Das deutsche Sonett in der Zeit von 1933 bis 1945


Bachelorarbeit, 2016

52 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Heranführung an die Thematik
2.1 Sonetttradition
2.2 Gliederung der Zeit von 1933 bis 1945

3 Analyse des Sonettkorpus
3.1 Sonette im Nationalsozialismus
3.1.1 Gerhard Schumann
3.1.2 Josef Weinheber
3.1.3 Zwischenfazit Nationalsozialismus
3.2 Sonette in der Inneren Emigration
3.2.1 Albrecht Haushofer
3.2.2 Reinhold Schneider
3.2.3 Zwischenfazit Innere Emigration
3.3 Sonette im Exil
3.3.1 Johannes R. Becher
3.3.2 Bertolt Brecht
3.3.3 Zwischenfazit Exil

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur und Anthologien

6 Textanhang

1 Einleitung

„Die einzige Gedichtform, die in der neueren deutschen Lyrik vom Barock bis heute mit nur geringen Unterbrechungen häufig verwendet wurde“,[1] ist das Sonett.

Bei der Zeit von 1933 bis 1945, bekannt als die Zeit des Nationalsozialismus, handelt es sich um keine dieser ‚geringen Unterbrechungen‘, sondern eher um das Gegenteil: Die Sonettproduktion vor und nach 1945 ist von so großem Umfang, dass sie „quantitativ die ‚Sonettenflut‘ der Romantik wohl noch übertrifft“.[2] Auch wenn für die vorliegende Untersuchung die Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs nicht mehr in Betracht gezogen wird, so liegt aus dem gewählten Zeitraum doch eine große Anzahl Sonette vor.

Um die in der Zeit von 1933 bis 1945 produzierten, d. h. geschriebenen, wenn auch nicht unbedingt veröffentlichten, Sonette soll es in der vorliegenden Arbeit gehen. Diese Unterscheidung zwischen Produktion und Publikation ist hierbei bedeutsam, da viele Sonette zwar im relevanten Zeitraum entstanden sind, aber erst nach Ende des Krieges veröffentlicht wurden. Vernachlässigt man diesen Aspekt, kann man, wie Mönch, zu dem Schluss kommen, dass das Sonett erst ab 1945 „zu wuchern beginnt“.[3]

Aufgrund ihrer Bedeutung für die deutsche Geschichte wurde die Zeit des sogenannten Dritten Reichs auch literarisch eingehend untersucht, und es liegen Untersuchungen zur nationalsozialistischen Literatur sowie zur Exilliteratur und zur Literatur der Inneren Emigration bzw. des Widerstandes vor. Für die vorliegende Arbeit wurde ein anderer Fokus gewählt: Statt der Literatur oder, etwas weniger breit betrachtet, Lyrik der verschiedenen Flügel der Zeit von 1933 bis 1945 im Allgemeinen soll nur die literarische Form des Sonetts betrachtet werden.

Auffällig ist nämlich, dass das Sonett zwischen 1933 und 1945 nicht vornehmlich in einem der genannten Flügel verwendet wurde, sondern in allen. Die Frage, die sich diesbezüglich unweigerlich aufdrängt, ist, warum in diesen so unterschiedlichen Strömungen immer wieder die gleiche lyrische Form verwendet wurde.

Anhand beispielhafter Analysen von Sonetten der verschiedenen Flügel sollen daher im Folgenden verschiedene Funktionen und Tendenzen in der Sonettdichtung der Zeit von 1933 bis 1945 untersucht werden. In Verbindung mit den verschiedenen, sich in den Sonetten manifestierenden Intentionen werden auch die (Nicht-)Traditionalität und die sich möglicherweise zeigenden Spielräume in Bezug auf die Formalia der Sonetttradition betrachtet.

2 Theoretische Heranführung an die Thematik

2.1 Sonetttradition

Vor der empirischen Analyse ist ein kurzer Blick auf die Sonetttradition vonnöten, sodass die Beispielsonette dazu in Bezug gesetzt werden können. Als erstes konstitutives Merkmal gilt seit Beginn der Sonettgeschichte die „vierzehnzeilige Form“,[4] während Strophen- und Reimschema von der national und zeitlich geprägten Tradition abhängen.

In fast allen Fällen lässt sich ein Sonett zunächst in eine acht Zeilen umfassende Einheit, die Oktave, und eine sechs Zeilen umfassende Einheit, das Sextett, gliedern. Die Oktave wiederum besteht normalerweise aus zwei Quartetten, das Sextett aus zwei Terzetten. Die einzige Ausnahme bildet das englische bzw. Shakespeare-Sonett. Dieses besteht aus drei Quartetten und einem abschließenden Couplet.

Beim Shakespeare-Sonett ist das Reimschema mit Kreuzreim mit in jeder Strophe neuen Reimen in den Quartetten und Paarreim im Couplet eindeutig festgelegt, sodass sich das Schema abab cdcd efef gg ergibt. Bei den aus zwei Quartetten und zwei Terzetten bestehenden Sonetten gibt es verschiedene Varianten der Reimschemata. Prinzipiell kann in den Quartetten umarmender oder alternierender Reim verwendet werden und in den beiden Terzetten können insgesamt zwei oder drei verschiedene Reime auftauchen.

Die italienische Form des Sonetts ist seit dem vierzehnten Jahrhundert stark von Francesco Petrarca geprägt, der als Erster „die definitive Form des Sonetts“[5] gesetzt hat. Hier sind in der Oktave die beiden Schemata abab abab (die ursprüngliche Form) und abba abba (die bald überwiegende Form) möglich.[6] Wichtig ist dabei, dass sich die Reime in den beiden Quartetten wiederholen. Seit Petrarca kann demnach „[a]n der Fortdauer oder dem Verlust dieser geläuterten Form“[7] eine Unterscheidung in ‚hohe‘ und ‚niedere‘ Sonettdichtung vorgenommen werden. Die Reimordnung der Terzette ist etwas freier, wobei die beiden häufigsten Schemata cdc cdc und cde cde sind.[8] Fast durchgängig wird der Endecasillabo verwendet.

