Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Problem der Differenz und feministische Erkenntnis- und Wissenschaftskritik
2.1 „ Situiertes Wissen “ - eine feministische Vision von Objektivität
2.1.1 Die drei Positionen feministischer Erkenntnistheorie
2.1.2 Wissen(schaft)/Sprache/Macht
2.1.3 Ermächtigung der „ Objekte “ der Forschung
2.2 Kritik und Widersprü che
2.3 Zwischenfazit
3. „ worlding “ und „ epistemische Gewalt “
3.1 Die drei Formen postkolonialer Wissenschaftskritik
3.1.1 „ worlding “ - sich die Welt zu eigen machen
3.1.2 Die zwei Bedeutungen von Repräsentation
3.2 Kritik und Widersprü che
4. Perspektiven fü r eine feministisch postkolonial informierte erkenntniskritische Sozialwissenschaft
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Haraways Objektivität im Gegensatz zur aperspektivischen Objektivität
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Zwischen hegemonialen Diskursen: „Can the Subaltern Speak?“
1. Einleitung
„Postkoloniale Untersuchungen sind en vogue“ (Löw 2009: 9). So lautet der erste Satz in dem neu erschienenen Buch von Christine Löw. Dabei handelt es sich um ein transdisziplinäres Forschungsfeld, welches sich in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend in den unterschiedlichsten akademischen Disziplinen etabliert hat. Ursprünglich in den Literatur- und Kulturwissenschaften angesiedelt, finden postkoloniale Konzepte auch vermehrt Eingang in die Sozialwissenschaften. Seit fast drei Jahrzehnten gibt es jedoch ein bevorzugtes Wissensfeld, in dem postkolonialeüberlegungen eine wichtige Rolle spielen: und zwar innerhalb feministischer Theorien. Das Verhältnis von postkolonialer Theorie1 und Feminismus ist einerseits von thematischen und personellenüberschneidungen und andererseits von Spannungen geprägt. Die Spannungen rühren vor allem daher, dass die postkoloniale Theorie nicht automatisch eine Gender-Perspektive mit in ihreüberlegungen integriert. Trotzdem hat eine der zentralen Theoretikerinnen des postkolonialen Paradigmas, Gayatri Chakravorty Spivak, eine dezidiert feministische Agenda. Dementsprechend ist die postkoloniale Theorie nicht unerheblich von feministischen Herausforderungen beeinflusst worden. Andersherum gilt jedoch das Gleiche.
So waren es u.a. postkoloniale Feministinnen, die die Einheitlichkeit der Kategorie Frau kritisierten. Donna Jeanne Haraway hat diese Aufforderung zur Differenz in ihre erkenntnistheoretischenüberlegungen integriert und dennoch stellt sich hier die Frage, ob sie sich damit gegen jegliche Essentialisierungen und Ausschlüsse immunisieren konnte. Welche Spannungen und Schnittmengen zwischen postkolonialem Feminismus und Feminismus lassen sich auch auf dem abstrakten Gebiet der Wissenschafts- und Erkenntniskritik ausfindig machen? Postkoloniale feministische Kritiken eignen sich in diesem Kontext bestens für eine (Selbst-)Überprüfung kritischer sozialwissenschaftlicher - in diesem Fall feministisch erkenntnistheoretischer - Ansätze. Obwohl sowohl Spivak als auch Haraway in ihren erkenntnistheoretischenüberlegungen eine feministische Perspektive einnehmen, kommen sie teilweise zu unterschiedlichen epistemologischen2 Schlussfolgerungen. Wie lässt sich das erklären? Wodurch zeichnet sich eine postkoloniale feministische Erkenntniskritik im Gegensatz zu einer feministischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie aus? Wo weicht eine postkoloniale feministische Wissenschafts- und Erkenntniskritik von einer feministischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie ab und an welchen Stellenüberschneiden sie sich? Die vorliegende Bachelorarbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Position Haraways mit der Erkenntnis- und Wissenschaftskritik Spivaks zu kontrastieren.
