Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1 Grundlagen und Wesensmerkmale der LCR
1.1 Rechtliche Grundlagen
1.2 Definition
1.3 Einzelne Parameter der Kennzahl
2 Kritische Analyse potentieller Maßnahmen zur LCR-Steuerung
2.1 Maßnahmen zur Steuerung des Liquiditätspuffers
2.2 Maßnahmen zur Steuerung der Mittelabflüsse
2.3 Maßnahmen zur Steuerung der Mittelzuflüsse
3 Handlungsempfehlungen für die LCR-Steuerung in der Praxis
4 Fazit
Anhangverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Quotient der LCR-Kennzahl
Abbildung 2: Ausgewählte Kategorien der Zahlungsmittelzuflüsse
Abbildung 3: Steuerung der LCR durch Parameterveränderungen
Abbildung 4: Zusammensetzung des Liquiditätspuffers
Abbildung 5: Ausgewählte Kategorien der Zahlungsmittelabflüsse
Einleitung
Die im Jahr 2007 einsetzende weltweite Finanzkrise stellte viele Banken vor existenzbedrohende Situationen. Hohe Fremdkapitalquoten, eine in Höhe und Qualität erodierende Eigenkapitalbasis und unzureichende Liquiditätspolster führten dazu, dass das gegenseitige Vertrauen in Zahlungsfähigkeit und Liquiditätsausstattung an den Finanzmärkten verloren ging.[1]Damit einhergehend bestand plötzlich nicht mehr die Möglichkeit, die benötigte Liquidität in gewohnt hohem Umfang zu vergleichsweise günstigen Konditionen kurzfristig zu refinanzieren, um somit die vielfach betriebene positive Fristentransformation aufrecht zu erhalten.[2]Es entstand ein bisher unbekannter Engpass an Liquidität am Interbankengeldmarkt.[3]
Um unter diesen extremen Bedingungen die Zahlungsbereitschaft von Kreditinstituten sicherzustellen, reagierten die Zentralbanken seinerzeit mit massiven Liquiditätshilfen sowie Zinssenkungen. Die Krise hat verdeutlicht, dass zusätzlich zum bestehenden aufsichtsrechtlichen Regelwerk weitere Instrumente zur Abfederung von weltweiten Liquiditätsschocks benötigt werden.[4]Im Jahr 2010 verabschiedete der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht zur Stärkung der Finanzmärkte ein Reformpaket - auch unter dem Begriff Basel III bekannt - mit einer Reihe von globalen aufsichtsrechtlichen Anforderungen, unter anderem erstmals eine harmonisierte kurzfristige Mindestliquiditätsquote.[5]
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, diese kurzfristige Mindestliquiditätsquote - auch als Liquidity Coverage Ratio bekannt und im weiteren Verlauf dieser Arbeit als LCR bezeichnet - im Wesentlichen vorzustellen, mögliche Maßnahmen zur Steuerung dieser Kennzahl abzuleiten und kritisch zu würdigen. Vor diesem Hintergrund wird die LCR im ersten Teil der Arbeit in ihren Grundzügen vorgestellt. Darauf aufbauend erfolgt im zweiten Teil eine kritische Analyse möglicher Steuerungsmaßnahmen, während im dritten Teil die Ergebnisse beurteilt und Empfehlungen für die Praxis gegeben werden. Schließlich endet die Arbeit mit einem Fazit.
1. Grundlagen und Wesensmerkmale der LCR
1.1 Rechtliche Grundlagen
Den Grundstein zur verpflichtenden Einführung einer harmonisierten quantitativen Liquiditätsdeckungsanforderung für Kreditinstitute in Europa legte das Inkrafttreten der EU-Verordnung Nr. 575/2013 (CRR) vom 26 Juni 2013.[6]Mit diesem Rechtsakt wurden wesentliche Empfehlungen der Baseler Konsultationspapiere[7]in europäisches Recht überführt und die neuen Basel-III-Liquiditätsrichtlinien ratifiziert.[8]In Verbindung mit §1a KWG findet die CRR verbindliche Anwendung in Deutschland.
