Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Arbeitssituation Soziale Arbeit
1.1. Interkulturalität
1.2. Fachkräftemangel
1.3. Politische Einflussnahme
1.4. Ökonomisierung
1.5. Psychische Erkrankungen
2. Fall aus der Praxis
2.1. Fallbeschreibung
2.2. Umgang der Behörden mit den Betroffenen
2.2.1. Umgang des ehemaligen Dienstgebers
2.2.1.1. Emotionale Belastung der MitarbeiterInnen in dieser Phase
2.2.2. Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit den Beschuldigten
2.2.2.1. Emotionale Belastung der MitarbeiterInnen in dieser Phase
2.3. Ausgang der Ermittlungen
2.3.1. Emotionale Belastungen der MitarbeiterInnen in dieser Phase
3. Interview mit Angehöriger
4. Interview mit Sozialarbeiterin
5. Psychische Auswirkungen der Belastungen
5.1. Angststörungen
5.1.1. Gründe für Angststörungen
5.1.2. Therapiemöglichkeiten von Angstzuständen
5.2. Schlafstörungen
5.2.1. Diagnostik von Schlafstörungen
5.2.2. Therapiemöglichkeiten von Schlafstörungen
6. Fazit
Abbildungsverzeichnis
Interview
Literaturverzeichnis
Internetverzeichnis
Anhang
Zusammenfassung
Dieses Thema habe ich gewählt, da ich bereits persönlich damit in Berührung kam. Als Mitarbeiter eines freien Kinder- und Jugendhilfeträgers (KJHT) wurde ich als Beschuldigter strafrechtlich verfolgt. In meinem Fall war es so, dass ich im Rahmen meiner sozialpädagogischen Arbeit mit einer jugendlichen Schutzbefohlenen angezeigt wurde. Es kam zur strafrechtlichen Untersuchung der Anschuldigungen mit der anschließenden Einstellung des Verfahrens wegen mangelnder Nachweisbarkeit der Beschuldigungen. In dieser Causa waren Mitarbeitende der behördlichen Kinder und Jugendhilfe (KJH) Ried im Innkreis und Braunau, aber auch ich als Sozialpädagoge betroffen. Aus diesem Grund möchte ich auch der Frage nachgehen, welchen emotionalen und psychischen Belastungen SozialarbeiterInnen der KJH bzw. deren Angehörige ausgesetzt sind, und zwar vor, während und nach strafrechtlichen Untersuchungen.
In der BA1 bin ich auf rechtlichen Aspekte und Haftungen der Mitarbeiter näher eingegangen. In der BA2 werde ich praxisbezogen auf die Belastungen und Haftungen der SozialarbeiterInnen eingehen. Dabei werde ich im ersten Teil meiner Arbeit die Arbeitssituation und die daraus resultierenden Belastungen der MitarbeiterInnen der KJHT beschreiben. Als weiteren Punkt möchte ich einen Fall von strafrechtlicher Verfolgung aufrollen und darstellen. Im zweiten Teil meiner BA, beschreibe ich, was ein drohendes Strafverfahren auf psychischer, beruflicher und privater Ebene mit SozialarbeiterInnen macht.
Schlüsselwörter: Emotion, Haftung, psychische Erkrankung, Belastung, Strafverfahren
Danksagung
Zunächst möchte ich mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Bachelor-Arbeit unterstützt und motiviert haben.
Ganz besonders gilt mein Dank Frau Dr.in DSA Andrea Hohenwarter, die meine Arbeit und somit auch mich betreut hat. Sie gaben mir immer wieder durch kritisches Hinterfragen wertvolle Hinweise und haben einen großen Teil zur Vollendung dieser Arbeit beigetragen. Sie haben mich dazu gebracht, über meine Grenzen hinaus zu denken. Vielen Dank für die Geduld und Mühen.