Anders als bei der italienischen sowie der spanischen und portugiesischen Form, die mit der italienischen Form eng verwandt sind,[9] wird bei der französischen Form in den Terzetten nicht auf den Paarreim verzichtet; die beiden gebräuchlichsten Sextettanordnungen sind dementsprechend ccd eed und ccd ede.[10] Das Versmaß ist der Alexan­driner.

Seit August Wilhelm Schlegels Vorlesungen im Jahr 1803/04 ist die klassische Form des deutschen Sonetts festgelegt in Anlehnung an die italienische Form, mit der Forderung nach der Verwendung des umschlingenden Reims in den Quartetten und des fünfhebigen Jambus mit weiblicher Kadenz, der deutschen Entsprechung des Endecasillabo.[11]

Aufgrund der Einschränkung der Untersuchung auf Sonette in der Zeit von 1933 bis 1945 ist auch die zeitlich davor angesiedelte Sonettdichtung Rainer Maria Rilkes als Kontrastfolie bedeutsam. Hier wird nicht nur eine Fülle an Variationen des Reimschemas verwendet,[12] sondern es kommt auch zu einer Re-Etablierung des von Schlegel für das mustergültige deutsche Sonett abgelehnten Enjambements.[13]

Neben den besprochenen Formen des Sonetts ist es auch bedeutsam, traditionelle Themen in der Geschichte des Sonetts zu betrachten. Zwar ist das Sonett nicht auf bestimmte inhaltliche Gegenstände beschränkt,[14] doch liegt ein Schwerpunkt auf gewissen Inhalten.

Die erste große Sondertradition ist der Petrarkismus, der „[h]ochgestimmtes Gefühl [und] die transzendentale Trennung von Liebe und Liebeserfüllung“[15] thematisiert und „auf weite Strecken mit der Geschichte der europäischen Sonettgattung zusammenfällt.“[16] Dementgegen steht der Anti-Petrarkismus, der inhaltlich das „traditionelle[] petrarkistische[] Liebesschema […] in Frage stellt“.[17]

Zu den wichtigen Thematiken der Sonettdichtung gehört außerdem „nicht zuletzt das Sonett selbst, das unzählige Male in seiner eigenen Gestalt kommentiert, parodiert oder angesungen worden ist.“[18]

Abschließend ist eine Bemerkung zur Bestimmung eines Gedichts als Sonett zu machen. Gelegentlich wird hier zwischen Sonetten und Vierzehnzeilern unterschieden und die Zugehörigkeit eines Gedichts zur Gattung des Sonetts an gewisse Kriterien auch der inneren statt nur der äußeren Form gebunden.[19] Diese Klassifizierung übernimmt beispielsweise Ziolkowski am Ende seiner Sonettuntersuchung und muss „rückblickend konstatieren, daß viele von den hier erwähnten Gedichten keineswegs Sonette sind, sondern Vierzehnzeiler.“[20]

Die beschriebene Unterscheidung findet im Folgenden keine Anwendung, da es problematisch ist, zu bestimmen, was ein ‚echtes‘ Sonett ist und was nur ein Gedicht, das „sich der Sonettform bedient, ohne ein Sonett zu sein.“[21] Stattdessen wird von einer Bestimmung der Gattung über die äußere Form ausgegangen. Bei dem Sonett handelt es sich damit um ein Beispiel für eine „reine[] Form-Gattung[]“.[22]

2.2 Gliederung der Zeit von 1933 bis 1945

Um die Untersuchung der Sonette der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu vereinfachen und übersichtlicher zu machen, wird, wie in der Einleitung bereits angedeutet, der Zeitraum in drei verschiedene Flügel eingeteilt. Hierbei muss man sich bewusst sein, dass diese Klassifikation nicht ganz korrekt ist, da nicht alle Strömungen enthalten und auch Zwischenpositionen möglich sind. Dies ist jedoch bei allen Versuchen der Epochenordnung der Fall.[23] Hierbei handelt es sich also vielmehr um eine grobe Einteilung des Zeitraums.

Die der Dreiteilung zugrunde liegende Prämisse ist, dass es prinzipiell drei für den Zeitraum von 1933 bis 1945 bedeutsame Flügel gibt:

Auf der einen Seite stehen die Dichter, die die fragliche Zeit auf dem Gebiet des sogenannten Dritten Reichs verbracht haben und dort zur „Literatur des deutschen Faschismus“[24] bzw. Nationalsozialismus beigetragen haben. Das bedeutet, sie haben systemstützend oder zumindest systemkonform gedichtet, weswegen sie hier unter dem Begriff ‚Nationalsozialismus‘ geführt werden.

Auf der anderen Seite stehen die deutschsprachigen Dichter, die diesen Zeitraum nicht im Deutschen Reich verbracht haben, sondern für die Zeit des Nationalsozialismus oder darüber hinaus das Land verlassen haben. Diese werden unter dem Begriff ‚Exil‘ zusammengefasst.

Zuletzt gibt es die Dichter, die sozusagen zwischen den beiden genannten Gruppen stehen, da sie weder das Territorium des Deutschen Reichs verlassen, noch den Nationalsozialismus unterstützt haben. Dieser Zwischenstatus wird in dieser Untersuchung mit dem von Frank Thieß geprägten Begriff ‚Innere Emigration‘ beschrieben[25] und beinhaltet auch die oftmals verwendeten Begriffe des lyrischen Widerstands[26] bzw. des literarischen Widerstands[27] und des anderen Deutschland.[28]

3 Analyse des Sonettkorpus

In einer Art Panorama der Sonettdichtung in der Zeit von 1933 bis 1945 wird im Folgenden nach der oben vorgestellten Gliederung der Zeit sortiert ein selbst zusammengestelltes Sonettkorpus[29] untersucht. Aus jedem der genannten Flügel werden hierfür zwei Sonette analysiert, um den Vergleich zu ermöglichen und exemplarisch Tendenzen innerhalb der Flügel aufzeigen zu können.