Zwar handelt es sich bei den Harawayschen Ausführungen zum situierten Wissen um eine fast schon klassische These, die die Unmöglichkeit einer universalistischen Perspektive in der Wissenschaft postuliert, aber die Einsicht in die Kontextabhängigkeit und Situiertheit des Wissens dient bis heute als Grundlage für Erkenntnis- und Wissenschaftskritik in diversen wissenschaftlichen Arbeitsfelder, darunter auch in der postkolonialen Theorie. In diesem Zusammenhang lautet meine These, dass sowohl Haraway als auch Spivak davon ausgehen, dass die Wissensproduktion kontextabhängig und situiert ist, jedoch unterscheiden sie sich in der genaueren Bestimmung derjenigen Faktoren, die für die Situierung relevant sind. Dieser Unterschied - so meine These - beruht auf den unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Machtverhältnisse, in die die WissensproduzentInnen3 eingebunden sind. Letzteres führt m.E. zu einer differenten Einschätzung darüber, was unter Handlungsfähigkeit und Verantwortung von WissenschaftlerInnen zu verstehen sei. Zudem gehe ich davon aus, dass man ausgehend von der postkolonialen feministischen Vorstellung epistemischer Gewalt, die von Gayatri Chakravorty Spivak stammt, Haraways erkenntnistheoretische Auffassungen auf bestimmte Exklusionen hin untersuchen kann. Der Begriff epistemische Gewalt bezieht sich dabei auf die Ausblendung bestimmter Wissensformen. Die bis heute fortwährende Produktion epistemischer Gewalt zeichnet sich insbesondere durch eine Trivialisierung nicht- westlicher4 Wissensformen aus. Meine These lautet also, dass es Haraway trotz ihres kritischen Anspruchs, den sie mit dem Konzept des situierten Wissens vertritt, nicht gelungen ist, auch alternative, d.h. nicht-westliche, Wissensformen adäquat in ihr Konzept mit zu integrieren. Die feministische postkoloniale Kritik Spivaks fungiert in diesem Sinne als notwendiges Korrektiv für die Harawaysche Wissenschafts- und Erkenntniskritik.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Differenzdebatte, die dem erkenntnistheoretischen Paradigma des situierten Wissens vorausgegangen ist. Es soll in diesem Zusammenhang kurz etwas zu den wesentlichen Ideen feministischer Wissenschafts- und Erkenntniskritik gesagt werden. Das Kapitel 2.1 beschäftigt sich dann konkret mit dem klassischen Konzept des situierten Wissens nach Donna Jeanne Haraway, wobei ihr technowissenschaftlicher Schwerpunkt weitestgehend ausgeblendet wird. Im dritten Kapitel werden die erkenntniskritischen Auffassungen von Spivak analysiert. Dabei liegt der Fokus auf den Begriffen worlding und epistemische Gewalt. Zudem sollen beide Theoretikerinnen kurz in den feministischen (Haraway) und postkolonialen (Spivak) wissenschafts- und erkenntniskritischen Kontext eingeordnet werden. Am Ende des zweiten und dritten Kapitels werden mögliche Kritikpunkte an den jeweiligen Ansätzen formuliert. Im vierten Kapitel sollen die erkenntniskritischen bzw. erkenntnistheoretischenüberlegungen von Haraway und Spivak in einen größeren Kontext gestellt, und gefragt werden, was sich aus den Ergebnissen für eine kritische sozialwissenschaftliche Praxis ableiten lassen könnte. Beendet wird die Arbeit schließlich mit einem Fazit, in dem die wesentlichen Ergebnisse nochmals zusammengefasst werden.
2. Das Problem der Differenz und feministische Wissenschafts- und Erkenntniskritik
Das Konzept des situierten Wissens nach Donna Haraway ist nur zu verstehen, wenn wir uns zuvor vor Augen führen, auf welches Problem Donna Haraway versuchte eine Antwort zu finden.
