Das Museum. Geschichte eines Phänomens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Mittelalterliche Schatzkammern

Humanismus

Aufklärung

Moderne

Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildungen

Einleitung

Das Sammeln wertvoller oder nützlicher Gegenstände ist von Anbeginn der Zeit ein menschliches Bedürfnis gewesen. Ob es dem profanen Sinn des Überlebens oder später der reinen Repräsentation diente, ändert nichts an der Tatsache, dass es wichtig für den Menschen ist, gewisse Dinge in seinen Besitz zu bringen.

Die Entwicklung der modernen Museen stellt einen langjährigen Prozess dar, der sich über das Kuriositätensammeln bis hin zu großen Museumsbauten erkennen lässt. Bereits im Mittelalter wurden Schätze gesammelt und sorgfältig bewahrt und obwohl dies im engen Sinne nichts mit den modernen Museen gemein hat, möchte ich diese Schatzkammern dennoch erwähnen, da sie als Teil der jahrhundertelangen Entwicklung angesehen werden können. Ein entscheidender Schritt zum heutigen Museum fand während des Humanismus statt, als man begann durch die gesammelten Objekte einen Mikrokosmos zu konstruieren und zu dieser Zeit erstmals versucht wurde, die Objekte zu studieren und zu verstehen. Die neuen Erkenntnisse der Renaissance führten zu einem weiteren Umdenken, was eine Auflösung der bisher bekannten Kunst- und Wunderkammern zur Folge hatte und sich verschiedene Disziplinen entwickelten.

Bald wurden Stimmen laut, die eine allgemeine Öffnung der königlichen und fürstlichen Sammlungen forderten, um an diesen Meisterwerken zu studieren. Dies führte Anfang des 19. Jh. zu den ersten Museen, die jedoch anfangs keine Konzeption zeigten. Die ersten kunsthistorischen Museen trennten die Kunstwerke zwar nach Epochen, jedoch wurde Anfang des 20. Jh. Kritik laut, die eine neutrale Fläche als geeignetste Darstellung von Kunst empfahl. Der daraus resultierende Berliner Museumskrieg und der durch den Nationalsozialismus beschleunigte Prozess, führte dann tatsächlich dazu, dass man in heutigen Museen einen neutralen Raum bevorzugt, in dem das Objekt im Mittelpunkt steht. Doch auch heute wird diese Art der Inszenierung immer wieder kritisiert.

Im Folgenden soll nun die Entwicklung zum modernen Museum von den mittelalterlichen Schatzkammern an genauer betrachtet werden.

Mittelalterliche Schatzkammern

Die Herrscher im Mittelalter waren schon allein durch ihr Amt und der dazugehörigen Repräsentationspflicht dazu gezwungen, Kostbarkeiten anzusammeln. Diese Sammlungen wurden jedoch nicht angelegt, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, geschweige denn Studien an diesen Objekten durchzuführen.[1] Sie galten allein der Reichtumsanhäufung und Repräsentation. Da die Kirche eng verbunden war mit dem weltlichen Herrscher, ist es nicht möglich Kirchen- und Herrscherschätze deutlich zu trennen. Der Aachener Domschatz ist geprägt von der Karlsverehrung und Königszeremoniell, andererseits findet man auch in herrschaftlichen Schatzkammern religiöse Objekte.[2] Kirchenschätze bildeten sich meist um eine Reliquie, welche geschmückte Codices, weitere Reliquien, Paramente oder Kleinodien sein konnten.[3] Sie sammelten jedoch ebenfalls nicht zur Erkenntnisgewinnung, sondern um sich selbst zu repräsentieren und legitimieren. Des Weiteren galten die Kirchenschätze als öffentliches Eigentum, welches an Feiertagen zur „Heiltumsschau“ präsentiert wurde, während aristokratische Schätze nur dem Besitzer eigen waren.[4] Der Staatsschatz bildete einen Schwerpunkt auf die Herrschaftsinsignien, welcher eine Notwendigkeit des Reiches darstellte und aus denselben Gründen angehäuft wurde. Somit war der Schatz nicht an eine bestimmte Person, sondern an ein Amt gebunden.[5] Im Fokus stand die Repräsentation, der Hort für Reliquien und Kultgegenstände, aber ebenso die finanzielle Absicherung eines Herrscherhauses, Domkapitals oder Kloster. Daneben sollte dennoch nicht der abergläubische Aspekt außer Acht gelassen werden. Der Glaube an die magische Kraft bestimmter Edelsteine oder Teile von Tieren war Anlass diese in nicht geringem Maße zu sammeln. So hat bereits Plinius der Ältere in seiner „Naturgeschichte“ über die heilenden Kräfte verschiedenster Steine geschrieben.[6]

