Soziale Grundrechte oder Freiheitsrechte?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Freiheitsrechte und soziale Grundrechte - ein Überblick
2.1. Freiheitsrechte
2.2. Soziale Grundrechte

3. Freiheit oder soziale Grundrechte?
3.1. Negative Freiheit
3.2. positive Freiheit
3.3. Weniger schwarz weiße Sicht auf Freiheit

4. Freiheit und soziale Grundrechte

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Räumen die klassischen Grundrechte dem Individuum grundsätzlich unbeschränkte Freiheit ein, wogegen sie den Staat in seinen Handlungen grundsätzlich beschränkt erscheinen lassen, bereitet die gleichzeitige Aufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung diesem Konzept ein so jähes Ende.“ In dieser Äußerung Theodor Tomandels (zitiert von Horner, S. 220) spiegelt sich sehr deutlich die Problematik wieder, dass soziale Grundrechte die liberale Freiheit erheblich zu gefährden scheinen.

Jede Demokratie im 20. Jahrhundert versteht sich als eine soziale, und es wird auch der sozialen Dimension, wenn auch in unterschiedlichen Formen, weitgehend Rechnung getragen. Soziale Rechte werden in Verbindung mit bürgerlichen und politischen Rechten als Grundlage für echte Demokratien gesehen. Nur wenn es um die Verankerung in der Verfassung und damit um die Gleichsetzung der sozialen Grundrechte mit den klassischen Grundrechten als unveräußerliche Menschenrechte geht, wird immer wieder abgeblockt, mit dem Hinweis auf die Gefährdung der individuellen Freiheit.

Diese Diskussion ist nicht erst in diesem Jahrhundert aufgekommen. Bereits die französische Nationalversammlung bezog 1789 das Recht auf ein Existenzminimum in ihre Beratungen über die Menschenrechte ein. Unstrittig war damals bereits, dass es notwendiger ist, den Menschen einen Lebensunterhalt zu verschaffen, als abstrakte Freiheit zu versprechen. „Die politische Gemeinschaft schuldet jedermann die Mittel zu seiner Erhaltung, sei es durch Arbeit, Eigentum oder durch Hilfe seinesgleichen.“ (Krause, S. 410). In der Menschenrechtserklärung der französischen Verfassung wurden soziale Grundrechte dann aber doch nicht aufgenommen. Bis heute wurden in den Verfassungen soziale Grundrechte von den geheiligten Menschenrechten ausgespart. Diese „stiefmütterliche Behandlung“ begünstigte sicherlich die gängige Auffassung, dass soziale Grundrechte und Freiheitsrechte inkompatibel sind.

In dieser Arbeit werde ich mich damit auseinandersetzen, ob dem wirklich so ist, ob der propagierte Absolutheitsanspruch der Freiheitsrechte und der klassischen liberalen

Verfassungsordnung noch gerechtfertigt ist.

Dafür werde ich kurz die klassischen und die sozialen Grundrechte charakterisieren und deren historische Rechtfertigung darlegen. In diesem Kontext werde ich auf die verschiedenen Darstellungen sozialer Grundrechte eingehen und darstellen, warum immer wieder darauf verwiesen wird, dass diese nicht in gleichem Maße umsetzbar sind, wie die Freiheitsrechte. Im weiteren Verlauf soll der Begriff der Freiheit untersucht werden. Dies erscheint mir angebracht, da in der Literatur und der Debatte über die Rolle der sozialen Grundrechte der Eindruck zu entstehen scheint, dass Freiheit der einzige Wert ist, auf den es in einer Gemeinschaft ankommt. Zu diesem Zweck soll ganz kurz auf verschiedene Freiheitskonzeptionen eingegangen werden. Darauf aufbauend werde ich im Hauptteil dieser Arbeit diskutieren, ob und in welchem Ausmaß die Freiheit der Individuen eingeschränkt würde, wenn die sozialen Grundrechte den Freiheitsrechten als gleichberechtigter Pendant zur Seite gestellt wird. Vor allem ist in diesem Zusammenhang der Widerspruch interessant, dass die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz die Grundlage für die reale Freiheit - die praktische Wahrnehmung der Freiheitsrechte – darstellt (was allgemein in der Literatur anerkannt wird und unter Kapitel 2.2. genauer dargelegt werden soll) und der Befürchtung, durch die verfassungsrechtliche Garantie der sozialen Grundrechte diese Freiheitsrechte zu gefährden.

