Der Körper zwischen Täuschung und Wahrheit. Eine Untersuchung des "Tristan" von Gottfried von Straßburg


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Körpersprache

3. Der Körper als Text

4. Maß und Harmonie

5. Täuschung und Wahrheit
5.1 Die Wahrheit des Inneren
5.2 Täuschung und Betrug
5.3 Die innere Tugend
5.4 Manipulation der Gebärden

6. Das Auge in der höfischen Kommunikation

7. Der Zwang zur Selbstbeherrschung

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Geschichte von Tristan und Isolde ist zweifellos eine der bewegendsten Liebesgeschichten, die das Abendland je hervorgebracht hat. Auch wenn sie heute gewiss anders rezipiert wird als zur Zeit ihres Entstehens, fasziniert die Geschichte allein schon durch die Intensität der Gefühle, die die beiden Protagonisten füreinander hegen. Das innere Leben der Hauptfiguren soll im Mittelpunkt der folgenden Arbeit stehen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, wie es auf der nonverbalen Ebene der Körpersprache zum Ausdruck gebracht wird. Zwar kommt in dem Roman dem Wort, dem gesprochenen und dem gedachten, eine prominente Rolle zu, nichtsdestoweniger sollte die Sprache des Körpers nicht unbeachtet bleiben. In der vorwiegend schriftlosen Gesellschaft stellte die Sprache des Körpers eine wichtige Form der Sinnvermittlung dar.[1] Die moderne Auffassung des Körpers als Text ist durchaus auf das Gebaren der Romanfiguren anzuwenden. Das Bewusstsein um das äußere Aussehen, um die körperliche Präsenz und um die Signale des Körpers war in der Epoche der höfischen Kultur sehr stark.[2] Das öffentliche Leben war einem festen Gebärdenkodex unterworfen, wie es in dem Roman z.B. an der Reglementierung des Turniers, der Gerichtsszenen oder der Schwertleitezu sehen ist. Das höfische Zeremoniell war auch für das Privatleben bestimmend, und so unterlag auch die Körpersprache, die die Regungen des inneren Lebens ausdrückt, vielfachen Regulierungen. Davon legen die zahlreichen Anweisungen über Anstandsregeln ein Zeugnis ab, darunter Thomasin von Zerklaeres Der Wälsche Gast, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen. Eine zentrale Rolle in dieser Problematik spielt die mâze als Maßstab des höfischen Benehmens. Darin lebt das antike ideal der modestia, das Aristoteles in seiner Rhetorik hervorhebt, fort.

In Tristan wird die mâze ebenso oft beachtet wie verletzt. Wird sie als ein erstrebenswertes Ideal oder eine verbindliche Norm gezeigt? Übt Gottfried bei der Darstellung des Abweichens von diesem Grundsatz eine Kritik aus? Wenn ja, ist es eine Kritik der Figuren oder der Norm? Das sind Fragen, die sich bei Behandlung dieses Themas zwangsweise stellen, auch wenn deren Beantwortung keineswegs unproblematisch ist, da sich Gottfried nicht eindeutig zu den Handlungen seiner Protagonisten äußert.

2. Körpersprache

Die Körpersprache kann in zweierlei Bedeutungen verstanden werden. Zum einen, in dem gängigen Sinne des Wortes, als bedachte und unbedachte Bewegungen des Körpers bzw. einzelner Körperteile, die einen Affekt vermitteln oder begleiten. Es umfasst also die Gestik und Mimik, die konkrete Inhalte (bewusst oder unbewusst) nach außen vermitteln. Zur Körpersprache in diesem Sinne gehören auch solche Symptome, die man üblicherweise als Reflexe zu bezeichnen pflegt. In diesen psychosomatischen Bereich gehört z.B. der Wechsel der Gesichtsfarbe, dem in dem Roman viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zum anderen gibt es auch die abstrakte Sprache des Körpers, wo der ganze Körper als Zeichen gelesen werden kann. Unter „Körper“ versteht sich in diesem Fall nicht nur der physische Korpus, sondern die ganze Person, wie sie nach außen wirkt, d.h. ihr Gebaren (die Etymologie dieses Wortes ist für das Verständnis des Begriffs von Nutzen: es beinhaltet die Bedeutung „tragen“, auch „sich tragen“), ihr Auftreten, und nicht zuletzt ihre Kleidung.[3]

