Das Fremd- und Selbstbild der Iphigenie und seine Auswirkung auf das Schauspiel "Iphigenie auf Tauris“


Hausarbeit, 2015

15 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1 Das Fremd- und Selbstbild als zu wenig beachteter Aspekt des Schauspiels „Iphigenie auf Tauris“ von J.W. von Goethe

2 Durch Beziehungen und Grundeinstellungen beeinflusstes Fremd- und Selbstbild der Iphigenie mit Blick auf den Verlauf und den Ausgang des Schauspiels
2.1 Iphigenie aus der Sicht Orests
2.2 Iphigenie aus der Sicht des Pylades
2.3 Iphigenie aus der Sicht des Thoas
2.4 Iphigenies Selbstbild

3 Zusammenfassung der Ergebnisse und Anstoß zu weiteren Nachforschungen bezüglich des Fremd- und Selbstbildes

Literaturverzeichnis

1 Das Fremd- und Selbstbild als zu wenig beachteter Aspekt des Schauspiels „Iphigenie auf Tauris“ von J.W. von Goethe

Wirft man einen Blick in die Forschungsliteratur, so lässt sich feststellen, dass Goethes „Iphigenie auf Tauris“ fortwährend Anlass für Interpretationen bietet. Dabei wird seit jeher ein besonderes Augenmerk auf die Charakterisierung der Hauptfigur der Iphigenie gelegt, wobei vorwiegend auf den Aspekt des Humanitätsideals eingegangen wird. Es ist nicht zu leugnen, dass diesem aufgrund der Thematik des Schauspiels, dem Humanisierungsprozesses durch Iphigenie, eine große Bedeutung zukommt.

Unzureichend allerdings wird das Bild, das die Figuren von Iphigenie haben, behandelt. Dieses stellt in vielen Darstellungen zwar ein mehr oder weniger wichtiges Grundgerüst für die Interpretationen dar, wird allerdings zumeist nur in Nebensätzen behandelt, wodurch ein klares Fremd- und Selbstbild nicht ersichtlich wird.

Sollte es angesichts der aktuellen Forschungslage also nicht von weiterem Belang scheinen, dieses genauer zu untersuchen, so ist im Gegenteil darauf hinzuweisen, dass die Figuren, die den Verlauf des Stückes maßgeblich mitgestalten, mit ihrem Bild von der Hauptperson Iphigenie den Humanisierungs- und Kultivierungsprozess ganz besonders beeinflussen.

Dabei ist es von Nöten herauszuarbeiten, in welcher Beziehung die Figuren zu Iphigenie stehen, durch welche Grundeinstellungen diese Verbindung geprägt ist und welche Ansichten die Personen von Iphigenie haben und sie von sich selbst hat. Dies soll dadurch geschehen, dass die oben erläuterte Literatur hinsichtlich des Selbst- und Fremdbildes nach den Figuren Orest, Pylades, Thoas und Iphigenie unterteilt und untersucht wird. Es muss außerdem darauf geachtet werden, dass Aussagen über eine Person nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit der Ansicht über diese ist.

Ziel dabei ist es folglich, zuerst das Fremd- und Selbstbild herauszuarbeiten, um schließlich zu untersuchen, ob und inwieweit dieses auch mit dem Einfluss auf den Ausgang des Schauspiels und dem damit einhergehenden Humanisierungsprozess zu verknüpfen ist.

2 Durch Beziehungen und Grundeinstellungen beeinflusstes Fremd- und Selbstbild der Iphigenie mit Blick auf den Verlauf und den Ausgang des Schauspiels

2.1 Iphigenie aus der Sicht Orests

An Orests Sicht auf Iphigenie zeigt sich besonders stark, dass das Bild, das man von einer Person hat, sich stetig verändert, denn es unterzieht sich in sehr kurzer Zeit einem starken Wandel. Um diesen nachzuvollziehen ist es nötig, sich zunächst mit dem zusammenhängenden Schicksal der Geschwister auseinanderzusetzen. Iphigenie hat aufgrund ihres Amtes als Priesterin auf Tauris die Aufgabe, Orest zu opfern.[1] Dies würde dem Tantalidenfluch, der nach einem griechischen Mythos der Familie der beiden durch die Götter auferlegt ist, nachkommen. Orest stellt fest, dass auf diese Weise sein Mord an der Mutter mit dem Brudermord Iphigenies gerächt werden würde.[2] Obwohl er die Schwester bereits kurz zuvor als solche erkannt hat,[3] sieht Orest in ihr zu diesem Zeitpunkt besonders die Priesterin und damit die Weiterführerin des seiner Ansicht nach unvermeidlichen Tantalidenfluchs;[4] dies lässt sich in folgenden Versen wiederfinden:

Gut, Priesterin! ich folge zum Altar:

Der Brudermord ist hergebrachte Sitte

Des alten Stammes; […].[5]

Infolgedessen erscheint ihm Iphigenie allerdings auch als seine Mutter Klytämnestra, die nun den Tod ihres Sohnes fordert.[6] Diese „Stellvertreterschaft“[7] wird durch den Blick Iphigenies entfacht und erinnert Orest an seine Ermordung der Mutter.[8] Die Situation im Schauspiel ist zu diesem Zeitpunkt allerdings genau gegenteilig gelagert, da Orest und nicht Iphigenie als imaginäre Mutter die Opferposition innehat. In diesem Moment ist ihm nicht bewusst, dass Iphigenie nicht nur von ihrem Amt als Priesterin oder in Orests Einbildung von der rächenden Mutter, sondern in Wirklichkeit vielmehr von ihrer Stellung als Schwester beeinflusst wird und daher keinen Mord an ihm verübt.[9]

Erst aufgrund der darauffolgenden Hadesvision, in der er die Atridenfamilie versöhnt sieht, werden nun die bereits genannten Vorstellungen Orests von Iphigenie zum einen als Priesterin und zum anderen als Mutter Klytämnestra in den Hintergrund gedrängt. Da Orest erkennt, dass die Gefahr des Fluchs gebannt ist, rückt das Motiv der Schwester, das zuvor nur untergeordnet vorhanden ist, nun in den Vordergrund.[10] Im Text lässt sich dies beispielsweise durch folgende Aussage Orests nach seiner Heilung verdeutlichen:

O lasst mich auch in meiner Schwester Armen,

An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt,

Mit vollem Dank genießen und behalten.[11]

Zu Beginn ist für ihn von Bedeutung, dass diese aufgrund ihrer Tätigkeit als Priesterin die Aufgabe hat, ihn und seinen Begleiter Pylades der Göttin Diana zu opfern. Er sieht sie demnach nur unter dem Aspekt dieses Amtes.

Dass sich diese Veränderung des Fremdbildes keineswegs einfach gestaltet hat, wird an der abwehrenden Haltung des Orest sichtbar, die Schwester als solche zu erkennen und zu akzeptieren.[12] Hierbei ist jedoch auch die Wichtigkeit für das Gesamtwerk zu betonen, da sich erst durch die gegenseitige Identifikation der Geschwister die Möglichkeit bietet, den Opfertod zu umgehen und damit zum Humanisierungsprozess auf Tauris beizutragen.[13]

Neben dieser deutlichen Veränderung des Fremdbildes ist auch festzustellen, dass Iphigenie über das gesamte Schauspiel hinweg immer wieder positiv beschrieben wird. So erkennt Pylades bereits vor einem persönlichen Kennenlernen durch Gespräche mit den Wächtern ihre Güte und beschreibt sie als „göttergleiches Weib“[14], das zur Rettung der beiden Gefährten beitragen wird. Orest dagegen ist anfangs gegenteiliger Meinung: „Der wilde Sinn des Königs tötet uns; / Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.“[15].[16]

Diese Ansicht Orests hält einige Zeit an, da er Iphigenie trotz eines Vergleichs mit „einer Himmlischen“[17], noch nicht vertraut.[18] Dies ändert sich mit der bereits erläuterten Wende von der Priesterin und rächenden Mutter zur positiv attribuierten Schwester. Abgesehen davon wird besonders im letzten Auftritt die neue Position Orests betont. In ihm hebt er „die Wahrheit dieser hohen Seele“[19] und ihr „reines kindliches Vertrauen“[20] hervor und tituliert sie als „Heilige“[21].[22]

Ob diese Darstellung wirklich Orests Meinung von Iphigenie entspricht oder ob seine Schilderung davon geprägt ist, Thoas zu überzeugen, wird kontrovers diskutiert. Einerseits wird sie nur als Instrument, dem König die Entscheidung abzunehmen und ihn an die Tugend der Iphigenie zu erinnern, gesehen.[23] Andererseits kann auch angenommen werden, dass dadurch, dass Iphigenie wohl nicht unbedeutend an Orests Heilung beteiligt war, sie als seine Schwester einen besonderen Stellenwert für ihn innehat.[24]

Ungeachtet der Tatsache, dass das Anführen von Iphigenies Charakterzügen unter Umständen nur Mittel zum Zweck ist und nicht dem wirklichen Bild Orests von ihr entsprechen könnte, erwähnt Orest diese Eigenschaften. In diesem Fall wäre er sich ihnen folglich zumindest bewusst, was sich wiederum positiv auf sein Fremdbild über Iphigenie auswirken würde. Man kann also von einem Wandel sprechen, da der Bruder seiner Schwester nun nicht mehr eher ablehnend, sondern offen gegenübersteht. Dass diese Veränderung keineswegs mühelos erfolgte, konnte an dem Schlüsselereignis der Vision und der Heilung Orests gezeigt werden.

