Sprache als Medium


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Sprachvergessenheit der Medientheorie

3. Die Medialitätsvergessenheit der Sprachtheorie

4. Der Medienbegriff

5. Zum Sprachverständnis Ludwig Wittgensteins
5.1. Regeln und Regelfolgen
5.2. Die private Sprache
5.2.1 Empfindungen
5.2.2 Das E-Spiel

6. Das Medium des Geistes

Fazit

1. Einleitung

Wird man danach gefragt, was Medien sind, dann werden einem wohl zunächst die verschiedenen Massenkommunikationsmittel einfallen, die so eng mit unserem Leben verflochten sind, dass wir nur noch schwer ohne sie sein können. Man wird an audiovisuelle Medien, an akustische Medien, Printmedien oder die neuen Medien denken und dabei doch zugleich der ursprünglichen Verkörperung von Medialität wenig Beachtung schenken; nämlich der von Sprache in ihrem alltäglichen Vollzug des Sprechens, der oralen Sprache. Diese Ignoranz gegenüber der Medialität von Sprache, die sich insbesondere auch in der neueren Sprachwissenschaft abzeichnet, basiert nach Ludwig Jäger letztlich auf einem eingeschränkten Kommunikationsverständnis, auf einem Verständnis, dass Kommunikation auf den bloßen Transport bereits vorhandener Information reduziert.

Im Verlauf dieser Arbeit werde ich versuchen zu zeigen, warum ein solches Verständnis dem Medium Sprache nicht gerecht werden kann. Die Ausführungen Ludwig Wittgensteins, der in seiner Spätphilosophie als einflussreicher Gegner des Transportmodells auftritt, werden sich für mein Vorhaben als besonders hilfreich erweisen. Denn mit seiner Konzeption verschiedener sozialer Sprachspiele überwindet Wittgenstein die traditionelle Vorstellung einer verdinglichenden Sprachauffassung, in der die vielfältigen Funktionen der Sprache zugunsten der des Benennens ausgeblendet werden. Diese Sprachauffassung wird von Wittgenstein vor allem anhand seiner Argumentationen bezüglich Regelfolgen und Privatsprache systematisch begründet, ich werde mich also auf die hierfür relevanten Passagen seiner Philosophischen Untersuchungen konzentrieren.

Hat man schließlich die beschränkte Vorstellung einer kognitivistisch geprägten Sprachwissenschaft überwunden, dann muss man sich auch den Besonderheiten sprachlicher Medialität zuwenden. Wie hängen Sprache und Denken zusammen, wenn Sprache nicht auf den bloßen Transport bereits vorhandener Gedanken reduziert werden kann? Um auch diese Frage hinreichend zu beantworten, werde ich die vorliegende Arbeit mit einem Ausblick auf die Ergebnisse Ludwig Jägers beschließen, der in seinem Aufsatz zur Sprache als Medium des Geistes näher auf das Abhängigkeitsverhältnis von Sprache und Denken eingeht.

2. Die Sprachvergessenheit der Medientheorie

Während in der aktuellen Diskussion um den Begriff des Mediums dieser Ausdruck nahezu vorbehaltlos auf so unterschiedliche Referenzobjekte wie Internet, Fernsehen, Printmedien, Computer, Schrift, Bilder, Schallwellen oder ähnliches bezogen wird, so wird die Medialität der oralen Sprache doch häufig übersehen. Es stellt sich die Frage, warum dies so ist.[1]