3.1 Sonette im Nationalsozialismus

3.1.1 Gerhard Schumann

Gerhard Schumann wird zuweilen als „der wohl populärste n[ational]s[ozialistische] Dichter“[30] oder zumindest „einer der wohl bekanntesten NS-Autoren“[31] bezeichnet. Da unter seinen Gedichten auch einige Sonette sind, verlangt seine Popularität im Nationalsozialismus geradezu eine Untersuchung eines dieser Werke.

Für die nachfolgende Untersuchung soll exemplarisch ein Sonett aus dem Gedichtband Die Lieder vom Reich [32] untersucht werden. Ausgewählt wurde hierfür das laut Inhaltsverzeichnis im Jahr 1933 entstandene Sonett Auferstehung. [33] Dieses wurde in verschiedenen NS-Anthologien als eines von wenigen Sonetten veröffentlicht, wie Ziolkowski festgestellt hat.[34] Aufgrund dieser Kanonisierung während der Zeit des Nationalsozialismus kann angenommen werden, dass es repräsentativ, wenn nicht gar ein „Musterbeispiel des nationalsozialistischen Sonettismus“[35] ist.

Auf den ersten Blick scheint es sich um ein traditionelles, formelles Sonett zu handeln. Die obligatorischen vierzehn Verse sind der großen Mehrheit der Sonette folgend in zwei Quartette und zwei Terzette eingeteilt, sodass es sich optisch um ein konventionelles Sonett handelt.

Bei der Analyse des Reimschemas zeigt sich in den Quartetten zunächst der weniger gebräuchliche alternierende Reim statt des umschlingenden Reims. Dieser zieht sich bei nachfolgender Betrachtung der weiteren Verse auch durch die Terzette. Eine Ausnahme bilden die letzten beiden Verse, in denen Paarreim auftaucht.

Unter Beachtung der sich wiederholenden bzw. ändernden Reimwörter ergibt sich das Schema abab acac dcd cee. Während sich der erste Reim im zweiten Quartett wiederfindet, ändert sich der zweite, da es sich bei „Luft“ (V. 2) / „ruft“ (V. 4) und „Bucht“ (V. 6) / „Frucht“ (V. 8) lediglich um eine Assonanz bezüglich des Buchstabens u handelt. Dafür taucht der neue Reim jeweils einmal im ersten Terzett („sucht“, V. 10) und im zweiten Terzett („Wucht“, V. 12) auf.[36]

Vernachlässigt man die strophische Gliederung und betrachtet ausschließlich die Reime, kann man zu dem Schluss kommen, dass es sich hierbei um ein Sonett mit drei Quartetten (gekennzeichnet durch den Kreuzreim) und einem Zeilenpaar (gekennzeichnet durch den Paarreim) handelt. In diesem Fall wäre es also nicht die verbreitete Sonettform, sondern die eher seltene Form des englischen Sonetts.

Der Idee des Shakespeare-Sonetts widersprechen jedoch einige Aspekte: Neben dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Schriftsatz und Reimschema, d. h. zwischen Optik und Klang, sind dies auch die für diese Sonettform untypischen Reimwiederholungen sowie das Enjambement zwischen dem vermuteten dritten Quartett und dem Couplet. Vor allem der Schriftsatz und das Enjambement bilden einen starken Widerspruch zu der Idee des englischen Sonetts, in welchem die drei Quartette zum Abschluss von einem Reimpaar ‚gekrönt‘ werden.[37]

Gleichzeitig sind die durch die Strophenform angezeigten Terzette allerdings auch über die Strophengrenze hinweg durch ein Enjambement verbunden, sodass es sich, sofern man die verknüpfende Funktion der Enjambements an wichtigen Einschnittstellen (V. 11-12 und V. 12-13) beachtet, um ein ungegliedertes oder zumindest nicht einheitlich gegliedertes Sextett handelt.

Die bereits erwähnten Reimwiederholungen, bei denen jeweils ein Reim aus der vorhergehenden Strophe wieder aufgegriffen wird, deuten auf eine angestrebte hohe Form der Sonettdichtung nach Petrarca hin. Aufgrund der fehlenden Konsequenz bei der Reimwiederholung handelt es sich jedoch nur um eine ‚halbstrenge‘ Form. Der Paarreim in den letzten beiden Versen hingegen widerspricht der italienischen Sonettistik deutlich und folgt eher der französischen Tradition, wenn nicht, wie oben angesprochen, der englischen.

Als Metrum wird konsequent der in der deutschen Sonettdichtung seit Schlegel übliche fünfhebige Jambus verwendet. Die Anzahl der Silben und damit die Kadenzen wechseln dem alternierenden Reimschema folgend zwischen elf und zehn bzw. zwischen weiblich und männlich; die beiden paarreimenden Verse haben zehn Silben und damit eine männliche Kadenz. Insgesamt haben demnach acht von vierzehn Versen eine männliche Kadenz. Schumann folgt daher beim Metrum nur teilweise der Tradition: Der fünfhebige Jambus ist klassisch, der Wechsel der Kadenz, insbesondere mit Übermacht der männlichen Kadenz, ist hingegen eine leichte Abweichung vom klassischen deutschen Sonett nach Schlegel.

Die Verwendung des Kreuzreims entspricht nicht so sehr der anspruchsvollen Sonettdichtung, da er weniger kunstvoll und näher am Volkstümlichen ist als der umarmende Reim.[38] In Bezug auf Schumann drängt sich die Vermutung auf, dass die Wahl des Reimschemas nicht ganz zufällig auf den alternierenden Reim gefallen ist. Dadurch, dass der Kreuzreim weniger gehoben und volkstümlicher ist, ist er im wörtlichen Sinn näher am Volk und damit verständlicher. Das gilt noch viel mehr für den Paarreim, der am Ende des Sonetts Anwendung findet. Beide Reimarten sind auf den ersten Blick einfacher zu erkennen und auch akustisch leichter nachzuvollziehen.