Die feministische Standpunkttheorie setzte wichtige Impulse für die feministische Wissenschaftskritik frei, denn entgegen dem wissenschaftlichen malestream galt bzw. gilt die soziale Verortung des Wissens, d.h. der Stand ort, als ein Erkenntnisvorteil, denn er kann - im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen - als Ausgangspunkt für eine adäquatere und objektivere Sicht auf die Verhältnisse dienen. Nancy Hartsock war es, die in den 1980er Jahren die feministische Standpunkttheorie begründete. Maßgeblich weiterentwickelt wurde sie u.a. durch Hilary Rose, Sandra Harding und Dorothy Smith. Insbesondere die gesellschaftliche Positioniertheit der Wissensproduzentinnen, also die weibliche Perspektive, rückte hier in das Zentrum der Betrachtung. Die weibliche Erfahrung von Unterdrückung, die aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gemacht werde, eröffne die Möglichkeit der Herausbildung eines feministischen Stand punktes. Letztendlich ist es dieser feministische Stand punkt der einen objektiveren Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichen soll. Ein Stand punkt ist also eine bewusste feministische Positionierung und damit auch eine wissenschaftlich engagierte Position. Der Stand punkt ist jedoch kein Abbild weiblicher Erfahrungen und deshalb ist er auch nicht mit dem Stand ort gleichzusetzen.
Vor allem Schwarze5, postmoderne, aber auch postkoloniale Feministinnen kritisierten die Einheitlichkeit der Kategorie Frau, die mit einem solchen Konzept hergestellt wurde. Die weibliche Erfahrung - so die Auffassung - differenzierte sich nicht nur nach Geschlecht, sondern u.a. auch nach ethnischer Zugehörigkeit und ökonomischer Position in der Gesellschaft (vgl. Amos/Parmar 1984; Mohanty 1991). In diesem Zusammenhang wurden nicht nur den weißen, sondern auch den im Westen - und dadurch privilegierten - Feministinnen of color6 vorgeworfen, „durch die Universalisierung ʽder Frauʼ historische und gegenwärtige Hierarchien zwischen Frauen unsichtbar zu machen und so ihre eigene Kompliz_innenschaft mit […] eben diesen Machtstrukturen zu maskieren“ (Aikins/Franzki 2010: 20). Diese Krise des weiblichen Kollektivsubjekts stellte die feministische Theorie und Praxis vor folgende Fragen: Wie soll feministische Interessenspolitik noch funktionieren, wenn sich die Bezugsgruppe politischer Forderungen zunehmend der Repräsentation entzieht? Und wie ist vor allem feministische Wissens- und Theorieproduktionüberhaupt noch möglich, wenn sich die Kategorie Frau in Differenzen aufzulösen scheint?
Feministische Wissenschaftskritik richtet sich seit den 1980er Jahren gegen die Geschlechtsblindheit, welche sich im dominanten wissenschaftlichen Wissen - von den Sozial- und Geisteswissenschaften bis hin zu den Naturwissenschaften - manifestiert hat. Der Fokus auf das Geschlecht machte es möglich Androzentrismus im Allgemeinen, die Diskriminierung weiblicher Denk- und Lebenserfahrungen im Besonderen „und die männerbündlerische Dominanz in den akademischen Institutionen“ aufzudecken (Singer 2008: 285). Mit der Zeit wurde jedoch klar, „dass das Problem tiefer liegen muss, nämlich in den leitenden Prinzipien des herrschenden Wissenschaftsverständnisses selbst“ (Singer 2008: 285). Es rückten von nun an insbesondere folgende erkenntnistheoretische Fragen in den Vordergrund:über wessen Erkenntnis sprechen wir? In welche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind Erkenntnis und Wissensproduktion eingebunden? Die Debatten um die Differenzen zwischen Frauen, „wie sie durch die postkoloniale und postmodern orientierte Kritik ausgelöst wurden“, fanden und finden immer noch nachhaltige Resonanz in der feministischen Erkenntnistheoriedebatte (Singer 2005: 198). Galt das Geschlecht bis Mitte der 1980er Jahre noch als zentrale Analysekategorie hat die postkoloniale Kritik darauf hingewiesen, dass nur bestimmte Frauen diese Kritik ausübten. Infolge dessen wurde die Forderung nach ʽ starting from womanʼ s livesʼ reformuliert als die Forderung nach ʽstarting from marginal livesʼ (Singer 2005: 198). Es wird also davon ausgegangen, dass „es gesellschaftskritisch gesehen kein herausragendes Kollektiv gibt, das epistemisch eine Sonderstellung […] einnehmen könnte“ (Singer 2005: 198). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass „Unterdrückung im Zusammenspiel und inüberschneidung mehrerer machtvoller sozialer Strukturkategorien […] zu begreifen ist“ (Singer 2005: 199).
