Einleitung
Kind oder Karriere? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, von ,,privaten" Pflichten und beruflicher Selbständigkeit wird heute vielerorts diskutiert. In Partnerschaften, auf der politischen Ebene (z.B. bei der Einrichtung von Kindertagesstätten) und in der Wirtschaft (z.B. beim Thema Babyurlaub für den Mann) wird die Berufstätigkeit der Frau zum elementaren Thema. Frauenorganisationen und Parteien haben dezidierte Meinungen zur Sache.
Interessant dürfte es sein, die Diskussion um das Thema Frauenarbeit, die sich erst mit der industriellen Revolution aus dem Bannkreis der Familie löst und in die Sphäre der Gesellschaft wandert, in einer Zeit zu beleuchten, in der die Weichen für den Zug der Moderne gelegt wurden. Die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert war eine Aufbruchszeit, vieles veränderte sich dramatisch: Die Städte, die Wissenschaft, die Gesellschaft. Fortschritt, Wachstum, aber auch Krise waren die Slogans der Epoche. ,,Vieles war in Bewegung geraten, und die Richtung war durchaus offen" schreibt H.U. Thamer(1). Auch soziale Standards wurden überprüft: Industrialisierung und Kapitalismus hatten Gewinner und Verlierer geschaffen, neue Erfindungen und Fortschritt gebracht und neue Lebens- und Wohnverhältnisse kreirt. Eine neue Gesellschaft brachte neue Konflikte und suchte nach neuen Formen des Zusammenlebens: ,,Niemand wußte genau, was im Werden war; niemand vermochte zu sagen, ob es eine neue Kunst, ein neuer Mensch, eine neue Moral oder vielleicht eine Umschichtung der Gesellschaft sein sollte."2
In dieser Aufbruchsphase bahnte sich auch die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter einen Weg in die Öffentlichkeit der Gesellschaft. Frauenbewegungen mit unterschiedlichem Impetus und unterschiedlichen Zielsetzungen entstanden.
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1 Thamer, Hans-Ulrich: Der Januskopf der Moderne, in: Halbzeit der Moderne. Katalog zur Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, Münster 1992, S. 169-183, hier: S. 169.
2 Thamer: Januskopf, S. 169
Inhalt
1. Einleitung
2. Frauenarbeit am Ende des 19. Jahrhunderts
2.1 Die ,,natürliche Ordnung" der Geschlechter
2.2 Fabrik und Familie
3. Die Proletarische Frauenbewegung und das Thema ,,Arbeit"
3.1 Proletarische Frauen - zwischen Assoziation und Antifeminismus
3.2 Clara Zetkins Rede in Paris
4. Emanzipation als ,,ökonomische Frage"
1. Einleitung
Kind oder Karriere? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, von ,,privaten" Pflichten und beruflicher Selbständigkeit wird heute vielerorts diskutiert. In Partnerschaften, auf der politischen Ebene (z.B. bei der Einrichtung von Kindertagesstätten) und in der Wirtschaft (z.B. beim Thema Babyurlaub für den Mann) wird die Berufstätigkeit der Frau zum elementaren Thema. Frauenorganisationen und Parteien haben dezidierte Meinungen zur Sache.
Interessant dürfte es sein, die Diskussion um das Thema Frauenarbeit, die sich erst mit der industriellen Revolution aus dem Bannkreis der Familie löst und in die Sphäre der Gesellschaft wandert, in einer Zeit zu beleuchten, in der die Weichen für den Zug der Moderne gelegt wurden. Die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert war eine Aufbruchszeit, vieles veränderte sich dramatisch: Die Städte, die Wissenschaft, die Gesellschaft. Fortschritt, Wachstum, aber auch Krise waren die Slogans der Epoche. ,,Vieles war in Bewegung geraten, und die Richtung war durchaus offen" schreibt H.U. Thamer1. Auch soziale Standards wurden überprüft: Industrialisierung und Kapitalismus hatten Gewinner und Verlierer geschaffen, neue Erfindungen und Fortschritt gebracht und neue Lebens- und Wohnverhältnisse kreirt. Eine neue Gesellschaft brachte neue Konflikte und suchte nach neuen Formen des Zusammenlebens: ,,Niemand wußte genau, was im Werden war; niemand vermochte zu sagen, ob es eine neue Kunst, ein neuer Mensch, eine neue Moral oder vielleicht eine Umschichtung der Gesellschaft sein sollte."2 In dieser Aufbruchsphase bahnte sich auch die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter einen Weg in die Öffentlichkeit der Gesellschaft. Frauenbewegungen mit unterschiedlichem Impetus und unterschiedlichen Zielsetzungen entstanden.