Natürlich ist dies klassischerweise nicht der wichtigste Aspekt bei der Sonettistik, da es hierbei zunächst um kunstvolle Dichtung geht, nicht um Einfachheit. Die einfache auditive Erfassbarkeit hat ebenso wenig die höchste Priorität; auch akustisch ist das Klinggedicht traditionellerweise durch den umschlingenden Reim anspruchsvoll und nicht so einfach gehalten wie beispielsweise ein Lied.

Die Vermutung liegt daher nahe, dass es in Schumanns Auferstehung um etwas anderes geht als um anspruchsvolle Sonettdichtung. Dies wird unterstützt durch die in Bezug auf Auferstehung geäußerte Behauptung, dieses Gedicht verstehe sich „als Transformation des Hymnischen in die Gegenwart“.[39] Zwar wird dies bezüglich der verwendeten Teilvokabulare geäußert, doch muss es auch im Kontext der Gedichtformen betrachtet werden.

In Bezug auf das erwähnte Hymnische müssen Sonett und Hymne thematisiert werden. Zwar handelt es sich bei Auferstehung rein formal definitiv um ein Sonett, doch bei Betrachtung des Tons erscheint der Gedanke an die Hymne nicht abwegig. Wie diese ursprünglich als „kultisch-religiöser Lob- und Preisgesang“[40] gedachte Gattung hat das vorliegende Gedicht einen religiösen Ton.

Dies beginnt mit dem durch Parataxe gekennzeichneten Satzbau, wo sich im gesamten Sonett lediglich ein Relativsatz findet (vgl. V. 10), dafür jedoch mehrere Zäsuren in den Versen auftauchen (vgl. V. 4, V. 12-14). Hinzu kommt der von Parallelismen geprägte Stil (vgl. V. 1, V. 3, V. 4-5, V. 9-10). Verstärkt wird dieser durch die gleichsam einhämmernde Wirkung der Wiederholungen von „Marsch“ (V. 9) / „marschiert“ (V. 10) und vor allem „Ein Wille“ (V. 4) und „einen Willens“ (V. 13, Hervorhebung im Original). Vor allem die Wiederholungen entsprechen nicht dem Stil des Sonetts, da in der streng limitierten Form üblicherweise eine hohe inhaltliche Konzentration entsteht, die keine Redundanzen zulässt.

Bei der Betrachtung des religiösen Tons sind auch die Ausdrucksweise und das Vokabular bedeutsam. Hierzu zählen sowohl explizit religiöse Begriffe als auch nur religiös anmutende Ausdrücke. Schon der Titel, Auferstehung, ist ein Terminus aus dem religiösen Vokabular und wird im Allgemeinen in erster Linie mit der christlichen Vorstellung der Auferstehung Jesu Christi in Verbindung gebracht. Auch die von den Frauen stolz getragene ‚Frucht‘ (vgl. V. 8) kann aufgrund der Wortwahl mit Jesus Christus, der im Ave Maria gepriesenen ‚gebenedeiten Frucht des Leibes‘, in Verbindung gebracht werden. Wenn im Verlauf des Sonetts mehrfach vom einen Willen (vgl. V. 4 und V. 13) und einen Atem (vgl. V. 5) die Rede ist, so erinnert dies an den monotheistischen, beispielsweise christlichen, Glauben. „Die dunkle Wucht“ (V. 12) hingegen wirkt eher wie eine okkulte Art des Glaubens an eine düstere Gottheit. Weitere potentiell religiös anklingende Wendungen sind beispielsweise der „Glanz von nie gekannten Sonnen“ (V. 11) – besonders in Kombination mit der emotional ausrufenden Interjektion „O“ (V. 11) – und die Vorstellungen von „Schicksal“ (V. 10), „Sehnsucht, Leid und Tat“ (V. 13) sowie der Schöpfung des Staates (vgl. V. 14). Im Gesamten betrachtet werden also viele religiös wirkende Begriffe verwendet, ohne dass der Inhalt im eigentlichen Sinne mit dem (christlichen) Glauben zu tun hat.

Zu dieser Einordnung von Auferstehung in die Nähe des Hymnischen passt wiederum die bereits erwähnte, für ein Sonett eher unübliche Verwendung des Kreuzreims. Da es sich bei der Hymne zunächst um einen Gesang handelte, ist der alternierende Reim hierfür geeigneter als der umarmende Reim.

Im Kontext der zuvor gestellten Frage nach anspruchsvoller Sonettdichtung ist zudem ein genauerer Blick auf den Inhalt von Bedeutung. Bei anfänglicher Betrachtung des Titels Auferstehung muss man sich bewusst sein, dass nicht die religiöse Auferstehung im eigentlichen Sinn gemeint ist. Deutlicher wird dies, wenn das Gedicht in einer Anthologie als Deutsche Auferstehung betitelt wird.[41] Das große titelnde Thema ist daher der deutsche Aufbruch im Jahr 1933.

Wenn im ersten Quartett u. a. „Schlote“ (V. 1), „Motoren“ (V. 2), „Maschinen“ (V. 3) und „Räder“ (V. 3) genannt werden, so geht es, wie spätestens im vierten Vers deutlich wird, um (Fabrik-)Arbeit. Thematisiert wird die Politik der Arbeitsbeschaffung, die von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter partei durchgeführt wurde. Gleichzeitig klingt hingegen auch die Kriegsthematik an, wenn „[d]as Heer der Arbeit zieht“, da ein Heer der geläufigen Kollokation zufolge in den Krieg zieht. Dazu passend sind beispielsweise die später auftauchenden Ideen von „Marsch“ (V. 9), „unendliche[n] Kolonnen“ (V. 9) und „Fahnen“ (V. 12).

