Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinitionen
3. Ausgewählte Merkmale von Hypertexten
4. Kognitivistische Ansätze
5. Konstruktivistische Ansätze
6. Begründungsansätze für einen Einsatz von Hypertexten im DaF Unterricht
7. Typische Probleme beim Lernen mit Hypertexten im DaF-Unterricht
8. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Medien nehmen heutzutage einen immer größeren Teil der Lebenszeit der Menschen ein. Es wird immer häufiger versucht, elektronische Medien im Fremdsprachenunterricht anzuwenden. Der für die vorliegende Arbeit zentrale Begriff „Hypertext“ ist eng mit Begriffen wie Multimedia, Hypermedia, Internet usw. verbunden und übt heute eine große Faszination aus. Hypertexte können als elektronische Texte definiert werden, die Information nicht-linear präsentieren. Die Wissensinhalte werden in selbständige Einheiten (Knoten) aufgegliedert, die durch Verweise miteinander verknüpft werden. In Hypertexten wird den Lesern weder eine Reihenfolge nahegelegt, in der er die Knoten aufrufen soll, noch werden die Beziehungen zwischen den einzelnen Knoten explizit gemacht. Mit der Entwicklung von Hypertexten werden die Anwendungsbereiche auch immer mehr ausgeweitet. Sie werden nicht mehr ausschließlich als effektive Wissensspeicher konzipiert, sondern auch in Lehr-/Lernsettings eingebunden (vgl. Gerdes 1997: 6). Vor dem Hintergrund der Vorstellung von Lernen als aktivem und konstruktivem Prozess sind Hypertexte besonders geeignet, diesen Aspekten von Lernen Rechnung zu tragen, weil sie Informationen nicht-linear präsentieren. (s. Conklin, 1987; Gerdes, 1997; Tergan, 2002)
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Rolle von Hypertext im DaF-Unterricht. Dieser Beitrag möchte dazu dienen, neue Perspektiven zu eröffnen und Verbindungen zwischen dem Hypertext und kognitivistischen und konstruktivistischen Ansätzen hinsichtlich der Autonomie der Lernenden herauszufinden. Es stellen sich also die folgenden Fragen: Welche Rolle spielen Hypertexte im Fremdsprachenerwerb? Welche Folgen haben sie für den DaF-Unterricht? Welche Vorteile und Herausforderungen bringen Hypertexte mit sich?
Im Laufe der Arbeit wird versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden. In den Kapiteln 2 und 3 wird das Hypertext-Konzept ausführlich mit ihren für den Lernkontext relevanten Merkmalen beschrieben. In den beiden folgenden Kapiteln 4 und 5 wird einen Überblick über verschiedenen Lernparadigmen gegeben, nämlich Kognitivismus und Konstruktivismus. In Kapitel 6 wird auf die Vorteile des Lernens mit Hypertexten eingegangen. In Kapitel 7 werden die Schwierigkeiten und Herausforderungen beim Lernen mit Hypertexten vorgestellt und die Voraussetzungen und Bedingungen für das effktive Lernen mit Hypertexten diskutiert.
2. Begriffsdefinitionen
Die Idee von Hypertextsystemen geht auf Vannemar Bush (1945) zurück. Der Begriff „Hypertext“ wurde erst von Ted Nelson (1974, 1981) eingeführt. Sein System Xanadu beruht auf der Annahme, dass Hypertext ein literarisches Medium ist, und zielte darauf ab, sämtliche Literatur miteinander zu verknüpfen (Nelson 1987). Laut Kuhlen (1991: 13) besteht die Grundidee von Hypertexten darin, dass informationelle Einheiten flexibel über Verknüpfungen manipuliert werden können. Manipulation bedeutet hier in erster Linie, dass die Hypertexteinheiten vom Benutzer leicht in einen neuen Kontext gestellt werden können, die sie selber dadurch erzeugen, indem sie ihnen passend erscheinenden Verknüpfungsangeboten nachgehen. Die Einheiten selber bleiben dabei in der Regel unverändert. Aus struktureller Sicht werden Knoten (die Informationseinheiten) und Verweise (die Verknüpfung der Informationen) als die konstitutiven Elemente von Hypertexten angesehen. Die Knoten, die als Basiseinheiten des Hypertextes zu verstehen sind, werden durch Verweise (Links) miteinander verbunden bzw. vernetzt.
Über die Knoten und Verweise als Bestandteile von Hypertexten hinaus beziehen sich viele Autoren auf die Organisation von Informationen in Hypertexten und betrachten die Nicht-Linearität als das kennzeichnende Merkmal von Hypertexten (z.B. Gerdes, 1997; Kuhlen 1991; Jonassen 1989; Nielsen, 1990). Laut Kuhlen (1991: 27) ist die Kennzeichnung von Hypertext als ein Medium der nicht-linearen Organisation von Informationseinheiten am treffendsten. Ein ähnliches Verständnis von Hypertexten zeigt z.B. Nielsen (1990: 1-2): „Hypertext is nonsequential; … hypertext consists of interlinked pieces of text (or other information)“.
