Zur Tiergestützten Intervention. Möglichkeiten der Arbeit mit Hunden im schulischen Kontext


Masterarbeit, 2015

75 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Theorien der Mensch-Tier-Beziehung
2.1.1 Biophilie
2.1.2 Du-Evidenz
2.1.3 Bindungs-Theorie
2.2 Besonderheiten der Mensch-Tier-Beziehung
2.2.1 Anthropomorphisierung
2.2.2 Kommunikation
2.2.3 Interaktion
2.3 Wirkung von Tieren
2.3.1 Tiere bauen Brücken
2.3.2 Tiere motivieren
2.3.3 Tiere unterstützen Selbstständigkeit
2.3.4 Tiere unterstützen Sozialkompetenzen

3. Zur Tiergestützten Intervention
3.1 Begriffsbestimmungen
3.2 Qualifikation und Anerkennung
3.3 Was kann ein Hund in der Schule leisten?
3.3.1 Vorschläge zur praktischen Arbeit mit dem Hund
3.3.1.1 Verbesserung von Motorik und Körpergefühl
3.3.1.2 Verbesserung des Sozialklimas
3.3.1.3 Gewaltprävention
3.4 Checkliste

4. Ein Schulprojekt mit Hund
4.1 Welches Ziel verfolgt das Projekt?
4.2 Zum Ablauf des Projektes
4.3 Methoden und Dokumentation
4.4 Ergebnisse
4.5 Interpretation
4.6 Fazit des Schulprojektes

5. Zusammenfassung und Ausblick

Quellenverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Tiere können den Umgang mit Menschen nicht ersetzen. Doch gerade dort, wo das menschliche Umfeld versagt, leisten sie Unglaubliches“ (Kotzina, 2011, S. 181).

Tiere in der Schule. Lange Zeit war dies eine undenkbare Vorstellung. Maximal ein Aquarium, vielleicht ein kleiner Hamster, der gemeinsam von der Klasse gepflegt und gefüttert wurde, fanden Einzug in ein Klassenzimmer. Doch immer vertrauter wird die Idee, auch große Tiere, die nicht in Käfigen, Terrarien oder Aquarien gehalten werden, in ein Klassenzimmer einziehen zu lassen. Generell scheinen die Menschen dem Gedanken, einem Tier die pädagogische oder therapeutische Arbeit zu überlassen, aufgeschlossener zu sein – das zeigt zumindest die Fülle an Literatur und Seminarangeboten zu diesem Thema. Vermehrt werden Schulen von Hunden besucht, oder ein_e Lehrer_in[1] bringt seinen bzw. ihren Vierbeiner mit in die Schule – nicht nur um den Hund nicht zu Hause allein lassen zu müssen, sondern auch um ihn in die Arbeit zu integrieren, denn ein Tier kann eine sehr positive Wirkung auf eine Schülergemeinschaft haben (vgl. Beetz, 2013, S. 50). Der Einsatz von Tieren wird als neue, frische Methode zusätzlich zur Verhaltens-, Ergo- oder Physiotherapie oder dem traditionellem, sehr theoretisch und frontal ausgelegten Unterricht, aufgegriffen, die ein ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen ermöglicht und so „für das Lernen insgesamt förderlich sein kann“ (Klingenberg, 2012, S. 5). Es gibt Unterschiede in der Art einer solchen Intervention. Sie kann in der Schule, oder außerhalb beispielsweise auf einem Bauernhof(vgl. Haubenhofer 2013, S. 121), bei einem Wandertag oder im erlebnispädagogischen Sinne (vgl. Gäng, 2006, S. 10ff.) in der freien Natur stattfinden.

Die erste systematische Beschreibung von tiergestützten Angeboten tätigte 1962 Boris Levinson (vgl. Wohlfarth et. al, 2013, S. 180). Als Therapeut erkannte er zufällig in einer Sitzung mit einem schwer zugänglichen Jugendlichen, dass sein Hund die Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten positiv beeinflusst hat und machte es sich seitdem zur Aufgabe, das Phänomen von Mensch-Tier-Beziehungen systematisch zu beschreiben. Doch schon weit früher haben die Menschen die positive Wirkung von Tieren erkannt. Bereits im 8. Jh. waren in Belgien Tiere im therapeutischen Einsatz tätig (vgl. Vernooij, 2013, S. 26f.). 1792 in England beinhaltet das Interventionsprogramm in einer Einrichtung für Geisteskranke die Pflege von Kleintieren, was die Behandlung der jeweiligen Geisteskrankheit fördern soll(vgl. Junkers, 2013, S. 12). In Deutschland wird seit dem 19. Jh. auf die kurativen Kräfte von Tieren vertraut(ebd.). Im 20. Jh. wurden in New York erstmals in einem Krankenhaus Tiere zugelassen, um Kriegsveteranen bei der Verarbeitung und Heilung physischer und psychischer Wunden zu unterstützen (vgl. Vernooij, 2013, 26f.). Es zeigt sich also weltweit eine Tendenz hin zu einer immer stärker werdenden Anerkennung Tiergestützter Interventionen. Seither befassen sich zunehmend Wissenschaftler mit der Mensch-Tier-Beziehung.

Die Konsequenz aus diesem Aufschwung, welcher unterschiedliche Theorien, Beobachtungen, mehr oder weniger objektive Untersuchungen und praktische Ableitungen mit sich zog, ist ein jedoch unübersichtliches Sammelsurium an Definitionen und Begriffen, die alle dasselbe zu meinen scheinen, aber doch sehr differenziert zu betrachten und anzuwenden sind. Sprechen die Einen von Tiertherapie und die Nächsten von Tiergestützter Pädagogik, weiß kaum jemand, dass es sich zwar um Tiergestützte Interventionen handelt, in ihren Grundzügen - was das Setting, die Zielvorgaben und die Expertise der beteiligten Personen angeht - jedoch zwei komplett unterschiedliche Formen der Intervention gemeint sein können (ebd.).