Es ist ersichtlich, dass gleich Schwierigkeiten entstehen, versucht man zwischen den Schichten der Person zu differenzieren. Auf der einen Seite muss die Unterscheidung von homo exterior und homo interior, die auf John of Salisbury zurückgeführt werden kann, wahrgenommen werden.[4] Auf der anderen Seite setzt die Forderung der Harmonie zwischen diesen Aspekten die Vorstellung voraus, die ganze Person sei der Träger des Charakters. Wenn eine Theorie der Personenkenntnis im Mittelalter formuliert werden kann, dann ist es eine, die eine grundsätzliche Erkennbarkeit des Menschen über seine äußere Erscheinung in Gestalt, Kleid und Gebärde für möglich hält.[5] Zwischen dem Kern und der Hülle einer Person, bzw. zwischen Körper und Geist, besteht ein dialektisches Verhältnis, mit welchem auch die Thematik von Täuschung und Verstellung zusammenhängt. Das breite Feld der Erkenntnisproblematik, das sich damit öffnet, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehend behandelt werden. Ich werde mich auf das Verhältnis des Körpers zu dem Inneren der Figuren im Kontext der Romanhandlung beschränken, wobei der Einfluss des Hofes eine besondere Berücksichtigung finden soll. Verständlichermaßen sind die oben aufgeführten Aspekte der Körpersprache nicht immer streng voneinander zu trennen. Die konkrete Gebärdensprache kann als eine Manifestation der umfassenderen Körpersprache der abstrakten Art verstanden werden. Dass sie nicht immer ganz abstrakt wirkt, wird z.B bei der Untersuchung der Kleidungsgewohnheiten ersichtlich.[6]

3. Der Körper als Text

Unsere Aufmerksamkeit soll zuerst der umfänglichen Auffassung der Körpersprache geschenkt werden. Dabei werden einige allgemeine Konzepte des höfischen Umgangs vorgestellt, die sich auch in der Gebärdensprache niederschlagen. Wenn wir uns mit der Wirkung des Körpers auf die Außenwelt befassen, können wir uns am Anfang die Frage stellen, wie die Figuren vor- und dargestellt werden. Dies passiert in der Regel durch eine direkte Beschreibung oder einen Bericht, sei es aus der Perspektive des Erzählers oder einer anderen Figur. Das auffallendste Beispiel einer Figurenbeschreibung ist der Auftritt der jungen Isolde auf dem Hoftag in Wexford (10889 - 11024). Es ist hier aber nicht das erste Mal die Rede von Isolde. Etliche Male zuvor wurde schon die Tochter Isolde, das vollkommene Mädchen (7168, 7716), die schöne Isolde (7973) erwähnt. Ausgiebig hat Gottfried von ihrer Ausbildung und ihren schönen Sitten berichtet (7974 - 8141); darauf folgt Tristans emphatische Beschreibung Isoldes, der künftigen Braut Markes (8253 - 8300). Erwartungsgemäß schwelgt Tristan in Superlativen, aber seine Worte preisen nur Isoldes Schönheit. Zwar wurde die makellose Schönheit als ein Spiegel der inneren Vollkommenheit betrachtet[7], aber warum erwähnt Tristan nichts von Isoldes geistigen Vorzügen, von denen es doch so viel zu berichten gibt? Unter der Aufsicht Tristans, der als der Spielmann Tantris auftritt, vervollkommnen sich nicht nur Isoldes musikalische Kunstfertigkeiten, sondern auch ihr Geist und Benehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass es Tristan bewusst ist, Isoldes geistige Vortrefflichkeit wäre an Marke und den Angehörigen seines Hofes mehr oder weniger verloren. Im Laufe der Handlung wird gezeigt, dass Marke gewiss nicht zu den auserwählten edelen herzen gehört, von denen der Roman erzählt, und an die er sich wendet.

Um sich auf eine Ehe mit Isolde einzulassen, ist für Marke die makellose Hülle ausreichend genug, auch wenn er sich, selbst in dieser Hinsicht, als ein einfältiger Schönheitsbanause erweist, indem er sich während der Hochzeitsnacht eine falsche Braut unterschieben lässt (12666 - 71). Brangänes Qualitäten sind zwar nicht zu vernachlässigen, doch kann sie Isoldes archetypischer Schönheit nicht standhalten. Soviel lässt sich wenigstens vermuten, wenn die Superlative, mit denen Isolde überhäuft wird, ernst zu nehmen sind, obwohl es gewissermaßen schon zu den Eigenarten des höfischen Romans gehört, dass alle Hyperbeln mit Vorsicht zu genießen sind. Isolde, ihre Mutter und Brangäne - jede für sich wird als hervorragend dargestellt. Um die Vorzüglichkeit dieser dreien Juwelen Irlands vor Augen zu führen, bedient sich Gottfried einer Analogie von der strahlenden Sonne, dem glücklichen Morgenrot und dem lieblichen Mondlicht (9450 ff), die es ermöglicht, die Überlegenheit Isoldes hervorzuheben, ohne dass dabei die Vortrefflichkeit Brangänes und der Mutter Isolde einen Abbruch erleidet. Allerdings hat Isoldes Schönheit die besondere Qualität, dass in deren Lichte auch andere Frauen erblühen (8294 ff). Gottfried entschuldigt auch Markes Stumpfsinnigkeit dadurch,

