibt es vielleicht sogar Kinder- und Jugendliteratur, die den erwachsenen Leser nicht als Vermittler, sondern als gleichberechtigten Adressaten anspricht? Und sollte es so sein, woran können wir das erkennen? Mit diesen Fragen wird sich die vorliegende Arbeit im Folgenden beschäftigen.

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Wenn man davon ausgeht, dass auch in einem Roman, also einem literarischen Werk, die Mehrfachadressierung mehr als eine subjektive Empfindung ist, so muss sie beobachtbar und linguistisch analysierbar sein. In dieser Arbeit geht es deshalb darum, herauszustellen ob und inwiefern sich die „mehrfachadressierte Sprachhandlung“ (Kühn 1995,1) in einem literarischen Werk, das offiziell dem Genre „Kinderroman“ angehört, finden und analysieren lässt.

Zu beachten sei hier, dass die eventuell gefundenen Elemente nicht zwingend ausschließlich die eine, kindliche, oder andere, erwachsene Leserschaft adressieren müssen. Möglicherweise lassen sich auch solche finden, die für beide Gruppierungen sowohl verständlich als auch (ästhetisch) ansprechend sind.

1.3 Fragestellungen und methodisches Vorgehen

Aus den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich nun folgende Fragestellungen:

Welche Hinweise auf eine Mehrfachadressierung sind im Kinderroman Rico, Oskar und die Tieferschatten zu finden?

Reichen diese aus, um tatsächlich von einem mehrfachadressierten Kinderroman ausgehen zu können?

Um diese Fragen beantworten zu können, soll zunächst theoretisch erfasst werden, was unter dem Begriff „Mehrfachadressierung“ verstanden wird und wie sich diese linguistisch heraussteilen lässt. Dabei wird vornehmlich Bezug genommen auf die Untersuchungen Peter Kühns, die dieser 1995 in seiner Monographie Mehrfachadressierung. Untersuchungen zur adressatenspezifischen Polyvalenz sprachlichen Handelns zusammengetragen hat. Anschließend soll ein Einblick in den aktuellen Forschungsstand der Kinder- und Jugendliteratur, in Bezug auf die Mehrfachadressierung, gegeben werden. Welche Rolle kommt der Kinder- und Jugendliteratur heute zu? Weshalb gehen einige renommierte Wissenschaftler auf diesem Gebiet von einer Öffnung dieses Genres für den erwachsenen Leser aus?

Im Analyseteil schließlich wird der eigentliche Untersuchungsgegenstand, Andreas Steinhöfels Kinderroman Rico, Oskar und die Tieferschatten, zunächst kurz inhaltlich zusammengefasst. Anhand einer Untersuchung relevanter Textstellen soll schließlich erfasst werden, ob wir es hier tatsächlich mit einer Mehrfachadressierung im linguistischen Sinne zu tun haben.

2. Mehrfachadressiertes Sprachhandeln

Der Sprachwissenschaftler Peter Kühn definiert den Begriff der Mehrfachadressierung global als Merkmal einer sprachlichen Äußerung, die „[...] sich hinsichtlich ihres Handlungsgehalts/pragmatischen Gehalts adressatenspezifisch unterschiedlich interpretieren [lässt] .“(Kühn 1995, 1). Oft wird dieses Prinzip anhand von Beispielen aus der Politik verdeutlicht. Politische Reden und Debatten werden daraufhin analysiert, inwiefern mit beispielsweise ein und derselben Äußerung sowohl die versammelten Politiker als auch weiter außenstehende Zuhörer, wie etwa Pressevertreter oder der Fernsehzuschauer, angesprochen werden (Kühn 1995, 39). Edelman spitzt diese Definition weiter zu, indem er konstatiert, die politische Debatte sei ,,[...]ein Drama, das gleichzeitig von und vor vielen Zuhörern aus verschiedenen sozialen Lebensständen gespielt wird“ (Ebenda). Er geht von zwei aufeinanderfolgenden Kommunikationsebenen aus. Die erste soll den unbeteiligten Zuhörer im Prinzip derart verwirren, dass er nicht genau erkennen kann, was wirklich mit den Äußerungen gemeint ist. Die zweite, eigentliche Kommunikationsebene könnte somit nur von den direkt beteiligten Zuhörern, also den übrigen Politikern, korrekt entschlüsselt werden. Die politische Debatte kann somit lediglich als „Rechtfertigungszeremonie vorab festgelegter Beschlüsse und Entscheidungen angesehen werden“ (Ebenda). Somit werden wir mit einer Dopplung konfrontiert, der „Brechung in zwei Realitätsebenen: Machtkampf und Täuschung über diesen Machtkampf4 (Offe 1976, Vili, ebenda).