Dieser Unübersichtlichkeit ist es unter anderem geschuldet, dass die Tiergestützte Intervention noch nicht als eigenständige und effektive Form der Therapie bzw. Methode in der Pädagogik wahrgenommen wird. Zu unklar sind die Bestimmungen. Es gibt keine einheitlichen Gesetzesbestimmungen – z.B. zur Verantwortung von Versicherung bzw. der Institution bei Schadensfällen oder Vorsichtsmaßnahmen zur Hygiene, Sicherheitsvorkehrungen, Arbeitsschutz etc. – oder einheitliche theoretische Fundamente. Momentan kann bspw. jeder Mensch, der ein Tier hat, Tiergestützte Interventionen anbieten, ohne eine spezielle Ausbildung für sich selbst oder das Tier nachweisen zu müssen.[2]

Bei diesem Stand der Dinge wird deutlich, dass es einer fortlaufenden Systematisierung für Tiergestützte Interventionen in Theorie, Praxis und Empirie bedarf, um mittels Professionalisierung das Risiko von Gefahren für Tier und Mensch zu minimieren, die Professionalität der Methode der Tiergestützten Intervention zu steigern und so Anerkennung als eigenständige Methode in Therapie und Pädagogik zu erlangen. Dazu gehören speziell für die pädagogische Arbeit ausreichend unterrichtspraktische Vorgaben und Formulierungen von Kompetenzen zu einer gelingenden Durchführung eines Unterrichts mit lebenden Tieren. Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass eine entsprechende Legitimation zur Rechenschaftsablegung in Form von empirischen Nachweisen vor Schulleitung, Eltern und für die Bildungspolitik hilfreich wäre.

Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, über Tiergestützte Intervention zu informieren, vorhandene Problematiken der Anerkennung aufzuzeigen und in einem praktischen Selbstversuch die Wirkung eines Hundes auf einen Klassenverband zu untersuchen.

In Kapitel zwei werden zunächst Theorien zur Mensch-Tier-Beziehung vorgestellt und in den Kontext der Tiergestützten Intervention gesetzt. Dies beinhaltet sowohl bereits empirisch untersuchte Wirkungen von Tieren auf den Menschen, sowie Versuche, bereits bestehende Theorien der Mensch-Mensch-Beziehungen fundiert und argumentativ belegt auf die Interaktion von Tier und Mensch zu übertragen.

Der Komplexität der Thematik geschuldet, bedarf eine qualitative Untersuchung eine Fokussierung auf einen Teilaspekt der Tiergestützten Intervention. Aus diesem Grund wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit zunächst ein grober Überblick über Tiergestützte Interventionen gegeben, der Schwerpunkt wird aber auf eine Tierart – die des Hundes – und auf ein bestimmtes Setting – dem Kontext Schule – eingegrenzt. Die genauen Begrifflichkeiten – im Besonderen die Abgrenzung von Therapie und Pädagogik – werden in Kapitel drei behandelt und beschrieben. Die Schwerpunktlegung geht mit der Tatsache einher, dass ich als Autorin dieser Arbeit mich in einer pädagogischen Ausbildung und mein Hund sich in einer Ausbildung im Bereich der Tiergestützten Intervention befindet. Für die Zukunft möchte ich meine Lehrtätigkeit mit tiergestützten Projekten erweitern.

Im Sinne der Tiergestützten Intervention wird in Kapitel vier ein Praxisprojekt vorgestellt werden, welches mit einem Hund an einer Erfurter Grundschule stattgefunden hat. Mit diesem Projekt wurde untersucht, ob die Intervention mit einem Hund Auswirkung auf individuelle Einstellungen zur Schule, auf das Verhalten von Schülern und deren Selbstwahrnehmung zeigt.

2. Theoretische Grundlagen

Wie Beziehungen zwischen Mensch und Tier genau zustande kommen und warum, soll im Folgenden mit drei Bindungstheorien beantwortet werden.

Des Weiteren werden Besonderheiten zur Kommunikation und Interaktion von Menschen mit Tieren vorgestellt.

Daran anschließend konkretisieren empirische Befunde diese Theorien, um zu zeigen, welche konkreten Effekte sich durch Tiergestützte Interventionen zeigen, die in einigen Studien nachweislich beobachtet werden konnten.

2.1 Theorien der Mensch-Tier-Beziehung

Die Biophilie-Hypothese, Du-Evidenz und die Bindungstheorie werden in der Forschungsliteratur als Beschreibungsgrundlagen zur Mensch-Tier-Beziehung genannt (vgl. u.a. Vernooij, 2013; Beetz, 2013; Junkers, 2013). Die beiden Letztgenannten sind ursprünglich theoretische Erklärungen zur Beziehung von Menschen untereinander, werden für die Arbeit mit Tieren aber auf die Mensch-Tier-Ebene übertragen (vgl. Vernooij, 2013 & Wohlfarth et. al, 2013).