Paradigmatisch für eine feministische Erkenntnistheorie ist die These des situierten Wissens. Diese These bezieht sich auf die Wissenssubjekte, auf wissenschaftliches Wissen und auf Wissenschaften an sich. Dabei wird im Gegensatz zur herkömmlichen Erkenntnistheorie davon ausgegangen, dass das Subjekt der Erkenntnis ein empirisch konkretes ist. WissensproduzentInnen befinden sich in einem bestimmten historischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontext. Auch wissenschaftliches Wissen ist daher von unterschiedlichen Denk- und Gesellschaftsverhältnissen, differenten kulturellen Traditionen und verschiedenen sozialen Umwelten geprägt. Nicht zu vergessen seien an dieser Stelle auch die disziplinären Unterschiede, in die das wissenschaftliche Wissen eingebettet ist. Schließlich sind Wissenschaften an sich durch Machtverhältnisse geprägt. Diese Machtverhältnisse lassen sich auf mehreren Ebenen finden: auf der institutionellen Ebene, auf der Ebene der wissenschaftlichen Arbeit und auf der erkenntnistheoretischen Ebene (Singer 2005: 31).
Ausgehend von dieser allgemeinen Bestimmung der These des situierten Wissens soll im Folgenden Haraways konkrete Ausgestaltung jener Annahmen analysiert werden.
2.1 „ Situiertes Wissen “ - eine feministische Vision von Objektivität
Dieses Kapitel stellt das bekannte erkenntnistheoretische Konzept des situierten Wissens von Haraway vor. Dabei liegt der Fokus nicht so sehr auf Haraways wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen mit den Technowissenschaften, sondern auf dem Verhältnis zwischen (wissenschaftlichem) Wissen, Macht und
Ermächtigung, das mit ihrer These des situierten Wissens verbunden ist. In diesem Zusammenhang wird sowohl Haraways biographischer Hintergrund als auch ihre eigene erkenntnistheoretische Position im feministischen Diskurs beleuchtet. An dieser Stelle wird erneut auf den standpunkttheoretischen und postmodernen Feminismus eingegangen, jedoch diesmal aus dezidiert erkenntnistheoretischer Perspektive. Den Abschluss bildet ein kurzerüberblicküber mögliche Schwachstellen ihres Ansatzes.
2.1.1 Die drei Positionen feministischer Erkenntnistheorie
Bekannt wurde Donna Jeanne Haraway als Biologin und Epistemologin mit den Schwerpunkten Wissensgenese und Wissenschaftsgeschichte. Heute lehrt sie an der Universität von Santa Cruz in Kalifornien und an der European Graduate School in der Schweiz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind insbesondere: Feministische Theorie, Wissenschaft und Politik und wissenschaftliche, technologische, medizinische Studien. Diese Arbeit wird sich vorrangig mit den epistemologischen Positionen Haraways auseinandersetzen. Dank der strukturellen Offenheit des US-amerikanischen Universitätssystems war es Haraway seit Beginn ihrer universitären Laufbahn möglich, interdisziplinär zu arbeiten. So studierte sie gleichzeitig Literaturwissenschaften, Zoologie und Philosophie (vgl. Harrasser 2005: 445). Dieser Umstand spiegelte sich auch in ihrer Dissertation, die durch ihren wissenschaftshistorischen und interdisziplinären Schwerpunkt eher an den Grenzen des Faches Biologie angesiedelt war, wider. Nach der Erlangung des Doktortitels wandte sie sich vermehrt feministischer Wissenschaftstheorie und -kritik zu (vgl. Harrasser 2005: 445). In den 1980er Jahren beschäftigte sie sich daher einerseits mit wissenschaftshistorischen und - theoretischen Fragestellungen in der Biologie und andererseits mit feministischer Epistemologie. Der in diesem Kontext erschienene Aufsatz „Situiertes Wissen: Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive“ von 1988 leistete einen bedeutenden Beitrag sowohl für die feministische Wissenschaftskritik als auch für die feministische Epistemologie. Der Aufsatz gilt - in seiner ursprünglichen Form - als Antwort auf Sandra Hardings Buch „The Science Question in Feminism“, welches 1986 erschienen ist (Hammer/Stieß 1995b: 206). Die These des situierten Wissens knüpft dabei an die Objektivitätsdebatte und an die feministische Standpunkttheorie an.