Ludwig Jäger gibt in seinem Aufsatz zur Sprachvergessenheit der Medientheorie eine überzeugende Antwort auf diese Frage. Er beschreibt die Tendenz, Medialität mit Technologie gleichzusetzen und infolgedessen die Medialität von Sprachzeichen auszublenden. Diese Entwicklung führt er auf die Tatsache zurück, dass bis heute viele medientheoretische Ansätze auf einem unzureichenden Transport-Modell der Kommunikation basieren. Im Rahmen dieses Modells wird Kommunikation auf die Technik des Übertragens, Distribuierens und Speicherns von Informationen reduziert, die Medien selber erscheinen als reine Repräsentationsmedien. Sie werden im Zuge des technologischen Fortschritts immer mehr als bloße prothetische Erweiterungen unmittelbarer Kommunikation verstanden.[2] Der derart gewonnene Medienbegriff ist offenbar einseitig, wird aber nichtsdestotrotz auf den Bereich nichttechnischer Kommunikation ausgeweitet. So gelangt man zu einem allgemeinen Begriff des Kommunikationsmediums, der allerdings den medialen Aspekt oraler Sprache nicht beachtet, die Funktion von Medien vielmehr darin sieht, „prämediale Gedanken“ zu übertragen. Ihren Höhepunkt findet diese Ignoranz gegenüber der Medialität von Sprache schließlich in der unerlaubten wie irreführenden begrifflichen Entgegensetzung von Sprache und Medien.[3]

Im weiteren Verlauf seiner Arbeit bringt Jäger nun – und darin liegt auch für Schneider die eigentliche Pointe seiner Argumentation - die beschriebene Sprachvergessenheit der Medientheorie mit einer Medialitätsvergessenheit der Sprachtheorie in Verbindung. Die Linguistik in ihrer prädominanten kognitivistischen Ausrichtung könne durchaus als eine Wissenschaft der Marginalisierung von Sprache bezeichnet werden. Zumindest sei dies möglich, wenn sie Sprache als einen von ihrer material-medialen Erscheinungsform losgelösten Erkenntnisgegenstand begreift.

Warum verfährt die Sprachwissenschaft seit der kognitiven Revolution aber maßgeblich auf diese Weise, warum konstituiert sie ihren Erkenntnisgegenstand „Sprache“ auf eine Art, die es gestattet, die Aspekte seiner materiellen Existenz, also seiner medial-kommunikativen Erscheinungswirklichkeit, aus dem Bereich der Erkenntnis auszuschließen?[4]

3. Die Medialitätsvergessenheit der Sprachtheorie

Die Struktur- und die Handlungstheorien der Sprache und Kommunikation folgen den Bahnen eines Zwei-Welten-Modells der Sprachlichkeit. Dieses Modell unterscheidet zwischen der Ebene einer enttemporalisierten und damit universalen Form der Sprache und Kommunikation – hier könnte man auch von Kompetenz, System oder Regelwerk sprechen – und einer Ebene ihrer raumzeitlich situierten, partikularen Verwendung. Im Rahmen eines solchen Modells gehören Medien der Anwendung und Aktualisierung der Sprache, kurz: der Seite der Ausführung an. Insofern scheint es nachvollziehbar, immer dann von Medien zu reden, wenn von der sprachlichen und kommunikativen Kompetenz, vom sprachlichen Kenntnissystem, vom grammatischen und pragmatischen Regelwerk in raum-zeitlich spezifizierten Situationen Gebrauch gemacht wird.[5]