2.1.1 Biophilie

Die Biophilie-Hypothese wurde 1984 aufgestellt von Edward O. Wilson, der als Begründer der Soziobiologie gilt und im Forschungsfeld der Verhaltensbiologie tätig ist (vgl. Junkers, 2013, S. 203). Diese Hypothese besagt, dass jeder Mensch eine angeborene, emotionale „…Verbundenheit mit der Natur und eine Bezogenheit zu all jenen in ihr beheimateten Lebewesen…“ (Vernooij, 2013, S. 4) besitzt und auslebt. Diese Verbundenheit sei evolutionär gewachsen und geprägt. Die Biophilie beschreibt also die biologische Zugehörigkeit des Menschen zur Natur und der daraus resultierenden Abhängigkeit von dieser. (ebd., S. 5) Anne-Kristin Römpke bezeichnet die Biophilie als Prozess der Anpassung des Menschen an die Natur, „…weil (….) der menschliche Organismus im Laufe der Evolution an sein Umfeld in enger Verbindung mit Pflanzen und Tiere[n stand]“ (Römpke, 2013, S. 168). Julius Henri schreibt der Biophilie eine gewichtige Rolle zu, da er davon ausgeht, dass sie für die Entstehung der menschlichen Psyche und das enorme Wachstum des menschlichen Gehirns verantwortlich ist.

„Das Biophilie-Syndrom, das forschende Interesse an den Dingen der Natur, [dürfte] ein wichtiges Feedback für die Entwicklung des menschlichen Gehirns gegeben haben und als Katalysator in der Entwicklung einer differenzierten Sprache gewirkt haben (…) (Henri et. al, 2014, S. 25).

Prinzipiell ist also jeder Mensch von Geburt an interessiert an einer Beziehung zum Tier. Die individuelle Ausprägung dieser Affinität ist aber von Mensch zu Mensch, Kultur zu Kultur unterschiedlich. Es fällt sowohl das Interesse, Tiere als gleichwertige Partner zu betrachten, für sie zu sorgen und sie zu pflegen, als auch die Notwendigkeit Tiere zu jagen und ihr Fleisch zu essen um zu überleben, unter die Biophilie-Hypothese. Monika A. Vernooij stellt dazu folgende Aspekte vor, die die Verbundenheit von Mensch und Tier systematisieren:

- Utilitaristischer Aspekt: Er geht von einem direkten Nutzen der Tiere für den Menschen aus, die bei der Haltung als Nutztiere die Ernährung des Menschen sichern oder als gezähmte Wildtiere die Jagd unterstützen.
- Ökologisch-wissenschaftlicher Aspekt: Er bezeichnet die Neugierde und das Bedürfnis nach Wissenserwerb über die Welt.
- Humanistischer Aspekt: Er verdeutlicht die emotionale Verbundenheit, die vor allem zu Haustieren auftritt.
- Moralischer Aspekt: Er beschreibt die Verantwortung des Menschen für das Tier, vor allem zu Tierschutzfragen und aktuell zur Massentierhaltung.
- Negativistischer Aspekt: Er bezeichnet die Angst vor Tieren und die Notwendigkeit zu erkennen, wann man sich schützen muss.
- Symbolischer Aspekt: Er beschreibt die Kommunikation, Identifikation und Interaktion mit Tieren und stellt demensprechend einen besonderen Aspekt für Tiergestützte Interventionen dar.

(vgl. Vernooij, 2013, S. 6f.)

Es wird deutlich, wie vielfältig die Verbundenheit zum Tier sein kann und wie eng die Natur mit dem Leben der Menschen verknüpft ist. Der Biophilie ist es also geschuldet, „…dass wir Tiere durch die menschliche Brille sehen, sie interpretieren und sie auch als Projektionsflächen unserer eigenen Vorstellungen nutzen“ (Henri et. al, 2014, S. 21).

2.1.2 Du-Evidenz

Die Interaktion zwischen Menschen und Tieren ähnelt der Zwischenmenschlichen (vgl. Vernooij, 2013, S. 7). Der Begriff Du-Evidenz – erstmals von Karl Blüher geprägt – ist zunächst nur auf die Interaktion zwischen Menschen bezogen. In diesem Zusammenhang wird darunter die Fähigkeit des Menschen verstanden, „eine andere Person als Individuum, als ‚Du‘ wahrzunehmen und zu respektieren“ (ebd.). Das Übertragen auf die Mensch-Tier-Beziehung geschieht vor dem Hintergrund, dass das Tier als „geselliges Subjekt“ (ebd. S. 8) und als dem Menschen in sozialem Verhalten ähnlich wahrgenommen wird. Das führt zu gemeinsam erlebten Erfahrungen, denen der Mensch dann Gefühle beimisst und subjektive Einstellungen formt, die zu der Entwicklung von Du-Evidenz beitragen können (ebd.). Diese Entwicklung vollzieht sich also vor allem auf der emotionalen, weniger auf der kognitiven Ebene. Sie soll demnach Voraussetzung für das Entwickeln von Empathie gegenüber Lebewesen sein (ebd.). Ohne das Konzept der Du-Evidenz, also mangelnde Fähigkeit in einem Gegenüber ein Du mit subjektiven Gefühlen und Einstellungen zu erkennen, könnte der Mensch dem Tier nicht die soziale und emotionale Aufmerksamkeit schenken, die er zumindest bei domestizierten Tieren aufbringt. Demnach scheint das Konzept der Du-Evidenz maßgeblich an der meist positiv empfundenen Interaktion mit Tieren beteiligt zu sein. Da es sich bei diesem Konzept ursprünglich um ein zwischenmenschliches Beziehungsmodell handelt, fehlt aber bislang eine entscheidende Komponente um es gewissenhaft auf eine Mensch-Tier-Ebene zu bringen. Bisher wurde lediglich die emotionale, innere Seite des Menschen beschrieben, die er auf das Tier überträgt. Der Mensch nimmt das Tier als ein eigenständiges Wesen mit Gefühlen, Ängsten und Wünschen wahr. Das ist die Ebene des Erlebens. Aufgrund dieses Erlebens zeigt der Mensch dem Tier gegenüber aber auch ein bestimmtes Verhalten. Der Mensch sieht Tiere als Gefährten, als Familienmitglieder oder als Freunde an und schreibt ihnen somit bestimmte positive Eigenschaften und Fähigkeiten zu (Zuhören, immer für einen da sein, Vertrauen usw.). Durch die Namensgebung des Tieres wird die Bindung zwischen Mensch und Tier gefestigt. Dies bezeichnet Vernooij als Anthropomorphisierung – also die Zusprechung menschlicher Eigenschaften auf Tiere (ebd., S. 9). Dieses besondere Verhalten gegenüber Tieren, beweist die Existenz des Prinzips der Du-Evidenz für diese spezielle Beziehung zu dem Tier. Die Anthropomorphisierung durch den Menschen zeigt, dass die Mensch-Tier-Beziehung in solch einem Fall einer Mensch-Mensch-Beziehung gleicht und demnach kann die Du-Evidenz auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragen werden.