Als der erste Sammler, der eine Kunstkammer errichtete, die sich an neuzeitlichen Kriterien orientierte (Darstellung eines Mikrokosmos), gilt der Herzog Jean de Berry (1340-1416). Die Sammlung enthielt erstmals den für eine Kunstkammer entscheidenden Kleinkram. Dank erhaltener Inventare sind die vielen Gegenstände bekannt. Darunter waren „antike Münzen, Gemmen und Gefäße, antikisierende Medaillen, kostbare Mineralien, Goldschmiedearbeiten, Uhren, wissenschaftliche Instrumente, Spielbretter mit Einlegearbeiten, Duftstoffe in tierförmigen Gefäßen, Naturalien wie z. B. Narwalzähne, Straußeneier, Schlangenkiefer, Bezoare oder Kokosnüsse, chinesisches Porzellan und, wie erwähnt der für die Kunstkammer wichtige, Kleinkram in Form von einem in mikroskopischer Größe geschriebener Evangelientext.“[7] Der Bruder Jean de Berrys Karl V. von Valois (König von Frankreich 1364-80) führte die Leidenschaft seines Bruders fort, indem er in seinem Studierzimmer eine umfangreiche Bibliothek und eine herausragende Sammlung von Gemmen und Halbedelsteinen, Prunkgefäßen, sowie Schatullen und Damaszenerware anhäufte. Ein weiterer Teil bestand aus Schreibpulten und Zubehör, astronomischen und logischen Geräten, profanen Statuetten, Duftstoffen und Gegengiften und natürlich Büchern.[8] Diese Art der Sammlung ist ein typisches Beispiel für ein sogenanntes Kuriositätenkabinett. Erstmals beachtete man nicht nur den materiellen, sondern auch den künstlerischen Wert der Gegenstände, doch folgte die Aufstellung und der Umgang mit den Objekten ohne Reflexion.

Humanismus

In Italien nahmen im 15. Jh. die Studienobjekte, die nach dem Vorbild des französischen Königs gesammelt wurden, immer mehr Platz im Studierzimmer ein, sodass dieser sich zu einem reinen Sammlungsraum entwickelte. Die alten Schatzkammerbestände des Mittelalters wurden nun nach wissenschaftlichen und künstlerischen Aspekten geordnet, was zur Anlage der bekannten Münz- und Gemmenkabinette führte.[9] Mit Aufkommen des Humanismus und dem damit verbundenen Streben nach Bildung und Intellekt, bildeten sich immer mehr repräsentative Sammlungen, die sich allerdings nördlich der Alpen noch immer ohne Konzeption als eine Art von Rumpelkammer zeigten.[10] In Italien wurde dieser zentrale Sammlungsraum studiolo genannt. In Frankreich wiederum gab es im 16. Jh. nur sehr wenige solcher „estudes“, die das Vorbild der italienischen studioli hatten. In England fehlt diese Art von Kunstkammern komplett.[11] Während in Italien und Frankreich die Kunst einen wichtigen Teil der Sammlungen und des öffentlichen Lebens einnahm, war der Geist der Sammler im Norden noch länger mit mittelalterlichem Denken behaftet. Kunst und Natur schienen untrennbar.[12] Der Glaube war, dass die Natur immer denselben Gesetzen folgt, also müsse alles gleich sein und sich ständig wiederholen. Demzufolge können nur Objekte, die nicht diesen Naturgesetzen folgen, fähig sein, die Natur angemessen zu zeigen.