Im Hinblick auf die Diskussionüber feministische Erkenntnistheorien unterscheidet Sandra Harding zwischen folgenden drei Positionen: feministische Standpunkttheorie, feministischer Postmodernismus und schließlich feministischer Empirismus (1987: 3ff.). Dabei geht die Standpunkttheorie davon aus, dass die Perspektive der Frauen - aufgrund ihrer Erfahrungen als Unterdrückte - eine adäquatere und objektivere Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse verspricht. Jedoch sei ein feministischer Standpunkt nicht nur durch die spezifischen Erfahrungen von Frauen gekennzeichnet, sondern auch durch kritische Reflexion und Engagement (vgl. Singer 2008: 288). Ausgangspunkt der feministischen Standpunkttheorie ist also die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern, die sich vor allem in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung widerspiegelt. Der Wissenschaftsprozess wird aus dieser Perspektive als männlich dominiert kritisiert. Daraus erwachse schließlich Exklusion, Ausbeutung und Zerstörung der Natur und Militarisierung (vgl. Singer 2008: 288). Erkenntnisleitend wären folgende Prinzipien: Subjekt-Objekt-Trennung, eine aperspektivische Objektivität7 und die Ausblendung von Subjektivität und Körperlichkeit.
Postmoderne Ansätze fokussieren vor allem auf die Relation zwischen Wissen und Macht. Jedwede wissenschaftliche Erkenntnis sei mit Macht und nicht mit Wahrheit verbunden (vgl. Singer 2008: 298). Es wird nicht mehr nur die Rolle der WissensproduzentInnen in den Blick genommen, sondern auch der gesamte Kontext, in dem die Wissensproduktion von statten geht. Demnach produziert der feministische Standpunkt für postmoderne TheoretikerInnen auch Exklusionen und Essentialismen und ist deswegen abzulehnen. Denn schließlich treten innerhalb feministischer Standpunkte ebenso Differenzen auf, da Wissensansprüche immer „in kulturelle, soziale, ökonomische und politische Verhältnisse“ verwoben sind (Singer 2008: 289). Zudem sind Wissensansprüche abhängig von Raum und Zeit. Folglich sind sie kontingent, instabil, widersprüchlich und anfechtbar. Die WissensproduzentInnen werden in diesem Zusammenhang als dezentrierte Subjekte, die gefangen sind „in einem Netz von Sprache und Bedeutungen, von Unbewusstem und Macht“, konzipiert (Singer 2008: 298).
Der feministische Empirismus hält an einer aperspektivischen Objektivität fest. Der Fokus richte sich dabei nicht auf den Entstehungs- und Entdeckungszusammenhang, sondern auf den Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhang von Wissen (vgl. Singer 2005: 38). Zwar zielt auch der empirische Empirismus auf die Beseitigung von Benachteiligungen für Frauen, aber Machtverhältnisse spielen hier höchstens zwischen den WissensproduzentInnen eine Rolle. So stelle sich in diesem Kontext die Frage, ob Androzentrismus und Sexismus in den Wissenschaften „mit denselben Mitteln bzw. unter denselben epistemologischen Voraussetzungen zu lösen wären, unter denen sie produziert wurden“ (Singer 2005: 38).
Die eben dargestellte Unterscheidung dient - wie eingangs erwähnt - einer allgemeinen Orientierungüber die verschiedenen Strömungen von feministischer Erkenntnis- und Wissenschaftskritik, dieübrigens allesamt das Konzept des situierten Wissens zu ihrem Ausgangspunkt nehmen. Die Hardingsche Kategorisierung ist - wie jede Unterscheidung - idealtypisch konzipiert. Haraway bewegt sich - wie sich noch zeigen wird - eher im Spannungsfeld zwischen feministischer Standpunkttheorie und postmoderner Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.
