Die Filme „Der Busenfreund“ und „Hundstage“ des Regisseurs Ulrich Seidl. Konstruktionen der Realität?


Seminararbeit, 2015

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.) EINLEITUNG

2.) FORMALISMUS UND REALISMUS - ZWEI FILMTHEORETISCHE POSITIONEN
2.1) Der Konstruktivismus und die Montage (Sergej M. Eisenstein)
2.2) Der filmische Realismus (André Bazin)

3.) REALISMUS UND KONSTRUKTION IN DEN FILMEN ULRICH SEIDLS
3.1) „Der Busenfreund“ - eine inszenierte Dokumentation
3.1.1) Ein inszeniertes Portr ä t einer realen Person 8
3.1.2) Der Schnitt als Mittel zur Erzeugung von Realit ä tseindruck 9
3.2) „Hundstage“ - ein Spielfilm mit dokumentarischen Elementen
3.2.1) Schauspieler/ Laiendarsteller 11
3.2.2) Die Montage, die Aufteilung des Filmes in Episoden und die Vernetzung selbiger 13

4.) ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

5. FILM- UND LITERATURVERZEICHNIS

1.) Einleitung

Ein schrulliger Ex-Mathematiklehrer, eine verwirrte Autostopperin, ein Alarmanlagenvertreter - keine Superhelden, sondern Menschen aus dem „echten“ Leben. Das sind die Charaktere, mit denen der österreichische Filmregisseur Ulrich Seidl seine Geschichten erzählt. In inszenierten Dokumentationen, wie DER BUSENFREUND (Ulrich Seidl, Österreich 1997), oder in Spielfilmen, wie HUNDSTAGE (Ulrich Seidl, Österreich 2001), suggeriert Seidl, nicht zuletzt durch im Weiteren zu analysierende filmische Mittel, dem Zuschauer eine unverwechselbare Echtheit seiner Figuren und der Erzählung. Er bemüht sich in den Filmen seines gesamten Œuvres, ganz egal ob in Erscheinungsform einer Dokumentation oder eines Spielfilmes, um eine Abbildung der Realität. In seiner Aufgabe als Regisseur nimmt er jedoch inszenatorischen Einfluss auf das Geschehen vor der Kamera. Dies wirft die Frage auf, ob und inwiefern Realität oder eben eine konstruierte Fiktion in den beiden zu analysierenden Filmen Seidls auszumachen sind.

Schon seit Anbeginn der Filmgeschichte, exemplarisch verdeutlicht an den filmtheoretischen Positionen des Konstruktivismus und des Realismus, beschäftigt man sich im Kosmos der Filmtheoretiker und Regisseure mit dem Sujet der Realität im Film. Die Arbeiten Ulrich Seidls bieten für die Beschäftigung mit diesem Thema ein spannendes Betätigungsfeld, da hier dokumentarische Elemente und Inszenierung aufeinander treffen. Es soll versucht werden die Theorien Eisensteins und Bazins auf die beiden zu untersuchenden Filme Seidls anzuwenden und zu schauen welche Aspekte für eine konstruktivistische oder eine realistische Vorgehensweise sprechen.

2.) Formalismus und Realismus - zwei filmtheoretische Positionen

Zu Beginn sollen die zwei filmtheoretischen Positionen des russischen Konstruktivismus und des Realismus kurz umrissen werden, da diese prägend für nachfolgende Generationen von Filmemachern und Filmtheoretikern waren und auch in Bezug auf die Arbeit Seidls interessant sind.

Eine wichtige Position der Filmtheorie bildet der russische Konstruktivismus des beginnenden 20. Jahrhunderts gegenüber dem Realismus mitteleuropäischer Autoren aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Als Konstruktivisten möchte ich beispielhaft den Filmtheoretiker und Regisseur Sergej Eisenstein und seine Montagetheorie anführen. Zur Darlegung einer filmtheoretischen Position des Realismus nenne ich Argumente des Theoretikers André Bazin.

2.1) Der Konstruktivismus und die Montage (Sergej M. Eisenstein)

„ Der Wert liegt nicht in der abbildend-darstellerischen Bewegung des « lebenden Modells »“

Sergej Eisenstein in: Montage der Filmattraktionen1

Der Begriff des Konstruktivismus leitet sich von den lateinischen Wörtern „con“ für „zusammen“ und „struere“ für „bauen“ ab. Die filmtheoretische Position des Konstruktivismus fordert eine An- und Umordnung des Filmmaterials durch Schnitte und das inszenatorische Einwirken des Regisseurs auf das sogenannte „Rohmaterial“. Sergej Eisenstein (1898- 1988) gilt, aufgrund seines umfangreichen Schaffens und seiner Arbeit als Regisseur, als einer der wichtigsten Vertreter des Konstruktivismus im Film.2 Zunächst im Zuge von eigenen Theaterproduktionen, später in seinen Filmen, wie beispielsweise BRONENOSSEZ POTJOMKIN (Sergej M. Eisenstein, UdSSR 1925), übertrug Eisenstein die von ihm erdachte Idee der „Attraktionsmontage“ in die Praxis. Ziel Eisensteins war die Beeinflussung des Publikums „in einer gewünschten Richtung“3, hin zum sozialistischen Ziel des Klassenkampfes.4 Der Film besitze, so Eisenstein, die Möglichkeit auf die Emotionen des Publikums einzuwirken, dürfe sich jedoch nicht mit dem „einfache[n] Zurschaustellen von Ereignissen“ begnügen.5 Vielmehr liege die Aufgabe des Regisseurs in der Verknüpfung der Assoziationsketten, die der Zuschauer mit den gezeigten Bildern verbindet, welche sich auf real existierende Phänomene und Gegenstände beziehen.6 Eine Parallelmontage, der Gegenschnitt von Handlungssträngen die gleichzeitig verlaufen, unterscheidet der Autor klar von der Attraktionsmontage und stuft sie als ungeeignet ein.7 8 Der Inhalt der Geschichte ist ihm weniger wichtig als der letztendliche Zweck: die Agitation des Publikums in politischer Hinsicht.9 Für Eisenstein ist das Drehbuch als „Rezept für Montagesequenzen“10 und die Inszenierung durch den Regisseur die Voraussetzung für einen gelungenen Film. Jedoch sei auch ein Film ohne Drehbuch denkbar. Entscheidend, so Eisenstein, ist ein „richtungsweisendes Grundschema“11 und eine auf diesem „basierende freie Auswahl des Montagematerials“12 um das letztliche Ziel, die Einflussnahme auf die Psyche des Zuschauers zu erreichen.13