Das starke Verlangen nach Erkenntnis in Italien und Frankreich führte dazu, dass die vornehme Gesellschaft immer mehr Objekte anhäufte, so dass bald ein Zimmer nicht ausreichte und man weitere Räume füllen musste.[13] Jedoch gab es meist noch den zentralen Sammlungsraum, der häufig oberhalb der Schrankwände und Regale eine reichhaltige Ausstattung mit Fresken vorzuweisen hatte. Die Objekte waren häufig weggesperrt, außerdem waren die Räume meist ohne Fenster[14], so dass es sich hierbei um keine reine Studiersammlung handelte, sondern es wurde versucht anhand verschiedenster Objekte das Erscheinungsbild der sichtbaren Welt zu erklären. Dieses Denken lehnte sich stark an die Kosmologie an, da der Sammler stellvertretende Objekte sucht, um in seinem Studierzimmer einen Mikrokosmos zu konstruieren. Die Stücke standen in einer Beziehung zu dem Ganzen und galten daher als wertvoll. Die Sammler verstanden sich als Lehrer und Experten, da nur sie die Bedeutung und Geschichten des Ausgestellten verstanden und erklären konnten. In erhaltenen Dokumenten treten sie häufig mit einem Zeigestock in der Hand und wild gestikulierend auf. Dennoch standen diese Sammlungen nur interessierten und erfahrenen Gleichgesinnten offen.[15]

Die Medici-Familie war für das Sammelwesen des Mittelalters etwas Besonderes. Im 13. Jh. galten die Sammlungen noch als reine „Geldanlage“, die keinerlei künstlerischen Wert zeigte. Die Medici Familie waren jedoch Bankiers und konnten es sich leisten aus Freude an der Schönheit zu sammeln.[16] Lorenzo Magnifico (1449-1492) (Abb.1) richtete sein studiolo mit den Gegenständen seines Vaters an, der wiederum einen Teil von seinem Vater geerbt hatte. Auch Lorenzo verstand sich im Sammeln und so gilt seine Sammlung als kontinuierlich erweitert, jedoch wurde sie in ihrer Zusammensetzung nie wesentlich verändert.[17] Dank dem überlieferten Inventar ist es möglich, die Inhalte seiner Sammlung zu rekonstruieren. Neben den üblichen Gegenständen eines studiolos hatte Lorenzo einige Abteilungen eingerichtet, die bisher keine Beachtung fanden. Darunter fallen Naturalien, sakrale Objekte und Landkarten.[18] Durch die lange Tradition des Sammelns und der Gegenstände, die aus der ganzen Welt stammten, ist bei Lorenzos Sammlung erstmals ein enzyklopädischer Gedanke erkennbar, der im 16. Jh. von seinem Nachfahren Francesco I. noch weitergetragen wurde, um sich später zur Grundlage des Sammelns zu entwickeln.[19]

