Wissenstransfer durch Emigration während der Nazi-Herrschaft in Deutschland (1933-1945)

Das Beispiel des jüdisch-deutschen Medienwissenschaftlers und Kunstpsychologen Rudolf Arnheim


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zeit in Deutschland (1904-1933)

3. Emigration
3.1 Italien (1933-1939)
3.2 England (1939-1940)
3.3 USA (1940-2007)

4. Bedingungen der Emigration
4.1 Faktoren der erfolgreichen Emigration
4.2 „Brain Drain“, „Brain Gain“ oder „Brain Circulation“?

5. Fazit

Bibliographie

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Online-Ressourcen

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit den Umständen die zur Emigration des deutsch-jüdischen Kunstpsychologen Rudolf Arnheim in die USA führten. Anlass für seine Migration war die Naziherrschaft in Deutschland zwischen 1933-1945, der er zu entkommen versuchte. In diesem Kontext kann von einer „erzwungenen Migration“ gesprochen werden. Das erste Kapitel stellt die Ausgangslage dar. Es geht zunächst um Rudolf Arnheims Zeit in Deutschland, bevor er beschließt Deutschland zu verlassen. Hier soll untersucht werden, inwieweit sein familiärer Hintergrund und seine Qualifikationen ihm dabei helfen, sich in einem anderen Land zu integrieren. Von Interesse ist die Frage, welche günstigen Voraussetzungen Rudolf Arnheim mit in das neue Land brachte, die ihm möglicherweise dort weiterhalfen. Die Emigration von Rudolf Arnheim führte nicht auf direktem Wege in die USA, sondern verlief über verschiedene Zwischenstationen. Die Bedeutung der verschiedenen Zwischenstationen in Bezug auf seine späteren beruflichen Chancen in den USA sollen einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Dies erklärt die strukturelle Untergliederung der Arbeit in die Länder, die im Rückblick Zwischenstationen auf seinem Weg in die Vereinigten Staaten darstellten. Im vierten Kapitel sollen die theoretischen Konzepte des „Brain Drain“, „Brain Gain“ und „Brain Circulation“ in Bezug auf das Wirken Rudolf Arnheims hin untersucht und angewandt werden. Es geht darum, zu erkunden, wie weitreichend sein Werk war. Wurden seine Arbeiten nur innerhalb der USA als bedeutend wahrgenommen oder wurden sie auch in anderen Ländern rezipiert? Zu welchen möglichen Wechselwirkungen kam es als Reaktion auf sein Werk? Im Fazit sollen schließlich noch einmal alle bisherigen Erkenntnisse und Einsichten zusammengefasst und auf die ursprüngliche Fragestellung hin zurückgeführt werden.

2. Zeit in Deutschland (1904-1933)

Rudolf Arnheim wurde am 15. Juli 1904 in Berlin Alexanderplatz geboren. Später zog die Familie nach Berlin Charlottenburg um, wo Rudolf Arnheim schließlich auch die Schule besuchte. Er war der Älteste von vier Kindern und der einzige Sohn seiner Familie. Sein Vater, Georg Arnheim war ein Kaufmann. In jüngeren Jahren ein Handlungsreisender, war er später Inhaber einer kleinen Klavierfabrik, die monatlich ca. 15 Klaviere für den deutschen Markt aber auch für das Ausland herstellte. Seine Mutter Betty, geborene Gutherz, bezeichnet Rudolf Arnheim als „eine recht gebildete Frau, [sie] interessierte sich für die bildenden Künste, Musik, Literatur und sprach Französisch und Italienisch“.[1]