2.1.3 Bindungs-Theorie

Die Bindungstheorie ist ebenfalls ein Konzept der Mensch-zu-Mensch-Beziehung, welches auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragen wurde(vgl. Römpke, 2013, S. 168).

„Eine der wesentlichen Annahmen in der Bindungstheorie (...) ist, dass soziale Interaktionen mit wichtigen Bezugspersonen in der frühen Kindheit zu einem internen Arbeitsmodell führen, in welchem Vorstellungen über das eigene Selbst wie über die Umwelt abgespeichert sind“ (Wohlfarth et. al, 2013, S. 187).

Die jeweiligen Ausprägungen eines solchen internen Arbeitsmodells führen zu vier verschiedenen Bindungsmodellen: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorientiert/desorganisiert (vgl. Vernooij, 2013, S. 10f.).

„Die Art der Bindungserfahrungen (…) bildet die Grundlage für das spätere emotionale und soziale Verhalten des Menschen, für seine Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen, zu bewerten und situationsangemessen auszudrücken ebenso wie für die Qualität seiner Sozialbeziehungen“ (ebd.).

Stabile Erfahrungen mit Bezugspersonen führen zu einem positiven Selbstwert und zu einem offenen und optimistischen Wesen in Bezug auf Interaktion mit Anderen.

Bei der Adaption dieser Theorie auf die Mensch-Tier-Beziehung kommt die Du-Evidenz ins Spiel. In diesem Fall ist das Tier eine ‚Bezugsperson‘ und der Mensch dadurch in der Lage eine subjektiv empfundene Beziehung zu dem Tier als Freund, Familienmitglied oder Kindersatz aufzubauen (vgl. Wohlfarth et. al, 2013, S. 188). Intensive Auseinandersetzung mit dem Tier und seinen Bedürfnissen (Fellpflege, tägliches Füttern, tägliches Spazierengehen, Streicheln etc.) führen zu einer positiven Beziehung und können sich demnach entsprechend auf das Selbstwertgefühl des Menschen und seine „Fähigkeit, besser mit belastenden Lebensereignissen umzugehen“ (ebd.) auswirken. Analog dazu führen negative Erfahrungen zu Angst oder Skepsis bestimmten ‚Bezugspersonen‘ gegenüber (z.B. fällt es schwer, vertrauensvoll auf Hunde zuzugehen, wenn man von einem Hund in der Vergangenheit gebissen wurde).

Nutzt man dieses Modell für Tiergestützte Interventionen, so geht man davon aus, dass „Tiere für den Menschen Bindungsobjekte darstellen … und positive Bindungserfahrungen mit einem Tier möglicherweise auf die soziale Situation mit Menschen übertragen werden können“ (Vernooij, 2013, S. 11). Die Zielstellung, persönliche Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern zu verbessern, wäre mit der Bindungs-Theorie unterlegt und erreichbar. Ein Kind mit unsicherem Bindungsmuster, wendet in der Interaktion mit Hund meist ein sicheres Bindungsmuster an, da die Bindungsrepräsentation auf menschlicher Seite gar nicht auf die Ebene mit dem Tier übertragen wird (vgl. Henri et. al, 2014, S. 168). Hilfreich sind die wesentlichen Eigenschaften eines Hundes, sich absolut authentisch und wertschätzend dem Menschen gegenüber zu verhalten (ebd.). Hunde reagieren „eher offen und geduldig auf menschliche Bedürfnisse nach Nähe und Körperkontakt (ambivalent), emotionaler und körperlicher Distanz (vermeidend), sowie Kontrolle (desorganisiert)…“ (ebd., S. 176f.). Erfahrungen mit solch einem Verhalten aktivieren sichere Bindungsstrategien beim Kind. Dies sorgt dafür, „...dass die Aktivierung bindungsbezogener Abwehrstrategien in Gegenwart des … Pädagogen ausbleibt“ (ebd.,S. 190).

2.2 Besonderheiten der Mensch-Tier-Beziehung

Die Biophilie beschreibt die angeborene Verbundenheit des Menschen zur lebenden Natur. Die Du-Evidenz beweist, dass Tiere vom Menschen als eigenständig fühlende, gleichwertige Gegenüber wahrgenommen werden und die Bindungs-Theorie hat gezeigt, dass Erfahrungen mit Tieren das Bindungsmuster von Menschen beeinflussen können. Drei grundlegende Besonderheiten in Mensch-Tier-Beziehungen resultieren aus diesen Bindungstheorien und bestimmen jede Tiergestützte Intervention fundamental. Diese werden im Folgenden vorgestellt.

