Ein psychologisches Modell für Juristen zur Prüfung der Schuldfähigkeit Jugendlicher


Seminararbeit, 2004

23 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Forensischen Psychiatrie früher und heute
2.1. Die Entwicklung der forensischen Psychiatrie im historischen Kontext
2.2 Die Praxis psychiatrisch-psychologischer Begutachtung – Rechte und Pflichten der Sachverständigen

III. Das Gutachten
3.1. Der Aufbau
3.2. Prüfung strafrechtlicher Verantwortlichkeit Jugendlicher gemäß § 3 JGG – Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit

IV. Probleme und Fehler bei der Gutachtenerstellung allgemeiner Art und spezieller Art im Hinblick auf die psychiatrisch-psychologische Begutachtung Jugendlicher

V. Zusammenfassung

I. Einleitung

Die Prüfung der Schuldfähigkeit unterliegt einer Vorgehensweise, die sich das Wissen und die Sachkenntnis der Bereiche der Juristerei und der Psychiatrie zu Nutze machen muss. Diese Interdisziplinarität kann dann gewinnbringend sein, wenn man z.B. einen Einblick in die Arbeitsweisen des jeweils anderen Gebietes hat, wenn man sein Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit schärft und aus den Erfahrungen - positiv wie negativ - seinen Nutzen zieht.

Das Anliegen dieser Arbeit soll es sein, die Verfahrensweise eines Sachverständigen im Rahmen der Begutachtung Jugendlicher unter dem besonderen Augenmerk der Prüfung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit darzustellen, so z.B. die Aufgaben der Gutachter und die Grenzen ihrer Tätigkeit. Verbunden damit sind Probleme, die sich aus der bereits angesprochenen Interdisziplinarität ergeben. Auf dieses Problemfeld soll hier u.a. näher eingegangen werden, um - wie zuvor erwähnt -, alle Beteiligten an diesem Prozess der Prüfung der Schuldfähigkeit Jugendlicher zu sensibilisieren. In diesen Kontext werden relevante Gesichtspunkte aus der Reformdiskussion zur Novellierung des JGG aufgegriffen und eingearbeitet.

Im Hinblick auf die Bearbeitung des Themas werden jegliche andere Aspekte der Sachverständigentätigkeit, z.B. Beauftragung zur Gutachtenerstellung durch Privatpersonen, Prognosebegutachtung, Gutachten zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen etc., außer Acht gelassen.

Der geschichtlichen Einbettung der Forensischen Psychiatrie wird zu Beginn der Ausarbeitung Platz eingeräumt, da man nie nur das Heute, sondern immer auch die Ursprünge einer Wissenschaft betrachten sollte. Dadurch kann u.U. ein Verständnis dafür entstehen, warum Dinge heute so sind wie sie sind bzw. die Einsicht der Notwendigkeit erwachsen, Regeln, Vorschriften, Abläufe etc. den veränderten Bedingungen anzupassen oder Neuerungen auf den Weg zu bringen.

Im Zuge der Literaturrecherche ergaben sich vielseitige Ansatzpunkte, die im Zusammenhang mit diesem Thema hätten besprochen werden können. So nimmt z.B. in der heutigen Zeit die Begutachtung Jugendlicher nichtdeutscher Herkunft mit eigenständigen Abläufen, Problemen und Fehlerquellen einen immer bedeutenderen Anteil ein. Auf diesen, für sich schon umfangreichen Aspekt, soll in dieser Ausarbeitung nicht näher eingegangen werden.

Zusammenfassend kann als Ziel dieser Ausarbeitung definiert werden, dass das Auge des Juristen so für die Art und Weise der Tätigkeit eines Sachverständigen geschärft werden soll, dass der Umgang mit Gutachten im juristischen Alltag vereinfacht wird und, dass es in der vom Juristen eigenständig zu treffenden Entscheidung der Schuldfähigkeit seinen angemessen Platz als eines von vielen Beweismitteln erhält.[1]

II. Forensischen Psychiatrie früher und heute

2.1. Die Entwicklung der forensischen Psychiatrie im historischen Kontext

Der Ursprung der Forensischen Psychologie ist im 17./18. Jh. mit dem Aufkeimen des Bürgertums zu finden. Namen, die mit dieser Zeit in Verbindung gebracht werden, sind u.a. P. Zacchia und Beccaria.