Ferner gilt mein großer Dank meiner Familie – allen Voran meiner Frau Carina – welche mich immer unterstützt hat und mir die Zeit freiräumte, die ich zur Fertigung meiner Arbeit benötigte.
1. Arbeitssituation Soziale Arbeit
In der Sozialarbeit geht es grundsätzlich um die Unterstützung von und Hilfeleistung für Menschen durch MitarbeiterInnen der unterschiedlichen sozialen Einrichtungen. Der individuelle Hilfebedarf der KlientInnen von SozialarbeiterInnen wird durch Sozialeinrichtungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten abgedeckt. So ist die Kinder- und Jugendhilfe insbesondere für die positive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und damit auch für die Unterstützung der Erziehungsberechtigten zuständig. Daraus ergeben sich allerdings auch Schwierigkeiten für die SozialarbeiterInnen der Institutionen hinsichtlich der Erfüllung ihres Auftrages. Es gibt einige Faktoren seitens der Sozialunternehmen , die auf SozialarbeiterInnen einwirken und die ich in meiner Arbeit näher erläutern werde
Anhand der folgenden Grafik lässt sich gut erkennen, welche Hauptfaktoren für Stress am Arbeitsplatz verantwortlich sein können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Stressfaktoren im beruflichen Alltag
Zusätzlich zu den oben ersichtlichen Faktoren gibt es aber noch weitere Einflüsse. In dieser Arbeit gehe ich auf folgende Faktoren näher ein, welche seitens der Steakholder, in meinem Fall Vorgesetzte, KlientInnen und PolitikerInnen, für eine Mehrbelastung der MitarbeiterInnen im Arbeitsalltag verantwortlich sein können:
- Interkulturalität
- Fachkräftemangel
- Politische Einflussnahme
- Ökonomisierung (vgl. Klausch 2011: 7-12)
1.1. Interkulturalität
Aufgrund der neuen statistischen Migrationsanalyse der Statistik Austria liegt der Anteil der österreichischen Bevölkerung mit Migrationshintergrund1 bereits bei 21% (vgl. Statistik Austria 2016). Daraus ergibt sich für MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendhilfe eine Besonderheit in der Arbeit mit den KlientInnen. Erzieherische Hilfen, welche die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) anbietet, werden von den Familien mit Migrationshintergrund sehr spät und nur für kurze Zeit angenommen. Dies führt häufig dazu, dass Unterstützungsmöglichkeiten wenig erfolgreich umgesetzt werden. Weiters als hinderlich für die Inanspruchnahme von Hilfen und die positive Beteiligung am Hilfeplanverfahren gilt hier insbesondere, dass MitarbeiterInnen der KJH aufgrund von Sprachbarrieren wenige verständliche Informationen an die Erziehungsberechtigten weitergeben können. Die SozialarbeiterInnen der KJHT sollten dabei migrationssensibel agieren und ein gewisses Maß an Verständnis der Lebensweltorientierung der KlientInnen aufweisen. Dies ist jedoch nur im gesetzlichen Rahmen möglich und darf auch nicht zu einer Überfürsorglichkeit der MitarbeiterInnen führen, denn der gesetzliche Auftrag besteht bei allen Familien gleichermaßen. (vgl. Klausch 2011: 23)
Oft ist die Schwierigkeit gegeben, dass die Eltern die deutsche Sprache kaum verstehen und sprechen. Daher kommt es vor, dass die Kinder oder Jugendlichen übersetzen, wodurch häufig wichtige Informationen verloren gehen können oder dass diese durch die unprofessionelle Übersetzung durch der Kinder und Jugendlichen nicht richtig wiedergegeben werden. Bei der Sicherung des Kindeswohls dürfen Gefährdungsmeldungen nicht kulturalisiert2 und verharmlost werden. Diese Meldungen müssen ebenso wie bei Gefährdungsmeldungen von Nicht-Migranten sensibel behandelt werden. Der Kinderschutz muss für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen gegeben sein. Tendenziell neigen MitarbeiterInnen der KJHT dazu, direkte Verbalisierungen von Kindeswohlgefährdungen zu vermeiden, um nicht politisch in die rechte Ecke gestellt zu werden. (vgl. Klausch 2011: 23)
Auch die Tatsache, dass Familien mit Migrationshintergrund oftmals ein besonderes familiäres Scham- und Ehrgefühl haben, stellt für SozialarbeiterInnen eine Schwierigkeit dar, im familiären Umfeld eine geeignete Person zu finden, die kurz- oder längerfristig den Kinderschutz gewährleistet und das Kind oder der/die Jugendliche damit nicht „fremd untergebracht“ werden muss.