2.2.1 Anthropomorphisierung

Vorherrschende Verhaltensaspekte in jeder Mensch-Tier-Beziehung sind die Anthropomorphisierung des Tieres durch den Menschen und die besondere Kommunikationssituation zwischen Mensch und Tier (vgl. Vernooij, 2013, S. 14). Die Anthropomorphisierung führt dazu, dass Tiere häufig wie Menschen behandelt werden. Damit sind vor allem Pflege- und Fürsorgeverhaltensmuster gemeint (vgl. Henri et. al, 2014). Es wird meist durch das niedliche Aussehen von Hunden initiiert (ebd., S. 29). Die Pflege von Tieren geht mit positiven physiologischen Reaktionen einher – sie macht uns glücklich (vgl. Wohlfarth et. al, S. 190). Auch die Fürsorge scheint für die „Befriedigung basaler sozialer Bedürfnisse von Menschen (…)“ (Henri et. al, 2014, S. 30) verantwortlich zu sein.

Dieses Verhalten wirkt sich auf beide Beteiligten positiv aus.

„Einmal liegt [es] im objektiven Interesse des Tieres, zum anderen im Interesse der psychischen Entwicklung des Kindes, die dadurch potentiell um eine weitere soziale Beziehung bereichert wird“ (Vernooij, 2013, S. 15).

Vorsicht ist da geboten, wo eine Übertreibung der Anthropomorphisierungstendenz droht. Dies kann dazu führen, tierspezifische Eigenarten, Bedürfnisse und Verhaltensweisen zu missachten oder schlicht fehlzuinterpretieren. Trotz einiger Ähnlichkeiten im Verhalten ist ein Hund kein Mensch, sondern ein Raubtier (vgl. Kohtz-Walkemeyer, 2014, S. 6) und wird auf extreme Verhaltensweisen wie Aggression, körperliche Gewalt oder schlichtes Zu-nahe-kommen mitunter ganz instinktiv reagieren. Dass der Hund dabei keine Worte nutzt, sondern knurrt, bellt oder sogar beißt, darf als Gefahr nie vergessen werden. Besonders bei Tiergestützten Interventionen mit Kindern muss ein adäquater Umgang mit Hunden vermittelt, gezeigt und geübt werden. Gelingt ein angemessener Umgang mit Tieren, kann dies sogar die sozialen Bedürfnisse der Tiere erfüllen und trotz der äußerlichen Unterschiede zu vollwertigen Sozialbeziehungen zwischen Mensch und Tier führen (vgl. Henri et. al, 2014, S. 21).

2.2.2 Kommunikation

Ein weiterer Aspekt ist die Kommunikation zwischen Mensch und Tier.

„Tiere sind Spezialisten der nonverbalen, direkten Kommunikation. So kann es durchaus vorkommen, dass sie etwas an ihrem menschlichen Gegenüber wahrnehmen, was eigentlich verborgen bleiben sollte“ (Wünsche, 2011, S. 243f.).

Mithilfe des Hundes in einer Tiergestützten Intervention kann die Sicht auf Aspekte der nonverbalen Kommunikation geschärft werden. Dies bietet die Möglichkeit auch die eigene Wirkung auf andere zu hinterfragen und zu beobachten. Ein Hund reagiert auf einen ängstlichen, nervösen Menschen ebenfalls mit Unsicherheit und undeutlichem Verhalten. Steht man jedoch aufrecht und gibt ruhige, klare Zeichen, so wird der Hund entsprechend klar und richtig reagieren. Es ist die Aufgabe des begleitenden Pädagogen diese Kommunikation für den Schüler zu übersetzen, da der Person mitunter nicht klar ist, was an ihrer Körpersprache nicht deutlich ist (ebd., S. 243f.).

Vernooij erklärt diese funktionale Form der Kommunikation damit, dass die Sprache des Körpers eine gemeinsame Sprache ist, die der Hund versteht. Sie bezeichnet dies als analoge Kommunikation. Im Gegenzug dazu steht die digitale Kommunikation, welche nur zwischen Individuen funktioniert, die die gleiche Sprache sprechen (vgl. Vernooij, 2013, S. 18f.). In der digitalen Kommunikation herrscht eine Übereinkunft über die Semantik von Wörtern vor und führt somit zu Verstehen (ebd.). Die analoge Kommunikation benötigt keine Semantik (ebd.). „Eine Geste oder eine Miene sagt uns mehr darüber, wie ein anderer über uns denkt, als hundert Worte“ (Watzlawick et al., 1969, S. 64). Dies bedeutet, dass vollkommen andere Kanäle für die Kommunikation zu erschließen sind (vgl. Vernooij, 2013, S. 21). Der Mensch benötigt die visuelle Ebene, er muss das Tier genau beobachten, um Informationen über dessen Befinden und Bedürfnisse zu erhalten (ebd.). Auf auditiver Ebene ist zu untersuchen, welche Geräusche das Tier von sich gibt und was sie bedeuten können (ebd.). Die taktile Ebene regt zum Anfassen, Berühren und Fühlen an und schließlich auf olfaktorischer Ebene können Gerüche wahrgenommen werden, welche mitunter Informationen über den Belastungszustand des Tieres geben können (ebd.). Die kinästhetische Ebene spielt eine große Rolle bei der eigenen Bewegungswahrnehmung (ebd.). Die Frage, wie nehme ich meinen Körper wahr und wie kann ich bestimmte nonverbale Reize mithilfe von deutlicher Körpersprache umsetzen und erkennbar für den Hund machen, wird auf dieser Ebene beantwortet, fällt aber mehr unter den Aspekt der Interaktion, statt Kommunikation (ebd.).