[...]


[1] Vgl. Neumann, Gerhard: „reine Menschlichkeit“. Zur Humanisierung des Opfers in Goethes „Iphigenie“. In: Humanität in einer pluralistischen Welt? Themengeschichtliche und formanalytische Studien zur deutschsprachigen Literatur. Hrsg. von Christian Kluwe und Jost Schneider. Würzburg: Königshausen und Neumann 2000. S.219-236.

[2] Vgl. Greiner, Bernhard: Weibliche Identität und ihre Medien: zwei Entwürfe Goethes. (Iphigenie auf Tauris, Bekenntnisse einer Schönen Seele). In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Im Auftrag des Vorstands 35 (1991). S. 33-56.

[3] Vgl. Greiner, B.: Weibliche Identität. S. 37.

[4] Vgl. Kershner, Sybille: „Mein Schicksal ist an deines fest gebunden“. Rettung, Heilung und Entsühung in Goethes „Iphigenie“. In: Goethe-Jahrbuch. Im Auftrag des Vorstands der Goethe-Gesellschaft 111 (1995). S. 23-34.; vgl. Deiters, Franz-Josef: Goethes „Iphigenie auf Tauris“ als Drama der Grenzüberschreitung oder: Die Aneignung des Mythos. In: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts (1999) . S. 14-51.

[5] Goethe, Johann Wolfgang: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Stuttgart: Reclam 2001. S. 39. III, 1, 1228-1230.

[6] Vgl. Greiner, B.: Weibliche Identität. S.37.

[7] Deiters, F.: „Iphigenie auf Tauris“. S. 31.

[8] Vgl. Kershner, S.: „Mein Schicksal ist an deines fest gebunden“. S. 28.

[9] Vgl. Greiner, B.: Weibliche Identität. S. 38.; vgl. Deiters, F.: „Iphigenie auf Tauris“. S. 31.

[10] Vgl. Greiner, B.: Weibliche Identität. S. 38f..

[11] Goethe, J. W.: Iphigenie. S. 42. III, 3, 1355-1357.

[12] Vgl. Kershner, S.: „Mein Schicksal ist an deines fest gebunden“. S. 25,28.

[13] Vgl. Neumann, G.: „reine Menschlichkeit“. S. 224.

[14] Goethe, J. W.: Iphigenie. S. 26. II, 1, 772.

[15] Goethe, J. W.: Iphigenie. II, 1, 784f..

[16] Vgl. Hansen, Birgit: Frauenopfer. Mörderische Darstellungskrisen in Euripides‘ „Iphigenie in Aulis“ und Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Berlin: Logos 2003.

[17] Goethe, J. W.: Iphigenie. III, 1, 951.

[18] Vgl. Goethe, J. W.: Iphigenie. III, 1, 1202f..

[19] Goethe, J. W.: Iphigenie. V, 6, 2143.

[20] Goethe, J. W.: Iphigenie. V, 6, 2144.

[21] Goethe, J. W.: Iphigenie. V, 6, 2119.

[22] Reinhardt, Hartmut: Die Geschwister und der König. Zur Psychologie der Figurenkonstellation in Goethes „Iphigenie auf Tauris“. In: Johann Wolfgang Goethe. Lyrik und Drama. Neue Wege der Forschung. Hrsg. von Bernd Hamacher und Rüdiger Nutt-Kofoth. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. S. 171-188.

[23] Vgl. Liewerscheidt, Dieter: Selbsthelferin ohne Autonomie – Goethes Iphigenie. In: Goethe-Jahrbuch im Auftrag des Vorstands der Goethe-Gesellschaft 114 (1998). S. 219-230.; vgl. Erhart, Walter: Drama der Anerkennung. Neue gesellschaftstheoretische Überlegungen zu Goethes „Iphigenie auf Tauris“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Internationales Organ für neuere deutsche Literatur 51 (2007). S. 140-164.

[24] Vgl. Reinhardt, H.: Die Geschwister und der König. S. 179f..

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Details

Titel
Das Fremd- und Selbstbild der Iphigenie und seine Auswirkung auf das Schauspiel "Iphigenie auf Tauris“
Note
1,0
Jahr
2015
Seiten
15
Katalognummer
V346667
ISBN (eBook)
9783668360815
ISBN (Buch)
9783668360822
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Iphigenie auf Tauris, Iphigenie, Goethe, Orest, Pylades, Thoas, Fremdbild, Selbstbild
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Das Fremd- und Selbstbild der Iphigenie und seine Auswirkung auf das Schauspiel "Iphigenie auf Tauris“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346667

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