1.2. Fachkräftemangel
Trotz der Tatsache, dass jährlich etwa 500 Studierende in Österreich (vgl. OBDS 2016) das Studium Soziale Arbeit abschließen, leiden sowohl behördliche als auch private Kinder- und Jugendhilfeträger an einem Fachkräftemangel. Die Fallzahlen der hilfesuchenden Personen steigen hingegen stetig an.
Ein zusätzlicher Faktor für den Fachkräftemangel ist aus meiner Sicht eine fehlende Anerkennung der SozialarbeiterInnen. Ich denke, dass dies zum Ausbleiben der fehlenden Fachkräfte in den sozialwirtschaftlichen Betrieben beiträgt.
Normalerweise drückt sich die Anerkennung über das Einkommen aus. Hier gibt es enorme Unterschiede in den Gehaltsschemata der Gebietskörperschaften. Der derzeitige Unterschied liegt zwischen Brutto € 400,- und € 700,-. Die Kollektivvertragsregelungen der privaten Träger lassen ebenfalls einen Spielraum von 2 Gehaltsstufen in der Einreihung zu. (vgl. Gehaltstabellen 1-10, Anhang 1)
Dennoch ist es auch eine Notwendigkeit für die SozialarbeiterInnen, eine mündliche und öffentliche Bestätigung zu erhalten. Wenn jedoch aus Sicht von einigen Politikern Sozialarbeit als Luxus der Gesellschaft betrachtet wird, die Wortmeldungen und Handlungen in eine abwertende Richtung gehen und auch die Rahmenbedingungen erschwert werden, ist der Weg zu einer Anerkennung, wie sich das die Sozialarbeit erhofft und erwartet, noch sehr weit entfernt. (vgl. Hofer 2002: 31)
Genauer möchte ich den Fachkräftemangel in Oberösterreich (OÖ) beleuchten, da dieser in mein persönliches Umfeld fällt. Da die aktuellen Zahlen derzeit noch in der Auswertung sind, werde ich mich auf die Zahlen des Jahres 2014 beziehen.
