Die Europäische Währungsunion aus Sicht des Soziologischen Institutionalismus


Hausarbeit, 2002

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Der Soziologische Institutionalismus

III. Die Entstehung der Europäische Währungsunion

IV. Der Euro aus Sicht der nationalen Identitäten in England, Deutschland und Frankreich
4.1 England: Der Euro gegen die „Englishness“
4.2 Deutschland: Zwischen Euro und D-Mark
4.3 Frankreich: Der Euro und das französische Verhältnis zu Deutschland

V. Schlußbetrachtung

VI. Anhang

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Nach der Bargeldeinführung am 1. Januar 2002 ist der Euro seit dem 1. März in zwölf der 15 EU-Staaten das einzig offiziell gültige Zahlungsmittel. Trotz anfänglicher Skepsis in der Bevölkerung und Problemen mit der Einhaltung der Konvergenzkriterien traten 1999 11 Staaten der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion (EWU) bei.[1] [2] Auffällig hierbei war, daß nur zwei der drei größten und wirtschaftlich bedeutendsten EU-Mitgliedsstaaten, nämlich Deutschland und Frankreich, sich 1999 für die Einführung des Euro entschieden haben, während England trotz Erfüllung der Konvergenzkriterien der EWU vorerst nicht beitreten wollte.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, zu untersuchen, warum Deutschland und Frankreich der dritten Stufe der EWU beigetreten sind, England aber nicht. Als Perspektive zur Beantwortung dieser Fragestellung dient der Soziologische Institutionalismus, der die Identitäten und Interessen der jeweiligen Länder als Ursache für ihr außenpolitisches Handeln, also ihre Entscheidung für bzw. gegen den Euro heranzieht.

Punkt zwei stellt dabei die wichtigsten Aspekte des Soziologischen Institutionalismus vor, der als Grundlage zur Beantwortung der Fragestellung dient. Um einen Überblick über die Entwicklung und das Zustandekommen der EWU zu bekommen, werden unter Punkt drei der Weg nach Maastricht, der Inhalt des Vertrages und die drei Stufen zur EWU kurz skizziert. Punkt vier hat schließlich die drei Länder England, Deutschland, Frankreich und ihren Beitritt bzw. Ablehnung der EWU zum Gegenstand. 4.1 untersucht Englands Haltung zu Europa und seine Identität und analysiert, warum London der dritten Stufe der EWU vorerst nicht beigetreten ist. Unter 4.2 wird der Blick auf Deutschland gerichtet und analysiert, warum Deutschland trotz der Stellung der D-Mark als europäische Leitwährung der dritten Stufe nicht nur beigetreten ist, sondern als Architekt der EWU die Konvergenzkriterien und die Strukturen der EZB maßgeblich mitgestaltet hat. Den Beitritt Frankreichs gilt es unter 4.3 zu untersuchen, wobei hierbei zum einen auf die Haltung der Sozialisten und der Gaullisten einzugehen ist, zum anderen aber auch auf das deutsch-französische Verhältnis im Hinblick auf EWU.

II. Der Soziologische Institutionalismus

Ausgangspunkt des Soziologischen Institutionalismus, der auch als Konstruktivismus bezeichnet wird, ist die Kritik am Neoliberalismus und am Rationalismus. So wird in erster Linie Kritik am Konzept des homo oeconomicus geübt, der als nutzenmaximierender Akteur im Zentrum der beiden Theorien steht, wobei Identitäten, Normen und Werte als Instrumente angesehen werden, die zur Durchsetzung festgelegter Interessen dienen und somit nicht veränderbar sind. Der Soziologische Institutionalismus stellt diesen Denkschulen das Akteursmodell des homo sociologicus gegenüber, in dem die Handlungen der Akteure durch gemeinsame Identitäten, Normen und Werte beeinflußt werden. Dies bedeutet, daß der Akteur nicht mehr den für ihn gewinnbringendsten Weg bzw. Handlung wählt, sondern daß seine Identitäten, Normen und Werte als Grundlage seiner Entscheidung dienen, was dem Modell des homo oeconomicus widerspricht. Hierbei ist auf die „Intersubjektivität“[3] der Normen und Werte hinzuweisen, wodurch Normen von Ansichten und Einstellungen einzelner Individuen klar abgegrenzt werden, da nur gesellschaftlich anerkannte Wertvorstellungen eine beeinflussende Rolle bzgl. der Handlungen spielen, zumal auch jede individuelle Überzeugung ihre gesellschaftlichen Wurzeln hat.[4]

