Die Geschichte von Tristan und Isolde ist zweifellos eine der bewegendsten Liebesgeschichten, die das Abendland je hervorgebracht hat. Auch wenn sie heute gewiss anders rezipiert wird als zur Zeit ihres Entstehens, fasziniert die Geschichte allein schon durch die Intensität der Gefühle, die die beiden Protagonisten füreinander hegen. Das innere Leben der Hauptfiguren soll im Mittelpunkt der folgenden Arbeit stehen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, wie es auf der nonverbalen Ebene der Körpersprache zum Ausdruck gebracht wird. Zwar kommt in dem Roman dem Wort, dem gesprochenen und dem gedachten, eine prominente Rolle zu, nichtsdestoweniger sollte die Sprache des Körpers nicht unbeachtet bleiben. In der vorwiegend schriftlosen Gesellschaft stellte die Sprache des Körpers eine wichtige Form der Sinnvermittlung dar. Die moderne Auffassung des Körpers als Text ist durchaus auf das Gebaren der Romanfiguren anzuwenden. Das Bewusstsein um das äußere Aussehen, um die körperliche Präsenz und um die Signale des Körpers war in der Epoche der höfischen Kultur sehr stark. Das öffentliche Leben war einem festen Gebärdenkodex unterworfen, wie es in dem Roman z.B. an der Reglementierung des Turniers, der Gerichtsszenen oder der Schwertleitezu sehen ist. Das höfische Zeremoniell war auch für das Privatleben bestimmend, und so unterlag auch die Körpersprache, die die Regungen des inneren Lebens ausdrückt, vielfachen Regulierungen. Davon legen die zahlreichen Anweisungen über Anstandsregeln ein Zeugnis ab, darunter Thomasin von Zerklaeres Der Wälsche Gast, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen. Eine zentrale Rolle in dieser Problematik spielt die mâze als Maßstab des höfischen Benehmens. Darin lebt das antike ideal der modestia, das Aristoteles in seiner Rhetorik hervorhebt, fort.
In Tristan wird die mâze ebenso oft beachtet wie verletzt. Wird sie als ein erstrebenswertes Ideal oder eine verbindliche Norm gezeigt? Übt Gottfried bei der Darstellung des Abweichens von diesem Grundsatz eine Kritik aus? Wenn ja, ist es eine Kritik der Figuren oder der Norm? Das sind Fragen, die sich bei Behandlung dieses Themas zwangsweise stellen, auch wenn deren Beantwortung keineswegs unproblematisch ist, da sich Gottfried nicht eindeutig zu den Handlungen seiner Protagonisten äußert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Körpersprache
- Der Körper als Text
- Maß und Harmonie
- Täuschung und Wahrheit
- Die Wahrheit des Inneren
- Täuschung und Betrug
- Die innere Tugend
- Manipulation der Gebärden
- Das Auge in der höfischen Kommunikation
- Der Zwang zur Selbstbeherrschung
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Körper als Ausdruck des inneren Lebens in Gottfried von Straßburgs Tristan. Sie konzentriert sich auf die Körpersprache der Figuren und wie diese die Emotionen und Charaktere widerspiegelt. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie das ideale höfische Verhalten im Kontext von Täuschung und Wahrheit durch die Körpersprache dargestellt wird.
- Die Bedeutung der Körpersprache in der höfischen Gesellschaft
- Der Körper als Text und seine Interpretation
- Das Ideal der mâze als Maßstab des höfischen Benehmens
- Das Verhältnis zwischen Körper und Geist in der Romanhandlung
- Die Rolle der Täuschung und Verstellung in der Kommunikation
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik der Arbeit vor und beleuchtet die Relevanz der nonverbalen Kommunikation in der höfischen Welt. Kapitel 2 definiert den Begriff der Körpersprache und unterscheidet zwischen der konkreten, beobachtenden Ebene und der abstrakten, symbolischen Bedeutung des Körpers. Kapitel 3 fokussiert auf den Körper als Text, analysiert die Beschreibungen der Figuren im Roman und beleuchtet die unterschiedlichen Darstellungsformen. Kapitel 4 befasst sich mit dem Ideal der mâze, das in der höfischen Kultur eine wichtige Rolle spielt, und stellt die Frage nach der Kritik, die Gottfried an den Normen oder an den handelnden Figuren übt.
Schlüsselwörter
Körpersprache, Tristan, Gottfried von Straßburg, höfische Kultur, Täuschung, Wahrheit, mâze, modestia, innere Tugend, Manipulation, Gebärdensprache, Text, homo exterior, homo interior, Personerkenntnis, Hofgesellschaft.
- Quote paper
- Barbora Sramkova (Author), 1998, Der Körper zwischen Täuschung und Wahrheit. Eine Untersuchung des "Tristan" von Gottfried von Straßburg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34669