Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die philosophisch-theologische Darstellung des antiken hellenistischen
3. Die philosophisch-theologischen Grundlagen des biblischen Schöpfungsaktes im Kontext des antiken jüdischen Denkens und ihr Einfluss auf die Genesis
4. Die Ovid‘sche Schöpfungsgeschichte bei Wickram unter Bezugnahme auf die „Vier zeiten deß Jars“ und der Thematisierung des „Sündenfalls“
5. Textueller Vergleich der Entstehungsgeschichte in Ovids Metamorphosen mit dem Schöpfungsbericht der biblischen Genesis
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, […]“[1]
„Ehe das Meer und die Erde bestand und der Himmel, der alles deckt, da besaß die Natur im All nur ein einziges Antlitz, Chaos genannt, eine rohe und ungegliederte Masse, […] ein Gott, eine beßre Kraft der Natur schied Himmel und Erde und Erde und Wasser, […]“[2]
Anhand der Zusammenschau dieser kurzen Passagen aus der dem Buch Genesis der Bibel und aus Ovids Metamorphosen, lassen sich deutliche Parallelen hinsichtlich des Inhalts und der Verwendung bestimmter Begriffsbezeichnungen erkennen.
Ziel dieser Arbeit ist es, jene Parallelen durch einen textuell-inhaltlichen Vergleich und durch eine sprachlich-linguistische Gegenüberstellung der Originaltexte[3] aufzuzeigen.
Um den Vergleich jedoch nicht nur auf Textebene durchzuführen, sondern um auch die Hintergründe für die Entstehung ähnlicher mythologischer Schöpfungserzählungen zu beleuchten, werden im Folgenden die philosophisch-theologischen Einflüsse geschildert, die auf Ovids Werke und dem Autor der Genesis eingewirkt haben.
Dazu werden zunächst die Einflüsse der antiken hellenistischen und der antiken jüdischen Kultur geschildert und in Bezug auf die Metamorphosen und die Genesis gesetzt.
Anschließend erfolgt ein Vergleich der Ovid’schen Schöpfungsgeschichte mit der von Wickram rezipierten Fassung unter besonderer Berücksichtigung der Erzählung von den vier Weltaltern und eine dementsprechende Thematisierung der mittelalterlichen Vorstellung des Schöpfungsgeschehens.
Den Hauptteil dieser Arbeit bildet danach der Textvergleich der beiden Werke mit einer Gegenüberstellung ähnlicher oder sich deckender Bezeichnungen innerhalb der Originaltexte.[4]
Abschließend erfolgt mit Hilfe der oben genannten Punkte ein zusammenfassendes Fazit in Form der Beantwortung der Fragestellung.
2.Diephilosophisch-theologische Darstellung des antiken hellenistischen
- Im Anfang war das Chaos -
Unter den Einflüssen vonseiten der antiken hellenistischen Dichter und Philosophen spielt Hesiod[5] die wohl bedeutendste Rolle für das Werk Ovids.[6] So ist auch der Schöpfungsmythos vor allem in Hinblick auf die bekannteste Form des griechischen Schöpfungsgedankens, der Entstehung der Welt aus dem Chaos[7], in den Metamorphosen nach dem Vorbild von Hesiods „Theogonie“ übernommen worden. Allerdings ist hierbei hinzuzufügen, dass es sich bei Hesiod zwar um den ersten Dichter handelte, der eine kohärente Erzählung eines Schöpfungsmythos verfasste, diese Erzählungen aber teilweise eng an Motive der Werke Homers angelehnt sind.[8]
Das antike Leitmotiv der Entstehung aus einem ursprünglichen oder erschaffenen Chaos heraus, geht dabei aber auf eine ältere Schöpfungsmythologie zurück, die wiederum Hesiod rezipiert hat[9] und die sich auch in vielen anderen geistigen Strömungen des antiken Griechenlands finden lässt.[10]
Anders als bei Hesiod[11] ist das Chaos in Ovids Metamorphosen präexistent. Dies bedeutet, es musste nicht erst entstehen, sondern, im Wortlaut:
„Vor der Entstehung des Meeres und der Erde und dem Himmel, welcher alles bedeckt, war nur ein Aussehen der Natur auf der ganzen Welt, man hat dies „Chaos“ genannt.“ (Z. 6 – 7)[12]
Auch das nun folgende Eingreifen eines ordnenden Schöpfergottes lässt sich bei Hesiod nicht vorfinden, der seinen Weltschöpfungsbericht auf die Entstehung der personifizierten Erde, Gaia, aus dem Chaos heraus konzentriert und anschließend die Entstehung alles Seienden und der götterähnlichen Gestalten durch eine Zeugungsabfolge erklärt .[13]
[...]
[1] בראשית ברא אלהים את השמים ואת הארץ; in transkribierter Schreibweise: „bereschit bara elohim et haschamaijim weet haarez“ (Vgl. Schenker, Adrian u.a. (Hrsg.), Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1997, 5., verbesserte Aufl., S. 1.); der deutsche Text wurde entnommen aus: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg [u.a.] 2009, S. 5.