Die kodifizierten Liquiditätsdeckungsanforderungen der CRR sind durch die am 17. Januar 2015 veröffentlichte delegierte EU-Verordnung Nr. 2015/61 (DelVO) präzisiert und ergänzt worden. Dabei berücksichtigte die EU-Kommission Inhalte des zwischenzeitlich überarbeiteten Liquiditätsrahmenwerkes des Baseler Ausschusses[9]sowie der jüngsten Empfehlungen der EBA[10]hinsichtlich der zukünftigen Ausgestaltung der LCR.[11]Die delegierte EU-Verordnung gilt seit dem 01. Oktober 2015 und bildet den derzeit gültigen rechtlichen Rahmen der LCR.[12]
1.2 Definition
Die LCR ist eine Mindestliquiditätsquote zur Regulierung des kurzfristigen Liquiditätsrisikos[13].[14]Als quantitativer aufsichtsrechtlicher Standard beschreibt diese das relative Verhältnis aus einem Liquiditätspuffer an hoch liquiden Aktiva - nachfolgend als HQLA bezeichnet - zu den Nettozahlungsmittelabflüssen eines Kreditinstitutes während einer aufsichtsrechtlich definierten Stressphase[15]von 30 Kalendertagen.[16]
Ziel der LCR ist es, die Widerstandskraft des Finanzsektors zu stärken.[17]Dazu soll einerseits das kurzfristige Zahlungsunfähigkeitsrisiko von Kreditinstituten reduziert und andererseits übermäßige Rückgriffe auf die (Interbanken-) Marktliquidität eingedämmt werden.[18]
Abbildung Nr. 1 zeigt, dass zur vollständigen Erfüllung der LCR-Kennzahl die erwarteten Nettozahlungsmittelabflüsse den Liquiditätspuffer an HQLA im 30-tägigen Stressszenario nicht überschreiten dürfen. Die erwarteten Nettozahlungsmittelabflüsse berechnen sich aus dem Saldo der erwarteten Zahlungsmittelabflüsse und der erwarteten Zahlungsmittelzuflüsse. Letztere sind mit max. 75 % der Zahlungsmittelabflüsse anrechenbar, was zu einem mindestens vorzuhaltenden Liquiditätspuffer von 25 % führt.[19]Die erwarteten Zahlungsmittelzu- und -abflüsse werden im weiteren Verlauf der Arbeit vereinfachend als Mittelzu- und -abflüsse bezeichnet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Quotient der LCR-Kennzahl[20]
Der Bestand an HQLA soll Kreditinstituten während der Stressphase die Möglichkeit bieten, durch schnelle Umwandlung in Barmittel die Zahlungsfähigkeit über mindestens 30 Kalendertage aufrechtzuerhalten, ohne zusätzliche Liquidität der Zentralbank oder staatliche Hilfsmittel in Anspruch nehmen zu müssen.[21]Folglich bemisst sich der Umfang des stets vorzuhaltenden Liquiditätspuffers an der Höhe der Nettomittelabflüsse.[22]
Das 30-tägige Stressszenario der LCR kombiniert marktweite und idiosynkratische Schocks, basierend auf Erfahrungswerten der in 2007 einsetzenden Finanzmarktkrise, und umfasst insbesondere folgende Sachverhalte:
- Die Herabstufung des Ratings des Kreditinstitutes um drei Stufen,
- der partielle Verlust von Privat- und Großkundeneinlagen,
- eine erschwerte Refinanzierung am Geld- und Kapitalmarkt,
- eine unerwartete Inanspruchnahme von eingeräumten Kreditlinien sowie
- gesunkene Marktwerte der HQLA.[23]
Durch Marktwertabschläge - nachfolgend als Haircut bezeichnet - innerhalb des Liquiditätspuffers und unterschiedlich hohe Anrechnungsfaktoren für die Mittelab- und zuflüsse wird der unterstellte Stressfall operationalisiert.[24]
Am 01. Oktober 2015 startete für europäische Kreditinstitute die tägliche Erfüllungspflicht der LCR mit einer Mindestquote in Höhe von 60 %, welche bis zum 01. Januar 2018 sukzessive auf 100 % ansteigt.[25]In Stressphasen ist allerdings eine Unterschreitung der Mindestanforderungen zulässig.[26]Die Meldung der LCR erfolgt im monatlichen Turnus an die zuständige Aufsichtsbehörde.[27]
1.3 Einzelne Parameter der Kennzahl
Wie in Abbildung Nr. 1 dargestellt, sind der Liquiditätspuffer und die Nettomittelabflüsse, bestehend aus Mittelab- und -zuflüssen, zu unterscheiden. Diese einzelnen Parameter der LCR werden nachstehend näher betrachtet.