2.1.2 Wissen(schaft)/Sprache/Macht
Im Folgenden geht es darum, das epistemologische Konzept des situierten Wissens nach Haraway zu erläutern. Es gilt folgende Fragen zu beantworten: Was versteht Haraway unter Wissenschaft? Wie bestimmt Haraway sowohl die Situiertheit des wissenschaftlichen Wissens und der Wissenssubjekte als auch die für die Wissenschaftsanalyse relevanten Faktoren? Welche Relevanz kommt den Wissenssubjekten und denjenigen, die im Wissenschaftsprozess nicht den Status eines Subjekts innehaben zu? Folgt aus dem situierten Wissen notwendigerweise ein Erkenntnisrelativismus oder lassen sich Situiertheit des Wissens mit Objektivitätsansprüchen vereinbaren? Zusammengehalten werden all diese Fragen durch die Verbindung von Wissen, Macht und Ermächtigung, die beim Harawayschen Konzept des situierten Wissens im Vordergrund stehen.
Donna Haraways Konzept des situierten Wissens fiel in eine Zeit, in der konstruktivistisches Denken immer mehr Widerhall in den (US-amerikanischen) Geistes- und Sozialwissenschaften fand (vgl. Engelstad/Gerrard 2005: 2). In dieselbe Zeit fiel auch die immer lauter werdende feministische Kritik, die das Missachten von Frauen im Allgemeinen, weiblicher Perspektiven und Lebenszusammenhänge in der Wissenschaftsproduktion beanstandete. So leitet Haraway ihren Aufsatz mit folgenden Worten ein:
„Die akademische und politisch feministische Forschung hat wiederholt versucht, mit der Frage zurechtzukommen, was wir mit dem seltsamen und unumgehbaren Begriff ,Objektivitätʼ meinen könnten. Wir haben eine Menge giftige Tinte zu Papier verarbeitete Bäume verbraucht, um zu verwerfen, was sie damit gemeint haben, und um deutlich zu machen, wie sehr es uns verletzt“ (1995b: 73).
Das wir steht an dieser Stelle für die feministischen Forscherinnen und das sie für all jene Wissenschaftler und Philosophen, die großzügig mit Geldern und Laboratorien ausgestattet sind. Eben jene Wissenschaftler sind es auch die aus ihrer Machtposition heraus „den Kanon der Wissenschaften kontrollieren“ (Becker-Schmidt 2003: 14). Mit der Trennung zwischen einem wir und sie hebt Haraway auf die geschlechtsspezifischen Hierarchien innerhalb der akademischen Institutionen an. Das sie sei gekennzeichnet durch Inklusion und Macht, das wir hingegen durch Exklusion und Marginalisierung (vgl. Becker-Schmidt 2003: 14). Neben der Kritik auf institutioneller Ebene, erfolgte die Kritik auf erkenntnistheoretischer Ebene aufgrund der Einsicht, dass die Produktion wissenschaftlichen Wissens nicht vom sozialen und kulturellen Kontext, in dem eben jene Wissensproduktion von statten geht, getrennt werden kann. Die Negation dieser Einsicht bedeute die Anwendung eines göttlichen Tricks, der darin bestehe vorzugeben, „alles von nirgendwo aus sehen zu können“, sprich: eine nicht verortete Perspektive, die (nur) scheinbar von nirgendwo sämtliche soziale Phänomene mithilfe ihrer Autorität analysiert und bewertet (Haraway 1995b: 81). Feministische Erkenntnistheorie sei - und hier argumentiert Haraway gemäß Becker-Schmidt ganz im Sinne der standpunkttheoretischen Auffassungen - eben deshalb kritische Theorie und Praxis, weil sie „auf die Ausblendung des Faktums reagiert, dass Frauen im Wissenschaftsbetrieb der Konfrontation mit den Konstruktionen von Weiblichkeit kaum entgehen können, während Männer sich und ihresgleichen so behandeln, als seien sie in der Forschung objektiv. Dass ihre Sichtweisen keineswegs geschlechtsneutral sind, kommt ihnen nicht zu Bewusstsein“ (2003: 14).