Außerdem werden dem Hypertext noch weitere Merkmale zugerechnet. Während Nielsen in seiner Definition von Hypertexten nur auf die Merkmale Nicht-Linearität, Knoten und Verweise abhebt, bezeichnet Kuhlen (1994: 210-211) die besondere Art der Interaktion zwischen Leser und Hypertext als weitere Eigenschaft von Hypertexten: Leser konzentrieren sich in ihren Verstehensprozessen nicht auf die Verarbeitung bestimmter Informationen, sondern browsen durch den Hypertext. Eine weitere Eigenschaft von Hypertext ist das Medium, in dem sie repräsentiert werden: Hypertexte können ausschließlich mit rechnergestützten Systemen produziert bzw. realisiert werden. Ähnlich betont Storrer (2008: 318) in ihrer Definition von Hypertexten neben der Nicht-Linearität dieses Merkmal: „Hypertexte sind nicht-linear organisierte Texte, die durch Computertechnik verwaltet werden.“ Die medialen Eigenschaften ermöglichen es, dass nicht nur Autoren, sondern auch Leser einen Hypertext manipulieren, indem sie neue Information hinzufügen.
Die Bezeichnung Hypertext war zunächst tatsächlich für reine Textsysteme gedacht. Heute können Texte aber auch mit einer Datenbank, Bildern, Filmen, Ton und Musik verbunden werden. Deshalb sprechen viele Autoren inzwischen von Hypermedia statt von Hypertext, um die Multimedia-Eigenschaften zu betonen. Einen völlig anderen Weg geht Nielsen (1995), der alle diese Systeme wegen ihres Konstruktionsprinzips als Hypertext bezeichnet, weil es keinen Sinn mache, einen speziellen Begriff für Nur-Text-System zu verwenden. Ein ähnliches Verständnis zeigt Jonassen (1989). Laut Nielsen und Jonassen werden Grafiken, Bilder, Töne, Animationen oder Videos auch zu den möglichen Bestandteilen von Hypertexten gerechnet. Im Rahmen dieser Arbeit wird überwiegend der Begriff Hypertext verwendet, um auf den strukturellen Aspekt der Nicht-Linearität hinzuweisen.
Zusammenfassend können Hypertexte als elektronische Texte verstanden werden, die Informationen nicht-linear oder nicht-sequentiell repräsentieren.
3. Ausgewählte Merkmale von Hypertexten
Auf der Grundlage der oben aufgeführten Definitionen sind Hypertexte als elektronische Texte zu verstehen, die Informationseinheiten nicht-linear organisieren, indem sie sie durch Verweise miteinander verknüpfen.
In diesem Abschnitt lassen sich Hypertexte durch drei Merkmale charakterisieren, die nachfolgend genauer dargestellt werden.
- Nicht-Linearität
Die Nicht-Linearität wird als typisches Merkmal von Hypertexten angesehen und in der Literatur unterschiedlich aufgefasst. Die Nicht-Linearität bezieht sich zum einen auf die netzwerkartige Darstellung der Information, d.h. die Informationen werden nicht wie bei herkömmlichen Texten in einer fest vorgegebenen Abfolge, sondern nicht-linear dargestellt. Zum anderen auf den nicht-linearen Informationszugriff, womit der Benutzer entsprechend persönlichen Zielen, Bedürfnissen und Interessen Informationseinheiten in beliebiger Reihenfolge abrufen und rezipieren kann. Außerdem wird die Nicht-Linearität auf die beim Benutzer resultierende mentale Repräsentation der Information angewendet (vgl. Scheiter, 1998). Der Leseprozess bei Hypertexten kann als diskontinuierlich und assoziativ charakterisiert werden und es ist nicht möglich, einen Textanfang oder -ende zu identifizieren. Die Anwender beginnen die Verarbeitungsprozesse von einem der verschiedenen Anfangsknoten aus und entscheiden selbst, in welcher Reihenfolge und wie lange sie die Informationseinheiten weiter aufzurufen.
- Operationalisierung
Das Merkmal der Operationalisierung ist nach Hendrich (2003, 54) das ausschlaggebende Kriterium, durch das sich Hypertexte am stärksten von herkömmlichen Texten abheben. Unter der Operationalisierung versteht Freisler (1994, 28) das Aufbauprinzip des Hypertexts, das nicht den Belangen alltagssprachlicher Kommunikation dient, sondern speziell auf die Bewältigung kognitiver Aufgaben in den neuzeitlichen Wissenschaften ausgerichtet ist. Basiert auf diesem Merkmal werden die Lernenden aufgefordert, selbst Hypertagma zu bauen, um die Inhalte zu verstehen. Außerdem ist dieses Merkmal mit der Vielfachsequenzierung verbunden, die durch Navigationsentscheidungen der Lernenden realisiert wird. Weil die Informationen wie oben erwähnt wegen der nicht-linearen Textstrukturen nicht in einer fest vorgegebenen Abfolge dargestellt werden und Hypertexte aufgrund der daraus resultierenden Textfragmentarisierung in Knoten auf die Interaktion der Leser angewiesen sind, die sich den eigenen Lesepfad zurechtlegen (vgl. Roche 2007, 170).