Liquiditätspuffer (Bestand an HQLA)
Die Summe aller Marktwerte der HQLA eines Kreditinstitutes bildet den Liquiditätspuffer der LCR. Dazu zählen - vereinfacht gesprochen[28]- Zentralbankguthaben, Bargeld sowie hoch liquide Wertpapiere, klassifiziert nach deren Liquiditätsgrad in Aktiva der Stufen 1 und 2.[29]Hierbei hat es sich um lastenfreie HQLA zu handeln, da Kreditinstitute nicht durch beispielsweise rechtliche oder vertragliche Einschränkungen daran gehindert sein dürfen, diese direkt zu verkaufen, zu übertragen oder im Rahmen eines Pensionsgeschäftes zu veräußern.[30]Darüber hinaus zeichnen sich die HQLA unter anderem durch geringfügige Kredit- und Marktrisiken sowie das Vorhandensein eines aktiven liquiden Marktes aus.[31]
Der unterschiedlichen Liquidität und Kreditqualität der HQLA wird mittels vermögenswertabhängiger Haircuts (Prozentwerte von 0 % bis 50 %)[32]Rechnung getragen. Dabei erfahren die Marktwerte weniger liquider Aktiva vergleichsweise höhere Haircuts, welche im Ergebnis zu einer geringeren Anrechenbarkeit zum Liquiditätspuffer führen.[33]
Zahlungsmittelabflüsse
Die erwarteten Mittelabflüsse des 30-tägigen Stressszenarios resultieren in erster Linie aus bilanziellen Verbindlichkeiten und außerbilanziellen Eventualverbindlichkeiten. Diese sind in unterschiedliche produkt- und kundengruppenbezogene Abflusskategorien gegliedert.[34]
Durch Multiplikation der kumulierten Abflussbeträge der jeweiligen Abflusskategorien mit den entsprechenden Abflussfaktoren (Prozentsätze von 0 % bis 100 %)[35]werden produkt- bzw. kundengruppenspezifische fiktive Zahlungsmittelabflüsse generiert. Die Höhe der Abflussfaktoren bemisst sich an der voraussichtlichen Inanspruchnahme bzw. dem eventuellen Abzug der jeweiligen Abflusskategorie während der unterstellten Stressphase.[36]Ein hoher Abflussfaktor bedeutet, dass es sich um weniger stabile Einlagen handelt und umgekehrt.[37]Erhöhte Mittelabflüsse führen zu einer Verschlechterung der LCR.
Zahlungsmittelzuflüsse
Verschiedene Kategorien werthaltiger vertraglicher Forderungen, welche im 30-tägigen Stressszenario höchstwahrscheinlich zufließen, bilden in Verbindung mit den jeweiligen Zuflussfaktoren die erwarteten Mittelzuflüsse.[38]Zu diesen Forderungen zählen vorwiegend Zahlungsansprüche gegenüber Privat-, Geschäfts- und Finanzkunden aus fälligen Wertpapieren, leistungsintakten Krediten und Derivategeschäften.[39]Analog zu den Mittelabflüssen werden bei den Mittelzuflüssen unterschiedliche Zuflussfaktoren unterstellt. Abbildung Nr. 2 verdeutlicht, dass diese unter anderem, je nach Kundengruppe, ebenfalls zwischen 0 % und 100 % variieren.
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Abbildung2: Ausgewählte Kategorien der Zahlungsmittelzuflüsse[40]
Höhere Zuflussfaktoren bewirken abnehmende Nettomittelabflüsse und führen zu einer Verbesserung der LCR.
Kritische Analyse potentieller Maßnahmen zur LCR-Steuerung
Aufbauend auf der Betrachtung der Grundlagen und Wesensmerkmale der LCR sollen in diesem Kapitel deren potentielle Steuerungsmöglichkeiten untersucht und anschließend kritisch analysiert werden. Bislang ist festzuhalten, dass die LCR abhängig von drei variablen Parametern ist. Abbildung Nr. 3 veranschaulicht, welche Auswirkungen einzelne Parameterveränderungen bei ansonsten unveränderten Bedingungen auf die Höhe der LCR haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Steuerung der LCR durch Parameterveränderungen[41]
Es wird deutlich, dass die Möglichkeit zur Steuerung der LCR darin besteht, die Höhe der einzelnen Parameter durch Maßnahmen zu beeinflussen.