In OÖ lebten im Jahr 2014 1.425.422 Menschen, davon waren 263.011 minderjähre Kinder und Jugendliche in OÖ wohnhaft. (vgl. Schmid 2015: 1) In 18 behördlichen KJHT werden derzeit im Schnitt 6 SozialarbeiterInnen beschäftigt. Dies ergibt 108 SozialarbeiterInnen, welche sich um die Belange und den Schutz der 263.011 Kinder und Jugendlichen kümmern müssen. (vgl. Kinder und Jugendhilfe, Internetquelle 1)
In OÖ befassten sich die SozialarbeiterInnen der KJHT im Jahr 2014 mit 3638 Fällen in der Unterstützung der Erziehung (UdE) und mit 800 Fällen in der Vollen Erziehung (VE). Das ergibt 41 Fälle pro SozialarbeiterIn mit unterschiedlichem Zeitaufwand. (vgl. Schmid 2015: 2)
Die durchschnittliche Dauer der Betreuungen sind in der UdE mit bis zu zwei Jahren und in der VE mit über fünf Jahren beschrieben. (vgl. Schmid 2015: 4) Daraus ergeben sich auch Mehrdienstleistungen, welche die MitarbeiterInnen hinnehmen müssen, um trotz allem eine befriedigende Arbeitsleistung für die KlientInnen zu erbringen. In der nachfolgenden Grafik lässt sich ersehen, wie sich die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit der MitarbeiterInnen zur real geleisteten Arbeitszeit aufgrund der Mehrdienstleistung verhält.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Wochenarbeitszeiten real betrachtet
Aufgrund des politischen Einflusses auf die KJHT und der Tatsache, dass auch die Sozialabteilungen der Behörden - und somit auch die behördlichen KJHT – eine Ökonomisierung erfahren, kommt es zu einer Erschwerung der Arbeit der SozialarbeiterInnen. Planstellen in der KJHT werden häufig nicht nachbesetzt oder nur mehr mit einer geringeren Stundenanzahl ergänzt, was zu einer Instabilität der betreffenden Abteilungen und der Leistungsfähigkeit der SozialarbeiterInnen führt. Genau dieses Gefüge führt zu einer Überforderung und Mehrbelastung der MitarbeiterInnen und kann unter Umständen zum Burnout führen.
Anhand der folgenden Grafik lässt sich gut erkennen, welche Auswirkungen der Personalmangel für MitarbeiterInnen der KJHT in Bezug auf psychische Erkrankungen hat.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3: Erhebung zur Arbeitsbelastung
1.3. Politische Einflussnahme
Die politische Einflussnahme in Sozialthemen erhöht sich stetig und dies ist nicht immer zum Vorteil für die KlientInnen und SozialarbeiterInnen. Im Bundesland OÖ erhebt der Landeshauptmannstellvertreter Herr Heimbuchner schwere Vorwürfe der Geldverschwendung und Überzahlung der MitarbeiterInnen gegen Sozialbetriebe, welche auf Förderungen des Landes angewiesen sind, um kostendeckend arbeiten zu können.
Es gibt Vereine (wie etwa Exit sozial), welche sich nur noch das Jahr 2016 leisten können und anschließend die Vereinstätigkeit aufgeben werden. Dass damit eine qualitativ hochwertige Arbeit mit Menschen mit Sucht- und psychiatrischen Erkrankungen verloren geht, scheint die politischen Verantwortlichen nicht zu erreichen (vgl. Internetquelle 2).
In der Stadtverwaltung von Wels herrscht seit der letzten Bürgermeisterwahl am 09.11.2015 eine starke Einsparungswelle, welche vor der Abteilung KJH nicht Halt macht. Dies beginnt bereits mit der Tatsache, dass die MitarbeiterInnen der KJH für Fahrten mit KlientInnen – unabhängig von der Gefährdungssituation – selbst verantwortlich sind und keinen Dienstkraftwagen mit Chauffeur erhalten. Weitere Erschwernisse für die tägliche Arbeit stellt auch der Umstand dar, dass die MitarbeiterInnen alle Maßnahmen und Unterstützungsleistungen für KlientInnen direkt vom Bürgermeister absegnen lassen müssen, bevor diese durchgeführt werden können. Die zeitliche Dimension lässt hier demnach kaum einen Spielraum zu, sich ausreichend um Schutz und Hilfe für die Kinder/Jugendlichen/Familien zu kümmern. Auch beim Leistungsspektrum der Hilfe mussten Abstriche gemacht werden. Dies führte bereits zu Unmut unter den MitarbeiterInnen und gefährliche Situationen fanden schon statt, bei denen allerdings bisher keine Verletzungen oder strafrelevanten Vorfälle vorkamen. (vgl. Sozialarbeiterin 2016)
Weiters werden derzeit von den 160 fehlenden Mitarbeiterstunden, die sich durch die Planstellenaufteilung ergeben, nur 60 Stunden nachbesetzt. Diese Stellen sind werden noch in Form von einjährigen Verträge nachbesetzt, was zu einem Unmut bei BewerberInnen aber auch bei SprengelsozialarbeiterInnen führt. Diese Unterbesetzung führt zu qualitativen Einschränkungen im täglichen Arbeitsbetrieb mit den KlientInnen und zu fehlender Unterstützungsleistung für die AdressatInnen der KJH. (vgl. F. 2016) Als Begründung für die Politik gelten die hohen Ausgaben in den Sozialressorts, welche zukünftig so nicht mehr leistbar sein werden.