In dieser Phase des Geschlechter-Streits ist das Thema Arbeit interessant. Der Begriff Arbeit ist eng verknüpft mit den Geschlechterrollen. B. Duden und K. Hausen schreiben einleitend in ihrem Forschungsbeitrag zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung:
,,Ein Bereich, in dem die Vorstellung von der Differenz der Geschlechter ihren kulturellen Ausdruck findet, ist die Arbeit. [...] Gemeinsam ist [..] allen Gesellschaften das Strukturmerkmal, die konkret anfallenden Arbeiten mit Geschlechtlichkeit zu verknüpfen."3
Hier soll die Proletarische Frauenbewegung und ihr Verhältnis zur Frauenarbeit im Mittelpunkt stehen; eine sozialistischen Bewegung, die sich um die Jahrhundertwende mit den Problemen arbeitender Frauen auseinandersetzte. Die leitenden Fragen dieser Arbeit sind: Wie sieht die Situation der Arbeiterin am Ende des 19. Jahrhunderts aus? Welche Ursachen hat der Aufbruch der Geschlechter zu dieser Zeit? Welchen Stellenwert hat die Arbeit im Rahmen der Frauenfrage? Frau oder Arbeiterin - ein Widerspruch der Jahrhundertwende?
Besondere Beachtung soll eine Quelle finden, in der konkret Position zum Thema Frauenarbeit bezogen wird. Eine Rede der Vorkämpferin der Proletarischen Frauenbewegung, Clara Zetkin, soll daraufhin befragt werden. An dieser Quelle können Merkmale herausgearbeitet werden, die das Problem als ein entscheidendes im Verhältnis der Geschlechter um die Jahrhundertwende erweisen sollen.
Zuerst soll ein Überblick über die Frauenarbeit im 19. Jahrhundert gegeben, und Thesen dazu entwickelt werden. Danach beleuchte ich die Voraussetzungen für die Organisation von Arbeiterinnen. Meine Thesen sollen in der Interpretation des ,,Manifests" der Proletarischen Frauenbewegung, der erwähnten Rede der Zetkin, überprüft werden.
2. Frauenarbeit am Ende des 19. Jahrhunderts
,,Die ganze Entwicklung der Frauenarbeit [...] muß jedem, der nicht blind ist oder sein will, das Eine klar vor Augen führen: Keine andere Erscheinung in der Neuzeit wirkt so revolutionierend wie sie", schrieb Lily Braun, die selbst in der Proletarischen Frauenbewegung aktiv war, in ihrer Untersuchung der ,,Frauenfrage" um die Jahrhundertwende4.
Um das Revolutionäre, das für Braun in der Frauenarbeit lag, zu verstehen, soll zunächst ein Einstieg in das Geschlechterverhältnis im späten 19. Jahrhundert gegeben werden. Dazu wird in einem ersten Teil das damals prägende Frauenbild nachgezeichnet werden. Das Bild als psychische Entität, als Ordnung stiftender Faktor in den Köpfen der Zeitgenossen, veränderte sich nicht so rasant wie die wirtschaftliche Realität. Im Mittelpunkt steht die These von Duden / Hausen, dass die zunehmende Abhängigkeit der Frauen und die Minderbewertung ihrer Arbeit mit der industriekapitalistischen Entwicklung und ihrer ,,Institutionalisierung" des bürgerlichen Frauenbilds zusammenhängt.
