Insbesondere in Hinblick auf die fortschreitende europäische Integration kann und muss sich die Europäische Union (EU) dieser Frage nach ihrer demokratischen Legitimität stellen. Denn: Europa rückt zusammen. Immer öfter bekommt der Bürger den langen Arm Brüssels zu spüren. Bestes Beispiel: Die Einführung der einheitlichen Währung, des Euros. Rund 80 Prozent aller auf den Binnenmarkt bezogenen Entscheidungen sind einigen Schätzungen nach mittlerweile in EU bzw. EG-Recht übergegangen.
Ein weiteres Exempel sind die Urteile des Europäischen Gerichtshofes: Sie sind für die Mitgliedsstaaten bindend und müssen national umgesetzt werden. Ein prominentes Beispiel etwa die Entscheidung zur Gleichstellung von Frauen und Männern beim Zugang zum Dienst in den Streitkräften. In einer Pressemitteilung des EUGH vom 7. Januar 2000 heißt es dazu wörtlich: „Die deutschen Rechtsvorschriften, die Frauen vollständig vom Dienst mit der Waffe ausschließen, verstoßen gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen.“ (EU Homepage 2002) Europäisches Recht bricht nationales Recht, die Bundesrepublik Deutschland musste sich der europäischen Rechtsprechung fügen. In den Mitgliedstaaten steht das Parlament als ein Repräsentationsorgan des Volkes im Mittelpunkt des Legitimationsprozesses von Regierungsgewalt. Es läge also eigentlich nah, dem Europäischen Parlament als einzigem, unmittelbar durch Wahlen vom europäischen Volk direkt legitimierten Organ diese Rolle auf europäischer Ebene zu unterstellen.
Anscheinend nicht, denn nicht nur in der politikwissenschaftlichen Fachliteratur wird zumindest mit Fragezeichen versehen über das sogenannte „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ diskutiert (vgl. z.B. Pfetsch 1997, Lord 1998 oder Schmidt 2000). Doch auch in den Medien und nicht zuletzt im Hinblick auf die aktuelle Verfassungsdebatte wird dieses Thema immer wieder kontrovers diskutiert.
Die Legitimation einer zunehmenden Anhäufung von Rechtsetzungsbefugnissen zu Gunsten der EU, (und damit gleichzeitig zu Lasten der nationalen Parlamenten), ist gemessen an den, in den Mitgliedstaaten üblichen demokratiepolitischen Standards, also zumindest streitbar.
In dieser Hausarbeit werde ich mich daher mit folgenden Fragen beschäftigen: Gibt es ein Demokratiedefizit in der Europäischen Union? Und in diesem Zusammenhang: Welches Legitimationspotential bietet das Europäische Parlament?
Inhalt
1. Einleitung / Forschungsfrage
2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
2.1. Die Demokratiethese
2.2. Die These vom „Demokratiedefizit“
2.3. Fazit
3. Das Europäische Parlament
3.1. Die Wahl des Europäischen Parlaments
3.2. Kompetenzen im Institutionengeflecht und deren Grenzen
3.2.1. Kontrollfunktion
3.2.2. Gesetzgebungsfunktion
3.2.2.1. Kompetenz bei der Verabschiedung des Haushaltes
3.2.3. Wahlfunktion
3.2.4. Artikulationsfunktion
3.2.5. Kommunikationsfunktion
3.3. Fazit
4. Das EU-Reformkonvent
4.1. Hintergrund
4.2. Die Debatte um die Verfassung der EU
5. Das Legitimationspotential des EP
5.1. Derzeitiges und zukünftige Legitimationspotential
5.2. Eigene Stellungnahme
6. Zusammenfassung
7. Literatur
1. Einleitung / Forschungsfrage
„Mit welchen guten, zustimmungsfähigen Gründen läßt sich rechtfertigen, daß die Europäische Union Rechtssetzungsmacht über mehr als 360 Millionen Bürger ausübt?“ (Kielmannsegg 1997, Seite 47) Sicherlich nicht unberechtigt ist diese Frage von Peter Graf Kielmannsegg. Insbesondere in Hinblick auf die fortschreitende europäische Integration kann und muss sich die Europäische Union (EU) dieser Frage nach ihrer demokratischen Legitimität stellen. Denn: Europa rückt zusammen. Immer öfter bekommt der Bürger den langen Arm Brüssels zu spüren. Jüngstes Beispiel: Die Einführung der einheitlichen Währung, des Euros. Rund 80 Prozent aller auf den Binnenmarkt bezogenen Entscheidungen sind einigen Schätzungen nach mittlerweile in EU bzw. EG-Recht übergegangen (vgl. Pfetsch 1997).