1.4. Ökonomisierung
Aufgrund der steigenden Ausgaben von derzeit 1,6 Mrd Euro jährlich (vgl. BMF, Internetquelle 3) werden immer mehr Einsparungen notwendig sein, um die Finanzierbarkeit zu gewährleisten. Das Bundesministerium für Finanzen versucht, mit höheren Steuererleichterungen und Zuschüssen die Familien zu entlasten. Dies führt zu einem internen Widerspruch bezüglich der Kürzung der Mittel der KJH. Jedoch haben die SozialarbeiterInnen der KJHT den Auftrag, über Mittel für die hilfsbedürftigen Familien zu verfügen.
In Ö bekommen die 18 behördlichen KJHT im Jahr 2017 ein Gesamtvolumen von 80 Millionen Euro, was bedeutet, dass in Abhängigkeit der Größe der Behörde ein durchschnittliches Budget von 4,4 Millionen Euro zur Verwendung für die BürgerInnen der jeweiligen Bezirke zur Verfügung steht. Dieses Budget ist um 1,3 % geringer als im Jahr 2015. Dagegen hat die übergeordnete Fachabteilung, welcher die behördlichen KJH der einzelnen Bezirke und Statutarstädte unterstellt ist, ein Gesamtvolumen von 27 Millionen Euro zur Verfügung. Das Hauptaugenmerk dieser Abteilung liegt in der Kontrolle und Überprüfung der Einrichtungen der privaten KJHT und die Übernahme der Fälle mit schwierigen Jugendlichen (§ 40 Abs. 2 OÖJWG-Fälle). Auch die Überprüfung der Beschwerden gegen behördlichen KJH obliegt der Fachabteilung. (vgl. W. 2016)
Meiner Ansicht nach ist die Budgetverteilung ungerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass die KJH an den Bezirksverwaltungsbehörden (BVB) nur einen Bruchteil des Budgetvolumens der Fachabteilung zur Verfügung hat, aber die Unterstützung der KlientInnen finanzieren muss. Aus dieser Perspektive relativiert sich das Budget in der Höhe von 4,4 Millionen Euro enorm. An der nachfolgenden Grafik kann man die Aufteilung der Befassungen der SozialarbeiterInnen an den BVB und Stadtverwaltungen (Magistrat) erkennen und es ist ersichtlich, welche Ausgaben auf die Abteilungen der KJH zukommen. (vgl. W. 2016)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Abklärungsergebnis OÖ
Die Tagessätze im Rahmen der Vollen Erziehung (Vollversorgung) in OÖ werden individuell zwischen den jeweiligen privaten Kinder- und Jugendhilfeträger und der OÖ Landesregierung vereinbart. Sie richten sich nach den Aufgabenfeldern der privaten KJHT, also danach, ob es sich um eine Kriseneinrichtung, eine Vollversorgungsgruppe oder Individualgruppe handelt.