Ziel des Soziologischen Institutionalismus ist es, den Einfluß kollektiver Identitäten und kultureller Normen und Werte auf das Handeln von Staaten zu untersuchen, oder anders ausgedrückt, das Verhältnis zwischen dem, was die Akteure tun und dem, was sie sind, zu analysieren.[5] Dabei läßt die Theorie durchaus auch die Beachtung traditioneller Handlungen zu, d.h., daß neben den kulturellen Einflüssen auch überlieferte, „zu Selbstverständlichkeiten gewordene“[6] Verhaltensmuster berücksichtigt werden. Als abhängige Variable läßt sich folglich das außenpolitische Verhalten der Staaten festhalten, während die kollektiven Identitäten und die intersubjektiven Normen und Wertvorstellungen die unabhängige Variable darstellen.[7] (Vgl. Abb. 1, S. 16)

Als die USA und die Sowjetunion entschieden haben, daß sie nicht länger Feinde sind, bedeutete dies das Ende des Kalten Kriegs. Dies zeigt, daß die kollektiven Bedeutungen der Staaten die Handlungsstrukturen der Akteure bestimmen. Staaten erwerben verschiedene Identitäten und rollenspezifische Vorstellungen und Erwartungen, die relativ stabil sind. Wie ein Mensch gleichzeitig Bruder, Vater und Richter sein kann, so kann auch ein Staat gleichzeitig Souverän, Führer der freien Welt und Imperialist sein. Die USA besitzen z.B. sowohl die Identität als größter Feind des Kommunismus als auch die Identität als Vertreter der Menschenrechte. Jede Identität ist eine soziale Definition, über welche die anderen Staaten den Akteur definieren und über welche sich der Akteur auch selbst definiert. Wendt verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff „role identities“[8], der verdeutlicht, daß jeder Akteur je nach Institution eine andere Rolle bzw. eine andere Identität einnimmt.[9]

Identitäten sind die Basis für Interessen, welche die Akteure im Rahmen ihrer Situation und ihrer Erfahrungen definieren. Als gutes Beispiel hierfür eignet sich der Kalte Krieg: Während des Kalten Krieges definierten die USA und die Sowjetunion ihre Interessen über die Identität der gegenseitigen Bedrohung und Feindseligkeit. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mußten beide Staaten ihre Interessen neu definieren, da ihre jeweilige Identität als Hauptakteur des Ost-West-Konflikts, die sich über die Bedrohung durch den anderen definierte, völlig wegfiel. Der Kalte Krieg ist in diesem Beispiel die Institution, die als relativ stabile Struktur die Identitäten der handelnden Akteure und somit auch ihre Interessen definiert. Institutionen sind auf Dauer angelegte Einrichtung zur Regelung, Herstellung oder Durchführung bestimmter Zwecke, die sich immer auf die Vorstellungen der Akteure über die Verhältnisse in der Welt beziehen. Sie bilden eine stabile Struktur aus Identitäten und Interessen, die in Normen und Regelsysteme eingebettet sind.[10]

Jeder Akteur muß sich nach diesen Strukturen richten, was z.B. dazu führt, daß ein Staat nur solchen supranationalen Organisationen beitreten kann, deren Normen und Werte er als legitim anerkennt und diese auch teilt. Umgekehrt nehmen supranationale Organisationen auch nur solche Staaten auf, die die gemeinsamen Normen und Werte teilen und auch befolgen.[11]

III. Die Entstehung der Europäischen Währungsunion

Schon in den siebziger und achtziger Jahren gab es mit der Haager Konferenz, dem Werner-Plan und der Gründung des Europäischen Währungssystems erste Versuche zur Schaffung einer Europäischen Währungsunion. Bereits der Bericht des EU-Kommissionspräsidenten Jaques Delors aus dem Jahre 1988 sah die Entwicklung einer Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen vor. Am 1. Juli 1990 trat die erste Stufe in Kraft, die zwischen acht Mitgliedsstaaten der EG eine Verstärkung der währungspolitischen Koordination unter Schaffung einer Konvergenz der Volkswirtschaften vorsah. In der zweiten Stufe, die am 1. Januar 1994 in Kraft trat, wurde ein Europäisches Zentralbanksystem (EZBS) und ein Europäisches Währungsinstitut (EWI) geschaffen, während am 1. Januar 1999 mit der unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse die dritte Stufe eingeläutet wurde.[12]

Von größter Bedeutung für das Zustandekommen der EWU war vor allem der Vertrag von Maastricht, in dem 1992 die Grundlagen des Delors-Berichts fixiert wurden. Das in der zweiten Stufe geschaffene EWI wurde zur Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main erweitert, deren Aufgabe darin besteht, über die Sicherung der Preisstabilität und über die Geldmenge zu wachen. Die EZB erfüllt dabei alle Merkmale einer nationalen Zentralbank und orientiert sich am Modell der Deutschen Bundesbank mit ihren beiden Grundsätzen der Unabhängigkeit und des Föderalismus.[13]