Francesco de Medicis Sammlung (Abb. 2) gilt als die konsequenteste Umsetzung der Idee der Konstruktion eines Mikrokosmos. Sein studiolo entstand 1570 im Palazzo Vecchio in Florenz und wurde von Giorgio Vasari eingerichtet.[20] „Der längsrechteckige, tonnengewölbte Raum ohne Fenster zeigt einen klaren Wandaufbau: Alle vier Wände sind durch eine einheitliche Gestaltung in zwei horizontal verlaufende Zonen gegliedert. Beide Zonen der Längswände sind jeweils in acht, beide Zonen der Schmalseite jeweils in drei Felder aufgeteilt. In alle Felder der unteren Zonenabschnitte mit Ausnahme einer Tür sowie in alle Felder der oberen Abschnitte mit Ausnahme der acht Eckfelder sind Tafelgemälde eingelassen. Die Eckfelder sind als Rundnischen ausgearbeitet, in die jeweils eine Bronzestatue eingestellt ist. Die Gliederung des Gewölbes nimmt Bezug auf die der Wände: Jeweils drei schmale Gemäldefelder an beiden Enden der Tonne spannen sich über die Nischen der Längswände, dreimal drei doppelt so breite Gemäldefelder über die je sechs Tafelgemälde der beiden oberen Zonen der Längswände. Hinter den Tafelgemälden der unteren Zone, die in Wirklichkeit als Türfüllung zu betrachten sind, verbargen sich die Sammlungsschränke. Ihre Inhalte bezogen sich auf das Thema des jeweils zugehörigen sowie des darüber angebrachten Gemäldes.“[21] Dieses Wissen über die Ordnung und damit der Kosmologie war jedoch nur bestimmten Menschen und Kreisen vorbehalten, die sich mit dieser Vorstellung auseinandersetzten.[22] Vincenco Borghini, der für das inhaltliche Programm des studiolos Francescos verantwortlich war, schrieb folgendes:

„In der Überlegung, dass viele Dinge weder ganz zur Natur noch ganz zur Kunst gehören, sondern dass beide an ihnen gleichermaßen teilhaben, wie – um ein Beispiel zu nennen – die Natur Diamanten, Kristalle und ähnliches roh und ungeformt liefert, die Kunst sie aber bearbeitet und formt, deshalb also habe ich gedacht, dass diese ganze invenzione der Natur und der Kunst gewidmet sein muss. Daher habe ich die Statuen derjenigen Personen eingesetzt, die Erfinder oder Ursache oder (wie die antike Poesie glaubte) Hüter und Verwalter der Schätze der Natur sind; ebenso auch Bilder, die ihre Vielfalt und kunstvolle Bearbeitung zeigen. Daher soll in der Mitte der Wölbung, die dem Himmel entspricht, die Natur gemalt werden, und als ihr Begleiter Prometheus, der Erfinder der kostbaren Steine und Ringe; denn, wie Plinius berichtete, hat er, als er am Kaukasus angekettet war, trotz seiner Leiden mit unendlichem Fleiß sich bemüht, Diamanten und Edelsteine zu bearbeiten. Da die Natur allein durch die vier Elemente wirksam wird, von denen zwei – nämlich Wasser und Erde – als ihre Gestalt und Materie dienen, Feuer und Luft aber – die beiden anderen – als ihre Kräfte und Wirkungen, ordne ich jeder der vier vorhandenen Wände ein Element zu.“[23]

Das studiolo von Francesco I. fand keine Nachfolger, da sich im Laufe des 16. Jh. eine offene Ausstellung der Objekte etablierte, die mit besonderen Möbeln gezeigt wurden (Abb. 3).[24] Aufschluss darüber gibt uns das Reisetagebuch des Augsburger Kaufmanns Philipp Hainhofer über seinen Besuch der im späten 16. Jh. gegründeten Münchner Kammer:

„Oberhalb der Stallung ist die Kunst Cammer, in die man durch doppelte Türen und einen kleinen Vorraum eintritt. Im Vorraum hängen Kenterfeis etlicher geborner Narren und Närrinen. Darin werden jenseits eines mit 4 Türen versehenen Gätters gangweise, in den vier Theilen der Welt aufgereihte Tische sichtbar […]. Noch im Vorraum steht ein viereckiger, bemalter Tisch, der an vier Seiten zu öffnen ist. Darin viererlei Instrumente, die man alle zusammen erklingen lassen kann. An dem Gätter hängt ein ziemlich großes, flach in Holz geschnittenes Paradeyss mit vielen schönen Tieren. Auf derselben Seite hängt auch eine gar große Schildkröte und oberhalb des Gätter steht eine Hysra mit 7 Köpfen, 2 Händen, 4 Füssen und 4 Schwänzen, ich sie ist nachgemacht. Geht man durch das Gätter zum ersten Gang hinein, so ist dort ein Gestell mit gerissenem und in Kupfer gestochenen geometrischen, mathematischen, architektonischen Kunst-Büchern und auch anderen Inhalts, dazu etliche Holzschnitte von Bildern und Landschaften. […] Auf einem Tisch: ein korallener Bacchus auf dem Triumphwagen und drumherum tanzende Satyrn, unter dem Tisch ein Kalbskopf mit zwei Mäulern und 4 Augen, doch hat jeder Kopf nur zwei Ohren. […] Neben allen Tischen und in den Fenstern hängen von allerhand Meistern gemalte Bilder: Portraits von historischen Persönlichkeiten und Dichtern, und in der Reihe darüber solche von Päpsten und großen Potentanten.[…] An der Wand ein gar großer Spiegel wie ein Kasten, worin man fast alles in der Kunstkammer Befindliche, sich selbst und auch andere daneben sehen kann.“[25]