2.2.3 Interaktion

Eng verknüpft mit der Kommunikation ist die Interaktion, denn sie ist immer auch eine Form von Kommunikation, weil sie einen Partner, einen Gegenüber benötigt (vgl. Vernooij, 2013, S. 22). Der Schwerpunkt liegt auf dem aufeinander bezogenen Agieren (ebd.).

„Das heißt, Interaktion wird bestimmt durch eigene Bedürfnisse, Wünsche und Ziele und durch die Erwartungen und Wünsche des anderen bezogen auf das eigene Handeln. Die wesentliche Bezugnahme und die Orientierung am tatsächlichen Verhalten des jeweils anderen, an seinen mitgeteilten oder vermuteten Erwartungen bildet die Basis der Interaktion“ (ebd.).

Konkret übertragen auf Tiergestützte Interventionen findet eine Interaktion dann statt, wenn der Mensch einen Befehl gibt und von dem Hund erwartet, dass dieser den Befehl befolgt. Beide Beteiligten nutzen dabei eine gemeinsame Form der Kommunikation – Sitz in der Lautsprache oder eine Geste mit der Hand. Solch eine Situation wird nur gelingen, wenn der Hund aufmerksam ist und den Befehl wahrnimmt und der Mensch den Befehl so klar gibt, dass der Hund ihn auch versteht. Der Hund wird – sofern er den Befehl richtig ausgeführt hat – meist in Form eines verbalen Lobes, durch Streicheln oder Futtergabe belohnt werden. In solch einer Interaktion haben beide Beteiligten ihre Bedürfnisse oder Ziele erreichen können, wenn sie sich gegenseitig auf das Verhalten des Anderen eingelassen haben und ihre eigene Form der Kommunikation entsprechend angepasst haben.

Es gilt also festzuhalten, dass „…Tiere [zu] zielgerichtete[n] Handlungen fähig [sind]. (…) Der Mensch lernt dabei gleichermaßen alternative Formen der Interaktion, die auch für den zwischenmenschlichen Umgang bedeutsam sein bzw. nutzbar gemacht werden können“ (ebd.).

2.3 Wirkung von Tieren

„…[I]n der tiergestützten Arbeit eröffnet sich etwas Einzigartiges: Lebewesen unterschiedlicher Spezies – Mensch und Tier – stehen sich gegenüber und treten miteinander in dialogischen Kontakt“ (Wünsche, 2011, S. 241). Dabei ist meist zu spüren, dass alle Beteiligten entspannt und mit einem Lächeln bei der Sache sind. Tiere können sich positiv auf eine gesamte Situation auswirken. Sie können beruhigen oder aktivieren, sie sind in der Lage, sich ihrem Gegenüber anzupassen und zu geben, was gerade gebraucht wird.

Menschen fühlen sich von Tieren mitunter besser verstanden, als vom Menschen. Das zeigen Erfahrungsberichte von Kindern, die zeitweilig an dem Bauernhofprojekt ESPERANZA[3], der tiergestützt pädagogisch und therapeutisch arbeitet, verbracht haben und sich dort um einige der Tiere kümmern mussten.

„Ich geh jetzt zu Pauli [Schaf mit leichter Behinderung, das die Herde ignoriert – Anm.d.Autorin], weil der versteht mich wirklich, weil’s mir ja auch so geht, und dem kann ich alles erzählen.“ – Maren, 14 Jahre

„Weißt du, der Nelson [ein fast blindes Pony] spürt genau, wie’s mir geht und wenn es mir nicht so gut geht, ist er ein wenig bockig, so wie ich.“ – Olga, 20 Jahre (Kotzina, 2011, 180)

2.3.1 Tiere bauen Brücken

Schüler befinden sich oft in einer Haltung von Widerstand gegenüber Lehrer, vor allem in einer angespannten Lern- oder Klassenatmosphäre, nicht aber gegenüber einem Tier (ebd., S. 181). In diesem Fall steht neben dem Pädagogen ein zusätzliches Gegenüber bereit, der mit dem Schüler in Beziehung treten kann. Dieses Gegenüber ist grundsätzlich bereit zu „pro-sozialer Auseinandersetzung“ (vgl. Wünsche, 2011, S. 242) mit dem Kind. Hier geht fast Jeder offener, vorurteilsfreier und positiver an das Tier heran. Sie sind eher bereit vom Tier etwas anzunehmen, wie Zuneigung oder Kritik (vgl. Kotzina, 2011, S. 181). Positiv erlebte Erfahrungen mit dem Tier können dann mitunter auf die Bindung zur Lehrperson transferiert werden (vgl. Vernooij, 2013, S. 67). Das führt im Idealfall sogar zu einer so großen Vertrauensbasis, dass der Pädagoge als Ankerperson fungiert, „…der die beratende, Orientierung bietende, (heraus-)fordernde Mentorenrolle zufällt“ (Wünsche, 2011, S. 243). Erfahrungen solcher Art entfachen eine „Kultur des Helfens und des Hilfeannehmens“ (ebd.), was besonders wertvoll für ein Klassengefüge ist.

Dieser Effekt wird als Brückenfunktion beschrieben (vgl. Beetz, 2013, S. 13). Diese greift nicht nur im professionellen Einsatz mit Tieren. Wer einmal mit einem Welpen auf der Straße entlang gelaufen ist, wird sich erinnern, wie häufig man (oder der Hund) angesprochen wird und sich darüber Gespräche mit Menschen aufbauen, die sonst nicht zustande gekommen wären. Tiere werden deswegen in der Forschungsliteratur auch als soziale Katalysatoren bezeichnet (vgl. Vanek-Gullner, 2007, S. 15f.) oder fungieren als „extended phenotyp“ (Henri et. al, 2014, S. 51). Es konnte beobachtet werden, dass über ein Tier das Kontakteknüpfen leichter fällt, dass Menschen mit Tieren ein Sympathiebonus zugesprochen wird, sofern auch das Tier als nicht gefährlich oder bösartig empfunden wird (vgl. Vanek-Gullner, 2007, S. 15f.). Das bedeutet, dass Tiere in der Schule einen Beitrag zur Integration von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen leisten können, da die Akzeptanz bei den Mitschülern tendenziell steigt, wenn die Jugendlichen mit einem Tier auftreten (vgl. Gras et. al, 2013, S. 131).