Eine differenziertere Betrachtung der Arbeitssituation der Frauen wird im zweiten Teil der Situationsskizze vorgenommen. Der Akzent liegt auf den sogenannten ,Proletarierinnen`, den arbeitenden Frauen und Müttern (proles, lat.: Kind) aus der Unterschicht, die einer Doppelbelastung ausgesetzt waren.
2.1 Die ,,natürliche Ordnung" der Geschlechter
Familie, Beruf, die Bildungsmöglichkeiten, die Politik, die Kirche, das Militär - alles das waren am Ende des 19. Jahrhunderts Bereiche, die man als männerdominiert beschreiben kann. Die meisten gesellschaftlichen Bereiche im Reich waren nach Männerbedürfnissen und -wünschen eingerichtet. ,,Die Frau des 19. Jahrhunderts erkannte, dass sie in einer Männerwelt lebte"5, schrieb Agnes von Zahn-Harnack, eine Vertreterin der ersten Frauenbewegung.
Traditionelle Geschlechterrollen waren im Verhalten, in der Psyche und im Arbeitsprozess tief verankert. Sie wurden - oft auch von Frauen - als ,,natürliche Ordnung"6 aufgefasst.
In zeitgenössischen Lexika wurde der Begriff ,,Frauen" definiert - ein heute unüblicher Artikel in Nachschlagewerken, der zeigt, wie bedeutsam die geschlechtsspezifische Zuschreibungen für Menschen des 19. Jahrhunderts waren:
,, Frauen [...] sind die Repräsentanten der Sitte, der Liebe, der Scham, des unmittelbaren Gefühls, wie die Männer die Repräsentanten des Gesetzes, der Pflicht, der Ehre und des Gedankens; jene vertreten vorzugsweise das Familienleben, diese vorzugsweise das öffentliche und Geschäftsleben [...]."7
Die Familie war das Feld, in dem die Frau traditionell Betätigung finden konnte. Kaiser Wilhelm II. etwa erklärte noch 1910, dass die Hauptaufgabe der deutschen Frau nicht auf dem Gebiet des Vereins- und Versammlungswesens liege, sondern in der stillen Arbeit im Haus und in der Familie.
In einem agrarisch geprägten Land, das Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts war, hat die Familie einen anderen Stellenwert als in einer Industriegesellschaft. Die Ausgangsthese der Untersuchung ist, dass die Entwicklung von Arbeit innerhalb der Familie zum Industriearbeitsplatz die Bedingungen und die Bewertung von Frauenarbeit negativ verändert hat. Ich folge der Argumentation des erwähnten Beitrags von Karin Hausen und Barbara Duden, die sich aus der Frage nach dem Stellenwert der Kategorie Geschlecht entwickelt:
,,Die Abfolge und das Nebeneinander historischer Familienformen von der ländlichen Subsistenzwirtschaft bis zum städtischen Lohnarbeiterhaushalt werden meistens so präsentiert, als lebten in ihnen geschlechtsneutrale Personen. [...] Daß arbeitende Menschen männlichen oder weiblichen Geschlechts sein können, wird kaum bewußt."8
Die beiden Historikerinnen legen anhand von Quellen dar, wie sich die Frauenarbeit in der ländlich-familiären Wirtschaft des 18. Jahrhunderts nicht so sehr am Maßstab der Hierarchie der Geschlechter, als vielmehr an dem der Zweckmäßigkeit ausgerichtet war:
,,Offensichtlich ist für die Bauernwirtschaft das Zusammenwirken aller Kräfte das vorrangige Organisationsprinzip, dem die jeweils spezifischen Zuständigkeiten nachgeordnet sind. Die Arbeitsleistung von Männern und Frauen ist auf Ergänzung angelegt und in ihrer ökonomischen Bedeutung schwerlich hierarchisch einzustufen. [...] Was die geschlechtsspezifische Arbeit offenbar bei dieser wechselnden Besetzung sicherzustellen vermag, ist größtmögliche Erfahrung und Kontinuität."9
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