2. Freiheitsrechte und soziale Grundrechte - ein Überblick

2.1. Freiheitsrechte

Ihre Wurzeln haben die Freiheitsrechte in der Vorstellung der Menschen, in Freiheit von der Furcht vor dem Staat und der Mitmenschen, selbstverantwortlich sich frei entfalten zu können. Der Staat sollte daran gehindert werden, willkürlich in das Leben seiner Bürger einzugreifen. Jeder muss sich frei für das ihm wünschenswerteste Ziel entscheiden können, ohne in der Wahl oder Ausführung daran gehindert zu werden. Denn das Grundprinzip der liberalen Ordnung ist, dass jeder sich selbst hilft und der Staat nur im Notfall eingreift. Es wird die Anerkennung einer vorstaatlichen Rechts- und Freiheitssphäre zugrunde gelegt. Diese wird durch die klassischen Grundrechte umschrieben und gegen staatlichen Zugriff abgesichert. Der dabei zugrundeliegende Freiheitsbegriff ist á priori. Die vorstaatliche Freiheit ist nicht das Ergebnis sozialer Organisation, sondern liegt ihr voraus und die Aufgabe des Rechtes ist es, diese zu schützen. Solche Freiheitsrechte sind u.a. Handlungs-, Erwerbs-, Meinungs-, Vertrags-, Berufs-, Religionsfreiheit, Rechtsgleichheit oder das Recht auf Eigentum. In diesen Bereichen darf es keine gezielte Interventionen des Staates geben und falls doch, kann jeder dagegen klagen. Die Freiheitsrechte stellen somit Abwehrrechte für die Menschen gegen etwaige Willkür des Staates dar. Dem staatlichen Handeln werden rechtliche Bindungen auferlegt. Diese Idee baut auf die Trennung von Staat und Gesellschaft auf. Gesellschaftliche Abläufe sind eigenständig und unterstehen weder dem Einfluss noch der Kontrolle des Staates. Alle die Freiheit des Einzelnen einschränkenden gesetzlichen staatlichen Verfügungen müssen aufgehoben sein. Die einzige Einschränkung in der individuellen Freiheitsausübung besteht darin, dass Mitmenschen in ihrer freien Entfaltung nicht behindert werden dürfen. Die Aufgabe des Staates ist es, dies zu garantieren, indem Gesetze erlassen werden, die alle in gleichem Maße schützen, „das gegenseitige Geltenlassen der Selbstbestimmung in den zwischenmenschlichen Beziehungen “ (Henkel, S. 402) garantieren. Das heißt, dass ich andere nicht so behandeln soll, wie ich selber nicht behandelt werden will.

Das Recht auf Eigentum, die freie Berufswahl und die Vertragsfreiheit sind die sozialen Lebensgrundlagen in dieser bürgerlich liberalen Ordnung. Rechtlich haben alle die gleiche Möglichkeit, nach dem größten Wohlstand zu streben oder sich wenigstens aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung die Existenz zu sichern. Dabei muss nicht befürchtet werden, dass der Staat nach dem erworbenen Eigentum greift oder Vorschriften macht, wie zu dem Ziel gelangen kann. Traditionell hat die Familie in diesem System die Funktion des sozialen Netzes. Jene, die sich nicht oder nicht mehr aus eigener Kraft versorgen können, werden in dieser „aufgefangen“, von den noch leistungsfähigen Mitgliedern versorgt.

Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen und technischen Entwicklung – der Industrialisierung - verlor dieses System der Existenzsicherung zunehmend an Wirkung. Vor allem da es durch die besitzbestimmten Gegensätze in der Gesellschaft zu einer verschärften Klassenbildung kam. Die vorher meist selbstständigen Handwerker konnten sich nicht gegen die Übermacht der produzierenden Großunternehmen halten und mussten als Lohnarbeiter ihr täglich Brot verdienen. Die Vertrags- und Handlungsfreiheit kam nun vor allem jenen zu Gute, welche schon Eigentum hatten, in Wohlstand lebten. Der weitaus größere Teil der Bevölkerung war gezwungen, auf (Arbeits)Verträge einzugehen, welche nur den Interessen der Arbeitgeber entsprachen. Die natürliche und wirtschaftliche Ungleichheit der Menschen wurde so noch verschärft. Aus diesem Zustand erhält die Idee der sozialen Grundrechte ihre Rechtfertigung.

2.2. Soziale Grundrechte

Die oben erwähnten Verschärfung der Klassenunterschiede durch das weitgehend uneingeschränkte Spiel der Kräfte der freien Wirtschaft, drückt aus, dass der Grossteil der Bevölkerung sein Leben und seine Energie der bloßen Existenzsicherung widmen musste. Die rechtliche Garantie der Freiheitsrechte wurde für die Lohnarbeiter so zu einer hohlen Form. Wen interessiert Meinungs- oder Pressefreiheit, wenn der Tag für die Erarbeitung der Lebensgrundlage benötigt wird? Wem nutzt die Möglichkeit freier Berufswahl, wenn die finanziellen Möglichkeiten nicht reichen sich entsprechend seiner Anlagen zu bilden und qualifizieren? Wer kann die Vorteile der Vertragsfreiheit würdigen, wenn die unterzeichneten Verträge ausschließlich den Interessen des Arbeitgebers zu gute kommen? Der Schutz vor zu großer Einflussnahme des Staates in die persönliche Freiheitssphäre wurde so durch die Abhängigkeit der Menschen vom Kapital ersetzt.