Boris Levinsons erste Erfahrung mit seinem Hund in einer Therapiesitzung zeigt ebenfalls Wirkungen dieser Brückenfunktion, da er erst durch die Anwesenheit des Hundes einen Zugang zu seinem Patienten finden konnte. Zur Erklärung dieser Situation bezieht er sich auf die Psychoanalyse (vgl. Vernooij, 2013, S. 60f.). Demnach sind die Grundbedürfnisse des Menschen nach Nähe und Zuwendung in manchen Fällen überdeckt und nicht bewusst vorhanden. Über den Kontakt mit Tieren können diese Bedürfnisse dann teilweise erfüllt werden (ebd.).

2.3.2 Tiere motivieren

Hunde haben einen starken Aufforderungscharakter (vgl. Wünsche, 2011, S. 242). Die mit der Biophilie-Hypothese erklärte natürliche Neugierde des Menschen zum Tier sorgt dafür, dass ein Hund im Klassenraum zunächst einmal allein durch sein „Lebendig-Sein“ zur Interaktion und Aufmerksamkeit motiviert.

Rainer Wohlfarth geht davon aus, dass der Einsatz von Tieren im Unterricht, sowohl Verstand, als auch Gefühl der Schüler anspricht, indem „funktionales Üben und emotionales Begreifen zu einer Einheit werden…“ (Wohlfarth et. al, 2013, S. 191). Die Schüler erkennen am Übungsobjekt einen Sinn. Tiergestützte Therapie soll diese beiden Bereiche optimal verbinden.

Claus Bolte stellt dazu ein konkretes Modell des motivationalen Lernklimas vor. Dieses besteht aus drei Lernklima-Dimensionen: Verständlichkeit, Partizipationsmöglichkeiten und Themenrelevanz (vgl. Klingenberg, 2012, S. 25). Laut Bolte wägt jeder Schüler diese Dimensionen für sich ab. Je verständlicher und relevanter das Thema und je höher die Möglichkeit ist mitzumachen, desto motivierter wird sich der Schüler demnach dafür zeigen. Das zeigt sich dann an der individuellen Zufriedenheit und dem Willen, sich aktiv mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen. Das Konstrukt der Motivation betrifft nicht nur den einzelnen Schüler, sondern kann sich in Form des Modells von Bolte auch auf die gesamte Lerngruppe auswirken (ebd.).

Für Tiergestützte Interventionen im Kontext Schule können Tiere demnach vor allem als Motivatoren in einem ungewollten Setting (z.B. Schulangst o.Ä.) dienen. Die Anwesenheit des Hundes könnte dafür sorgen, dass ein Schulverweigerer wieder öfter zur Schule kommen möchte. Studien belegten eine allgemeine Motivationssteigerung bei therapeutischen Settings, aber auch in der Schule, durch die Anwesenheit von Tieren. So fanden Seraydarian und Hunter 1986 heraus, dass Patienten eher bereit waren an Gruppensitzungen teilzunehmen, wenn ein Vogelkäfig im Raum stand (vgl. Wohlfarth et. al, 2013, S. 191f.). Holcomb und Meacham entdeckten 1989, dass mehr Menschen an einer Therapie teilnahmen, wenn ein Tier dabei war (ebd.).Eine Studie des IEMT (Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung) 2001 hat gezeigt, dass der regelmäßige Besuch eines Schulhundes für eine erhöhte Schulzufriedenheit unter den Schülern sorgt und durch ihn Aggressivität untereinander abnimmt (vgl. Römpke, 2013, S. 170).

Auch ungewünschtes Verhalten kann möglicherweise über das Tier und seine Motivation beeinflusst werden. Eine zu laute, zu hektische Umgebung wird dazu führen, dass der Hund sich zurückzieht. Der drohende Verlust des Tieres kann bei dem Schüler dazu führen, ruhiger und bedachter zu werden (ebd., S. 191). Mc Culloch untersuchte 1983 das Interesse und die Bereitschaft bei Kindern Neues zu lernen und konnte bestätigen, dass diese durch Tiere größer war. Martin und Farlum kamen 2002 zu gleichen Ergebnissen bei Kindern mit Störung im autistischen Spektrum (ebd., S. 192).

2.3.3 Tiere unterstützen Selbstständigkeit

Die Stärke der Tiergestützten Intervention zeigt sich darin, dass Schüler in der Lage sind, in Interaktion mit einem Hund, eigene Fähigkeiten wahrzunehmen, Freude zu empfinden und Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit zu erfahren. Allgemein konnte festgestellt werden, dass Tierbesitzer selbstbewusster sind und als solche wahrgenommen werden (vgl. Vanek-Gullner, 2007, S. 14). Auch die Angst in Prüfungssituationen oder bei Referaten kann durch Hunde positiv beeinflusst werden, ermittelten Römpke und Buttelmann. Demnach wirkt ein Hund nicht nur angstlindernd, sondern ruft zusätzlich positive Emotionen hervor (vgl. Römpke, 2013S. 171).

