Politianus und Cortesius. Ihre Ansichten pro und contra Cicero als exklusives Nachahmungsvorbild


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Wider Cicero: Politianus der Eklektiker
2.1 Hintergrund
2.2 Der Brief an Cortesius

3. Für Cicero: Cortesius der Ciceronianer
3.1 Hintergrund
3.2 Der Brief an Politianus

4. Überlegungen über die zwei Ansichten

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Während des 14.-16. Jh. in Florenz in der Zeit des Renaissance-Humanismus, dessen Beginn dem gesamten bildungsinhaltlichen Erneuerungsplan von Humanisten wie Francesco Petrarca zugeschrieben werden kann, blühte innerhalb des Gelehrtenkreises eine Bewunderung und Hingabe an die klassische Antike. Ihr Program zielte darauf ab, die ganze Gesellschaft durch eine Sprach- und Bildungsreform wie auch durch frische philosophische und theologische Ideen zur Erneuerung zu bewegen. Gleichzeitig setzte die immer noch existente traditionelle Verbindung mit der ruhmvollen Vergangenheit des Römischen Reichs und, generell, den Tugenden der inspirierenden klassischen Antike eine bewusstere qualitative Suche nach den berühmtesten und geeignetesten Geistern ein. Diese sollten als Vorbilder und Ideale dienen können, um die humanistische Krise, die das Mittelalter gebracht hatte, zu überholen. Der Rückblick darauf brachte außer der kulturellen Bedeutung des antiken Roms und Griechenlands auch Cicero, den redegewandtesten Menschen, der je gelebt hatte, zurück. Zudem förderte er die Idee einer literarischen Bildung, die zuversichtlich durch die Nachahmung (imitatio) seines Stils realisiert werden würde.1 Nachdem sich dieser Standpunkt für mehr als ein Jahrhundert ausgebreitet und unterhalb des Gelehrtenkreises eine bildungswichtige Position eingenommen hatte, scheint er nicht von allen Seiten ein großes Ansehen oder Akzeptanz genossen zu haben. Im Rahmen dieser sprachlichen Lernphilosophie standen sich zwei Strömungen gegenüber: Die erste bestand aus denjenigen, die Cicero traditionell für den obersten Autor hielten, dessen Wert und Vorbildlichkeit durch die Befestigung seines gehobenen Prosastils gepflegt werden musste; den sogennanten Cicieronianern. Die zweite bestand aus den fortschrittlicheren Eklektikern, die einen freieren und gemischteren Stil mit diachronischen Sprachelementen eines umfangreicheren Lateinischen repräsen- tierten und vorantreiben wollten. Einer der diesbezüglich weit verbreiteten Zwieträchte ist uns durch den im Jahrzehnt der 1490er gefallenen Briefaustausch zwischen den Humanisten Paulus Cortesius und seinem Anleiter und Freund Angelus Politianus überliefert worden.2 Kontroversen und Uneinigkeiten über die Nachahmung von Cicero existierten schon früher, besonders diejenige in der ziemlich angespannten Stimmung zwischen Lorenzo Valla und Gian Francesco Poggio. Der Konflikt der ersten aber gilt als Ausgangspunkt, der auch andere Humanisten anregte, die Uneinigkeit zwischen klassischem und vernakularem Stil auch während der nächsten Jahrhunderte zu behandeln.

Ciceros Einfluss und Bedeutung ist auch im heutigen Bildungsystem (wenigstens in der Sekundarstufe des deutschssprachigen Raumes) bemerkbar, obschon die Sprachlehre auf dem Wissenserwerb mehrerer, ausgewählter und herausragender Autoren, die gleichzeitig eine breitere Latinität abdecken, basiert.3 Allerdings könnte man das Thema der sprachlinen Stilfreiheit noch als aktuell, erwägenswert und erneut diskussionswürdig betrachten. Solange soziale Normen (z.B. eine klassische Tradition, Denker, Politiker usw.) die Menschen anregen, die geisteswissenschaftliche Vergangenheit durch die originale Überlieferung zu untersuchen, um sie immer mehr zu verstehen, wird Lateinisch - auch neben Griechisch und Hebräisch - immer als eine interessante Materie vorhanden sein.