Seine älteste Schwester Leni heiratete den deutschen Künstler und Kunsthistoriker Kurt Badt. Rudolf Arnheim selbst sagt aus, dass der Kontakt zu dem Ehemann seiner Schwester „von entscheidendem Einfluss auf mein ganzes berufliches Leben gewesen ist.“.[2] Kurt Badt nahm Rudolf Arnheim bereits als Kind mit ins Museum, wo er ihm Kunstwerke zeigte und die Grundbegriffe der Kunst beibrachte. Er zeigte Rudolf Arnheim auch die zahlreichen namenhaften Kunstwerken seines Vaters Leopold Badt. Nebenbei musizierten Kurt Badt, über den Rudolf Arnheim später sagte, dass er ein sehr guter Klavierspieler gewesen sei, und er zusammen. Seine Schulbildung erhielt Rudolf Arnheim am Herder-Reform-Realgymnasium in Berlin-Charlottenburg (Kurt Badt ging 14 Jahre zuvor auf das gleiche Gymnasium). Dort lernte er Latein, Französisch und Englisch. Insbesondere seine Englischkenntnisse erwiesen sich später im Ausland als hilfreich. Sein Betragen in der Schule schätzte Rudolf Arnheim wie folgt ein: „Ich war kein fleißiger Schüler, alles war nur eben 'genügend', außer Zeichnen (…).“.[3] Der Zeichenunterricht, abgehalten von einem strengen und überaus genauen Zeichenlehrer, blieb ihm noch lange in Erinnerung. In seiner Oberstufenzeit entwickelte Rudolf Arnheim eigene Interessen. Er inszenierte in seiner Schule eigene Theaterstücke, zu denen er auch die Prologe dichtet und teilweise selber als Schauspieler oder Musiker mitwirkte. Nach der Matura hegte sein Vater die Erwartung, dass sein Sohn Rudolf, mit ins väterliche Geschäft einsteigen würde. Rudolf Arnheim selbst drängte es allerdings an die Universität. Er schrieb sich an der Friedrich-Wilhelm Universität Berlin für die Hauptfächer Psychologie (Schwerpunkt Gestaltpsychologie) und Philosophie ein, die zu dem damaligen Zeitpunkt noch als verwandt und inhaltlich eng verknüpft galten. Im Nebenfach belegte er Kunst- und Musikgeschichte Sein Schwager Kurt Badt hatte zuvor ein ähnliches Studium absolviert, nämlich der Kunstgeschichte und Philosophie. Um seinen Vater nicht gänzlich zu enttäuschen, arbeitete er zu Anfang seines Studiums noch im Büro des väterlichen Betriebes mit. Dieses tat er allerdings nur halbherzig und ohne rechte Freude an der Aufgabe. Schon bald gab er diese Tätigkeit auf und widmete sich ganz seinem Studium. 1925 schrieb Rudolf Arnheim im Alter von 21 Jahren seinen ersten Aufsatz für „Die Weltbühne“. Nach Meinung von Helmut H. Diederichs, der sich mit dem Wirken Rudolf Arnheims intensiv auseinandergesetzt und ein „Arnheim Forum“ in Deutschland aufgebaut hat, liegt in diesem Aufsatz „(…) Arnheims Grundverständnis von Kunst schon offen zutage. “.[4] Im psychologischen Institut fanden „grundlegende Experimentalarbeiten der Gestaltpsychologie“ unter der Aufsicht von Wolfgang Köhler (Mitbegründer der Gestaltpsychologie bzw. der Gestalttheorie), dem Direktor des Instituts, statt.[5] In diese neuartige Forschung wurde der Student Rudolf Arnheim mit hineingenommen. Zu seinen Dozenten zählen Max Wertheimer (Haupt-Begründer der Gestaltpsychologie bzw. der Gestalttheorie) und Kurt Lewin (einflussreicher Pionier der Psychologie; Begründer der modernen experimentellen Sozialpsychologie und Mitbegründer der Gestaltpsychologie der Berliner Schule). Rudolf Arnheim erlebte mit, wie im Zusammenschluss dieser Wissenschaftler eine völlig neue Theorie der Wahrnehmung begründet wurde. Zusammen mit seinen Dozenten und weiteren Institutsangehörigen wie dem Musikethnologen Erich Maria von Hornbostel und dem Kunstpsychologen Johannes von Allesch widmeten sie sich der experimentellen Forschung an der Psychologie der Wahrnehmung. Max Wertheimer betreute schließlich als Doktorvater die Dissertation von Rudolf Arnheim, bei der es um die Ausdruckswahrnehmung von Handschriften und Gesichtern geht. Nach mehrjähriger Arbeit an seiner Dissertation promovierte Rudolf Arnheim 1928 über die „Experimentell-psychologische Untersuchungen zum Ausdrucksproblem“. Seine Doktorarbeit wurde in der Zeitschrift seines Instituts, der „Psychologischen Forschung“ veröffentlicht. Nach seiner Promotion begann Rudolf Arnheim für verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. Er schrieb Filmkritiken für die satirische Zeitschrift „Das Stachelschwein“. Der Verleger der Zeitschrift Hans Reimann beschrieb das Wesen seines Mitarbeiters als „(…) zurückhaltend, sparsam in Gesten und Worten. Witz, Geist und Schärfe hob er sich für den Schreibtisch auf. “.[6] „Seine Erkenntnisse über das Filmmedium hatte sich Arnheim natürlich als eifriger Kinogänger erworben.“.[7] Darüber hinaus schrieb er Beiträge für die deutsche Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“. Als der Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Siegfried Jacobsohn starb, wurde die Leitung der Zeitschrift von Carl von Ossietzky übernommen (Anmerkung: Zwischenzeitlich hatte Kurt Tucholsky diese Position inne). Der Tod von Jacobsohn führte dazu, dass Rudolf Arnheim in Folge der Umstrukturierungsmaßnahmen unter der neuen Leitung als Redakteur für den Kulturteil der Zeitung fest eingestellt wurde. Carl von Ossietzky stellte ihn als Kulturredakteur ein, „(…) damit er trotz der Reisewut Kurt Tucholskys jeden Sonntag eine neue Ausgabe des Intelligenzblattes der Weimarer Republik herstellen konnte.“.[8] Zu den vielgeschätzten Mitarbeitern von Rudolf Arnheim gehörten Alfred Polgar und Erich Kästner. Zudem pflegte er einen intensiven Briefwechsel mit Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller. Der Chef der Zeitschrift Carl von Ossietzky räumte Rudolf Arnheim viel Freiraum in seiner Arbeit ein. Er schrieb viel, zumeist über das Medium Film, dem er sich zugewandt hatte und über das er im Laufe der Zeit einige theoretische Aufsätze abfasste. Weitere Themengebiete mit denen er sich beschäftigte waren die Ästhetik und Psychologie. 1931/32 wurde Rudolf Arnheims Buch „Film als Kunst“ herausgegeben. Auf dem Buchumschlag war ein Fotogramm von Gyorgy Kepes (ein ungarischer Maler, Designer und Kunsttheoretiker, der an zahlreichen Universitäten Design lehrte und den Bauhausstil weiterentwickelte), der bei Moholy-Nagy gelernt hatte. Dieser Umstand sollte später von Bedeutung sein.