Ein weiteres Exempel sind die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EUGH): Sie sind für die Mitgliedsstaaten bindend und müssen national umgesetzt werden. Ein prominentes Beispiel etwa die Entscheidung zur Gleichstellung von Frauen und Männern beim Zugang zum Dienst in den Streitkräften. In einer Pressemitteilung des EUGH vom 7. Januar 2000 heißt es dazu wörtlich: „Die deutschen Rechtsvorschriften, die Frauen vollständig vom Dienst mit der Waffe ausschließen, verstoßen gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen.“ (EU Homepage 2002) Europäisches Recht bricht nationales Recht, die Bundesrepublik Deutschland musste sich der europäischen Rechtsprechung fügen.
In den Mitgliedstaaten steht das Parlament als ein Repräsentationsorgan des Volkes im Mittelpunkt des Legitimationsprozesses von Regierungsgewalt. Es läge also eigentlich nah, dem Europäischen Parlament (EP) als einzigem, unmittelbar durch Wahlen vom europäischen Volk direkt legitimierten Organ diese Rolle auf europäischer Ebene zu unterstellen.
Anscheinend nicht, denn nicht nur in der politikwissenschaftlichen Fachliteratur wird zumindest mit Fragezeichen versehen über das sogenannte „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ diskutiert (vgl. z.B. Pfetsch 1997, Lord 1998 oder Schmidt 2000). Doch auch in den Medien und nicht zuletzt im Hinblick auf die aktuelle Verfassungsdebatte wird dieses Thema immer wieder kontrovers diskutiert.
Die Legitimation einer zunehmenden Anhäufung von Rechtsetzungsbefugnissen zu Gunsten der EU, (und damit gleichzeitig zu Lasten der nationalen Parlamenten), ist gemessen an den, in den Mitgliedstaaten üblichen demokratiepolitischen Standards, also zumindest streitbar.
In dieser Hausarbeit werde ich mich daher mit folgender Frage beschäftigen:
- Gibt es ein Demokratiedefizit in der Europäischen Union?
und in diesem Zusammenhang:
- Welches Legitimationspotential steckt im Europäischen Parlament?
Hierzu möchte ich mich zunächst mit dem Vorwurf des Mangels der EU an demokratischer Legitimation beschäftigen. Anschließend werde ich mich mit der Wahl und den Kompetenzen des EP auseinandersetzen, um dann auf dessen Legitimationspotential einzugehen. Außerdem will ich kurz auf das EU-Reformkonvent eingehen, dessen Arbeit zu einer Neugestaltung der EU und eventuell sogar zu einer europäischen Verfassung führen soll.
2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union
Das europäische Demokratiedefizit – zahlreiche Veröffentlichungen schmücken sich mit dieser Losung im Titel. Kaum noch ist dieser Vorwurf aus den Diskussionen um die EU-Osterweiterung wegzudenken. Und auch im Hinblick auf das EU-Reformkonvent, das im März 2002 seine Arbeit aufgenommen hat, wird nicht selten der vermeintliche Mangel der EU an demokratischer Legitimation angeprangert. Selbst Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt wird in der Wochenzeitung „Die Zeit“ mit den Worten zitiert, im Schoße der Union gebe es nur „den Anschein demokratischer Legitimität“ (Fritz-Vannahme 2000).
Ist dieser Vorwurf berechtigt? Gibt es überhaupt dieses viel zitierte, aber selten klar definierte, Demokratiedefizit? Möglicherweise sogar die Legitimitätskrise, vor der manche Sozialwissenschaftler so eindringlich mahnen? Oder wird hier schlicht dramatisiert, um die eigene These interessanter zu machen, wie Peter Graf Kielmannsegg anzudenken wagt (vgl. Kielmannsegg 1997)?