Im Jahr 2014 waren für eine Unterbringung eines Kindes/Jugendlichen in einer Vollversorgungsgruppe € 166,31 zu bezahlen. Für eine ambulante Versorgung3 wurde ein Stundensatz von € 58,61 finanziert. (K. 2016)
1.5. Psychische Erkrankungen
Aus den bereits genannten Gründen ist ersichtlich, dass die Belastungen auf MitarbeiterInnen der KJH enorm sind. Die psychische Mehrbelastung zeigt sich auch in Untersuchungen über psychischen Erkrankungen der unterschiedlichen Krankenkassen. Die sich daraus ergebenden Folgen sind:
- Psychosomatische Erkrankungen
- Suchterkrankungen
- Depressionen
- Burnout-Syndrom (vgl. OÖGKK 2016)
Die bekannteste Folge von Stress ist nach wie vor Burnout und sollte nicht unterschätzt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb 5: Arbeitsunfähigkeitsstatistik
Die Abbildung vier zeigt deutlich den Trend in der Krankenstatistik in der heutigen Zeit auf. Die oben erwähnten Zahlen sind aus Deutschland, es gibt jedoch diesen Trend auch in Österreich. Beinahe 30 % aller Burnout-Betroffenen in Österreich sind Angestellte aus dem Sozialwesen (vgl. ÖBP 2009: 2). Genaue Daten über die Häufigkeit der Erkrankungen bei SozialarbeiterInnen in Österreich, insbesondere in OÖ stehen mir aufgrund von Datenschutzgründen nicht zur Verfügung.
Die Schwierigkeiten, die sich bei psychischen Erkrankungen ergeben, sind einerseits gesundheitsökonomisch sehr teuer. Für die betroffenen Personen an sich sind diese Erkrankungen mit einem enormen Kraftaufwand verbunden, wenn aus dieser Situation gelernt und Vermeidungsstrategien entwickelt werden sollen, um nicht wiederholt in die Phase der Vorerkrankung zu kommen. Die Entwicklung folgender Phasen geschieht sehr rasch, übergreifend und für die Betroffenen meist sehr unauffällig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbb. 6: Stadien der Burnout-Entwicklung (Zweytick, Internetquelle 4)
Eine Selbstheilung der Betroffenen ist kaum möglich und es bedarf immer einer professionellen Therapie, um aus dem „Hamsterrad“ zu entfliehen.
2. Fall aus der Praxis
Im Hauptteil 4 meiner Arbeit bringe ich ein Fallbeispiel, das im Jahr 2010 begann und im Jahr 2014 endete. Ich möchte hierbei den Aufbau des Falls beschreiben, aber auch Vorwürfe, die zur Sprache kamen und die damit verbundenen Folgen. Derartige einschneidende Konsequenzen sind nicht nur beruflicher, sondern auch psychischer Natur. In der Zeit der Anschuldigungen beschäftigte die Causa einige JuristInnen, Staatsanwälte, Richter und Kriminalbeamte. Involviert waren eine Sozialarbeiterin von der KJH, zwei Sozialpädagogen aus einem Landeskinderwohnheim, einen Leiter der KJH und eine Frauenärztin.
2.1. Fallbeschreibung
Das Mädchen Jelena C. war ein 11-jähriges Mädchen, welches ins Landeskinderheim Schloss Neuhaus (Oberösterreich) kam, da die obsorgeberechtigten Großeltern des Mädchens überfordert waren und ein möglicher sexueller Missbrauch im Raum stand. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten mit J. zwei männliche Sozialpädagogen in der Krisenwohngruppe, Herr Mario P5. und Herr Detlef F. Die Großeltern wirkten auf die MitarbeiterInnen der Wohngruppe, in der Jelena untergebracht war, als sehr glaubwürdig. Der Großvater (GV) Herr L. gab sich als Arzt aus, wobei sein medizinisches Halbwissen Zweifel aufkommen ließ. Nach einem Heimfahrtwochenende kam Jelena leicht verändert zurück, was die PädagogInnen der Wohngruppe veranlasste, die zuständige Sozialarbeiterin, Frau Barbara M6., zu informieren, die daraufhin ein Kontaktverbot mit den GE erteilte. Als den Großeltern dies seitens der KJH mitgeteilt wurde, veränderte sich auch die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.
