Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Übersetzung Sil. 2, 414b–415; 2, 420–425
III. Interpretation - Sprachliche, stilistische und metrische Analyse
IV. Schlussteil
V. Literaturverzeichnis
1. Editionen, Kommentare, Übersetzungen
2. Sekundärliteratur
I. Einleitung
Die vorliegende Textstelle ist ein zentraler Bestandteil der Schildekphrasis im 2. Buch der Punica von Silius Italicus. Der karthagische Anführer Hannibal erhält jenen Schild zusammen mit anderen Waffengeschenken von einer verbündeten spanischen Völkerschaft[1] und begutachtet die Abbildungen mit Wohlwollen. Dadurch euphorisiert, schöpft er entschlossen weiteren Mut.
Diese Illustrationen werden mittels der Darstellung der Gründung Karthagos durch Dido eingeleitet und gehen nach wenigen Versen in eine äußerst komprimierte Aufarbeitung der bekannten Episode der phönizischen Königin und Aeneas über. Des Weiteren werden auch noch Hannibal selbst, Regulus, das belagerte Sagunt und andere Begebenheiten, auf die im Rahmen dieser Arbeit ebenso nicht weiter einzugehen ist, verbildlicht.
In der unten folgenden Interpretation soll daher analysiert und erarbeitet werden, inwieweit Silius Italicus sich im vorliegenden Passus an den Vorlagen aus Vergils Aeneis (und dabei besonders der Bücher 1-5) orientiert haben könnte, bzw. ob der flavische Dichter gar eine aemulatio mit dem großen Epiker anstrebt und auch, wie sehr diese und andere in der Ekphrasis beschriebenen Begebenheiten als Ursache oder Auslöser der in den Punica vorherrschenden Situation des 2. punischen Krieges fungiert haben könnten[2].
II. Übersetzung 2, 414b–415; 2, 420–425
Mit heiterem Gemüt und schon freundlicher Miene erblickte ihn die glücklose[3] Königin voller Verlangen. 415
nicht weit entfernt davon, strebte die Flotte der Aeneaden auf das Meer 420
hinaus, während Elissa sie am bereits verlassenen Strand vergeblich zurückrief.
Die verletzte Dido selbst trug, als sie auf einem gewaltigen Scheiterhaufen
stand, den künftigen Tyrern die Pflicht[4] der Rachekriege auf.
Vom hohen Meer aus sah der Dardaner den brennenden Scheiterhaufen und spannte die Segel für die große Verheißung. 425
III. Interpretation – Sprachliche, stilistische und metrische Analyse
Der im Folgenden zu interpretierende Abschnitt der Verse 414b–415, bzw. 420–425 des 2. Buches der Punica ist ein zentraler Teil der Schildekphrasis. Jene Passage wird in den ersten beiden Versen durch eine paradox wirkende Anhäufung kontrastierend wertender Adjektive, deren Bezugswörter allesamt direkt oder als pars pro toto auf Dido eingehen, eröffnet.
Die Charakterisierung, bzw. Vorstellung der regina Dido, die in Vers 406 als zentrales Motiv der Ekphrasis eingeführt wird, geschieht auf äußerst raffinierte und vielschichtige Weise. Nach der Ankunft des Aeneas erblickt sie ihn mit heiterem Gemüt (fronte … serena, gesperrt durch ein Hyperbaton) und freundlicher Miene (vultu … amico). Das einleitende fronte ist jedoch in sensu latiore[5], d.h. etwa als sedes animi, bzw. cor aufzufassen. Dadurch wird deutlich, dass der Moment, in dem sie den trojanischen Helden erblickt, tiefe Spuren in ihr hinterlässt und sie komplett durcheinander bringt. Diese Aufregung und Spannung wird zudem durch die Hyperbata und die zahlreichen Adjektive der seelischen Empfindsamkeit illustriert. Auch das Adverb avide unterstützt diese markant wahrnehmbare Emotionalität und verleiht der Begierde Didos auch eine sexuell-motivierte Komponente[6]. Sie scheint auf den ersten Blick in Liebe entbrannt zu sein und kann erstmal nicht die Augen von ihm ablassen, was die durative Aktionsart des Imperfekts spectabat nachdrücklich betont. Auch das durch die Metrik betonte iam verweist auf eine allzu rasche Hingezogenheit zum Sohn der Venus. Hieraus resultieren schlussendlich das heitere Gemüt (s.o.) und der freundliche Gesichtsausdruck, sowie ihr körperliches Verlangen (avide).
Nichtsdestotrotz charakterisiert Silius Italicus die Königin hier als infelix. Dieser scheinbare Widerspruch, der durch die auffällige Stellung (regina serena / infelix) eindrucksvoll bekräftigt wird, lässt sich, rekurrierend auf das Vorwissen des Rezipienten bezüglich der Aeneis und des damit vorhersehbaren Fortlaufs der Geschichte, als Prolepse[7] definieren.