Der vorliegende Aufsatz analysiert die Ansichten von Cortesius und Politianus nach einer Argumentation für und wider Cicero als exklusives Nachahmungsvorbild und wie sich diese Punkte durch ihre zwei bekanntesten Briefe ergeben; dazu stellt er mögliche Fakten vor, die einen sozialen Eindruck, Ciceros Wichtigkeit und manche sprachbezogenen humanistischen Ziele in der Italienischen Gesellschaft des 15. Jh. skizzieren.

2. Wider Cicero: Politianus der Eklektiker

2.1 Hintergrund

Eine sprachliche Tradition streng in Betracht nehmend, könnte man sagen, dass Politianus als geistige Einflussquelle eine fortschrittliche, bahnbrechende Kraft und Bewegung, die dem Niveau der Mehrheit der Menschen seiner Zeit entsprach, repräsentiert. Als Sprachtalent konnte er je nach Situation den geeignetesten Stil aus dem gesamten lateinischen Erbe verwenden. Dies kann man an der sprachlichen Vielfalt seiner Werke erkennen, z.B. verfasste er Gedichte im Lateinischen und Altgriechischen; Gesänge in der tuskanischen Mundart; ein politisches Werk bezüglich der Feindschaft zwischen Medici und Pazzi nach dem ziemlich komplexen Stil von Sallust; andere Werke im Italienischen jener Zeit usw.

Diese Flexibilität und stilistische Präferenz ist ein guter Anfang bzw. eine gute Voraussetzung, um über literarisch-sprachliche Produktivität und Fortschritt zu sprechen. Dies ist auch eine Folge des Eklektiker4 Seins, nämlich einer, der sich unabhängig von sozialen Konventionen und blinden oder trockenen Traditionen leicht umstellen, in der Literaturwelt wählerisch äußern und irgendein Publikum umgehend auf sich ziehen kann. Aufgrund seiner Freundschaft und teils politischen Wechselbeziehung mit der bekannten Familie Medici muss Politianus sich schnell unter einem breiten Publikum befunden und bekanntgemacht haben. Neben dem Lehrstuhl, den er später an der Florentiner Universität innehatte, konnten seine populären Lektüren nicht nur wegen seines Kenntnisstandes einen inhaltlichen Anklang bei seinen kosmopolitischen Zuhörern finden, sondern auch wegen seines beredsamen Einflusses.5 Seine Orientierung gehört zu einer modernen und zukunftsoffenen Strömung, in der Begriffe wie Nachahmung, absichtlich begrenzte Sprachverwendung, sowie Ideen eines reinen, gehobenen und vorbildlich „richtigen“ Lateinischen und alles, was sich an eine sprachliche Begrenzung oder generelle zeitliche Verfremdung richtete, in der Gegenrichtung zu den Eklektikern lag. So etwas bedeutet aber nicht, dass sie gegenüber Cicero einen Hass hegten oder dass sein Stil gemieden wurde, sondern dass seine Sprachschätze für die damaligen literarischen Bedürfnisse unzureichend waren. Denn im Nachhinein sprechend, was Europa in die Zeit der Aufklärung führte - nach einer breitgefassten Definition - war die Denkfreiheit und die daraus hervorgegangene Rationalität.