2.3.4 Tiere unterstützen Sozialkompetenzen

Das soziale Gefüge einer Gruppe kann durch ein Tier positiv beeinflusst werden. So beschrieb Levinson 1964 den positiven Einfluss des Hundes auf die soziale Interaktion zwischen Therapeuten und Patienten (vgl. Henri et. al, 2014, S. 53). Auch Marr et. al konnten im Jahr 2000 in ihrer Studie solche Effekte feststellen (ebd.). Weitere positive Effekte konnte Hergovich 2002 unter Erstklässlern entdecken, die eine erhöhte Empathie und Feldunabhängigkeit zeigten, nachdem sie regelmäßigen Schuldhundbesuch bekamen (ebd.).

Der Umgang mit Konflikten bestimmt wesentlich die Atmosphäre einer Gruppe. Kotrschal und Orbauer eruierten 2003 eine geringere Aggressionsbereitschaft unter Erstklässlern mit Schulhund (ebd.). Diese Studien zeigen: Vermehrter positiver Kontakt unter Schülern, eine Reduktion von aggressivem Verhalten und erhöhte Empathiefähigkeiten durch die Anwesenheit von Tieren führen zu einem angenehmen Klima innerhalb einer Gruppe.

3. Zur Tiergestützten Intervention

Tiergestützte Intervention umfasst allgemein gesprochen jegliche Form des Einsatzes von Tieren durch einen Experten (z.B. eine Lehrperson oder ein Therapeut) in einem mehr oder weniger kontrollierten Kontext, meist mit einer Zielvereinbarung zur Verbesserung oder Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen der Personen, mit denen die Intervention durchgeführt wird (vgl. Wohlfarth et. al, 2013, S. 182).

Eine Auseinandersetzung mit der Tiergeschützten Intervention bedarf einer differenzierten Bestimmung der verwendeten Termini. Ein kurzer Exkurs zu bestehenden offiziellen Richtlinien zu Ausbildung und Durchführung der Tiergestützten Interventionen soll die aktuelle, noch recht problematische Situation der Anerkennung von Tiergestützter Intervention unterstreichen.

Weiterhin gilt es zu klären, welche Möglichkeiten Tiergestützte Interventionen im schulischen Kontext bieten können. Das schließt die Verortung in Lehrplänen – welche mitunter als stärkstes Argument unter Lehrerinnen und Lehrern gelten -, aber auch die Integration in verschiedene Lernkonzepte und unterrichtspraktische Vorschläge ein. Dies soll aufzeigen, wie vielfältig die Tiergestützte Intervention zum Einsatz kommen kann.

Abschließend werden die wichtigsten Punkte, die bei jedem Einsatz von Tieren an einer Schule beachtet werden sollten, in Form einer Checkliste vorgestellt.

3.1 Begriffsbestimmungen

Zur Unklarheit über Tiergestützte Interventionen trägt erschwerend die Menge an Begriffen bei, die bestimmte Formen der Tiergestützten Intervention bezeichnen. Wohlfarth zeigt auf, dass es im amerikanischen Bereich 20 unterschiedliche Definitionen und zwölf verschiedene Bezeichnungen für Tiergestützte Interventionen gibt (vgl. Wohlfarth et. al, 2011, S. 296). Im deutschsprachigen Raum verhält es sich nicht anders. Die Tiergestützte Intervention wird u.a. mit Begriffen wie Therapie, Pädagogik, Förderung, Fördermaßnahmen, Interaktion, Aktivität, Humanpflege, Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Canepädagogikgleichgesetzt. Es wird außerdem unterschiedenzwischen tiergestützt, tierunterstützt und tierbegleitet – Begriffe die mitunter auch synonym verwendet werden (ebd.).

Eine sehr ausführliche Beschreibung der verschiedenen Bezeichnungen und ihrer mit der Zeit wachsenden Veränderungen bietet Vernooij. Die ausführliche Liste aller Bezeichnungen ist bei Bedarf im Anhang zu finden. Sie zeigt, die Veränderung und Differenzierung der Teildisziplinen Tiergestützter Interventionen. Zugunsten der Übersichtlichkeit werden im Folgenden nur die relevanten und aktuellen Begriffe vorgestellt.

[...]


[1] Im weiteren Verlauf der Arbeit wird für Berufsbezeichnungen, Schülergruppen und Tiere die maskuline Form verwendet. Dies geschieht aus Gründen der besseren Lesbarkeit und soll keine Diskriminierung darstellen. Die Bezeichnung Lehrer schließt also Lehrerinnen ein, mit Schülern sind auch Schülerinnen gemeint usw.

[2] Im BERUFEnet der Bundesagentur für Arbeit sind unter den Sucbegriffen ‚Tiertherapie‘ oder ‚tiergestützt‘ keine Ausbildungsberufe zu finden. (http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/ - letzter Zugriff: 19.05.2015)

[3] Detailliertere Ausführungen zu dem Projekt ESPERANZA sind bei Kotzina, 2011, S. 177ff zu finden.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Zur Tiergestützten Intervention. Möglichkeiten der Arbeit mit Hunden im schulischen Kontext
Hochschule
Universität Erfurt  (Erziehungswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Sonderpädagogik
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
75
Katalognummer
V346524
ISBN (eBook)
9783668362109
ISBN (Buch)
9783668362116
Dateigröße
783 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tiergestützte Intervention, Schulhund, Hundetherapie, Biophilie, Du-Evidenz, Bindungstheorie, Schule, Hundgestützte Intervention, Hund, Konfliktbewältigung, Emotionales-Soziales Verhalten
Arbeit zitieren
Michelle Koppe (Autor:in), 2015, Zur Tiergestützten Intervention. Möglichkeiten der Arbeit mit Hunden im schulischen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346524

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