Haraway kritisiert diejenige Wissensproduktion, die die Asymmetrie innerhalb der Wissenschaften reproduziert und verfestigt. Dabei hebt sie auf die westliche, weiße und männlich dominierte Vorstellungen von Forschung und wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn ab. Im Gegensatz dazu entwirft sie ein Wissenschaftskonzept, das den intervenierenden und verändernden Charakter derselbigen in den Vordergrund rückt.
[...]
1 Was im Allgemeinen unter postkolonialer Theorie zu verstehen ist, werde ich im Kapitel 3.1 klären.
2 Epistemologie verstehe ich nicht nur im Sinne der Lehre darüber, was wissenschaftliches Wissen ist und wie es entsteht, sondern auch im Sinne eines Bereiches, in dem politische und ethische Fragen gestellt werden. Die politische Dimension umfasst dabei u.a. die Fragen nach dem Subjekt- und Objektstatus und wer für wen im Wissenschaftsbetrieb spricht. Die ethische Dimension spreche die Verantwortung und Handlungsfähigkeit der WissenschaftlerInnen an (vgl. Singer 2005: 32).
3 In der vorliegenden Arbeit wähle ich die Schreibweise mit großem Binnen-I, bei der gleichzeitig die männliche Form des jeweiligen Substantivs mitgemeint ist. Außerdem verwende ich die Begriffe WissenproduzentIn(nen), Wissenssubjekt(e) und Intellektuelle(r) synonym.
4 In Anlehnung an Stuart Hall verwende ich die Begriffe „westlich“ und den „Westen“ als komplexe Vorstellungen, dieüber geographische Horizonte hinausgehen. Der „Westen“ ist dementsprechend mit der Vorstellung von einem entwickelten, urbanen, kapitalistischen, modernen, säkularisierten und industrialisierten Gesellschaftstypus, der ein historisches Konstrukt darstellt, verbunden. Unter „nicht- westlich“ ist dementsprechend diejenige Entwicklungsstufe gemeint, die nicht diesen Vorstellungen entspricht. Siehe dazu: Stuart Hall (1994): Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht. In: Ders.: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg, S. 137-179.
5 Die kritische Weißseinsforschung hat bei den Bezeichnungen „Schwarz“ und „weiß“ eine unterschiedliche Groß- und Kleinschreibung eingeführt. Letzteres soll darauf hinweisen, dass es sich bei beiden Bezeichnungen nicht einfach um Gegensätze handelt. Es soll damit klar gemacht werden, „dass Weißsein als unkonnotierter, dominanter Marker, als privilegierte, aber unreflektierte Wissensperspektive fungiert, während Schwarz[sein] in diesem Kontext eine bewusste, politische Selbstpositionierung bezeichnet“ (Eggers 2006, zitiert nach Aikins/Franzki 2010: 20).
6 Bei „People of Color“ handelt es sich laut Aikins und Franzki um eine Selbstbezeichnung von „Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft bzw. ihrer gesellschaftlichen Positioniertheit in Europa sowie in den aus Siedlungskolonien hervorgegangenen, weiß-dominierten Gesellschaften der Amerikas sowie des Pazifiks Rassismuserfahrungen machen. Der Begriff bezeichnet keine biologisierte, sondern eine politische Kategorie, die der Benennung von Hierarchien sowie der politischen Bündnisbildung dient. Als solche unterliegt sie Veränderungen und Neuaushandlungen, die vermehrt auch in Deutschland zur postkolonialen Theoriebildung beitragen“ (2010: 20).
7 Unter aperspektivischer Objektivität ist das immer noch dominante Objektivitätsverständnis in der heutigen Wissenschaftslandschaft zu verstehen: „Sie richtet sich gegen individuelle und kollektive Eigenarten und Interessen, Vorurteile und perspektivische Beschränktheit“ (Singer 2005: 67). Aperspektivische Objektivität bezeichnet eiʽSicht von nirgendwoʼ, was impliziert, d ass die Perspektivität einzelner Individuen als Vorurteil gefasst und abgelehnt wird (Singer 2005: 67).