Beide Werke stehen sowohl in literarischer als auch in entstehungsgeschichtlicher Hinsicht in einem bemerkenswerten Verhältnis zueinander, was den analytischen Vergleich besonders vielversprechend erscheinen lässt: Dass Herder nur ein halbes Jahr nach Erscheinen der Wielandschen Biographie in derselben Zeitschrift seine eigenen Gedanken über den deutschen Humanisten, Dichter und Reichsritter Ulrich von Hutten (1488–1523) veröffentlicht, lässt schon erahnen, dass hier keine Redundanz, vielmehr eine bewusste Inszenierungsdivergenz vorliegt. Zudem muss erwähnt werden, dass Herders ‚Hutten-Denkmal‘ in zweierlei Hinsicht hervorragt. Der Aufsatz und seine unkonventionelle Hutten-Inszenierung zählt nicht nur zu den „folgereichsten und wirkungsmächtigsten wie geistesgeschichtlich bedeutsamsten Werken der gesamten Rezeptionsgeschichte Huttens“, sondern markiert auch (gemeinsam mit weiteren biographischen Essays von Herder) einen gattungsgeschichtlichen Neuansatz und leitet damit eine „neue Art von Biographik“ ein.
Damit ist auch der gedankliche Verlauf des vorliegenden Aufsatzes vorgezeichnet: Zunächst wird der konkrete geschichtliche Rahmen der beiden Publikationen erläutert, der einen erheblichen Einfluss auf die jeweilige Darstellung der Hutten-Figur hat. Im Anschluss daran erfolgt die analytische Betrachtung von Wielands Nachricht von Ulrich von Hutten, dem Herders Hutten kontrastierend gegenübergestellt wird. Hierbei wird auch auf die Frage eingegangen, inwiefern sich Wieland und Hutten in eine rezeptionsgeschichtliche Tradition stellen – oder mit ihr brechen. Schließlich wird das Rezipientenecho auf Herders Essay knapp angerissen und in Beziehung zu seiner Hutten-Inszenierung gesetzt. Dass Herders Hutten in der vorliegenden Arbeit eine vergleichsweise tiefschürfendere Betrachtung erfährt, ist seiner, wie oben angedeutet, bedeutenden Rolle in der Geschichte biographischen Schreibens geschuldet. Auch wenn Wielands Essay rezeptionsgeschichtlich Herders Aufsatz den Vortritt lassen muss, so hat Wieland als Herausgeber doch einen entscheidenden Einfluss auf den kontextuellen Rahmen, in welchem Herders Hutten steht. Diesen geschichtlichen Hintergrund gilt es im Folgenden zu erhellen.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- I. Einführende Überlegungen: Wielands und Herders Hutten-Essays als Beispiel biographischer Inszenierungsdivergenz
- II. Hauptteil
- 1. Geschichtlicher Hintergrund der Publikationen
- 2. Vergleichende Betrachtung der Hutten-Essays
- 2.1 Christoph Martin Wieland: Nachricht von Ulrich von Hutten
- 2.1.1 Distanz zwischen Biograph und Objekt
- 2.1.2 Hutten-Interpretation unter aufklärerischem Vorzeichen
- 2.1.3 Selektive Szenendarstellung zulasten theologischer Themen
- 2.2 Johann Gottfried Herder: Hutten
- 2.2.1 Verbundenheit des Biographen mit dem Objekt
- 2.2.2 Protestantismus, Polemik, Pathetik
- 2.2.3 Genieästhetische Verklärung der Huttenfigur
- 2.2.4 Huttens Werke zwischen literarischer Bedeutung und nationaler Funktion
- 3. Herders Hutten-Inszenierung: Rezeption und Wirkung
- III. Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Arbeit analysiert zwei biographische Essays über Ulrich von Hutten: Wielands „Nachricht von Ulrich von Hutten“ und Herders „Hutten“. Ziel ist es, die bewusste Inszenierung des historischen Materials durch beide Autoren zu untersuchen und zu zeigen, wie sie unterschiedliche Hutten-Bilder schaffen. Dabei werden die literarischen und entstehungsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen den beiden Werken berücksichtigt.
- Die Inszenierungsdivergenz in biographischen Texten
- Der Einfluss des geschichtlichen Kontextes auf die Darstellung der Hutten-Figur
- Der Vergleich der Hutten-Interpretationen von Wieland und Herder
- Die Bedeutung von Herders „Hutten“ für die Gattung der Biographie
- Die Rezeption und Wirkung von Herders Hutten-Inszenierung
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Im ersten Kapitel werden die grundlegenden Überlegungen zur Inszenierung in biographischen Texten dargelegt. Es wird die Diskrepanz zwischen historischer Wahrheit und biographischer Wahrheit betont, die durch die Auswahl und Darstellung des Materials entsteht. Die Arbeit fokussiert auf den Vergleich zwischen Wielands und Herders Hutten-Essays.
Kapitel zwei beleuchtet den geschichtlichen Kontext der beiden Publikationen, die in Wielands „Teutsche Merkur“ erschienen. Die Intentionen Wielands als Herausgeber werden erläutert, ebenso wie die Bedeutung von Herders Aufsatz für die Entwicklung der biographischen Gattung.
Im dritten Kapitel erfolgt die analytische Betrachtung von Wielands „Nachricht von Ulrich von Hutten“, wobei insbesondere die Distanz zwischen Biograph und Objekt, die Hutten-Interpretation unter aufklärerischem Vorzeichen sowie die selektive Szenendarstellung im Vordergrund stehen.
Kapitel vier widmet sich Herders „Hutten“ und analysiert dessen Verbundenheit des Biographen mit dem Objekt, die Betonung von Protestantismus, Polemik und Pathetik, die genieästhetische Verklärung der Huttenfigur sowie die Einordnung von Huttens Werken in einen national-literarischen Kontext.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit befasst sich mit biographischer Inszenierung, literarischer und entstehungsgeschichtlicher Kontext, komparatistische Textanalyse, Wieland, Herder, Hutten, Aufklärung, Genieästhetik, Rezeption, Wirkung, biographische Gattung.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2016, Wielands "Nachricht von Ulrich von Hutten" und Herders "Hutten" unter dem Gesichtspunkt biographischer Inszenierung. Eine komparatistische Betrachtung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355650