In diesem Zusammenhang weiß Krämer nun auf ein banales, wenn auch entscheidendes Charakteristikum unserer Sprache hinzuweisen: Sie hält nicht still. Will der Sprachwissenschaftler überhaupt zum Gegenstand seiner Erkenntnis gelangen, dann kommen Aufzeichnungstechniken unweigerlich ins Spiel. Die phonetische Schrift gewährleistet diese Aufzeichnung bzw. Stillstellung, mit ihr kann die Sprachwissenschaft ihr Objekt sowohl fest- als auch darstellen. Mittels ihrer wird Sprache als ein System reidentifizierbarer Zeichen beobachtbar. Die Strukturen, Bedingungen und Regeln von Sprache und Kommunikation aber, von denen – wie bereits gezeigt - angenommen wird, dass sie dem tatsächlichen Sprachvollzug als universelle Kompetenz wie als generierende Potenz zugrunde liegen, markieren weder eine natürliche Ordnung der Sprache, noch gibt das Wissen um diese Regeln überhaupt eine Vorraussetzung für das Sprechen- und Kommunizieren- Können ab. Vielmehr - das gibt Krämer zu bedenken - beruhen die Merkmale, die der Sprach- und Kommunikationskompetenz zugesprochen werden, darauf, dass Eigenschaften des Beschreibungsmittels, also der phonetischen Schrift, auf das Beschriebene selbst, die Sprache überhaupt, übertragen werden. Auf diese Weise entsteht das Bild einer Sprache, die als universale Tiefenstruktur und als rationalisierbares Wissenssystem allem Sprechen zugrunde liegt. Diese Sprache ist Projektion und Produkt der kulturhistorischen Form ihrer schriftsprachlichen Darstellung und Bearbeitung, die Schrift steht dem Bild von der Sprache hinter dem Sprechen Modell. Anders ausgedrückt: die Idee der reinen Sprache erweist sich als ein Emergenzphänomen der Schrift.[6] Krämer kennzeichnet diesen Vorgang als Purifizierungsstrategie und sieht seine Leistung in erster Line darin, der Sprachwissenschaft, trotz der phänomenalen Disparität und Fluidität der Sprachgebräuche, ein homogenes und individuierbares Untersuchungsobjekt zu geben. Unweigerlich impliziert die Purifizierungsstrategie allerdings, dass Medien nur ein Realisierungsphänomen sind.[7]

Festzuhalten gilt: Wenn Sprach- und Kommunikationstheorien voraussetzen, dass dem Sprechen ein Wissen um die universalen Bedingungen von Kommunikation zugrunde liegt, dann rückt die Kompetenz ins Zentrum der Sprachreflexion, während die Performanz zugleich an ihre Peripherie gedrängt wird. Sprache tritt auf als eine Welt mit doppeltem Boden, gespalten durch die Überzeugung, dass das, was an Sprache wesentlich ist, nicht das sein kann, was sich im Sprechen zeigt. Hinter dem Sprechen gibt es also nicht nur eine Sprache, eine reine Sprache; diese Sprache geht dem Sprechen darüber hinaus logisch und genealogisch voraus.[8]

Auch Jäger kritisiert eine derartige Sprachauffassung. Es sei tatsächlich ein Grundzug neuerer Sprachtheorien, ob nun Sprechakttheorie, Universalpragmatik oder linguistischer Kognitivismus, dass sie hinter dem Sprachgebrauch eine mentale Sprache postulieren, als deren bloßes Derivat die materialiter erscheinende Sprache dann angesehen werden muss. Den Übergang von der äußeren zur inneren Sprache beschreibt er in seiner Terminologie als den Wechsel von der Medialität zur Mentalität.

Dem tatsächlichen Gebrauch der Sprache in ihrer medial-kommunikativen Erscheinung kommt hier keinerlei Bedeutung für Genese und Fortschreibung des zugrunde liegenden Systems zu.(…) In der Tat – dass der Sprachgebrauch als ein bloßes Derivat einer ihm zugrunde liegenden Form, eines Systems, eines mentalen Organs aufgefasst werden müsse, ist eine der Zentralannahmen des linguistischen Strukturalismus/ Kognitivismus.[9]

Wenn aber als Gegenstand linguistischer Erkenntnis allein die mentale Sprache und Struktur begriffen wird, dann ist die Sprache als externe Interaktivität von Zeichenhandlungen allenfalls epiphänomenal. Sprachen in ihrer medialen Realität haben nicht die Dignität wissenschaftlicher Gegenständlichkeit, die strukturalistisch-kognitivistisch geprägte Sprachwissenschaft schließt das Mediale deshalb prinzipiell aus dem theoretischen Horizont des Sprachlichen aus. Für den Hauptzweig der Sprachtheorie sagt die Tatsache, dass Sprachen erscheinen, sich also ihrer medialen Formate bedienen, nichts über ihr Wesen aus. Ludwig Jäger sieht die Pointe der kognitiven Revolution demnach in der systematischen Ausgrenzung des Problems der Medialität.[10]

Bis hierhin habe ich versucht darzustellen, inwiefern die Sprachvergessenheit der Medientheorie mit einer Medialitätsvergessenheit der Sprachtheorie konvergiert, warum Schrift und andere Medien als bloße Transportmittel für medienneutrale Gedanken erscheinen müssen. Wie aber können wir ein solches Sprachverständnis überwinden?

