Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inklusion – Vielfalt als Chance nutzen
2.1 Definitionen
2.1.1 Integration
2.2.2 Inklusion
2.2 Von der Integration zur Inklusion
2.3 Rechtliche Grundlagen – die UN-Behindertenrechtskonvention
3. Der Index für Inklusion für Kindertageseinrichtungen
3.1 Die vier Elemente des Index
3.1.1 Schlüsselkonzepte
3.1.2 Dimensionen und Bereiche
3.1.3 Indikatoren und Fragen
3.1.4 Der Index-Prozess
3.2 Der Index in der Praxis
3.2.1 Phase 1 – Mit dem Index beginnen
3.2.2 Phase 2 – Die Einrichtungssituation beleuchten
3.2.3 Phase 3 – Einen inklusiven Plan entwerfen
3.2.4 Phase 4 – Den inklusiven Plan in die Praxis umsetzen
3.2.5 Phase 5 – Den Index-Prozess evaluieren
4. Bedeutung für die frühpädagogische Praxis
4.1 Qualitätsanforderungen an die Fachkräfte
4.2 Kritische Auseinandersetzung
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Der Index-Prozess
1. Einleitung
Das deutsche Bildungssystem sieht vor, allen Kindern eine bestmögliche Entwicklungsumgebung zu bieten. Da das Fundament für eine erfolgreiche Entwicklung in den ersten Lebensjahren gesetzt wird, haben die Kindertageseinrichtungen eine große Verantwortung. Kinder brauchen Anregungen, um ihre Umwelt optimal erkunden zu können. Nur so können sie ihr gesamtes Potential entfalten. Besonders Kinder aus Migrationsfamilien oder in Armutslagen sind auf eine qualitativ hochwertige Bildung, Betreuung und Erziehung angewiesen. Hierzu gehört ein gemeinsames Lernen aller Kinder, ohne Aussonderungen. Kinder mit Behinderungen lernen gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen und Kinder mit Migrationshintergrund lernen gemeinsam mit Kindern, die aus Deutschland stammen. Diese Vielfalt muss als Chance genutzt werden und darf nicht als Bedrohung gesehen werden. Für die Fachkräfte bedeutet dies eine pädagogische Herausforderung und erhöhte Ansprüche an das pädagogische Handeln. Professionalität und ein verändertes Verständnis individueller Unterstützung sind somit fundamental für das Umsetzen der Inklusion in Kindertageseinrichtungen (vgl. Albers, 2011, S.7f.). Als Hilfestellung für die Umsetzung gibt es den Index für Inklusion für Kindertageseinrichtungen. Dieser wurde entwickelt, um jedem Kind sein Recht auf Bildung und Erziehung in sozialer Zugehörigkeit zu gewährleisten. Damit ist es den Kindertageseinrichtungen möglich, sich im Bereich der Inklusion aktiv weiterzuentwickeln und eine qualitativ hochwertige Pädagogik zu schaffen, die inklusiven Werten folgt (vgl. Schnell, 2013, S.93f.).
In dieser Ausarbeitung wird die Fragestellung bearbeitet, inwiefern der Index für Inklusion bei der Umsetzung des Inklusionsvorhabens in der Frühpädagogik beiträgt. Es werden zunächst die Begrifflichkeiten „Integration“ und „Inklusion“ voneinander abgegrenzt und der historische Wandel von der Integration zur Inklusion vorgestellt. Anschließend folgt die rechtliche Grundlage der Inklusion, die UN- Behindertenrechtskonvention, die die Basis des Index für Inklusion darstellt. Im dritten Kapitel wird der Index für Inklusion umfassend erläutert. Zunächst wird der theoretische Hintergrund dargelegt, bevor dann die praktischen Handlungskonzepte folgen. Kapitel 4 bietet einen Überblick über die Bedeutung des Inklusionsvorhabens für die frühpädagogische Praxis. Hier werden die Qualitätsanforderungen und Kritikpunkte erläutert. Das Resümee bildet den Abschluss dieser Ausarbeitung.
2. Inklusion – Vielfalt als Chance nutzen
2.1 Definitionen
2.1.1 Integration
„Integration umschreibt die Idee vom Erhalt bzw. der Wiederherstellung gemeinsamer Lebens- und Lernfelder für behinderte und nichtbehinderte Menschen, um der Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten aller willen“ (Exner, 2007, S.58).
Der Begriff „Integration“ wurde in Deutschland 1973 als sonderpädagogischer Fachbegriff eingeführt. Von da an stand „Integration“ für ein Konzept, das das gemeinsame Lernen und Leben behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher in den Fokus stellte. In der Praxis bedeutete dies eine gemeinsame Erziehung und Bildung in Regelkindergärten und Regelschulen (vgl. Sander, 2002, S.3).