Weitere Anstellungen folgten, namentlich für den Rundfunk, „Die Vossische Zeitung“ und „Das Berliner Tageblatt“. Rudolf Arnheims Auseinandersetzung mit dem Film beschränkte sich nicht auf die Theorie. Er hatte Kontakte zu Filmschaffenden wie Béla Balázs und wirkte bei einigen Filmproduktionen, wie z.B. an den Filmen von Winfried Basse, mit. Rudolf Arnheim sagte über diese Zeit aus:

„Viele Filme aus der Zeit waren eigentlich sehr schockierend. Sie müssen bedenken, dass zu der Zeit die Regisseure und die Filmautoren eine viel größere Freiheit hatten, weil nämlich die Filmindustrie noch in ihren Windeln lag.“.[9]

Zu Rudolf Arnheims Freundeskreis zählten Journalisten, Schriftsteller und Künstler mit diesen er intensiv Kontakt pflegte (Rudolf Arnheim selbst erwähnt Andor Kraszna-Krausz, Joseph Sternberg, Eisenstein und Dsiga Wertoff). Diese Zeit, die von großen gestalterischen Freiheiten geprägt war und von Rudolf Arnheim rückblickend als kulturell anregend bezeichnet wird, erfuhr 1933 einen großen Einschnitt. Nach dem Reichstagsbrand vom 27./28. Februar 1933 wurde die Pressefreiheit umfassend eingeschränkt. Weitere Gesetze, wie u.a. das sogen. Ermächtigungsgesetz („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) wurden vom 24. März 1933 an in rascher Abfolge erlassen. Die Herausgabe der „Weltbühne“ wurde verboten und ihr Herausgeber Carl von Ossietzky verhaftet. Am 7. März erschien die letzte Ausgabe der Zeitschrift. Die Redakteure der Weltbühne hatten sich getäuscht und sich zu lange in Sicherheit gewähnt: „Ich muss sagen, dass wir eigentlich an die Bedrohung nicht glaubten bis fast zuletzt. Eigentlich fanden wir im Allgemeinen Hitler eine lächerliche Figur.“.[10] Rudolf Arnheim, der wie viele andere die Gefahr, die von Hitler und seinem Regime ausging lange Zeit unterschätzt hatte, verlor seine Anstellung. Aufgrund der jüdischen Abstammung und seiner Nähe zu linksliberalen Kreisen hatte er keine Chancen mehr eine neue Arbeit in Deutschland zu finden. Bei Helmut D. Diederichs heißt es darüber hinaus:

„Es verwundert, daß man ihn [Rudolf Arnheim] nicht sofort nach der Machtübernahme verhaftet hat, schrieb er doch 1932 in einem Bärtchen-Vergleich: 'Wer Hitlern ins Gesicht blickt, dem muß Charlie Chaplin einfallen. (…) Der Hölle ein willkommener Spott und peinlich selbst dem lieben Gott.' …dazu gehört das Bärtchen, weil es mit kleinen Mitteln Großes vorzutäuschen wünscht.“.[11]

Rudolf Arnheim schreibt in seinem Lebenslauf: „(…) mir wurden alle beruflichen Tätigkeiten unmöglich gemacht.“.[12] Seinem Vater Georg Arnheim wurde die Klavierfabrik weggenommen.

3. Emigration

3.1 Italien (1933-1939)

Rudolf Arnheim erkannte, dass sich die Lage der Juden in Deutschland unter der Herrschaft Hitlers ernsthaft zugespitzt hatte. Per Gesetz wurden auch ihm alle Grundlagen seiner Existenz genommen. Er sah keine Zukunft mehr für sich in Deutschland. Rudolf Arnheim bemühte sich deshalb, in Italien Anstellung zu finden und schrieb den Direktor des Internationalen Lehrfilminstituts des Völkerbundes in Rom an. Von Vorteil für sein Gesuch war, dass das Institut zu dieser Zeit an einer umfangreichen Enzyklopädie des Films arbeitete. Er bekam die Stelle schließlich und ging mit seiner Frau Anette, geborene Siecke, nach Italien. Dort schrieb er viele Beiträge für den bebilderten Buchband. Darüber hinaus übernahm er die Einbettung der zahlreichen Bilder in den Text. In unregelmäßigen Abständen lehrte Rudolf Arnheim an der römischen Filmschule, dem „Centro Sperimentale per la Cinematografia“. In den drei Jahren zwischen seiner Ankunft in Italien 1933 und seiner erneuten Flucht 1939 knüpfte er vielfältige Bekanntschaften zu den Filmschaffenden in Italien: Francesco Pasinetti, Emilio Cecci, Fedele D'Amico, Suso Cecchi D'Amico, Giuseppe de Santis und Louis Lumiére. 1938 verließ Italien den Völkerbund. Noch im selben Jahr wurden Rassengesetze erlassen und Rudolf Arnheim war erneut gezwungen ein Land zu verlassen. „Als Mussolini 1938 den ausländischen Juden den Aufenthalt verbot, ging es wieder ans Wandern.“.[13] Diesmal wanderte er allerdings alleine aus, denn seine Frau Anette Siecke und er hatten sich in der Zeit in Italien scheiden lassen.

[...]


[1] Rudolf Arnheim: Lebenslauf, S. 1.

[2] ebd.

[3] ebd.

[4] Der Filmkritiker und Filmtheoretiker Rudolf Arnheim. Ein Vortrag von Helmut H. Diederichs, S. 1.

[5] Rudolf Arnheim: Lebenslauf, S. 2.

[6] Der Filmkritiker und Filmtheoretiker Rudolf Arnheim. Ein Vortrag von Helmut H. Diederichs, S. 2.

[7] Deutschlandradio

[8] Deutschlandradio

[9] ebd.

[10] Deutschlandradio

[11] Der Filmkritiker und Filmtheoretiker Rudolf Arnheim. Ein Vortrag von Helmut H. Diederichs, S. 2.

[12] Rudolf Arnheim: Lebenslauf, S. 2.

[13] Rudolf Arnheim: Lebenslauf, S. 3.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Wissenstransfer durch Emigration während der Nazi-Herrschaft in Deutschland (1933-1945)
Untertitel
Das Beispiel des jüdisch-deutschen Medienwissenschaftlers und Kunstpsychologen Rudolf Arnheim
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Institut für Geschichtswissenschaft)
Veranstaltung
Wissenschaft und Technik als Migrationsgeschichte im 20. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V351092
ISBN (eBook)
9783668375994
ISBN (Buch)
9783668376007
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wissenstransfer, emigration, nazi-herrschaft, deutschland, beispiel, medienwissenschaftlers, kunstpsychologen, rudolf, arnheim
Arbeit zitieren
Anna Buchroth (Autor:in), 2013, Wissenstransfer durch Emigration während der Nazi-Herrschaft in Deutschland (1933-1945), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351092

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