Im Zuge „...der allgemeinen freiheitlichen emanzipatorischen Bewegung, welche die Französische Revolution ausgelöst hatte.“[2], verbreitete sich um 1800 der Glaube, dass Geisteskrankheiten heilbar seien. Die Annahme erwuchs also nicht aufgrund fundierter medizinischer oder anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sie war vielmehr von philosophischen Aussagen geprägt. So forderte Immanuel Kant „... die Zuweisung der Sachverständigentätigkeit in gewissen psychiatrisch-forensischen Fragen an die Philosophische statt an die Medizinische Fakultät.“[3] Es entbrannte diesbezüglich ein Streit zwischen den Anhängern der Auffassung, dass seelische Krankheiten ihren Grund in der Seele selbst haben, und jenen, die seelische Krankheiten als Folgen organischer Krankheiten sahen.

Dennoch wurden zu dieser Zeit schon die ersten Versuche unternommen, seelische Störungen auf einfachem Wege zu systematisieren. Auch heute noch verwendete Begriffe, z.B. Psychosen, Neurosen und Psychiatrie, wurden in dieser Zeit geprägt. 1893 unterschied P. J. Möbius erstmals endogene und exogene seelische Störungen[4], als er den Versuch unternahm, kausale Ursachenzuschreibung zu betreiben.

Ende des 19. Jahrhunderts legte R. v. Krafft-Ebing seine Position zur Aufgabe Sachverständiger dar, die seines Erachtens „...nicht Zurechnungsfähigkeit noch Willensfreiheit, sondern die Feststellung der Geistesgesundheit oder Krankheit...“[5] sei. Diese agnostische Auffassung führte bis in die heutige Zeit immer wieder zu Diskussionen im Rahmen der Feststellung von Schuldunfähigkeit bzw. verminderter Schuldfähigkeit, bei der u. a. zur Debatte stand (und teilweise noch steht), ob der Mensch aufgrund eigener Entscheidung auch anders hätte handeln können. Befürworter der agnostischen Position vertreten die Ansicht, dass die Frage der Willensfreiheit nicht retrospektiv beantwortet werden kann, weil aus Sicht des Agnostizismus nicht einmal das Wesen der Welt ergründbar sei.[6] So hat sich in der heutigen Einstellung die gnostische Haltung durchgesetzt. Das Augenmerk wird hier auf wissenschaftlich begründete Aussagen über die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gelenkt, wobei es verstärkt um die Beurteilung unterschiedlicher Grade sozialer Kompetenzen in spezifischen Situationen geht.

Somit wäre der Bogen zur Sichtweise der heutigen Forensischen Psychologie / Psychiatrie gespannt.

Die „Forensische Psychologie ... ist Teil der Angewandten Psychologie, in dem psychologische Methoden und Erkenntnisse, insbesondere die diagnostischen Möglichkeiten der Psychologie, der Rechtspflege zur Verfügung gestellt werden, damit diese in den Stand versetzt wird, << richtiges Recht >> (LARENZ 1979) zu sprechen.“[7]

Der Weg bis hin zu dieser Ansicht wurde geprägt durch Wissenschaftler wie Stern, Jung oder Freud, welche ihren Beitrag u. a. zur Tatbestandsdiagnostik leisteten. In der Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges ging die Entwicklung dieses Teilbereiches der Psychologie aufgrund der politischen Situation auseinander. In der BRD nahm die Wissenschaft ihren Weg von charakterologischen Ansätzen (Körperbauorientierung etc.) hin zu einer empirischen, an Methoden orientierten Forschung und war im Laufe der Zeit immer mehr durch Arbeiten des angloamerikanischen Bereiches beeinflußt. Amelang und Lösel stehen mit ihren Namen beispielhaft für das Voranschreiten der Wissenschaft in den 80-er Jahren.[8]

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung war im östlichen Teil Deutschlands stark durch sowjetische Einflüsse geprägt und ging einen etwas anderen Weg.

In jüngster Zeit sind „... theoretische Ansätze, aus dem Gesamtgebiet der Psychologie abstammend, ... auf das abweichende Verhalten im Sinne der Straftatqualität und deren spezifischen Bedingungen“[9] der Fokus für das wissenschaftliche Arbeiten in diesem Bereich.