4. Der Medienbegriff

Die künstliche Entgegensetzung von Sprache und Medien kann – so Jäger – nur dann vollständig überwunden werden, wenn nicht erst die Schriftsprache als das Medium des menschlichen Geistes begriffen wird, sondern wenn man diese Rolle bereits der oralen Sprache beimisst. Soll dies aber gelingen, so muss man als Alternative zu dem offensichtlich unzureichenden Transport-Modell vieler medientheoretischer Ansätze zunächst einen Medienbegriff entwickeln, der auch der spezifischen Verfasstheit des Mediums Sprache gerecht wird.[11]

Sybille Krämer hat in ihrem Aufsatz Das Medium als Spur und als Apparat eine solche Begriffsbestimmung vorgenommen. Dazu grenzt sie den Begriff des Mediums zunächst von dem des Werkzeugs bzw. Instruments ab. Setzen wir - so argumentiert Krämer - ein technisches Instrument ein, so machen wir mit diesem Instrument etwas, es wird gebraucht, zurückgelassen und bleibt auf diese Weise der zu bearbeitenden Sache restlos äußerlich. Empfangen wir dagegen eine Botschaft, so ist diese in einem Medium gegeben. Etwas ist in ein Medium eingetaucht und von ihm so durchdrungen, dass es außerhalb des Mediums nicht existieren kann, gänzlich ohne Medium ist dieses Etwas nicht verfügbar. Man ist also – so die logische Schlussfolgerung - an ein Medium gebunden und bewegt sich in ihm. Auf ein Instrument hingegen findet man sich verwiesen, bedient sich seiner; was darüber hinaus mit ihm bearbeitet wird, das hat eine vom Werkzeug ablösbare Existenz.[12]

Eine geeignete Begriffsbestimmung des Mediums scheint gefunden; um das eigentliche Problem sprachlicher Medialität darüber hinaus klarer zu fassen und gleichzeitig zu demonstrieren, warum der kognitivistische Ansatz dem Phänomen Sprache nicht gerecht werden kann, werde ich mich im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf Wittgensteins Ausführungen zur Unhintergehbarkeit der normalen Sprache stützen.[13]

[...]


[1] vgl. Schneider, Jan Georg 2003

[2] vgl. Jäger, Ludwig 2000: 15

[3] vgl. Schneider, Jan Georg 2003

[4] vgl. Jäger, Ludwig 2000: 26

[5] vgl. Krämer, Sybille 2000: 33f.

[6] vg. Krämer, Sybille 1999: 380+384

[7] vgl. Krämer, Sybille 2000: 33f.

[8] vgl. Krämer, Sybille 1999: 374-377

[9] Jäger, Ludwig 2002: 46f.

[10] vgl. Jäger, Ludwig 2000: 26f.

[11] vgl. Schneider, Jan Georg 2003

[12] vgl. Krämer, Sybille 1998: 83f.

[13] vgl. Schneider, Jan Georg 2003

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sprache als Medium
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Oralität und Literalität
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V35721
ISBN (eBook)
9783638355483
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Ignoranz gegenüber der Medialität von Sprache, die sich auch in der neueren Sprachwissenschaft abzeichnet, basiert auf einem eingeschränkten Kommunikationsverständnis, dass Kommunikation auf den bloßen Transport bereits vorhandener Information reduziert. Unter Bezugnahme auf Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen" sollte es aber möglich sein, ein angemesseneres Bild von Sprache zu entwickeln.
Schlagworte
Sprache, Medium, Oralität, Literalität
Arbeit zitieren
M.A. Jens Claaßen (Autor:in), 2004, Sprache als Medium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35721

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