Des Weiteren werden im ganzen Sonett die Vorstellungen von Führer und Volksgemeinschaft thematisiert: Der zweifach angesprochene eine Wille (vgl. V. 4 und V. 13) sowie der eine befehlende Atem (vgl. V. 5-6) können auf das Führerprinzip bezogen werden, die Idee des einen Führers, der den „unendliche[n] Kolonnen“ (V. 9), d. h. dem „ein[en] Volk“ (V. 10), befiehlt und gewissermaßen mit dem neu geschöpften Staat (vgl. V. 14) gleichzusetzen ist.

Das genannte marschierende Volk beinhaltet jedoch nur Männer, was deutlich wird aufgrund des ebenfalls in Auferstehung behandelten Bilds der Frau als stumme und stolze Mutter (vgl. V. 8). Verstärkt wird die Idee der Volksgemeinschaft noch durch die Änderung der Perspektive: Zwischen dem ersten und dem zweiten Terzett kommt es zu einem Perspektivwechsel vom „Volk […], das sich sein Schicksal sucht“ (V. 10) zu „unsre[n] Fahnen“ (V. 12), was eine Identifizierung mit ebendieser Volksgemeinschaft andeutet.

Bei allen genannten Themen handelt es sich um Elemente der nationalsozialistischen Ideologie. Schumanns Sonett ist gleichsam eine knappe Darstellung dieser Ideologie, die dazu aufruft, sich der erwähnten Volksgemeinschaft dieser Bewegung anzuschließen.

Diese Beobachtungen entsprechen Kirchers Bemerkungen zur Sonettdichtung Schumanns. In Bezug auf den Zyklus Die Reinheit des Reiches erwähnt er „Tendenzen, die letztlich auf die Entmündigung des Individuums und sein Bereithalten zu blinder Gefolgschaft zielen“.[42] Dies lässt sich direkt auf Auferstehung übertragen, wie sich oben gezeigt hat. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Tatsache, dass das Sonett in der NS-Anthologie Rufe in das Reich aus dem Jahr 1934 in der Kategorie „Bereitschaft und Aufbruch“ auftaucht.[43]

Auffällig treffend ist auch die Anmerkung, dass in den NS-Gedichten „[n]ationalsozialistische Parteipropaganda und Agitation […] in ein durchsichtiges poetisches Gewand gekleidet [sind]“.[44] Die beschriebenen Elemente der nationalsozialistischen Ideologie sind nicht unbedingt schwer auszumachen, sondern eher direkt formuliert. Für ein Sonett, bei dem traditionellerweise eine Abwägung eines jeden Wortes stattfindet, ist das wiederum untypisch.

Diese beobachteten Vermischungen – einerseits der verschiedenen Sonetttraditionen, andererseits der Sonettform mit hymnischem Ton und ‚unsonettistischen‘ Inhalten – lassen die Frage nach der Bedeutsamkeit der Form bei Schumann aufkommen. Die verschiedenen formalen Widersprüche sprechen dafür, dass die Sonettform in diesem Fall nicht die höchste Priorität besitzt. Es scheint weder formal noch inhaltlich darum zu gehen, die Sonetttradition fortzuführen.

Die dargestellte Nähe zum Hymnischen lässt die Vermutung zu, dass bei Auferstehung im Grunde genommen die falsche Form gewählt wurde. Dasselbe gilt für die für Sonette untypische poetische ‚Durchsichtigkeit‘ und damit fehlende Raffinesse. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die Gedichtart im Nationalsozialismus prinzipiell irrelevant ist: Eine beliebige Form kann durch die Füllung mit nationalsozialistischen Gedanken, Werten und Vokabeln ideologisiert werden. Das Sonett ist bei Schumann also, wie jede andere Form auch, nur ein Mittel zum Zweck. Es erscheint oberflächlich betrachtet zwar als traditionsreiche lyrische Form, was möglicherweise eine gewisse Legitimierung und Akzeptanz bewirken kann. Tatsächlich aber ist es ein reines Propagandamittel des Nationalsozialismus.

3.1.2 Josef Weinheber

Josef Weinheber wird als „einer der wichtigsten neueren Sonettdichter“[45] angesehen, was sich unter anderem dadurch zeigt, dass seine Sonette in einigen nach 1945 veröffentlichten Anthologien abgedruckt wurden.[46] Hingegen nicht aufgeführt wird Weinheber beispielsweise in Grolls De profundis, einer Anthologie, die sich darum bemüht, „die Stimmen des ‚anderen Deutschland‘ […] zu vereinigen“.[47] Das liegt daran, dass Weinheber nicht der Kategorie der Inneren Emigration zugeordnet werden kann.

Dies wird nicht nur dadurch deutlich, dass er in NS-Anthologien – d. h. Anthologien, die während der Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland erschienen sind und dementsprechend in erster Linie systemkonforme Lyrik enthalten – überproportional repräsentiert ist,[48] sondern ebenfalls dadurch, dass er sich im Sinne der NS-Kulturpolitik geäußert hat.[49] Auch Teile seiner Dichtung sind eindeutig nationalsozialistisch, wie beispielsweise ein neunzeiliges, „[d]em Führer“ gewidmetes Gedicht.[50]

Auf das gewählte Sonett aus dem 1936 erschienen Gedichtband Späte Krone [51] trifft dies zwar nicht ganz so offensichtlich zu; allerdings handelt es sich dennoch um ein im ‚Dritten Reich‘ veröffentlichtes Gedicht eines Poeten der „Führerliste[] der wichtigsten Schriftsteller des NS-Staates“.[52] Untersucht wird im Folgenden das erste Sonett des Sonettenkranzes Von der Kunst und vom Künstler. [53]

Der Tradition aller Arten der Sonettdichtung mit Ausnahme der englischen folgend sind die vierzehn Verse des Sonetts im Schriftsatz in zwei Quartette und zwei Terzette eingeteilt. Nicht nur optisch, auch akustisch ist die bedeutende innere Gliederungseinheit von Oktave und Sextett bemerkbar: In ersterer wird der umarmende Reim verwendet, in letzterer der alternierende.