Im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtung der potentiellen Maßnahmen zur Steuerung der Parameter stehen drei Kriterien: Die Auswirkungen auf die LCR, mögliche Kosten und deren Realisierbarkeit. Das Ziel der nachstehend beschriebenen Maßnahmen ist die Verbesserung der LCR. Möglichkeiten zur Reduktion der Kennzahl gehen vereinzelt mit den folgenden Maßnahmen reziprok einher.
1.4 Maßnahmen zur Steuerung des Liquiditätspuffers
Der Bestand an HQLA des Liquiditätspuffers lässt sich durch unterschiedliche Maßnahmen erhöhen. Eine Möglichkeit besteht darin, eineErhöhung der Bargeldbestände und/ oder des Zentralbankguthabensvorzunehmen. Eine vergleichsweise einfache und kurzfristige Realisierbarkeit ist durch die tägliche Liquiditätsdisposition der Kreditinstitute gegeben, jedoch sind bei Erhöhung der Bargeldbestände institutsspezifische Aspekte, wie etwa Tresorkapazitäten oder dispositiver Aufwand, zu berücksichtigen. Zu den damit verbundenen Kosten zählen im Wesentlichen die von Kreditinstituten zu entrichtende Versicherungsprämie[42]für Bargeldbestände sowie der aktuell negative Zinssatz der Einlagefazilität[43]für Zentralbankguthaben. Da es sich nach Abbildung Nr. 4 hierbei um Aktiva der Stufe 1 handelt und somit kein Haircut den Anrechnungsbetrag reduziert und keine aufsichtsrechtlichen Strukturvorgaben den Anteil am Liquiditätspuffer begrenzen, besitzt diese Maßnahme uneingeschränkt positive Wirkung auf die Höhe des Liquiditätspuffers.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung4: Zusammensetzung des Liquiditätspuffers[44]
Eine weitere Option zur Erhöhung des Liquiditätspuffers ist derErwerb von pufferfähigen Wertpapieren in den Eigenbestand der Kreditinstitute. Die kurzfristige Umsetzung bei in der Regel zweitägiger Valuta ist ebenfalls möglich. Im Unterschied zum Bargeld ist hier jedoch zu beachten, dass die Wertpapiere Marktwertschwankungen unterliegen, welche deren Anrechenbarkeit entsprechend beeinflussen.
Eine Alternative zum Erwerb stellt dieunbesicherte Wertpapierleihe von pufferfähigen Wertpapierendar. Hierbei werden von Kreditinstituten Wertpapiere liquiditätsneutral - mit Ausnahme einer Prämienzahlung - ver- bzw. entliehen. Bei Leihegeschäften mit vertraglicher Laufzeit von größer 30 Kalendertagen profitiert der Entleiher von der Erhöhung des Liquiditätspuffers um den Marktwert des entliehenen Wertpapiers. Kreditinstitute mit überschüssigen Beständen an pufferfähigen Wertpapieren haben durch das Verleihen die Möglichkeit, Zusatzerträge zu generieren und die LCR gleichzeitig zu reduzieren.[45]
Als pufferfähige Wertpapiere sind öffentliche Anleihen der Aktiva Stufe 1 vorrangig zu empfehlen, da sie in unbegrenzter Höhe im Liquiditätspuffer anrechenbar sind. Diese werden jedoch mit deutlichen Preisunterschieden am Kapitalmarkt gehandelt, teilweise sogar mit negativen Renditen.[46]Kreditinstitute können die LCR kostengünstiger erhöhen, wenn sie den Anteil von Aktiva der Stufe 2 maximieren, da diese oftmals risikoreicher und weniger liquide sind und somit im Vergleich zu Aktiva der Stufe 1 eine höhere Rendite besitzen.[47]Einer übermäßig starken Gewichtung dieser ertragreicheren Aktiva sind jedoch durch die Strukturvorgaben des Liquiditätspuffers Grenzen gesetzt, nicht zuletzt um Regulierungsarbitrage zu vermeiden und der operationellen Anforderung zur ausgewogenen Diversifizierung des HQLA-Portfolios unter Liquiditätsaspekten nachzukommen.[48]
Eine weitere Handlungsempfehlung im Zusammenhang mit dem Liquiditätspuffer ist, nicht pufferfähige Wertpapiere - häufig gehandelte unbesicherte Finanzanleihen, sofern sie den Status der Notenbankfähigkeit besitzen - anstelle von HQLA zum Zwecke der Liquiditätsbeschaffung als Sicherheiten für Offenmarktgeschäfte der Zentralbanken zu hinterlegen.