Beachtenswert ist auch die Position dieses wertenden Adjektivs im Vers. Diesen isoliert betrachtend, lässt sich eine umgedrehte Chronologie im Bezug auf die Gefühlslage Didos feststellen. Aber nicht nur die Tatsache, dass es am Versanfang steht, sondern auch die Trithemimeres, die es vom Rest des Verses abtrennt, exponieren infelix nachhaltig. Daher wird dieser stark kontrastierenden Eigenschaft eine besondere Bedeutung zuteil. Eine derartige Wertung wirkt im vorliegenden Kontext zunächst paradox. Dennoch lässt all das logische Rückschlüsse auf das emotionale Befinden der regina zu. Dieses ambivalente Verhältnis derartiger Gefühlsebenen spiegelt schlichtweg ihre an sich absurde Lage wider. Zu viele Emotionen und Triebe wirken auf sie ein. Sie ist einerseits schwärmerisch verzückt, aber wird eben dennoch infelix sein.
Dahinter verbirgt sich, wie oben bereits angedeutet, ein proleptisches Moment des Dichters. Er spielt, wie auch viele andere nachvergilische Epiker, als poeta doctus eindeutig auf das Vorwissen des Lesers an, indem er die Kenntnis der Aeneis und somit die Sinnhaftigkeit des infelix als bekannt voraussetzt. Sogar wörtliche Verweise offenbaren sich sofort. Vergil charakterisiert die karthagische Königin in Buch 1 des Epos innerhalb von weniger als 40 Versen gleich zweimal durch diese Gemütseigenschaft und wirkt somit geradezu empathisch[8]. Auffällig ist auch hier die Intensität der Gefühle Didos, die anschaulich durch die Feuermetaphorik (ardescitque, Verg. Aen. 1, 713), welche wiederum ein gängiges Topos der Liebespoesie ist[9], illustriert wird. Es lassen sich jedoch noch weitere vergleichbare proleptische Verwendungen von infelix finden[10].
Im Gegensatz zur Aeneis, in der der Grund für jene Bezeichnung zum Teil erst mehrere Bücher später folgt, ist der zeitliche Bogen bei Silius Italicus äußerst kurz, was daran liegt, dass speziell in dieser kurzen Passage der Ekphrasis die Bücher 1 bis 5 des vergilischen Epos im Grunde genommen in wenigen Versen abgehandelt werden. Der Dichter strebt dadurch jedoch keineswegs eine aemulatio an oder versucht gar eine Leerstelle zu finden. Im Gegenteil, er wählt diese kurze Entfaltungsart, um den Hass der Karthager aitiologisch kompakt zu begründen. In dem Wissen, dass seinen Rezipienten jene Zusammenhänge sehr vertraut sind, reicht es ihm auf diese Darstellungsweise zurückzugreifen. Daher wird auch die Episode des Jagdausflugs der beiden Protagonisten sowie die anschließende Liebesvereinigung in einer Höhle ebenso kurz (2, 416–419) dargestellt.
Durch Vers 420 wird wiederum eine Wende herbeigeführt, da Dido feststellt, dass der trojanische Held bedauerlicherweise bereits zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Eingeleitet wird diese Passage durch ein gliederndes Element innerhalb der Ekphrasis. Derartige Wendungen, wie hier nec procul, determinieren diese Episode als Teil einer Schildbeschreibung und sind ein unmissverständliches Charakteristikum einer Schilderung (z.B. eines Bildes) [11] .
In gewisser Weise wird durch diesen strukturierenden Baustein ein inhaltlicher Wendepunkt markiert. Und tatsächlich ist der Übergang von der Liebesnacht der Dido mit Aeneas, auf die in Vers 419 angespielt wird, hin zur Abreise des Trojaners im folgenden Vers, recht abrupt. In den nächsten beiden Hexametern versucht die Königin vergeblich die Flotte der Aeneaden zurückzurufen und bleibt allein am Strand zurück. Die Penthemimeres in 420 trennt die Gefolgschaft und ihren Anführer von dem bereits verlassenen Strand (vacuo iam litore), sodass die emotionale Distanz zu dem Ort, den er zurücklässt, auch metrisch visualisiert wird. Das iam, das für ein kleines Hyperbaton von vacuo und litore sorgt, verdeutlicht zum einen die Raschheit, mit der die Abreise vonstatten ging und zum anderen schlicht die Sichtweise Didos.
Besonders interessant ist an dieser Stelle die Verwendung der Bezeichnung Aeneadum. Dem Thesaurus Linguae Latinae zufolge, sind die Aeneades bei Silius Italicus immer den Puniern entgegengesetzt[12], sodass sie hier, metonymisch verwendet für die Römer im Allgemeinen, aus karthagischer Sicht durch Untreue und Undankbarkeit charakterisiert werden. All das dient dem Schüren des Hasses der Barkiden gegenüber den Römern.
Das Prädikat der beiden Verse (operibat) ist in der Überlieferung durchaus umstritten. Neben operibat sind im textkritischen Apparat nämlich alternativ auch Handschriften mit peribat, pr(a)eibat und petebat[13] überliefert. Das Verb steht recht auffällig innerhalb des Ablativus absolutus (nequiquam revocante … Elissa). Dadurch wird deutlich, dass die beiden genannten Aktionen miteinander verwoben sind. Auch die Aktionsart des Partizip Präsens Aktiv (revocante) unterstreicht diese Gleichzeitigkeit.