Im humanistischen Sammlungswesen gab es nur wenig Großplastik, es wurden hauptsächlich Münzen, Halbedelsteine oder Inschriftensteine zusammengetragen, wobei letztere wohl hauptsächlich in Gärten ihre Aufstellung fanden.[26]

In der frühen Neuzeit war es die Sammlung der Isabella d’Este in Mantua, die einen besonderen Punkt zur Wende zum modernen Sammlungswesen bildet. Isabella d’Este hatte den Anspruch, dass jegliches Bild im Wettstreit mit anderen stehen soll, die es begleiten, um davon angeregt zu werden.[27] Dieser bewusste Vergleich der Objekte stellte eine Neuerung dar, der über die bisherige Anschauung als Kuriositäten und Analogien des Kosmos hinaus geht und sich als entscheidend für die Rezeptionsgeschichte herausstellte. Die Aufwertung der ästhetischen Rezeption von Kunstwerken, die durch Isabella d’Este entstand, hatte zur Folge, dass für die Diskussion eines Vergleiches ein Überblick über die gesammelten Objekte bestehen muss. Diesen Überblick konnte man jedoch nur mit neuen Räumlichkeiten bewerkstelligen, was dazu beigetragen hat, dass nun der Sammlungsraum zur eigenständigen Bauaufgabe avancierte.[28]

Im theatrum besitzt der Betrachter die zentrale und unveränderliche Stellung im Raum. Das theatrum (Abb. 4) war jedoch mehr als nur ein möglicher Bau, es war eine ganzheitliche Weltanschauung, die von dem Gelehrten Giulio Camillo (1480-1544) entwickelt wurde. Es handelte sich um eine begehbare Holzkonstruktion, die durch die im Halbkreis angeordnete Zuschauerbühne einem Theaterbau entsprach. Die Anlage war, ähnlich wie Tribünenblöcke, in sieben Segmente und sieben Reihen gegliedert. Der Betrachter hatte den Stand eines Schauspielers auf der Bühne und konnte so jeden Abschnitt betrachten. Die Themen der Bilder in den jeweiligen Abschnitten entsprachen hauptsächlich der antiken Mythologie, wie es für den Humanismus bekannt ist.[29] Der Arzt Samuel Quiccheberg (1565) gilt als Chronist zeitgenössischer Wunderkammern, der in seiner Schrift „Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi..“ einen Idealplan für Wunderkammern entworfen hat. Sie hat sich stark an der Idee Camillos orientiert und war aufgebaut wie ein Amphitheater, das in fünf Sammlungsabteilungen getrennt war, in denen jetzt allerdings unterschiedliche Dinge anstatt Bilder aufbewahrt werden.[30]