Da die Stabilität der neuen Währung die Stabilität und Konvergenz der teilnehmenden Staaten voraussetzt, wurden in Maastricht die sog. Konvergenzkriterien, die auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet werden, als Bedingung für die Teilnahme an der EWU für alle Staaten festgeschrieben. Diese Kriterien sehen erstens einen hohen Grad an Preisstabilität vor, was dadurch erreicht werden soll, daß die Inflationsrate eines Staates die durchschnittliche Inflationsrate der drei stabilsten Länder um höchstens 1,5 Prozent übersteigen darf. Zweitens müssen alle Teilnehmerstaaten eine Gesundung ihrer Staatsfinanzen anstreben, weshalb die jährliche Nettoneuverschuldung das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht mehr als drei Prozent übersteigen darf und die Gesamtschulden bei maximal 60 Prozent des BIP liegen dürfen. Die eigene Währung darf in den letzten beiden Jahren gegenüber den anderen Währungen des Europäischen Währungssystems nicht abgewertet worden sein, damit drittens eine Wechselkursstabilität erreicht werden kann. Viertens soll eine wirtschaftliche Konvergenz erreicht werden, weshalb der Zinssatz jedes Teilnehmerstaates den Durchschnittszinssatz der drei stabilsten Länder um nur maximal zwei Prozent überschreiten darf.[14]

Die dritte Stufe, welche die unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse beinhaltete, konnte erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten, da noch im Jahre 1996 keiner der Teilnehmerstaaten außer Luxemburg die genannten Konvergenzkriterien erfüllen konnte. 1998 wurden schließlich 13 Mitgliedsstaaten als für die EWU tauglich eingestuft, wobei Großbritannien und Dänemark sich von der automatischen Teilnahmepflicht hatten entbinden lassen und trotz Erfüllung der Kriterien der dritten Stufe nicht beitraten, so daß am 1. Januar 1999 Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien an der unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse teilnahmen. Bis zur Euro-Bargeldeinführung am 1. Januar 2002 konnte auch Griechenland die Konvergenzkriterien erfüllen und somit ebenfalls dem Euroland beitreten, so daß der Euro heute in zwölf von 15 Ländern der Europäischen Union als offizielles Zahlungsmittel im Umlauf ist.[15]

[...]


[1] Risse, Thomas 1999: To Euro or Not to Euro? The EMU and Identity Politics in the European Union, in: European Journal of International Relations 5: 2, S. 147-187, hier S. 159.

[2] Griechenland konnte sich erst später qualifizieren, da es 1999 die Konvergenzkriterien noch nicht erfüllte.

[3] Wendt, Alexander 1992: Anarchy is what states make of It. The social construcction of power politics, in: International Organizations 46/2, S. 391-425, hier S. 393.

[4] Vgl. Bökle, Henning / Rittberger, Volker / Wagner, Wolfgang 1999: Normen und Außenpolitik – konstruktivistische Außenpolitiktheorie <http://www.uni-tuebingen.de/uni/spi/taps/tap34.htm> (12.03.02).

[5] Vgl. Wendt 1992, S. 424.

[6] Vgl. Bökle / Rittberger / Wagner 1999.

[7] Vgl. ebd.

[8] Wendt 1992, S. 398.

[9] Vgl. ebd., S. 397-398.

[10] Vgl. ebd. - Vgl. auch Schubert, Klaus / Klein, Martina 1997: Das Politiklexikon, Bonn, S. 139.

[11] Vgl. Schmalz-Bruns, Rainer 2000: Die Erweiterungen der westlichen Staatengemeinschaft. Ein Test rationalistischer und konstruktivistischer Hypothesen <http://www.ifs.tu-darmstadt.de/pg/regorgs/dfgfort.doc> (12.03.02).

[12] Vgl. Hillenbrand, Olaf 1999: Europa als Wirtschafts- und Währungsunion, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Europa-Handbuch, Gütersloh, S. 498-521, hier S. 500-506.

[13] Vgl. Serrazin, Thilo 1997: Der Euro. Chance oder Abenteuer?, 2. Aufl., Bonn, S. 239–244.

[14] Vgl. Hagen, Jürgen von 1998: Von der Deutschen Mark zum Euro, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B24/98, S. 35-46, hier S.37-38. - Vgl. auch Hillenbrand 1999, S. 506-507.

[15] Vgl. ebd., S. 513-514.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Europäische Währungsunion aus Sicht des Soziologischen Institutionalismus
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V34797
ISBN (eBook)
9783638349185
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische, Währungsunion, Sicht, Soziologischen, Institutionalismus
Arbeit zitieren
Marc Philipp (Autor:in), 2002, Die Europäische Währungsunion aus Sicht des Soziologischen Institutionalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34797

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