Alle vorgenannten Maßnahmen ermöglichen eine kurzfristige sowie prospektive Steuerung des Liquiditätspuffers und somit der LCR. Jedoch belasten die hierbei entstehenden Opportunitätskosten den Zinsüberschuss der Kreditinstitute in Form von niedrigeren und zum Teil negativen Ergebnisbeiträgen, im Vergleich zu einem nicht pufferfähigen Investment.
1.5 Maßnahmen zur Steuerung der Mittelabflüsse
Nachdem mögliche Maßnahmen zur Steuerung des Liquiditätspuffers aufgezeigt wurden, erfolgt nun eine Untersuchung potentieller Maßnahmen zur Beeinflussung der Mittelabflüsse.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung5: Ausgewählte Kategorien der Zahlungsmittelabflüsse[49]
Abbildung Nr. 5 lässt erkennen, dass die bei der Ermittlung der Mittelabflüsse anzunehmenden Abflussfaktoren unmittelbar von der Art der Verbindlichkeiten abhängen. Privatkundeneinlagen sind mit einem vergleichsweise niedrigen Abfluss verbunden. Diese haben sich mit Blick auf etwaige Einlagenabzüge während einer Stressphase als besonders krisenfest erwiesen und werden aufgrund dessen mit geringeren Abflussfaktoren privilegiert.[50]Folglich ist es sinnvoll,Verbindlichkeiten gegenüber Privatkunden durch gezielte Kundenakquise zu steigern, um gleichzeitig Verbindlichkeiten mit höheren Abflussfaktoren zu reduzieren. Dieses Maßnahmenpaket reduziert in Summe die Mittelabflüsse.
Gelingt es den Kreditinstituten beispielsweise Verbindlichkeiten gegenüber Finanzkunden mit einem Abflussfaktor von 100 % durch Privatkundeneinlagen mit einem Abflussfaktor zwischen 3 % und 20 % zu ersetzen, führt dies zu einer Entlastung der Mittelabflüsse zwischen 97 % und 80 %[51]. Dieser Sachverhalt lässt Privatkundeneinlagen aus Sicht der Kreditinstitute attraktiver erscheinen und fördert den bereits bestehenden (Preis-) Wettbewerb um Kundeneinlagen.[52]Daher wird das Halten bzw. die Akquise von Privatkundeneinlagen als Maßnahme zur Reduzierung der Mittelabflüsse in einem bereits ausgeschöpften Marktumfeld vermutlich nur bedingt und in Verbindung mit Opportunitätskosten realisierbar sein.
Weiterhin ist aus Abbildung Nr. 5 ersichtlich, dass Verbindlichkeiten mit einer Kapitalbindungsdauer von mehr als 30 Kalendertagen einem Abflussfaktor von 0 % unterliegen.[53]Daraus lässt sich als weitere Maßnahme, mit dem Ziel die Mittelabflüsse ebenfalls zu reduzieren,die Umschichtung von kurzfristig gebundenen Einlagen in Verbindlichkeiten mit längerer Kapitalbindungsdauerableiten. Einlagen mit beispielsweise einer vertraglichen Kündigungsfrist von größer 30 Kalendertagen ohne vorzeitige Verfügungsmöglichkeiten wären denkbar.