Es geht bei dem Integrationskonzept um die Abschaffung von Selektion und Aussonderung der Menschen mit Behinderungen. Dies bedeutete damals starke Veränderungen in der Erziehungs- und Bildungspraxis (vgl. ebd., S.59). Die praktische Umsetzung des Integrationskonzepts hat gezeigt, dass die Kennzeichnung eines besonderen Merkmals oft zur Trennung von Personengruppen führt (vgl. Hoffmann, 2013, S.81). Das Herbeiführen einer homogenen Gesellschaft ist irreal und der einzigartige Mensch wird durch die Integration zum Objekt der Gesellschaft (vgl. ebd., S.83).
2.2.2 Inklusion
„Es geht bei Inklusion um die Gestaltung eines Umfeldes oder Systems, das in der Lage ist, auf Vielfalt einzugehen, und zwar so, dass alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen wertgeschätzt werden, unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Alter sowie körperlichen und geistigen Potentialen und Beeinträchtigungen“ (Jerg, Schumann & Thalheim, 2011, S.65).
Inklusion ist der Prozess, bei dem die Bedürfnisse aller Kinder, Jugendlicher und Erwachsener Beachtung finden. Die Partizipation, also die Teilhabe aller Menschen, und die Abschaffung von Ausgrenzungen innerhalb des Bildungssystems sind hierfür fundamental (vgl. Wagner, 2013, S.13).
Seit 2009 ist Inklusion eine wesentliche Aufgabe des deutschen Bildungssystems. Bisherige Konzepte der integrativen oder interkulturellen Arbeit werden nun in Frage gestellt, da in diesen Konzepten darauf geachtet wird, dass alle Kinder gleich behandelt werden. Im Zuge der Inklusion wird jedoch jedes Kind individuell wahrgenommen und behandelt, denn Kinder brauchen Unterschiede, um Bildungsprozesse erfolgreich absolvieren zu können. Die Unterschiedlichkeit aller Kinder wird anerkannt und als Chance genutzt. Menschen leben in sehr unterschiedlichen Lebenswelten und ihre Identität setzt sich aus vielen verschiedenen Merkmalen zusammen. Nicht nur ein Merkmal, wie z.B. „behindert“ oder „hochbegabt“, charakterisiert die menschliche Persönlichkeit. Die Unterschiedlichkeit der Kinder wird innerhalb der inklusiven Denkweise weder als „normal“, noch als „abweichend“ bewertet (vgl. ebd., S.13ff.).
Menschen in schwierigen Lebenslagen haben meist das Problem, dass die Bildungseinrichtungen und Bildungsangebote als ungeeignet für sie gelten. Dadurch erfahren diese Menschen Ausgrenzung und gehören in der allgemeinen Gesellschaft nicht dazu. Vor allem Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung, mit Migrationshintergrund, in Armutslagen oder auch Kinder von alleinerziehenden Eltern haben meist nicht die gleichen Bildungschancen wie Kinder, die diese Probleme nicht haben. Inklusion trägt die Hoffnung, dass der Blick für Ausgrenzung geschärft wird und es somit nicht mehr dazu kommt. Es gilt für jeden Einzelnen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und das eigene Handeln und Denken insoweit zu verändern, dass niemand mehr aufgrund einzelner Persönlichkeitsmerkmale benachteiligt oder ausgeschlossen wird (vgl. ebd., S.15f.).
2.2 Von der Integration zur Inklusion
In den 1970er Jahren traten die ersten Integrationsbestrebungen auf, durch die eine gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung ermöglicht werden sollte. Bis zu dem Zeitpunkt war es noch üblich, Kinder mir Behinderung in gesonderten Einrichtungen unterzubringen. Besonders die Eltern dieser Kinder waren es, die sich eine gemeinsame Erziehung, Bildung und Betreuung in Regeleinrichtungen wünschten. Es gab einige Voraussetzungen, die für eine gelingende Integration erfüllt werden mussten. Seitens des Fachpersonals war dies die persönliche Einstellung und Haltung zur Andersartigkeit und die Positionierung gegenüber Diskriminierung (vgl. Albers, 2012, S.51f.). Da Kinder mit Behinderungen meist Schwierigkeiten haben, sich in eine Gruppe nicht behinderter Kinder zu integrieren, bekommen sie seit der Ausübung der Integration dabei Unterstützung durch eine Fachkraft. Diese ist dafür zuständig, dem Kind mit Behinderung helfend zur Seite zu stehen, falls keine Interaktion zwischen den Kindern stattfindet. Sobald eine Spielsituation entsteht, ist ein zurückhaltendes Erzieherverhalten förderlich (vgl. ebd., S.54f.).
2008 trat in Deutschland die UN-Konvention in Kraft, die in Kapitel 2.3 näher erläutert wird. Diese Konvention dient zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung (vgl. ebd., S.51). Zwar ist das Merkmal der Behinderung nur eins von vielen Merkmalen, die im Zuge der Inklusion aufgegriffen werden, jedoch ist dies eins der bedeutendsten Merkmale, die in unserer Gesellschaft zur Ausgrenzung führen kann (vgl. Dannenbeck & Dorrance, 2009, verfügbar unter http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/161/161).