Der schweizer Altphilologe François Spaltenstein stellt in seinem Kommentar zu den Punica für diese Stelle einen inhaltlichen Unterschied zu der parallelen Situation in Buch 4 des Vorbildsepos heraus. Während Dido bei Vergil die Abfahrt der Flotte von ihrem Palast aus bemerkt, gestaltet Silius Italicus die Szenerie anders (die Königin unternimmt den erfolglosen Versuch Aeneas zurückzurufen vom vacuo iam litore aus), um die Vorstellung zu vereinfachen und die Anekdote symbolisch zu gestalten[14]. Das Resultat und seine Folgen bleiben die gleichen: Der umworbene Trojaner kehrt nicht mehr zurück und das selbsterwählte Ende der Elissa naht. Dennoch verläuft der Prozess in dem Werk, das dieser Arbeit zugrunde liegt, natürlich wesentlich komprimierter. Wo in der Aeneis noch auf ganz typische Weise das Wehklagen, bzw. der Trauergestus des Brustschlagens und des Raufens der Haare dargestellt wird[15], ist bei dem flavischen Epiker der Übergang von der Abfahrt der Flotte hin zum Scheiterhaufen erneut sehr abrupt und kurz.
[...]
[1] Anders als beim Schild des Aeneas in Buch 8 der Aeneis und dem Schild des Achill bei Homer handelt es sich hier um Geschenke, die durch Menschenhand geschaffen wurden. Darin kann man proleptisch bereits eine zeitliche Begrenztheit des Erfolges der Karthager sehen. Auch Von Albrecht (1964) 175 wähnt dadurch die „Götter auf seiten Roms“.
[2] Vgl. Stürner (2006) 178, der die „Darstellungen des Schildes (…) als eine Archäologie der Kriegsgründe“ sieht.
[3] Auf die proleptische Funktion von infelix wird im Folgenden noch genauer eingegangen.
[4] ThLL VIII, 263,68 s.v. mando führt die vorliegende Textstelle unter imperare, praecipere als Ausprägung von mando auf.
[5] ThLL VI 1, 1355,83–85 s.v. frons: interessant ist auch folgende Beobachtung an selber Stelle: accedunt persaepe adiectiva, opponuntur verba, quibus significatur interior hominis pars, ut cor . Besonders in dem vorliegenden Fall ist jener Ansatz äußerst zutreffend.
[6] ThLL II, 1430,64–65 s.v. avidus: vorliegende Textstelle ist unter dem Sublemma de libidine aufgeführt.
[7] Vgl. Spaltenstein (1986) 146: „L’annonce du malheur imminent de Didon costraste efficacement avec sa sérénité actuelle.“.
[8] Vgl. Verg. Aen. 1, 712–714: Praecipue infelix, pesti devota futurae, / expleri mentem nequit ardescitque tuendo / Phoenissa; außerdem: Verg. Aen. 1, 748–749: Nec non et vario noctem sermone trahebat / infelix Dido, longumque bibebat amorem,.
[9] Für eine genauere Untersuchung siehe z.B. Huber-Rebenich, Gerlinde: „Beobachtungen zur Feuermetaphorik im sermo amatorius in Ovids Metamorphosen“.
[10] ThLL VII 1, 1361,43–48 gibt u.a. auch noch folgende Parallelstellen an: Verg. Aen. 4, 68: infelix Dido (auch hier ist es eindeutig proleptisch, da noch nicht einmal die Liebesvereinigung in der Höhle stattgefunden hat und Dido in ihrer Verliebtheit keinen Grund hat, infelix zu sein); außerdem: Ov. met. 6, 239: Phaedimus infelix (Phaedimus, der Sohn der Niobe, der kurz darauf im Auftrag der Latona getötet wird).
[11] Deshalb lassen sich auch zahlreiche Parallelstellen (u.a. in der Ekphrasis des Schildes für Aeneas in Buch 8 der Aeneis) nachweisen: Verg. Aen. 8, 635: nec procul hinc, bzw. 8, 640: haud procul inde.
[12] Vgl. ThLL I, 984,26–29 s.v. Aeneades: apud sil. oppositi sunt Poenis.
[13] Ich bevorzuge hier eindeutig petebat, weil dem Verb petere eine Komponente innewohnt, die dem Charakter des raschen Abfahrens, bzw. der ‚Flucht’ auf das Meer hinaus am ehesten gerecht wird.
[14] Vgl. Spaltenstein (1986) 146: „Chez Verg. Aen. 4,584 sqq., Didon aperçoit le rivage désert depuis son palais.Sil[ius] simplifie l’imagination et rend symboliquement l’anecdote.“.
[15] Vgl. Verg. Aen. 4, 589–591 : terque quaterque manu pectus percussa decorum / flauentisque abscissa comas 'pro Iuppiter! ibit / hic,' ait (...).