Als weitere Beispiele führt Kühn neben Beipackzetteln und Reisekatalogen auch Arbeitszeugnisse und die „Verbalbeurteilungen in Grund- und Sonderschulzeugnissen“ an (Kühn 1995, vii). Das Prinzip sei dabei ähnlich dem der politischen Debatte. Mit ein- und derselben Äußerung werden verschiedenen Adressaten auf verschiedenen Ebenen angesprochen. Das Arbeitszeugnis beispielsweise soll den Arbeitnehmer positiv beschreiben, quasi als Aushängeschild für die kommenden Bewerbungen (Kühn 1995, 142: „loben“), gleichzeitig kann der potentielle zukünftige Arbeitgeber aus den zumeist „stereotypisierten Formulierungen“ (Ebenda) herauslesen, wo eventuelle Schwächen des Bewerbers liegen (Ebenda: „beurteilen“).

Weiterhin unterscheidet Kühn zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Mehrfachadressierung (Kühn 1995, 62). Für diese Arbeit ist dabei vornehmlich die absichtliche von Interesse:

„Eine absichtliche Mehrfachadressierung Hegt dann vor, wenn ein Sprecher/Schreiber willentlich und wissentlich ein und dieselbe Äußerung an zwei oder mehrere Adressaten richtet und diese Äußerung in bezug auf die verschiedenen Adressaten unterschiedlichen Handlungsmustem zugeordnet werden muss.“ (Kühn 1995, 63)

2.1 Mehrfachadressierung in der (post-)modernen Kinder- und Jugendliteratur

Mit Blick auf die Kinder- und Jugendliteratur stellt der Germanist und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Hans-Heino Ewers[3] fest, dass es das Prinzip der Mehrfachadressierung in diesem Genre schon zu allen Zeiten gegeben hat. Dabei zählen für ihn allein solche Werke, die sich an den erwachsenen Leser als zusätzlichen und vor allem vollwertigen Adressaten richten. Literatur, in denen der Erwachsene lediglich als Vermittler und „Vorkoster“ (etwa zum Prüfen der Angemessenheit der Lektüre) angesprochen wird, fällt nicht unter diese Kategorie (Ewers 2012, via kinderundjugendmedien.de). Eine Kinder- und Jugendliteratur, die den Erwachsenen von seiner, zum Beispiel pädagogischen, Güte überzeugen und den kindlichen Leser scheinbar unterhalten, eigentlich aber formen soll (Blume 2005, 27), arbeitet auf zwei Ebenen. Ähnlich der in Kapitel 2 beschriebenen Politikerrede, beziehungsweise dem Zeugnis, dient sie je nach Adressatengruppe einem unterschiedlichen Zweck. Der Erwachsene wäre hier der Verbündete, er soll sich schließlich für das Buch entscheiden. Ähnlich den Eltern des Schülers oder den übrigen Bundestagsabgeordneten aus Kapitel 2, hätte dieser somit einen höheren Stellenwert als der kindliche Leser und wäre somit streng genommen sogar eigentlicher Adressat.

Für mehrfachadressierte Kinder- und Jugendliteratur gibt es sowohl direkte als auch indirekte Merkmale. Mit direkten Merkmalen sind solche gemeint, die den erwachsenen Leser persönlich ansprechen und zur Lektüre einladen, etwa durch einen entsprechenden Untertitel[4]. Ein indirektes, nonverbales Merkmal ist zum Beispiel das Layout des Covers, welches sich gestalterisch vor allem in jüngster Zeit zunehmend dem der Erwachsenenliteratur annähert. Als Beispiele seien hier Fantasy- und Kriminalromane, sowie Thriller genannt (Ewers 2011, 4). Mehrfachadressierung, seit den 1990er Jahren synonym mit dem Begriff „Crossover Literatur“ verwendet, darf Blümer zufolge jedoch nicht mit doppelsinniger Literatur verwechselt werden. Doppelsinnig meine im Bezug auf die KJL nämlich, dass dem kindlichen Adressaten eine andere Botschaft zukommen soll als dem erwachsenen. Mehrfachadressiertheit meint hier jedoch, dass ebendiese gleich bleibt, aber aufgrund unterschiedlicher Lebenserfahrung (unter anderem abhängig von Alter und Bildung) entsprechend mehr oder weniger abgestuft wahrgenommen wird (Blümer 2009, 107).