Der hohen Sonetttradition nach Petrarca folgt das Sonett, indem die beiden Reime aus dem ersten Quartett im zweiten Quartett wieder aufgegriffen werden. Dadurch, dass in den Terzetten ebenfalls nur zwei Reime vorkommen, die jeweils drei Mal wiederholt werden, besitzt das Sonett insgesamt nur vier verschiedene Reime, was von besonders strengem Zwang zeugt.

Gleichzeitig zeigt sich bei genauerer Untersuchung der Quartette jedoch auch eine Abweichung von der konventionellen Form, da im zweiten Quartett die Reihenfolge der Reime vertauscht ist. Dies hat einen überraschenden Effekt, denn auch akustisch hat die Vertauschung eine gewisse Auswirkung: Bei der Betrachtung des Sextetts sowie des Übergangs vom ersten zum zweiten Quartett ergibt sich eine Übermacht des Kreuzreims, da sich bei Vernachlässigung der Strophengrenzen zwischen dem umarmenden Reim der Quartette ebenfalls der alternierende Reim zeigt (ba ba). Insgesamt ergibt sich das Reimschema abba baab cdc dcd.

Abgesehen von der Vertauschung der Reimwörter im zweiten Quartett folgen die Formalia alle der strengen Sonettdichtung nach Petrarca und damit auch dem von Schlegel nach ähnlichen Kriterien festgelegten klassischen deutschen Sonett. Für das deutsche Sonett nach Schlegel ist zudem das Metrum von Bedeutung. Auch dieses entspricht den Vorgaben insofern, als der fünfhebige Jambus verwendet wird. In den Quartetten wechseln die Anzahl der Silben und damit die Kadenz dem Reimschema folgend zwischen elf und zehn Silben und zwischen weiblicher und männlicher Kadenz. Im Sextett findet sich nur der von Schlegel als angemessen angesehene, weibliche Versschluss.

Anders als erwartet besitzen jedoch nicht alle Verse des Sextetts der Kadenz entsprechend elf Silben. In V. 12 lassen sich trotz fünf Hebungen zwölf Silben zählen. Diese überzählige Silbe ist in dem Wort „Stärkere“ zu finden, dessen zwei hintere Silben unbetont sind. Beide gehören zum vierten Versfuß, der mit „wirft“, einer Hebung, endet und damit einen Anapäst statt eines Jambus bildet. Um einen Jambus zu ermöglichen, müsste „Stärkere“ zu „Stärkre“ verkürzt werden. Diese kürzende Aussprache ist jedoch nicht legitim, da anhand von „Erhabne“ (V. 9) deutlich wird, dass eine Verschleifung in der Schriftsprache auch als solche gekennzeichnet wird. Gleichzeitig findet sich das ebenfalls mit Komparativ konstruierte Wort „dauernderes“ (V. 14), bei dem die volle Silbenzahl benötigt wird, damit das Metrum korrekt ist. Das legt die Vermutung nahe, dass der Verstoß gegen die metrische Ordnung in V. 12 beabsichtigt ist.

Hinzu kommen einige Enjambements im untersuchten Sonett (vgl. V. 3-4, V. 5‑8, V. 12-13). Hierbei handelt es sich um ein wenigstens von Schlegel für das Sonett abgelehntes lyrisches Element, sodass die Verwendung von Enjambements zumindest eine Abweichung von der traditionellen deutschen Sonettform und in diesem Sinne nicht komplett formstreng ist. Besonders auffällig sind in diesem Kontext die dem Zeilenstil widersprechenden drei aufeinanderfolgenden Zeilensprünge, die das zweite Quartett vollständig miteinander verbinden (vgl. V. 5-8).

Die genannten formalen Aspekte stimmen fast alle überein mit Weinhebers Ruf als formstrengem Dichter, bei dem Spielereien nur am Rande vorkommen.[54] Tatsächlich ist die erste bisher aufgefallene künstlerische Abweichung, die Vertauschung der Reimwörter unter Beibehaltung der für die hohe Sonettkunst vorgegebenen Reimwiederholung eine anspruchsvolle Art der Abweichung. Es handelt sich also um eine Spielerei auf hohem Niveau. Die metrische Abweichung sowie die Verwendung der Enjambements hingegen sind irritierend und müssen im Folgenden im Zusammenhang mit dem Inhalt des Sonetts untersucht werden.

Aufgrund der Zugehörigkeit des Sonetts zu einem Zyklus besitzt es außer der Nummer innerhalb dieses Zyklus, der I., keinen eigenen Titel. Der Name des Sonettenkranzes, Von der Kunst und vom Künstler, ist jedoch ein deutlicher Hinweis auf die übergeordnete Thematik. In den vierzehn Versen des Sonetts werden die „hart[en]“ (V. 2), schmerzhaften (vgl. V. 4) Bedingungen des Künstlerdaseins dargestellt, welches die Selbstaufgabe des Künstlers (vgl. V. 5-6) für die „Herrin“ (V. 1) Kunst verlangt.

Auffällig ist, dass im Umfeld der Stelle, an welcher der „Schmerz“ (V. 4) und die Identitätsaufgabe des Künstlers ausgeführt werden, das Enjambement gehäuft auftritt. Hier ist eine dahinterstehende Absicht zu vermuten: Durch die zahlreichen Enjambements – insgesamt vier auf engstem Raum – wird deutlich auf diese Stelle verwiesen. Sieht man das Enjambement als (potentiell schmerzhafte) Verletzung der strengsten Regeln des deutschen Sonetts, so wird mithilfe des formalen Schmerzes der inhaltliche Schmerz verdeutlicht.

In Gänze betrachtet wird in Von der Kunst und vom Künstler ein Thema behandelt, das als erhaben angesehen wird, wie die direkte Ansprache der personifizierten Kunst als „Erhabne!“ (V. 9) zeigt. Hierbei handelt es sich um eines der bei Kircher beispielhaft genannten Themen für Sonette,[55] was die Konventionalität dieses Gegenstands verdeutlicht.