Ohne es weiter auszuführen verpflichtet sich die Union in der Präambel ihres Vertrages, auf demokratischen Grundsätzen zu beruhen. Aber tut sie das? Und wenn ja, wie?
Ich werde im Folgenden versuchen, zwei kontroverse Positionen zu dieser Problematik darzustellen. Zum einen die These, dass die EU in erster Linie über ihre zwischen demokratisch verfassten Staaten geschlossenen Verträge hinreichend demokratisch legitimiert ist (und somit dem oben genannten Anspruch genügt). Dies ist die „Demokratiethese“. Die Gegenposition dazu ist der Vorwurf des „Demokratiedefizits“, das der EU mangelnde demokratische Legitimation ankreidet.
2.1. Die Demokratiethese
Nach der Demokratiethese stützt sich die demokratische Legitimation der EU im wesentlichen auf zwei Pfeiler.
1. Die Europäische Gemeinschaft ist aus Verträgen hervorgegangen. Diese wurden zwischen den Vertretern demokratisch legitimierter Regierungen von souveränen Einzelstaaten ausgehandelt und durch die Zustimmung der jeweiligen nationalen Parlamente volksherrschaftlich legitimiert.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Argument in seinem Maastricht-Urteil bekräftigt. Es weist den nationalen Parlamenten die Hauptrolle bei der Vermittlung demokratischer Legitimität zu. Dem EP hingegen misst es nur eine stützende Funktion bei, wenngleich eine gewichtigere Rolle in Zukunft nicht ausgeschlossen wird (vgl. Hölscheit 2001).
2. Das von den Bürgern Europas 1979 erstmals direkt gewählte Europäische Parlament bildet den zweiten Pfeiler demokratischer Legitimation. Sein Einfluss wurde unter anderem durch die Debatte um ein Misstrauensvotum gegen die Europäische Kommission und deren, im März 1999 daraufhin erfolgten, Rücktritt deutlich. Ferner ständen dem EP nicht unerhebliche Kompetenzen im Institutionengeflecht der EU zu (siehe hierzu auch Kapitel 3 dieser Arbeit) (vgl. Schmidt 2000).
Der englische Politologe Christopher Lord nennt diese Pfeiler oder Säulen demokratischer Legitimation „intergovernmental pillar“ (à Punkt 1) und „supranational pillar“ (à Punkt 2) (Lord 1998, Seite 45).
Unterstützung erfährt die Demokratiethese durch die Idee des delegierenden Staates. Durch den Gesetzgeber werden Teile der Entscheidungsbefugnis bis auf Widerruf an expertogratische Einrichtungen abgegeben, um so für sachgerechtere politische Lösungen zu sorgen (vgl. Schmidt 2000).
Weiter wird darauf hingewiesen, dass der derzeitige Stand der Integration das Ergebnis eines gewollten, zwischenstaatlichen Prozesses ist. Die Nationalstaaten als „Herren der Verträge“ bestimmen Ausmaß und Richtung der Integration. Wenn es also ein Defizit an demokratischer Legitimation geben sollte, „dann ist es ein demokratisch legitimiertes Demokratiedefizit“ (Schmidt 2000, Seite 428). Quelle der öffentlichen Gewalt der Europäischen Gemeinschaft seien folglich nicht ihre Bürger, sondern die Mitgliedsstaaten, urteilt Dieter Grimm in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Deswegen besitzt die Union ihr zentrales Organ auch nicht im Parlament, das die Bürger repräsentiert, sondern im Ministerrat, in dem die Mitgliedsstaaten sich zusammenfinden.“ (Grimm 1999)
2.2. Die These vom „Demokratiedefizit“
Die Gegenthese zur Demokratiethese ist die These des strukturellen demokratischen Legitimationsdefizites der Europäischen Union; die These vom „Demokratiedefizit“. Doch so zahlreich wie die Publikationen zu diesem Thema, so vielschichtig ist der Vorwurf selbst:
„[...] the unelected character of the European Commission, alleged weakness of the European Parliament, the withdrawal of powers from nationale parliaments, lack of European identity or ‚demo‘, low voter participation in European elections, the absence of strong democratic intermediaries such as political parties, the remteness and obscurity of the Union’s descission-making procedures, and doubtless much else besides“, versucht Christopher Lord die Bandbreite des potentiellen „democratic deficit“ der EU zu umreißen (Lord 1998, Seite 11).