Um aus der rechtlichen Freiheit auch eine reale Freiheit für alle Bürger zu machen, bedarf es eines Mindestmaßes an sozialen Lebensgütern. Die sozialen Grundrechte sollen dies sicherstellen. Die natürliche Ungleichheit der Menschen abschwächen und die Chancen zur freien Entfaltung eines jeden vergrößern. Die Schwächen der Freiheitsrechte sollen so kompensiert und reguliert werden. Die bloße Sicherung der Freiheit des einzelnen ist somit das Hauptziel sozialer Grundrechte, indem der soziale Druck der Lebenserhaltung von den Schultern der Menschen genommen wird, welcher bei der Ausübung von Freiheit hinderlich ist. Die veränderte gesellschaftliche Situation bringt zum Ausdruck, „dass die Freiheit nicht mehr vor sozialen Einbindungen und Rechtsbeziehungen, als Bereich von Autarkie, sondern in solchen Einbindungen und Rechtsbeziehungen ihre Wirklichkeit hat und erhält.“ (Böckenförde 1982, S. 9).

Bis zu diesem Punkt stimmen die meisten Autoren miteinander überein. Über den Charakter sozialer Grundrechte und deren rechtliche Umsetzung besteht weit weniger Einigkeit. Deshalb sollen nun kurz drei dieser verschiedenen Meinungen dargelegt werden.

Eine Meinung ist, dass der Staat zum Adressat eines Verschaffungsanspruchs wird. Im Unterschied zu den Freiheitsrechten werden soziale Grundrechte dabei als Leistungsansprüche des Individuums an den Staat verstanden. Sie stellen Hilfsrechte dar, die dazu beitragen, dass wenn jemand zu etwas Willens er dies auch erreichen kann. Bei dieser Auffassung werden soziale Grundrechte als „subjektives Recht“ verstanden (Alexy). Der Staat muss also aktiv werden, um soziale Grundrechte in Kraft zu setzen. Es sind keine natürlichen Rechte, die es lediglich zu schützen gilt. Bildung, Arbeit, Kranken- und Altersvorsorge oder die Sicherung eines Existenzminimums gehören dabei zu den am häufig genanntesten sozialen Grundrechten. Als einzig unmittelbar gültiges soziales Grundrecht wird das Recht auf ein Existenzminimum gesehen, da das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtssprechung dieses ebenfalls zugrunde legt. Allgemein ist aber ihr Inhalt und Charakter abhängig von den jeweiligen Gesellschaftshintergründen und der positiven Rechtsetzung, deshalb wird, u. a. von Wu (S.32 f) in Frage gestellt, ob soziale Grundrechte überhaupt als Grundrechte im eigentlichen Sinne verstanden werden können, da ihnen grundsätzlich der Charakter der Abwehrrechte fehlt.

Eine zweite Theorie versteht soziale Grundrechte als objektives Recht (z. B. Böckenförde 1981, S. 11 f). Hier hat der Einzelne keinen subjektives Recht, sondern es richtet sich an den Gesetzgeber mit dem Auftrag zum Erlassen von Gesetzen. Dies kann z. B. durch Verfassungsaufträge, Staatszielbestimmungen oder Leitsätze geschehen. In der Verfassung werden explizite Aufträge über soziale Grundrechte an den Gesetzgeber formuliert. Wie dieser in seiner Gesetzgebung diese Aufträge dann umsetzt, bleibt ihm überlassen. Die Bürger haben bei Untätigkeit des Gesetzgebers auf dieses Ziel hin oder bei Streichung und Änderung einmal erlassener Bestimmungen ein Abwehrrecht, da die sozialen Grundrechte, etwa als Verfassungsauftrag, verfassungsrechtlich abgesichert sind.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Soziale Grundrechte oder Freiheitsrechte?
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
HS: Philosophie der Menschenrechte
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
23
Katalognummer
V34579
ISBN (eBook)
9783638347631
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sind soziale Grundrechte und Freiheitsrechte inkompatibel? In dieser Arbeit wird analysiert, ob der propagierte Absolutheitsanspruch der Freiheitsrechte und der klassischen liberalen Verfassungsordnung noch gerechtfertigt ist.
Schlagworte
Soziale, Grundrechte, Freiheitsrechte, Philosophie, Menschenrechte
Arbeit zitieren
Uwe Schneider (Autor:in), 2001, Soziale Grundrechte oder Freiheitsrechte?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34579

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