Minges ist der Meinung, dass der früheste belegte Zentralraum zur ausschließlichen Präsentation von Kunst, der in München 1530 von Albrecht V. errichtete Pavillon im Garten der Neuveste war (Abb. 5).[31] Leider wurde dieser Pavillon bald nach der Errichtung wieder zerstört und es sind nur sehr wenige Dokumente dieses Bauwerkes überliefert. Die Überreste des Gebäudes zeigen jedoch, dass im Erdgeschoss ein offenes Brunnenhaus errichtet wurde, worüber sich ein polygonaler, überkuppelter Raum befand, der wohl den „Schlachtenzyklus“ Albrecht V. beherbergte. Derselbe hat berichtet, dass das Entstehen dieses Pavillons auf Anregung von Isabella d’Estes studiolo-Zyklus entstand. In Italien findet man zu dieser Zeit zunächst keine Rundbauten, jedoch meinte Sebastiano Serlio 1540, dass ein runder Raum mit Oberlicht ideal wäre, um antike Skulpturen zu präsentieren. Der Begriff der tribuna wird nun zum ersten Mal verwendet. Er beschreibt einen überkuppelten Zentralraum mit Oberlicht, der jedoch zunächst auf den sakralen Bereich beschränkt geblieben ist. Danach wurde er immer beliebter, um seine Sammlungen zu zeigen, wurde wahrscheinlich dennoch nur bis ca. 1600 benutzt, da die Baustruktur zu sehr mit der Kirche konnotiert war.[32]

Es wird häufig angenommen, dass die Galerie in der frühen Neuzeit die beliebteste Gestaltung des Sammlungsraumes darstellt. Tatsächlich gibt es dafür jedoch nur wenige Belege. Seit dem 16. Jh. wurde die Galerie vor allem im Palastbau Europas als Raumform verwendet, die bis in das 18. Jh. häufig genutzt wurde.[33] Im ausgehenden 16. Jh. ordnete man nicht selten äußerst lange Galerien dem Sammlungstrakt zu, ohne sie jedoch zum Zentrum der Sammlung zu machen. Im Gegensatz zum Kunstraum war die Galerie ein Gesamtkunstwerk. Sie selbst galten als Repräsentationsgelegenheit der Herrschaften, da sie Auftragsbilder sehr gut in Szene setzen konnten.[34] Diese Form des „Sammlungsraumes“ hatte dennoch nur wenig Einfluss auf das Sammlungswesen.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war immer noch keine langfristige Lösung für einen angemessenen Sammlungsraum gefunden. Da die Galerie hauptsächlich repräsentative Zwecke verfolgte, entschloss man sich eine Kabinettreihe als baulichen Rahmen für den ausgeschmückten Hauptraum zu benutzen.[35] Im 17. Jh. wurden nur ausgewählte Stücke in jenem Hauptraum ausgestellt, während der Rest sich über Neben- und Wohnräume verteilte. Im späten 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts begannen sich jedoch schon die Sammlungsräume von den Wohnräumen zu trennen, da man von dem zu erwartenden Publikum ungestört bleiben wollte.[36]

Nach der Fertigstellung seines studiolos begann Franceso I. de Medici im späten 16. Jh. eine Galerie im obersten Stockwerk der Uffizien zu errichten. Diese Galerie, die starke inhaltliche Ähnlichkeiten mit seinem studiolo zeigte[37], war eine Neuerung, da sie als rein zweckorientierter Komplex ohne Wohneinheit erschaffen wurde. Der Grund für die Anlage dieser bedeutenden Galerie lag jedoch vorrangig in der Legitimation der Medici Dynastie[38] und hatte nur bedingt mit dem Wunsch der Öffnung der Privatsammlungen zu tun.

Nördlich der Alpen verzögerte sich die Anlage großer Sammlungen. Sie begannen hier etwa seit der Mitte des 16. bis zum Anfang des 18. Jh. Erzherzog Ferdinand von Tirol errichtete erstmals einen Gebäudekomplex in Ambras, dessen ursprüngliche Funktion von vornherein als Sammlungsräume gedacht war. In ihr fand 1573 auch die „kunstcamer“ ihren Platz.[39] Als einer der ersten Fürsten in Deutschland verwirklichte Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg (1633-1714) den Plan einer Schlossanlage mit einem eigenen Museumstrakt. In diesem Trakt befanden sich eine große Gemäldegalerie und Räume für die Spezialsammlungen. Auch die, von Vorfahren gegründete und immer wieder erweiterte, Kunstkammer wurde in den Museumskomplex integriert. Dieses frühe „Museum“ war jedoch nicht der Öffentlichkeit zugänglich und hauptsächlich für private Zwecke errichtet worden.[40]