[2] Ante mare et terras et quod tegit omnia caelum unus erat toto naturae vultus in orbe, quem dixere chaos: rudis indigestaque moles […] Hanc deus et melior litem natura diremit. Nam caelo terras et terris abscidit undas et liquidum spisso secrevit ab aere caelum. (Vgl. Hübner, Ellen (Hrsg.), Ovid, Metamorphoses, Stuttgart 2010, S. 17); der deutsche Text wurde entnommen aus: P. Ovidus Naso, Metamorphosen. Epos in 15 Büchern, Stuttgart 2015, S. 23.
[3] Es handelt sich hierbei allerdings nur um eine oberflächliche sprachliche Analyse, da eine tiefergreifende Erörterung den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde. Dies gilt nicht für den Schöpfungstext in Ovids „Metamorphosen“, umso mehr aber für den Text der Genesis, da bereits die ersten drei Worte des Textes mannigfache und umstrittene Deutungsmöglichkeiten liefern. Vgl., Linke, Bernd Michael, Schöpfungsmythos im Alten Orient und in der Bibel, in: Linke, Bernd Michael, Schöpfungsmythologie in den Religionen (Hg.), Frankfurt am Main 2001, S. 103.
[4] Bei dem Umfang der für die Gegenüberstellung ausgewählten Schöpfungserzählungen gehe ich dabei bei Ovid von V. 1 bis V. 89 der Metamorphosen aus, bei der Genesis von Vers 1,1 – 3,24.
[5] Hesiod (*ca. 700 v. Chr.) gilt neben Homer als einflussreicher Dichter und „[…] für die Philosophie der Griechen […] weit folgenreicher als Homer.“ in: Alber, Karl (Hrsg.), Hesiod. Theogonie, Sankt Augustin, 7. überarb. Aufl. 2005, S. 9.
[6] So hält Ioannis Ziogas in diesem Punkt fest: „[…] Ovid seems to acknowledge this continuity since his Metamorphoses begins with Chaos, a poetic and cosmic beginning with an unmistakably Hesiodic origin, and continues with a catalogue of gods in love with mortal virgins, […]”. in: Ziogas, Ioannis, Ovid and Hesiod. The metamorphosis of the Catalogue of Women, Cambridge [u.a.] 2013, S. 1.
[7] Die Entstehung der Welt aus einem chaotischen Zustand wie in etwa aus einem Urmeer ist die bekannteste Form des griechischen Schöpfungsmythos. Vgl., Tworuschka, Monika und Udo, Als die Welt entstand… Schöpfungsmythen der Völker und Kulturen in Wort und Bild, Freiburg im Breisgau [u.a.] 2005, S. 40.
[8] In Homers Illias lassen sich zwar Schöpfungsmotive finden, die Hesiod auch übernommen hat, allerdings lieferte Homer diese nur vereinzelt und nicht in einer zusammenhängende Erzählung. Ebd.
[9] Zu nennen seien hierbei Mythentraditionen, die aus dem antiken vorderen Orient stammen, wie z. B. die Babylonische. Vgl., Linke, Bernd Michael, Schöpfungsmythos im Alten Orient und in der Bibel, in: Linke, Bernd Michael, Schöpfungsmythologie in den Religionen, Frankfurt a. M. 2001, S. 90.
[10] Unter den mannigfachen religiösen und philosophischen Strömungen, die sich im antiken hellenistischen Raum mit dem Vorgang der Schöpfung auseinandersetzten, seien hierbei auch die Orphiker genannt, ein altgriechischer Mysterienkult, der sich um die Lehren der Schriften des mythischen Orpheus bildete und den Beginn der Zeit durch den Gott „Chronos“ personifiziert sah, der das Chaos erst erschaffen musste, um dann im nächsten Schritt mit der Ordnung alles Existenten bzw. von ihm selbst erzeugten zu beginnen. Vgl., Tworuschka, Monika und Udo, Als die Welt entstand…, S. 42. Ebenso geht Platons Kosmogonie von einem Demiurg aus, der das vorhandene Chaos ordnete. Vgl., Schmid, Konrad (Hg.), Schöpfung (=Themen der Theologie 4), Tübingen 2012, S. 186f..
[11] In Hesiods Version der Kosmogonie heißt es: „Zuallererst wahrlich, entstand das Chaos, […]“ bzw. η τοι μεν πρωτιστα Χαος γενετ. Dementsprechend kann hierbei nicht von einem Chaos „im Anfang“ die Rede sein, wie es bei Ovid der Fall ist. Vgl., Hesiod, Theogonie, Sankt Augustin 2005, S. 53.
[12] Ovid, Metamorphoses, Stuttgart 2010, S. 17.
[13] Schlüter, Christiane, Ein unbeschreibliches Gefühl. Die Philosophie der Liebe, München 2011, S. 12.