Anhängern der Demokratiethese werden zum einen die Länge, zum anderen die oft nicht gegebene Stringenz der Legitimationsketten entgegengehalten. So ließe sich keinesfalls zwingend aus der demokratischen Legitimation der nationalen Regierungen eine Zustimmung der Bürger zur EU ableiten. Hierfür gibt es mehrere Gründe:
- Nationalstaatliche Parlamentswahlen sind keine europäischen Wahlen, denn „europäische Themen spielen in diesen Wahlen allenfalls gelegentlich und am Rande eine Rolle“, urteilt Peter Graf Kielmannsegg. Daher sei ein Transfer demokratischer Legitimität von den Mitgliedsstaaten an die EU nur sehr bedingt möglich (Kielmannsegg 1997, Seite 52).
- Das Zustandekommen von Entscheidungen in der EU ist für den Bürger aufgrund von undurchsichtigen Verfahrensweisen nicht (mehr) transparent genug. Im Gegenteil, je mehr Staaten an Entscheidungen beteiligt sind und je umfangreicher das EU-Vertragswerk wird, desto intransparenter wird die EU. So fällt es schwer, Verantwortungen zuzuweisen. Dies sei aber, schreibt Stefan Schieren, „indes ein unverzichtbares Legitimationsmoment demokratischer Herrschaft“ (Schieren 2001, bezogen auf: Doehring, Karl, Konturloses Europa, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.11.2000, Seite 12). Frank R. Pfetsch spricht in diesem Zusammenhang von einer „Anonymisierung von Verantwortung und Zuständigkeit“. Denn gleichzeitig entfallen Rechtfertigungszwänge und damit auch Kontrollmöglichkeiten (Pfetsch 1997, Seite 254). Dem Bürger fällt es also zunehmend schwerer, Konsequenzen (z B. durch Abwahl) zu ziehen, also ggf. demokratische Legitimation wieder zu entziehen. Genau dies ist aber ein elementarer Bestandteil von Demokratie.
- Das Institutionengeflecht, auf dem die EU ja noch immer aufbaut, war ursprünglich für eine Union von sechs Staaten geschaffen worden. Schon bei den derzeitigen 15 Mitgliedern erfordert effizientes Arbeiten Mehrheits- oder qualifizierte Mehrheitsentscheidungen. Eine Notwendigkeit, die mit jeder Erweiterung an Gewicht gewinnt, will man die Handlungsfähigkeit der Union sichern.
Gerade Mehrheitsentscheidungen aber bedeuten einen Bruch in der Legitimationskette zwischen der Union und den national legitimierten Regierungen, auf die von Vertretern der Demokratiethese verwiesen wird. Denn: Solange einstimmig entschieden wird, tragen alle Mitgliedsstaaten die Verantwortung für die jeweiligen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Jede Regierung kann also in ihrem Land mit Recht zur Verantwortung gezogen werden, schlimmstenfalls sogar abgewählt werden. Begnügt man sich in der EU mit Mehrheitsentscheidungen, trägt eine nationale Regierung nur noch bedingt die Verantwortung für eine Entscheidung. Denn im Extremfall, bei relativ eindeutigen Mehrheitsverhältnissen zum Beispiel, würde es gar keinen Unterschied machen, wofür eine einzelne nationale Regierung plädiert. Gemäß Kielmannsegg ist das Mehrheitsprinzip daher eine „legitimationstheoretisch fragwürdige Entscheidungsregel“ (Kielmannsegg 1997, Seite 53) Schließlich können die Angehörigen eines Staates nur ihre eigene Regierung, nicht aber die Regierung anderer Staaten wählen und entsprechend zur Verantwortung ziehen. Pfetsch spricht in diesem Zusammenhang von einer Diskrepanz zwischen Entscheidern und den von der Entscheidung Betroffenen (vgl. Pfetsch 1997).
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- Arbeit zitieren
- Felix Neubüser (Autor:in), 2002, Das Europäische Parlament und das Demokratiedefizit der EU. Das Legitimationspotential des Europäischen Parlaments, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3470