Die Begriffe Forensische Psychologie – Rechtspsychologie – Kriminalpsychologie werden oft in einem Atemzug genannt. Auf die detaillierte und differenzierende Betrachtung der drei Disziplinen soll nicht ausführlicher eingegangen werden. Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt der Forensischen Psychologie mehr auf dem Gebiet der Diagnostik durch Gutachter, entsprechend der an sie gerichteten Fragen, liegt und sie aus diesem Grund Gegenstand der Arbeit ist.

2.2. Die Praxis psychiatrisch-psychologischer Begutachtung – Rechte und Pflichten der Sachverständigen

Der Gutachter, bestellt vom Gericht oder Staatsanwalt, steht somit im Dienste des Gerichts und wird gerne auch als Richtergehilfe bezeichnet. Sein Wissen, seine Sachkunde und sein Urteilsvermögen sind gefragt, um die an ihn gerichteten, speziellen Fragen zu beantworten.[10] Hilfreich sind ihm dabei psychiatrische und psychologische Befunde. Wie u. a. in § 79 Abs. 2 StPO nachzulesen, wird hinsichtlich der Interpretation und Bewertung dieser Befunde vom Sachverständigen Unabhängigkeit von evtl. Erwartungen des Auftraggebers verlangt und selbstverständlich eine Verpflichtung seinem Wissen und Gewissen gegenüber.[11]

Die Aufgabe bei der Begutachtung Jugendlicher liegt u.a. darin, in jedem speziellen Fall zur Prüfung der Reife und schlussendlich der Schuldfähigkeit dem Gericht Kenntnisse zu vermitteln, die diesem so ohne weiteres nicht zugänglich gewesen wären.[12] Dazu ist unumgehbar, dass sich die beteiligten Parteien aufeinander einlassen und der Gutachter die jugendpsychologischen bzw. –psychiatrischen Fakten klar und unmissverständlich darzulegen versucht.

Allerdings soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass das erstellte Gutachten ein Dogma darstellt, dem Folge zu leisten ist. Vielmehr ist es ein Mittel, bestehende Unklarheiten des Auftraggebers auszuräumen und offene Fragen zu beantworten. Es sei darauf hingewiesen, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, die im Gutachten vertretene Sichtweise anzunehmen und den entsprechenden Empfehlungen Folge zu leisten.[13]

[...]


[1] Lempp, Reinhart: Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters, S. 4.

[2] Zeller, 1981, S. 121; zit. n. Baer: Psychiatrie für Juristen, S. 2.

[3] Baer: Psychiatrie für Juristen, S. 2.

[4] Baer: Psychiatrie für Juristen, S. 4.

[5] Krafft-Ebing, 1892, zit. n. Baer: Psychiatrie für Juristen, S. 6.

[6] Häcker, Hartmut / Stapf, Kurt H.: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, S. 16.

7 Häcker, Hartmut / Stapf, Kurt H.: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, S. 289.

[8] Hofmann, Ronald: „ Theorien kriminellen Verhaltens“ – Eine Einführung in die Grundlagen der Kriminalpsychologie, S. 7.

[9] Hofmann, Ronald: „ Theorien kriminellen Verhaltens“ – Eine Einführung in die Grundlagen der Kriminalpsychologie, S. 8.

[10] Lempp, Reinhart: Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters, S. 6.

[11] Lempp, Reinhart: Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters, S. 5.

[12] Lempp, Reinhart: Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters, S. 7.

[13] Lempp, Reinhart: Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters, S. 10.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Ein psychologisches Modell für Juristen zur Prüfung der Schuldfähigkeit Jugendlicher
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug)
Veranstaltung
Seminar der juris. Fakultät: "Besonderheiten des Jugendstrafrechts"
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V35248
ISBN (eBook)
9783638352246
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modell, Juristen, Prüfung, Schuldfähigkeit, Jugendlicher, Seminar, Fakultät, Besonderheiten, Jugendstrafrechts
Arbeit zitieren
Anja Funk (Autor:in), 2004, Ein psychologisches Modell für Juristen zur Prüfung der Schuldfähigkeit Jugendlicher, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35248

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