Herr L. formulierte daraufhin eine Beschwerde und machte eine Anzeige bei der Polizei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs in mehreren Fällen und Vertuschung eines Schwangerschaftsabbruchs.
In einem Schreiben an die zuständige Bezirkshauptmannschaft (BH) Ried im Innkreis, formulierte er seine Bedenken an der Redlichkeit und die Professionalität der Institution Kinderheim Neuhaus und somit seinen MitarbeiterInnen. Herr L. schreibt „… dass das Kind im Schloss Neuhaus gefangen gehalten wird, einer sogenannten Gehirnwäsche unterzogen wird, gegen uns, das Ehepaar L. in einem nicht mehr beschreibbaren Ausmaß aufgehetzt wird und zur Prostitution für Pädophile zur Verfügung gehalten wird.“ (Lippmann 2012: 1)
Weiters führt Herr L. weiter an, dass er nach der Anzeige wegen Schwängerung einer elfjährigen alle beteiligten Stellen aufgefordert hat, bei etwaigen Untersuchungen durch eine Gynäkologin anwesend sein zu wollen. Diesem Wunsch wurde allerdings nicht nachgekommen und somit vermutete Herr L. weiters, dass dies „… zum Schutz einer Bande verhindert, um sich hinter dem Beamten-schutzgesetz zu verstecken, … “ (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 1)
Zu diesem Zeitpunkt distanziert er sich noch von namentlicher Erwähnung der Täter. Auch das Einstellen des Ermittlungsverfahrens seitens der Staatsanwaltschaft Ried/Innkreis, zog er ins Lächerliche. Er schreibt in seinem Schreiben an die KJH weiter, „… dass nach kurzer Zeit die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, mit der lächerlichen Begründung; “Das geschwängerte noch nicht einmal 12-jährige Kind gibt den Namen ihres Schänders nicht bekannt“!!! Sind da Beamte aus Braunau beteiligt, die allesamt unter den [sic!] Beamten-Schutzgesetz stehen? “ (Lippmann 2012: 1)
Auch hinter der Anweisung der KJH, das Kind J. dürfe keinen Kontakt mit den Großeltern haben, vermutete Herr L. eine Angst seitens der Behörden und der Schänder, dass die Mj. den Großeltern mitteilen könnte, wer sie misshandelt hat. (vgl. (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 2)
Zum Zeitpunkt der Anschuldigungen wurde seitens einer unabhängigen Gynäkologin, eine Untersuchung durchgeführt und diese hat bestätigt, dass das Mädchen zu keinem Zeitpunkt eine Schwangerschaft aufwies da weiters eine Jungfräulichkeit festgestellt werden konnte. (vgl. Etzler 2011: 1)
In einem Schreiben an das zuständige Bezirksgericht (BG) Ried/Innkreis führt Herr L. an: „ Es besteht der begründete Verdacht, dass der Befund von Frau Dr. med. Maria Etzler ein bewusst falscher Gefälligkeitsbefund und somit auch nach med. Gesichtspunkten strafbar ist, wegen Beweisbeseitigung. Dieser Befund könnte auch heute noch als vermutlich bewusst falscher Befund bewiesen werden. “ (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 4)
Fernerhin erläutert er in dem Schreiben, dass er und seine Frau Bemühungen anstellte, seine Enkelin von dem Ort der „Vergewaltigung, Schwängerung und Schändung“ zu entfernen, allerdings wurde dies immer von „ Beamtendiktatoren “ verhindert, welche Macht über ganz Österreich hätten.