2.3 Rechtliche Grundlagen – die UN-Behindertenrechtskonvention
Die rechtliche Grundlage der Inklusion bildet die UN-Behindertenrechtskonvention der Vereinigten Nationen, die am 3. Mai 2008 in Kraft getreten ist. In diesem Abkommen geht es um die Rechte und die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, innerhalb der Gesellschaft. Am 30.03.2007 hat Deutschland als eines der ersten Länder dieses Abkommen unterschrieben und hat seitdem den Auftrag, diese Konvention im Alltag umzusetzen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011, S.3). „Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (ebd., S.10).
Die Grundsätze der Konvention sind die Achtung vor der Würde des Menschen, die Nichtdiskriminierung, die Teilhabe an der Gesellschaft, Chancengleichheit, Zugänglichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Achtung vor den Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Wahrung ihrer Identität (vgl. ebd., S.12f.).
Alle Staaten, die dieses Abkommen anerkennen, haben allgemeine Pflichten zu erfüllen. Hierzu gehört die Gewährleistung und Förderung der Verwirklichung aller Menschenrechte und der Grundfreiheit für alle Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung (vgl. ebd., S.13). Jeder Staat ist dazu verpflichtet, Maßnahmen zu unternehmen, um diese Rechte umzusetzen. Für die Umsetzung hat der jeweilige Staat zur Beratung diejenigen Organisationen hinzuzuziehen, die die Menschen mit Behinderungen vertreten. Alle Bestimmungen in diesem Abkommen gelten für alle Regionen der beteiligten Staaten gleichermaßen (vgl. ebd., S.15f.).
Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich und werden gleich behandelt. Niemand wird diskriminiert und jeder Mensch erhält denselben Schutz durch das Gesetz. Frauen und Kinder mit Behinderungen sind einem besonderen Schutz ausgesetzt und erfahren alle Menschenrechte und Grundfreiheiten gleichermaßen (vgl. ebd., S.16ff.). Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben und der Staat ist verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu treffen, um dieses Recht sicherzustellen (vgl. ebd., S.22). Dies beinhaltet, dass Menschen mit Behinderungen ebenso wie Menschen ohne Behinderungen das Recht haben, frei und sicher zu leben. Von ihnen sollen Gefahren und gefährliche Situationen ferngehalten werden, sie dürfen nicht unmenschlich behandelt werden und sie haben die Möglichkeit, sich jederzeit und überall im Land frei zu bewegen (vgl. ebd. 25ff.). Auch der Lebensraum von Menschen mit Behinderungen ist in der UN-Behindertenrechtskonvention gesetzlich geschützt. Dazu gehören die eigene Entscheidung über den Wohnraum, eine geschützte Privatsphäre und das Recht auf Partnerschaft und Familie (vgl. ebd. 33ff.).
Für Bildungseinrichtungen, einschließlich Kindertageseinrichtungen, ist besonders der Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention von Bedeutung. Darin geht es um das Recht auf Bildung. Menschen mit Behinderungen, demnach auch Kinder mit Behinderungen, haben das Recht ohne Diskriminierung und mit Chancengleichheit am Bildungssystem teilzunehmen. Alle Vertragsstaaten sind daher aufgefordert, das Bildungssystem so anzupassen, dass die geistigen und körperlichen Fähigkeiten dieser Menschen frei und ohne Einschränkungen entfaltet werden können. Kinder mit Behinderungen dürfen nicht vom Bildungssystem ausgeschlossen werden und dürfen ebenso wie alle anderen Kinder Kindertageseinrichtungen und Schulen besuchen. Dabei müssen individuell angepasste Unterstützungsmöglichkeiten gewährleistet sein, um eine bestmögliche soziale und schulische Entwicklung sicherzustellen (vgl. ebd., S.36f.).
3. Der Index für Inklusion für Kindertageseinrichtungen
Im Jahr 2006 wurde die deutschsprachige Ausgabe des „Index for Inclusion – developing learning, participation and play in early years and childcare“ herausgegeben (vgl. Booth, Ainscow & Kingston, 2013, S.5). Wissenschaftliche Beratung gab es dabei von Ulrich Heimlich und Andreas Hinz von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Der Index für Inklusion wurde als eine Hilfestellung und Handreichung für alle Kindertageseinrichtungen erarbeitet, die sich allen Kindern des Wohnortes gegenüber öffnen möchten. Das Recht aller Kinder auf Partizipation soll damit pädagogisch verwirklicht werden. Ein gemeinsames Miteinander ist das Ziel der inklusiven Arbeit und der Index hilft den Kindertageseinrichtungen bei der Umsetzung und Weiterentwicklung im inklusiven Sinne (vgl. Schnell, 2013, S.94f.).
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