Da das Motiv des Sonettenkranzes ein Sonett Michelangelos ist,[56] erscheint der Gedanke naheliegend, dass darin auch das Dasein des künstlerischen Universalgenies thematisiert wird. Gleichzeitig ist jedoch zu bedenken, dass die Dichtung ein Teil des großen Begriffs der ‚Kunst‘ ist und damit gilt, dass „[d]ie Qual des Bildhauers […] auch die des Dichters [ist]“.[57]

Noch spezifischer betrachtet ist auch die Sonettdichtung ein Element der Kunst. Durch die Adressierung der Kunst (vgl. V. 1 und V. 9) und die Thematisierung des Moments der Enge des Künstlerdaseins (vgl. z. B. V. 10-11) in Form des künstlerischen Produkts des Sonetts handelt es sich hierbei also um autopoetologische Dichtung. Zwar ist diese durch die Allegorisierung der Kunst im Allgemeinen nicht so ersichtlich wie bei anderen Sonetten. Dennoch wird vor allem durch die Erwähnung der „Gitterstäbe[]“ (V. 10) die Referenz zum Topos des Sonetts als Gefängnis deutlich.

Weinheber folgt hier also der häufig im Sonett vorkommenden Tradition der Selbstreflexion des Sonetts, das zugleich als erhabenes Kunstprodukt geehrt wird. Dem entspricht die fast vollständig eingehaltene Formstrenge, die zuvor festgestellt wurde.

Gleichzeitig finden sich im untersuchten Sonett jedoch auch auf verschiedenen Ebenen Parallelen zum ‚Dritten Reich‘. Dies wird schon an der im Sonett formulierten Idee des Reichs deutlich. Statt des nationalsozialistischen Reichs gibt es hier das Reich der Herrin Kunst (vgl. V. 1-2). Es handelt es sich hierbei um einen religiös anmutenden Begriff, der an das Gottesreich, das Reich des Herrn, erinnert. Tatsächlich ist der Begriff hingegen in beiden Fällen politisch, da damit eine Diktatur bezeichnet wird. Das Reich der Kunst spiegelt damit die politischen Verhältnisse der Zeit.

Verstärkt wird dies durch die Erwähnung der Tatsache, dass es „hart“ (V. 2) ist, der Kunst zu dienen. Genauso wie das „furchtbar[e]“ Reich der Kunst ist dieser Begriff positiv konnotiert, da es erstrebenswert ist, der Kunst zu dienen. Dies entspricht der nationalsozialistischen Verwendung des Begriffs ‚hart‘.[58]

Zudem ist es bedeutsam, das Thema der Unterwerfung anzusprechen. An dieser Stelle muss noch einmal auf die zuvor erwähnte metrische Abweichung in V. 12 zurückgekommen werden. Diese befindet sich an einer entscheidenden inhaltlichen Stelle: Hier findet sich der scheinbare Widerspruch, dass die „Schwachen stehn“ (V. 12), während die Stärkeren „in einen Abgrund stündlicher Entthronung“ (V. 13) geworfen werden. Wenn man hingegen bedenkt, dass, wie oben angedeutet, das Dienen erstrebenswert ist, so ist auch die Entthronung, die Erniedrigung und Unterwerfung, erwünscht. Historisch gesehen entspricht dies der von nationalsozialistischer Seite gewünschten Unterwerfung unter das Regime. Auch die Idee des ‚Dritten Reichs‘ als Ewiges Reich wird angedeutet, indem es sich bei der Entthronung und damit der Unterwerfung dem Wortlaut des Sonetts folgend um „ein dauernderes Dasein“ (V. 14 – passenderweise der letzte Vers des Gedichts) handelt.

[...]


[1] Burdorf, Dieter: Einführung in die Gedichtanalyse. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart, Weimar 2015, S. 119.

[2] Kircher, Hartmut (Hg.): Deutsche Sonette. Stuttgart 1979, S. 446.

[3] Mönch, Walter: Das Sonett. Gestalt und Geschichte. Heidelberg 1955, S. 257.

[4] Fechner, Jörg-Ulrich (Hg.): Das deutsche Sonett. Dichtungen, Gattungspoetik, Dokumente. München 1969, S. 19.

[5] Fechner: Das deutsche Sonett, S. 22.

[6] Vgl. Mönch: Das Sonett, S. 17.

[7] Fechner: Das deutsche Sonett, S. 23.

[8] Vgl. Mönch: Das Sonett, S. 16.

[9] Vgl. ebd., S. 19.

[10] Vgl. ebd., S. 16.

[11] Vgl. Kircher: Deutsche Sonette, S. 418 und S. 433.

[12] Vgl. Mönch: Das Sonett, S. 259.

[13] Vgl. Kircher: Deutsche Sonette, S. 442.

[14] Vgl. ebd., S. 420.

[15] Fechner: Das deutsche Sonett, S. 22.

[16] Ebd.

[17] Ebd., S. 25.

[18] Kircher: Deutsche Sonette, S. 420.

[19] Vgl. Becher, Johannes R.: Philosophie des Sonetts oder kleine Sonettlehre. In: Becher, Johannes R.: Bemühungen II. Macht der Poesie. Das poetische Prinzip. Berlin, Weimar 1972, S. 603-632. Hier S. 605-607.

[20] Ziolkowski, Theodore: Form als Protest. Das Sonett in der Literatur des Exils und der Inneren Emigration. In: Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hg.): Exil und innere Emigration. Frankfurt am Main 1972, S. 153-172. Hier S. 171.

Problematisch ist in Bezug auf die Unterscheidung von ‚Sonett‘ und ‚Vierzehnzeiler‘ nicht nur die unklare Abgrenzung der Phänomene, sondern auch die nicht einheitlich verwendete Terminologie.

[21] Becher: Philosophie des Sonetts, S. 606.

[22] Müller, Oliver: Einführung in die Lyrik-Analyse. Darmstadt 2011, S. 7.