daz e selten si geschehen

daz ie so schoene messinc

vür guldiniu teidinc

ze bettegelte würde gegeben. (12606-9)

Es ist trotzdem ist ein Falschgeld, mit dem Marke bezahlt worden ist (12612) und die Tatsache, dass Marke dies nicht durchschaut, ist ein erstes Anzeichen für die Abgrenzung Markes von den edelen herzen, handelt es sich doch um eine Verwechslung des absoluten Wertes mit dem auch wenn nur um eine Stufe niedrigeren. Der Mangel an Feinfühligkeit bei Marke wird mehrmals unter Beweis gestellt, meistens im Kontrast zu Tristan. Deshalb trifft es als eine Überraschung, wenn am Ende des Romanfragments selbst Tristan, der den ausgelesenen Geschmack verkörpert, einer ähnlichen Sinnestäuschung unterliegt, indem er sich durch Isolde Weißhand von dem rechten Pfand der einzigen und heiligen Minne zu der blonden Isolde abbringen lässt.[8]

4. Maß und Harmonie

Die Textstelle, die Isoldes Auftritt beschreibt, verdient es, noch näher betrachtet zu werden. Es ist zunächst zu vermerken, dass Gottfried mit der Beschreibung Isoldes gewartet hat, bis sich ein passender Anlass ergibt, der der Bedeutung seines Themas angemessen ist. Die Beschreibung ist in die Handlung eingeflochten, und es ist wichtig, dass die feierlichen Umstände einen besonders günstigen Hintergrund für die prachtvolle Erscheinung Isoldes darbieten. Es wird wieder ein ausschließlich visueller Eindruck vermittelt, wobei der Blick auf die Gesamterscheinung der strahlenden Isolde gelenkt wird. Es handelt sich aber um keine statische Beschreibung, gerade im Gegenteil, es entsteht ein Bild von großer Plastizität und Dynamik. Besondere Aufmerksamkeit wird Isoldes Gangart geschenkt:

diu sleich ir morgenrôte

lîse unde staetelîche mite

in einem spor, in einem trite (10890 ff)

(...)

ir trite die wâren unde ir swanc

gemezzen weder kurz noch lanc

und iedoch beider mâze (10989 ff)

Die Beschreibung der Gangart wird auch bei den weniger prominenten Figuren nicht unterlassen, und so wird auch von Brangäne berichtet:

diu stolze und diu wol gesite

sie gieng im siteliche mite (11085 f).

[...]


[1] Joachim Bumke: „Höfische Kultur: Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme“ . In: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur, 1992, Bd. 114, S. 430.

[2] Über den demonstrativen Charakter des mittelalterlichen Verhaltens siehe Gerd Althoff: Verwandte, Freunde und Getreue. zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im frühen Mittelalter. Darmstadt, 1990, Kap. 5: “Rituale“, S. 182-212.

[3] Elke Brüggen: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. Und 13. Jahrhunderts. Heidelberg, 1989.

[4] Stephen Jaeger: Medieval Humanism in Gottfried’s Tristan und Isolde. Heidelberg, 1977, S. 66.

[5] Ingrid Hahn: „Zur Theorie der Personerkenntnis in der deutschen Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 1977, Bd. 77, S. 395-444.

[6] S.u. S. 7.

[7] Hahn, wie Anm. 5, S. 401.

[8] S.u. S.14 f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Körper zwischen Täuschung und Wahrheit. Eine Untersuchung des "Tristan" von Gottfried von Straßburg
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
HS Gottfried von Straßburg: Tristan
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
19
Katalognummer
V34669
ISBN (eBook)
9783638348263
ISBN (Buch)
9783656757870
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Körper, Täuschung, Wahrheit, Gottfried von Straßburg, Tristan
Arbeit zitieren
Barbora Sramkova (Autor:in), 1998, Der Körper zwischen Täuschung und Wahrheit. Eine Untersuchung des "Tristan" von Gottfried von Straßburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34669

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