- Interaktivität
Die Interaktivität ist ein bedeutendes Merkmal von Hypertexten. Der Begriff Interaktivität lässt sich als abgeleiteter Begriff verstehen, der im Bezug auf Computersysteme die Eigenschaften von Software beschreibt, dem Benutzer eine Reihe von Eingriffs- und Steuermöglichkeiten zu eröffnen (Issing& Klimsa, 2002). Der Hypertext ist ein interaktives Medium. Die Interaktion wird von mehreren Kommunikationsteilnehmern mittels Hypertextes beeinflusst, statt im Fremdsprachenunterricht nur unter den Lernenden oder zwischen Lernenden und dem Kursleiter zu verlaufen. Auf diese Weise werden sie authentischer und bieten den Lernenden die Möglichkeit, seine Umgebung individuell wahrzunehmen. Laut Issing und Klimsa (ebd.) werden die aktive Rolle des Benutzers und die Freiheitsgrade der Auswahl als konstitutiv für die Interaktivität angesehen. Im Idealfall auch die wechselnde Dialoginitiative von Mensch und Maschine.
- Multimedialität
Ein weiteres Merkmal von Hypertexten ist Multimedialität. Hypertexte zeigen Inhalte in verschiedener medialer Gestalt an, und zwar in simultaner Kombination mehrerer Medien. Es sind verschiedene Medientypen integriert, wie z.B. Text, Bild, Ton usw.. Hauznerová (2011) vertritt die Meinung, dass Ton, Bild und Bewegung zum Hauptträger des rezipierten Inhaltes ohne weitere schriftlichen Unterstützung werden. Auf diesem Prinzip werden viele Hypertexte aufgebaut. Deshalb ist die Aufgabe des Fremdsprachunterrichts die Lernenden darauf vorzubereiten, damit sie sich am Aufbau des Hypertextes aktiv beteiligen. Darüber hinaus entspricht der multimediale Hypertext der menschlichen synästhetischen Sinneswahrnehmung und Informationsaufnahme: “Hypermedia is a much better model for the minds typical activities than exists in the severely restricted code of linear prose“ (Delany&Landow, 1991) Durch Multimedialität wird der Rezeptionsprozess der Inhalte stärker intensiviert.
4. Kognitivistische Ansätze
Im Mittelpunkt des Kognitivismus stehen die individuelle Informationsverarbeitung sowie die dazugehörigen Denk- und Verarbeitungsprozesse der Lernenden (vgl. Holzinger, 2000: 110f.). Lernen wird als Informationsaufnahme und –speicherung betrachtet, deren Güte vor allem von der Art der Informationsaufbereitung und –darbietung sowie kognitiven Aktivitäten der Lernenden abhängt. Lernen geht einher mit Veränderungen kognitiver Strukturen und Prozesse (Kerres, 2013: 137). Das Anliegen kognitiver Ansätze liegt darin, die im menschlichen Gehirn ablaufenden Prozesse wie Wahrnehmung und Problemlösung aufzuschlüsseln. Laut Kerres (ebd.: 138) konzentrieren sich kognitive Ansätze auf die Frage, wie die Speicherung und der Abruf von Informationen in den verschiedenen Subsystemen des Gedächtnisses sichergestellt werden können.
Im vorliegenden Kapitel wird Lernen als eigenständiger Verarbeitungsprozess angesehen und aus kognitiver Sicht beschrieben. Um Lerneffekte beim Lernen mit Hypertexte zu erklären, soll der Fokus des vorliegenden Kapitels auf der Struktur des menschlichen Gedächtnisses hinsichtlich der Text- und Bildverarbeitung und der Frage, wie das zu Lernende kognitiv gespeichert und repräsentiert wird, liegen. Diesbezüglich sind folgende theoretischen Ansätze relevant.
In einem ersten Schnitt sollen die Theorien der mentalen Modelle skizziert werden. Anschließend sollen die Organisationsprozesse zwischen sprachlichen und piktorialen Informationen im Arbeitsgedächtnis anhand der Dual Coding Theory von Paivio (1986) erläutert werden. Danach soll die Cognitive Theory of Multimedia Learning (Mayer 2001, 2005) vorgestellt werden.
Bei den Theorien der mentalen Modelle erfolgt keine Beschränkung der Betrachtung auf einzelne Zeichensysteme. Vielmehr wird eine zusammenhängende mentale Repräsentation bestimmter Wirklichkeitsbereiche bezüglich ihres strukturellen Aspekts im Gehirn angenommen. Diese Repräsentation beruht auf der Verarbeitung verschiedener Zeichensysteme bzw. medialer Darstellungsformen (vgl. Herzig 2001b, 162). Laut Hasebrook (1995, 146) „kann man sich mentale Modelle als eigene, integrierte Wissensdarstellungen vorstellen, die jedoch bei Bedarf um propositionale und analoge Informationsanteile ergänzt werden können. Dieser Bedarf besteht immer dann, wenn das integrierte Modell Wissenslücken enthält oder wenn die geforderte kognitive Leistung besser oder sogar ausschließlich durch spezialisierte Gedächtnissysteme und –prozesse zu erreichen ist.“
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