Zur Zeit des Barocks galt es immer noch vornehmlich den Repräsentationszwecken und Machtanspruch eine große Sammlung anzuhäufen[41], nichtsdestotrotz vollzog sich ein Wandel im Denken über die Welt im 17. Jh. und damit verschwanden die Allegorien und Kosmologien aus den Sammlungen.[42] Der Beginn dieses Jahrhunderts war geprägt durch geistige, politische und gesellschaftlich-religiöse Veränderungen. Der Dreißigjährige Krieg, die Etablierung des kopernikanischen Systems und die seit der Mitte des 16. Jh. weitere Entdeckung ferner Länder führten zu einem Umdenken im Sammlungswesen.[43] Die Sammler sprachen sich nun gegen Kuriositäten aus und bevorzugten das Kunstsammeln nach ästhetischen Gesichtspunkten bzw. im Hinblick auf die Naturaliensammlungen nach wissenschaftlichen Kriterien.[44] Trotz dieser neuen Wissenschaftlichkeit, blieb oder wurde die Kammer zum Ort der Meditation, in der man sich selbst nichtig und unzureichend vorkam, wenn man die Wunder und Vielseitigkeit der Natur betrachtete.[45] Durch die bisher unbekannten Naturalien und völkerkundlichen Gegenständen aus fernen Ländern und der revolutionären Entdeckungen und Erfindungen der Naturwissenschaft, wuchs die Unsicherheit der Menschen, die nicht mehr an die Beherrschbarkeit des gesamten Wissens glaubten.[46]

[...]


[1] Walz 2000, 11.

[2] Steingräber 1968, 7.

[3] Minges 1998, 16.

[4] Steingräber 1968, 7.

[5] Minges 1998, 17

[6] Steingräber 1968, 7.

[7] Walz 2000, 11-12.

[8] Minges 1998, 19.

[9] Steingräber 1968, 8.

[10] Minges 1998, 25-26.

[11] Minges 1998, 28.

[12] Steingräber 1968, 8.

[13] Minges 1998, 26.

[14] Bennett 1995, 36.

[15] Habsburg-Lothringen 2010, 52.

[16] Aschengreen-Piachenti 1968, 11.

[17] Walz 2000, 14.

[18] Aschengreen-Piachenti 1968, 12.

[19] Walz 2000, 14.

[20] Aschengreen-Piachi 1968, 11.

[21] Walz 2000, 15.

[22] Bennett 1995, 40.

[23] Walz 2000, 15.

[24] Ebd., 15.

[25] Beßler 2010, 31-32.

[26] Minges 1998, 51.

[27] Ebd., 53.

[28] Ebd., 78.

[29] Walz 2000, 12.

[30] Beßler 2010, 34-36.

[31] Minges 1998, 79-81.

[32] Ebd., 82.

[33] Ebd., 86.

[34] Minges 1998, 87-92.

[35] Ebd., 93.

[36] Ebd., 95.

[37] Aschengreen-Piacenti 1968, 13.

[38] Bennett 1995, 27

[39] Bredekamp 1993, 35.

[40] Walz 2000, 19.

[41] Raabe 1988, 9.

[42] Minges 1998, 106.

[43] Walz 2000, 16.

[44] Minges 1998, 106.

[45] Raabe 1988, 9.

[46] Walz 2000, 17.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Das Museum. Geschichte eines Phänomens
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Arbeitsfeld Museum
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
30
Katalognummer
V347035
ISBN (eBook)
9783668364141
ISBN (Buch)
9783668364158
Dateigröße
1436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
museum, geschichte, phänomens
Arbeit zitieren
Isabel Thomas (Autor:in), 2013, Das Museum. Geschichte eines Phänomens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/347035

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