Bei einer normalen Zinsstrukturkurve ist die Refinanzierung über längerfristige Verbindlichkeiten jedoch mit einem erhöhten Zinsaufwand verbunden. Außerdem werden die Einleger unter Umständen nicht oder nur bei deutlich höheren Habenzinsen bereit sein, kurzfristig gebundene Einlagen längerfristig anzulegen. Angesichts des - insbesondere bei Universalkreditinstituten wie Sparkassen - häufig kleinteiligen Einlagengeschäftes kann eine derartige Maßnahme vergleichsweise kosten- und zeitaufwendig sein. Letzten Endes begrenzt die LCR somit die kurzfristige Fristentransformation, indem sie die kurzfristigen Refinanzierungen mit Laufzeiten von bis zu 30 Kalendertagen einschränkt.[54]
Darüber hinaus ist die Ergebniswirkung, insbesondere beim Versuch der Umschichtung von privilegierten Privatkundeneinlagen, als gering anzusehen. Beispielsweise führt bei Privatkunden die Umschichtung einer stabilen Sichteinlage mit einem Abflussfaktor von 5 % in ein einjähriges Festgeld (Abflussfaktor 0 %) zu einer verhältnismäßig geringen Reduktion der Mittelabflüsse. Einfacher umsetzbar und mit gleichzeitig deutlich größerer Wirkung den Mittelabfluss zu reduzieren, ist ein solches Vorhaben im Interbankengeschäft. Bei einem Abflussfaktor von 100 % für innerhalb der nächsten 30 Kalendertage fällige Verbindlichkeiten von Finanzkunden sind entlastende Effekte bei den Mittelabflüssen von bis zu 100 %[55]möglich. Allerdings hat ein solches Vorhaben reziproke Auswirkungen auf die Mittelabflüsse des kontrahierenden Kreditinstitutes. Dies kann dazu führen, dass derartige Geschäfte nicht oder nur unter erhöhten Zinssätzen zustande kommen.
Besonderes Augenmerk hinsichtlich der Mittelabflüsse ist aufunerwartete Zahlungseingänge von innerhalb der nächsten 30 Kalendertage fälligen Einlagenzu richten. Diese führen - trotz grundsätzlich liquiditätserhöhender Wirkung - aufgrund der anzunehmenden Abflussfaktoren dazu, dass die Mittelabflüsse, insbesondere bei hohen Transaktionsvolumen, sprunghaft ansteigen. Umgekehrt führen unvorhersehbare Zahlungsausgänge zu einer Reduzierung der Mittelabflüsse. Dieser Sachverhalt stellt hohe Anforderungen an den Datenhaushalt im Zahlungsverkehr sowie die Liquiditätsdisposition der Kreditinstitute und lässt sich nur bedingt vorausschauend steuern.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass verschiedene Maßnahmen im Kunden- und Interbankengeschäft zur Steuerung der Mittelabflüsse ergriffen werden können. Diese sind ebenfalls mit (Opportunitäts-) Kosten in Form von Zins- bzw. Personal- und Sachaufwand verbunden. Eine kurzfristige und prospektive Steuerung der Mittelabflüsse und somit der LCR erscheint jedoch nur eingeschränkt möglich.
1.6 Maßnahmen zur Steuerung der Mittelzuflüsse
Eine Möglichkeit zur Erhöhung der Mittelzuflüsse besteht darin,Wertpapiere und/ oder Kundenkredite mit regelmäßigen Zins- bzw. Tilgungszahlungen zu erwerben bzw. zu vereinbaren.Im Kundengeschäft wird hierfür der vertriebliche Fokus primär auf Annuitäten- oder Tilgungsdarlehen mit regelmäßigen Mittelzuflüssen ausgerichtet, weniger auf endfällige Kredite.[56]Diese Maßnahmen sind mit keinen wesentlichen Kosten verbunden und lassen sich vergleichsweise einfach realisieren. Jedoch ist das Marktangebot an entsprechenden Wertpapieren bzw. das Kundeninteresse zu berücksichtigen.
[...]
[1]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2011), S. 1 f.
[2]Vgl. Salm & Goodfellow (2013), S. 7 sowie BCBS (Hrsg.) (2013), Rn. 2, S. 1.
[3]Vgl. Sachverständigenrat (2008), S. 140.
[4]Vgl. Sachverständigenrat (2008), S. 129-131 und S. 143.
[5]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2010), S. 1-3.
[6]Vgl. BaFin (Hrsg.) (2013), S. 17 und 71.
[7]BCBS (Hrsg.) (2010) sowie BCBS (Hrsg.) (2011).
[8]Vgl. Salm & Goodfellow (2013), S. 2.
[9]BCBS (Hrsg.) (2013).
[10]EBA (Hrsg.) (2013a) sowie EBA (Hrsg.) (2013b).
[11]Vgl. Cluse & Farruggio & Leonhardt (2015), S. 2.
[12]Vgl. Art. 39 DelVO.
[13]„Unter Liquiditätsrisiken werden Gefahren einer Zahlungsunfähigkeit sowie Risiken aus Ungleichgewichten der Laufzeitstruktur von Aktiva und Passiva verstanden.“ (DekaBank (Hrsg.) (2014a), S. 70).