2.2 Der Brief an Cortesius

Der Brief von Politianus an seinen Freund - und ab diesem Punkt Kontrahent - Cortesius teilt uns kurz, argumentativ und kategorisch manche humanistischen Ziele und Erwartungen, für die er sich auch einsetzte, mit. Wir können diesen folgendermaßen aufteilen: 1. Konfliktsgründe (Erläuterung seiner Ansichten), 2. Beispiele aus seiner enttäuschenden Erfahrung über die Anwendung der imitatio als literarisches Prinzip und 3. Vorschläge und Ratschläge an seinen Gegner für ein konstruktives und beachtenswertes literarisches Verfassen.6 Cicero als sprachliches Vorbild scheint auf den ersten Blick nicht genügend zu sein, um eins etwaiges Bildungsprogramm zu unterstützen oder Sprachtalente, die sklavisch nur ein einziges Vorbild - und zwar das allerbeste - nachahmen müssen, zu produzieren und auszuzeichnen (1.7-9, Non enim probare soles - ut accepi - nisi qui liniamenta Ciceronis effingat). Seines Erachtens sei jeder Mensch einzigartig und er solle keinesfalls mit dem Sonderfall Cicero identifiziert werden. Denn was die Menschen voneinander unterscheide und sie zu besonderen Menschen mache, solle irgendwie von sich selbst als eine angeborene und bewusst anleitende Kraft eigenen Tons oder eigenen Geschickes anfangen; nicht aber als eine billige Kopie, die der Originalität, des Gefühles und der Lebendigkeit entbehre (1.16-19, Carent enim quae scribunt isti viribus et vita; carent actu, carent affectu, carent indole; iacent, dormiunt, stertunt. Nihil ibi verum, nihil solidum, nihil efficax.). Diese Gedanken enthalten vielleicht auch Elemente der Selbstmotivation und des Selbstvertrauens, die jemand besitzen muss - sei er z.B. Literat oder Maler - um seine charismatischen Fähigkeiten zu bekunden und zu pflegen, wie auch um etwas wirklich Eigenes zu schaffen. Politianus meint allerdings, dass der Stil eines Verfassens, das durch den Einfluss möglichst vieler Autoren geschaffen wurde, derjenige ist, der die Kreativität und Originalität, des umsichtigen Geistes trage und bestimme. Für ihn bedeutet offensichtlich die strenge Nachahmung eines einzigen Modells Mangel von Erfindungsgabe; sie bedeutet auch die Wiederholung einer Vergangenheit, die leider ziemlich weit weg von den literarischen Bedürfnissen seiner Zeitgenossen liegt und die den Erwartungen des Durchschnittsmenschen vielleicht auch nicht entspricht. Darauf basierend vergleicht er viele, die so trocken und untalentiert Cicero kopieren, ohne verstehen zu können, was sie wirklich sagen, mit einem Papagei oder einer Elster (1.14-16, Mihi certe quicunque tantum componunt ex imitatione, similes esse vel psitaco vel picae videntur, proferentibus quae nec intellegunt.); oder auch mit einem Affen, dessen imitatio-Bild aus manchen Römischen Autoren stammt,7 um zu erklären, dass die an Kopie gebundene Vorbildlichkeit, wie jene von Cicero, seit Langem keine prominenten oder verherrlichenswerten Talente produzieren konnte (1.12-14, Ridentur a Quintiliano qui se germanos Ciceronis putabant... Inclamat Horatius...nihil aliud quam imitatores). Ein interessanter Parallelismus über den Standpunkt der Originalität und wie er sie meint, ist das Beispiel Senecas mit den Bienen, die durch ihr Werk und ihren Eifer etwas Neues und Eigenes produzieren. Sie besuchen viele Blumen, nehmen den Nektar aus ihren Blüten und durch ihr „Talent“ stellen sie den Honig her.8 Nach dem Humanisten Pietro Bembo soll das Ziel nicht das Nachahmen (imitatio), sondern das Nacheifern (aemulatio) sein, angesichts auch der Tatsache, dass „die Nachahmung immer mit Wetteifer verbunden ist.“9 Denn man hat oft eine frische Idee, aber ein anderer kann sie nach seiner eigenen Art weiter entwickeln und noch ein anderer etwas mehr umformen usw., so dass jedes Ergebnis dadurch einen persönlichen Ton tragen wird. Das Ergebnis aber der strengen und begrenzten imitatio eines Ciceronianers enthält nicht genug Ergiebigkeit, wie sie Politianus beschreibt und nach der er sich sehnt; denn er habe schon aus erster Hand Beispiele solcher Beständiger, die sprachlich nichts Attraktives, nichts Gescheites verfasst haben, beobachtet (2.3, colligere tria verba non possunt, 2.5-6, horum oratio fermula, vacillans, infirma, male curata, male pasta). Im Weiteren spornt er Cortesius an, diese zwecklosen und minderwertigen Nachahmungen zu verlassen und etwas Eigenes, das durch die „Verdauung“ vielerlei Stile erreicht werden könne, zu schaffen (3.4-10, Sed cum Ciceronem, cum bonos alios mutlum diuque legeris, … ac iam componere aliquid ipse parabis... tuasque denique vires universas pericliteris).

[...]