2.2) Der filmische Realismus (André Bazin)

„ Wichtig ist nur, dass er den Stoff des Films als authentisch erkennt, w ä hrend er sich zur gleichen Zeit sagen kann, da ß (sic!) es doch « Kino » ist. “ -Andr é Bazin in: Was ist Film?14

Der französische Filmkritiker und Theoretiker André Bazin (1918-1958) vertritt im Gegensatz zu Sergej M. Eisenstein eine Position des Realismus. Er spricht dem Film eine „realitätsabbildende“15 und „wirklichkeitsschaffende Kraft“16 zu. Diese, der Photographie und dem Film eigene Chance der objektiven Abbildung hebe sie von der traditionellen bildenden Kunst ab, die im Versuch der Realitätsabbildung, durch den sichtbaren Einfluss des Künstlers auf das Kunstwerk, zum scheitern verurteilt sei.17 (Bazin, ontolgischer, S.36) Im Gegensatz zu den propagandistischen Absichten Eisensteins engagiert sich Bazin für einen Film, der unverfälscht, also ohne das Hilfsmittel der Montage, die Realität abbildet. Als Voraussetzung für diesen Standpunkt erkennt Bazin eine „ontologische Übereinstimmung“18, also eine Übereinstimmung in der Seinsform, zwischen dem Rohmaterial und seinem filmischen Abbild.19 Die Montage klassifiziert Bazin in seinem Artikel „Schneiden Verboten!“, dessen Titel sich schon gegen den für die Montage notwendigen filmischen Schnitt ausspricht, als „antifilmisch“20. Die Montage trage zur „Irrealität“21 bei. Hiermit meint er, dass die Möglichkeit des Filmes, nämlich die Realität als solche wiederzugeben, durch die Manipulation durch die Montage vereitelt wird. Bazin untersagt den Regisseuren beispielsweise das Prinzip des Schuss-Gegenschuss-Verfahrens, welches die Darstellung mehrerer Aspekte einer Handlung gleichzeitig darzustellen ermöglicht.22 Er verbietet jedoch nicht jeglichen filmischen Trick. Solange die Manipulation des Bildes in der abgefilmten Realität und nicht am Schneidetisch entsteht, verliert der Film nicht an Realismus.23 Eine praktische Umsetzung seiner theoretischen Forderungen findet er beispielsweise in den Produktionen des italienischen Neorealismus.24

[...]


1 EISENSTEIN, Sergej : Montage der Filmattraktionen (1924), in: Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie, Frankfurt/M., 2005, S.29.

2 ELSÄSSER, Thomas/ HAGENER, Malte: Filmtheorie. Zur Einführung, Hamburg 2011, S. 34.

3 EISENSTEIN 2005, S.15.

4 EISENSTEIN 2005, S.15.

5 EISENSTEIN 2005, S15.

6 EISENSTEIN 2005, S.17.

7 http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=3684.

8 EISENSTEIN 2005, S.19.

9 EISENSTEIN 2005, S. 24.

10 EISENSTEIN 2005, S.23.

11 EISENSTEIN 2005, S.24.

12 EISENSTEIN 2005, S.24.

13 EISENSTEIN 2005, S.24.

14 BAZIN, André: Was ist Film, Berlin 2004, S. 82.

15 ELSÄSSER/HAGENER 2011, S.41.

16 ELSÄSSER/HAGENER 2011, S.41.

17 BAZIN 2004, S. 36

18 BAZIN 2004, S. 396.

19 BAZIN 2004, S. 396

20 BAZIN 2004, S. 81.

21 BAZIN 2004, S.79.

22 BAZIN 2004, S.84.

23 BAZIN 2004, S. 80.

24 ELSÄSSER/HAGENER 2011 , S 41.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Filme „Der Busenfreund“ und „Hundstage“ des Regisseurs Ulrich Seidl. Konstruktionen der Realität?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die Filmtheorie
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V351309
ISBN (eBook)
9783668376175
ISBN (Buch)
9783668376182
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
filme, busenfreund, hundstage, regisseurs, ulrich, seidl, konstruktionen, realität
Arbeit zitieren
Laszlo Rupp (Autor:in), 2015, Die Filme „Der Busenfreund“ und „Hundstage“ des Regisseurs Ulrich Seidl. Konstruktionen der Realität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351309

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