[14]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2013), S. 1 f.
[15]„„Stress“ eine plötzliche oder erhebliche Verschlechterung der Solvenz oder Liquidität eines Kreditinstituts aufgrund von Veränderungen in den Marktbedingungen oder spezifischen Faktoren.“ (Art. 3 Rn. 11 DelVO).
[16]Vgl. Seifert (2012), S. 305 sowie Rn. 3 DelVO.
[17]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2013), Rn. 1, S. 1.
[18]Vgl. Seifert (2012), S. 314 sowie Rn. 100, S. 18 CRR.
[19]Vgl. Haves (2015), S. 50.
[20]In Anlehnung an Art. 4, Abs. 1 u. Art. 20 u. Art. 33, Abs. 1 DelVO.
[21]Vgl. Rn. 3, S. 1 f. DelVO.
[22]Vgl. Seifert (2012), S. 309.
[23]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2013), S. 6 f. sowie Art. 5 DelVO.
[24]Vgl. Seifert (2012), S. 318.
[25]Vgl. Art. 38, Abs. 1 DelVO.
[26]Hervorgerufen durch den Verkauf von HQLA zur Bedienung der Nettozahlungsmittelabflüsse (vgl. Art. 4, Abs. 3 DelVO). Der zuständigen Aufsichtsbehörde ist eine Unterschreitung unverzüglich anzuzeigen sowie ein Plan zur raschen Wiedereinhaltung der Mindestquote vorzulegen (vgl. Art. 414 CRR).
[27]Vgl. Art. 415 CRR.
[28]Für eine detaillierte Betrachtung siehe Kapitel 2.1.
[29]Vgl. Ingerfurth & Heumüller & Hager (2012).
[30]Vgl. Art. 7 DelVO.
[31]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2013), S. 7-10.
[32]Siehe Kapitel 2.1.
[33]Vgl. Rn. 4, S. 2 DelVO.
[34]Vgl. Heidorn & Schmaltz & Schröter (2011), S. 31 sowie Seifert (2012), S. 316 sowie Andrae & Fiedler (2013).
[35]Siehe Kapitel 2.2.
[36]Vgl. Seifert (2012), S. 316 f. sowie Andrae & Fiedler (2013) sowie Salm & Goodfellow (2013), S.9.
[37]Vgl. Salm & Goodfellow (2013), S. 9.
[38]Vgl. Seifert (2012), S. 334 sowie Art. 32, Abs. 1 DelVO.
[39]Vgl. Bohn (2014), S. 509 sowie Heidorn, et al. (2011), S. 32.
[40]In Anlehnung an Art. 32 DelVO.
[41]Eigene Darstellung.
[42]Für die Versicherung von Bargeldbeständen wird eine Prämie von ca. 0,1785 % p.a. fällig (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung:Geld im Tresor statt bei der EZB, 03.03.2016).
[43]Zinssatz für Einlagefazilität: -0,40 % p.a., seit 16.03.2016 (vgl. EZB (Hrsg.) (2016)).
[44]In Anlehnung an Art. 10-17 DelVO.
[45]Vgl. DekaBank (Hrsg.) (2014b).
[46]Im April 2016 notierten zeitweise die Renditen von Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit bis einschließlich 8 Jahre im negativen Bereich.
[47]Vgl. Andrae & Fiedler (2013).
[48]Vgl. Art. 8, Abs. 1 DelVO sowie Cluse & Farruggio & Leonhardt (2015), S.7.
[49]In Anlehnung an Art. 22-31 DelVO.
[50]Vgl. BCBS (Hrsg.) (2013), S. 24.
[51]Bezogen auf das jeweilige Einlagenvolumen.
[52]Vgl. Salm & Goodfellow (2013), S. 12.
[53]Eine Ausnahme bilden Verbindlichkeiten, die durch eine - im Vergleich zur Verzinsung - geringe Strafzahlung seitens der Einleger vorzeitig abgezogen werden können. Diese unterliegen einer Abflussquote von 5 % bzw. 10 % (vgl. Art. 25, Abs. 4 DelVO).
[54]Vgl. Andrae & Gruber (2012).
[55]Bezogen auf das jeweilige Einlagenvolumen.
[56]Vgl. Salm & Goodfellow (2013), S. 12.