Interessant ist außerdem die Beobachtung, dass in Bezug auf die Kinder- und Jugendliteratur nicht zwingend eine isolierte sprachliche Äußerung mehrfachadressiert sein muss. Oft ist vielmehr vom Text in seiner Gesamtheit die Rede, welcher „an mehr als eine Adressatengruppe gerichtet ist“ (Ewers 2012, vgl. kinderundjugendmedien.de).

Letzteres wird auch in der folgenden Analyse eine Rolle spielen. Hier wird nämlich davon ausgegangen, dass kindlicher und erwachsener Adressat nicht zwingend in ein- und derselben Äußerung angesprochen werden müssen um den Text als einen Mehrfachadressierten zu qualifizieren. Vielmehr wird unterstellt, dass sich eine bestimmte sprachliche Äußerung durchaus nur an eine einzige Adressatengruppe richten kann, während sie für die andere nicht von besonderem Interesse ist. Die ursprüngliche Absicht des Textes bleibt dabei trotzdem für beide Gruppen identisch.

2.2 Adressatenqualifizierungen

Ausgehend von den Überlegungen Rüttens (Rütten 1989, 202 in: Kühn 1995,80), lassen sich die hier untersuchten Adressatengruppen eindeutig voneinander differenzieren. Rütten hat verschiedene Kategorien aufgestellt, nach denen er die verschiedenen möglichen Adressaten unterscheidet (Ebenda). So gibt es nicht nur offensichtliche Kategorien wie „Mann und Frau“(Kategoerie „geschlechtsbezogen“), sondern auch „Beamte und Bürger“ (Kategorie „Kompetenz“) oder „Akademiker und Handwerker“(Kategorie „statusbezogen“) Die (politische) Korrektheit kann dieser Einteilung hier nicht näher untersucht werden. Das Modell dient hier vielmehr dazu, den Unterschied zwischen den für diese Arbeit interessanten Adressatengruppen zu verdeutlichen und in den größeren Zusammenhang einzuordnen. Erwachsene und Kinder werden hier in der Kategorie „altersbezogen“ kontrastiert. Man könnte beide Gruppen nun noch weiter ausdifferenzieren, zum Beispiel in „Kinder/Erwachsene aus dem Bildungsbürgertum“ und „Kinder/Erwachsene aus bildungsfemen Schichten“. Dies wäre sicherlich interessant für eine größer angelegte Untersuchung, beispielsweise innerhalb einer Qualifikationsschrift. In der hier vorliegenden Arbeit werden weitere Differenzierungen, dort wo es nötig erscheint, lediglich kurz angedeutet werden können.

[...]


[1] O'Sullivan; Rosier: Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Stauffenberg Verlag 2013

[2] Vgl. http://www.kinderundiueendmeclien.de/index.php/begriffe-und-termini/494-crossoverall·-age-literatúr

[3] Prof. Dr. Ewers ist außerdem Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann Wolfgang Goethe­Universität Frankfurt am Main (vgl. http://user,uni-frankfurt.de/~ewers/) abgerufen am 12.08.2016

[4] z.B. Der aufrichtige Kalendermann. Für die Jugend und den gemeinen Bürger und Bauersmann. (1792) vgl. hierzu www.kinderundiugendmedien.de (abgerufen am 10.08.2016)

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Mehrfachadressierung im postmodernen Kinderroman
Hochschule
Universität Leipzig  (Philologische Fakultät/Herder-Institut)
Veranstaltung
Textlinguistik und Textsortenanalyse
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V345017
ISBN (eBook)
9783668346659
ISBN (Buch)
9783668346666
Dateigröße
854 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mehrfachadressierung, Textlinguistik, Kinderliteratur
Arbeit zitieren
Christina Kliemt (Autor:in), 2016, Mehrfachadressierung im postmodernen Kinderroman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345017

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