[23] Zur Epochenproblematik vgl. Allkemper, Alo und Eke, Norbert Otto: Literaturwissenschaft. 4., aktualisierte Auflage. Paderborn 2014, S. 188-192.

[24] Jungrichter, Cornelia: Ideologie und Tradition. Studien zur nationalsozialistischen Sonettdichtung. Bonn 1979, S. 7.

[25] Vgl. Burdorf, Dieter, Fasbender, Christoph und Moennighoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar 2007, S. 348.

Bei der Formel der ‚Inneren Emigration‘ handelt es sich zwar um einen umstrittenen Begriff, trotzdem ist es die geläufigste Bezeichnung für das oben beschriebene Konzept der zwischen NS-System und Exil positionierten Literatur, weswegen sie hier verwendet wird.

[26] Vgl. z. B. Hoffmann, Charles W.: Opposition Poetry in Nazi Germany. Berkeley, Los Angeles 1962.

[27] Vgl. z. B. Steinle, Jürgen: Reinhold Schneider (1903-1958). Konservatives Denken zwischen Kulturkrise, Gewaltherrschaft und Restauration. Aachen 1992, S. 139.

[28] Vgl. z. B. Groll, Gunter (Hg.): De profundis. Deutsche Lyrik in dieser Zeit. Eine Anthologie aus zwölf Jahren. München 1946, S. 8.

[29] Der Abdruck des Sonettkorpus findet sich im Textanhang, der dieser Arbeit hintangestellt ist.

[30] Jungrichter: Ideologie und Tradition, S. 57.

[31] Bartels, Jan: Gerhard Schumann – der „nationale Sozialist“. In: Rolf Düsterberg (Hg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. 10 Autorenporträts. Bielefeld 2009, S. 259-294. Hier S. 260.

[32] Schumann, Gerhard: Die Lieder vom Reich. München 1936.

[33] Schumann: Die Lieder vom Reich, S. 34.

[34] Vgl. Ziolkowski: Form als Protest, S. 159.

[35] Ebd.

[36] Im Standarddeutschen handelt es sich hierbei um einen leicht unreinen Reim, da die beiden u-Laute sich nicht gleichen.

[37] Vgl. Mönch: Das Sonett, S. 20.

[38] Vgl. Schlütter, Hans-Jürgen: Sonett. Stuttgart, Weimar 1979, S. 5.

[39] Kiefer, Sebastian: Pasticcio und „Utopia der Sprache“. In: Monika Albrecht und Dirk Göttsche (Hg.): „Über die Zeit schreiben“ 3. Würzburg 2004, S. 69-131. Hier S. 96.

[40] Burdorf: Metzler Lexikon Literatur, S. 333.

[41] Vgl. Böhme, Herbert (Hg.): Rufe in das Reich. Die heldische Dichtung von Langemarck bis zur Gegenwart. Berlin 1934, S. 103.

[42] Kircher: Deutsche Sonette, S. 447.

[43] Vgl. Böhme: Rufe in das Reich, S. 93 und S. 103.

[44] Kircher: Deutsche Sonette, S. 447.

[45] Ebd., S. 534.

[46] Vgl. z. B. Fechner: Das deutsche Sonett, S. 261f. und Kircher: Deutsche Sonette, S. 348-351.

[47] Groll: De profundis, S. 8.

[48] In Die Ernte der Gegenwart sind beispielsweise 26 Gedichte Weinhebers abgedruckt, die größte Zahl aller in dieser Anthologie vertretenen Dichter.

Vgl. Vesper, Will (Hg.): Die Ernte der Gegenwart. Deutsche Lyrik von heute. Ebenhausen bei München 1940, S. 387-398.

[49] Vgl. z. B. Ziolkowski: Form als Protest, S. 162.

Bei Ziolkowski ist jedoch keine eindeutige Zuordnung Weinhebers zum Nationalsozialismus zu erkennen, da Letzterer an einigen Stellen auch als Beispiel für die Lyrik der Inneren Emigration genannt wird (vgl. z. B. S. 163).

[50] Vgl. z. B. Loewy, Ernst (Hg.): Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. 3., überarbeitete Auflage. Köln, Frankfurt am Main 1977, S. 284.

[51] Weinheber, Josef: Späte Krone. Gedichte. München 1936.

[52] Klee, Ernst: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Vollständig überarbeitete Ausgabe. Frankfurt am Main 2009, S. 588.

[53] Weinheber: Späte Krone, S. 10.

[54] Vgl. Kircher: Deutsche Sonette, S. 444.

[55] Vgl. Kircher: Deutsche Sonette, S. 420.

[56] Vgl. Weinheber: Späte Krone, S. 9.

[57] Mönch: Das Sonett, S. 262.

[58] Vgl. z. B. Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin, New York 1988, S. 294-296.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Das deutsche Sonett in der Zeit von 1933 bis 1945
Hochschule
Universität Mannheim  (Deutsche Philologie)
Note
1.0
Autor
Jahr
2016
Seiten
52
Katalognummer
V353100
ISBN (eBook)
9783668393363
ISBN (Buch)
9783668393370
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Fazit des Gutachtens: "Die vorliegende Arbeit ragt unzweifelhaft heraus. Souverän, auch formal so gut wie fehlerfrei, bewegt sie sich auf einem außergewöhnlich hohen Reflexionsniveau und verdient deshalb das Prädikat 1,0 (sehr gut)."
Schlagworte
Sonett, deutsches Sonett, Sonettkorpus, Sonettanalyse, Nationalsozialismus, Exil, Innere Emigration, Lyrik, Exillyrik, Bertolt Brecht, Albrecht Haushofer, Johannes Becher, Reinhold Schneider, Josef Weinheber, Gerhard Schumann, Gedichtanalyse, lyrischer Widerstand, Sonetttradition
Arbeit zitieren
Vanessa Krauß (Autor:in), 2016, Das deutsche Sonett in der Zeit von 1933 bis 1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353100

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