1 Leeds, S. 43

2 Robert J., S. 14

3 In der Erweiterungsprüfung Latinum wird z.B. immer ein Cicero-Text gegeben. Weitere prüfungsrelevante Autoren sind dazu: Sallust, Seneca und Plinius, d.h. immer die nächsten in der Reihe der Ausgezeichneten.

4 Das Wort Eklektizismus ist ein moderner Begriff. Das Adjektiv eklektisch (gr. ἐκλεκηικόρ = aus- wählerisch) kommt bei dem Stoiker Chrysippus als Verweis auf die nach Antipater von Kyrene (4. Jh. v. Chr.) definierte Bedeutung des Wertes vor: ηὴν δὲ ἀξίαν λέγεζθαι ηπισῶρ, (...)- καὶ ηὴν ηπίηην, ἣν ὁ ᾿Ανηίπαηπορ ἐκλεκηικὴν πποζαγοπεύει, καθ' ἣν διδόνηων ηῶν ππαγμάηων ηάδε ηινὰ μᾶλλον ἀνηὶ ηῶνδε αἱπούμεθα, οἷον ὑγίειαν ἀνηὶ νόζος καὶ ζωὴν ἀνηὶ θανάηος καὶ πλοῦηον ἀνηὶ πενίαρ. (= der Wert wird dreierlei ausgesprochen (...); drittens, wie Antipater ihn eklektisch nennt, bevorzugen wir das eine als das andere, wenn etwas gegeben wird, z.B. Gesundheit als Krankheit, Leben als Tod und Reichtum als Armut.) Bezüglich des Sprachstils benutzt der Redner und Historiker Dionysios von Halikarnassos als erster das Wort in De imitatione (Frag. 31,3,2, 6-9), in dem er Xenophon eifersüchtig auf Herodot, sachlich nicht minderwertiger als er und sprachlich teils gleich und teils minderwertiger bezeichnet: ἐκλεκηικὸρ μὲν γὰπ καὶ καθαπὸρ ηοῖρ ὀνόμαζι, καὶ ζαθὴρ καὶ ἐναπγήρ (...) (= bezüglich der Nomen war er eklektisch, rein, genau und klar). In De Lysia (15, 19-21) beschreibt er den großen griechischen Redner als: ηῶν κπαηίζηων δὲ καὶ κςπιωηάηων ἐκλεκηικόρ, εἰ μὴ καὶ μάλιζηα ηῶν ἄλλων ῥηηόπων, οὐδενόρ γε ἧηηον (= <er war> der äußerst eklektische im Vergleich zu den herrschendsten und wichtigsten Rednern <und> keines von diesen weniger eklektisch.)

5 Für einen detaillierten Lebenslauf s. Stichwort Poliziano A. A. in der Enzyklopädie auf www.treccani.it

6 Die lateinischen Zitate stammen aus Dellanevas Buch, S. 2-15.

7 z.B. Seneca, Plinius, Horaz; für mehr darüber s. Dellaneva, S. 233, Fn. 2.

8 Seneca iunior, 84,5 „...(debemus) adhibita ingenii nostri cura et facultate in unum saporem varia illa libamenta confundere, ut etiam si apparuerit unde sumptum sit, aliud tamen esse quam unde sumptum est appareat.“ (= mit der Sorgfalt unseres Geistes und Geschickes sollen wir jene Geschmackssorten zu einer einheitlichen Kostbarkeit vereinigen, so dass, obwohl sie ihren Ursprung versteckt aufbewahren wird, wird sie wie eine ganz andere Sache als die ursprungliche aussehen.)

9 Bembo, S. 57: Aemulatio semper cum imitatione coniuncta sit.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Politianus und Cortesius. Ihre Ansichten pro und contra Cicero als exklusives Nachahmungsvorbild
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
17
Katalognummer
V356151
ISBN (eBook)
9783668419278
ISBN (Buch)
9783668419285
Dateigröße
776 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cortesius, Politianus, Ciceronianismus, Cicero, Nachahmung, Rhetorik, Renaissance, Humanismus, Antike
Arbeit zitieren
Michael Barkas (Autor:in), 2014, Politianus und Cortesius. Ihre Ansichten pro und contra Cicero als exklusives Nachahmungsvorbild, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356151

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