Auch gibt er an, dass die Mj ständig unter Aufsicht gefangen gehalten worden ist und niemand für die Familie erreichbar gewesen wäre und wenn sie die Möglichkeit hatten mit J. zu sprechen, wurde das Gespräch seitens der „ Aufpasser “ rasch wieder unterbrochen. (vgl. Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 5)
Dies lässt sich allerdings nach den Dokumentationen der Kriseneinrichtung nicht bestätigen, denn es hat auch zu diesem Zeitpunkt Telefonate gegeben, in denen die Großeltern über das Befinden von J. informiert wurden. (vgl. Dokumentation 2011)
Herr L. stützt seine „Denunziationen“ auf anonyme Anrufer, welche nur mit ihm telefoniert hatten und welche immer in Abwesenheit anderer Personen von statten gingen. Diese Anrufer waren im nicht bekannt und er hatte auch keine Nummer auf dem Display seines Telefons aufscheinen. Die anonymen Melder, teilten Herrn L. mehrmals mit, „… dass J. schwanger war und ein Schwangerschaft Abbruch [sic!] von einer Gynäkologin auf Weisung hoher Beamter durchgeführt wurde und dafür ein Falscher Befund [sic!] ausgestellt wurde… “ (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 6)
Dies war auch der Zeitpunkt, ab dem Herr L. folgende Namen7 an die Staatsanwaltschaft weiter gab:
1. Mario P. soll der „Mehrfachvergewaltiger“ sein und Haupttäter
2. Detlef F.
3. Friedrich Sch.
4. Barbara M. (vgl. Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 6)
Herr L. beschreibt auch in einem Schriftstück an das Bezirksgericht Ried seine Angst um das Leben seiner Enkelin, da die involvierte Beamtenschaft panische Angst hätte, dass die Mj. die Namen der Schänder verraten könnte. Daher beantragt er zeitgleich in dem Brief:
„ A Die Obsorge an die Großmutter der Kinder unverzüglich zurückzugeben
B Unser Enkelkind J. unter Aufsicht eines ehrlichen Richter/in [sic!] sich mit uns ungezwungen unterhalten kann und ihrem Wunsch, egal wie er auch ausfallen mag stattzugeben und die „Zwangshaft“ des Kindes zu beenden.
C Dem Kind den familiären Rahmen zu gestatten, in welchem sie sich wesentlich schneller stabilisieren wird, als in einer „Zwangsanstalt“, in welcher sie bewacht wird, um zu [sic!] und keinerlei Kontakt aufzunehmen, aus vorbenannten Gründen
D Das Begehren der Jugendwohlfahrt Ried im Innkreis zurückzuweisen und abzulehnen.“ (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 7)
Da sich aus Sicht von Herrn L. in dieser vermeintlichen Strafsache sein Wille nicht verwirklichen lies, schrieb er im November 2013 an den Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde.
In diesem Schreiben, verdeutlichte er seine Verdachtsmomente hingehend der Vergewaltigung und Schwängerung seiner 11,5-jährigen Enkelin. Diesbezüglich schrieb er weiter „… wir haben den Verdacht, dass das Kinderheim in Gainberg [sic!] Schloß Neuhaus als Kinderbordel für Pädophile Beamte eingerichtet wurde und ist. “ (Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 1)
Hinzugefügt hat er ferner, dass seine Enkelin massiven Gehirnwäschen unterzogen worden ist und Infusionen, Injektionen und orale Medikamente nehmen musste und soweit geistig zerstört wurde, sodass sie mit ihren heute 14 Jahren, nicht mehr für den Arbeitsmarkt vermittelbar ist.
Herr L. bittet den Verfassungsgerichtshof, seine Enkelin J. aus den „ Fängen der Pädophilen und Folterknechten zu befreien “ und sie sofort nach Hause zu ihren Großeltern zu schicken. (vgl. Akt der StA Ried zu GZ 4 St 182/13 x: 1)
2.2. Umgang der Behörden mit den Betroffenen
Zu erwähnen ist, dass die betroffenen Sozialpädagogen aus dem Landeskinderheim zum Zeitpunkt der Ermittlungen nicht mehr im aktiven Dienst zum Land OÖ standen. Zum Zeitpunkt der Ermittlungen war Herr P. verheiratet und lebte mit seinem neugeborenen Kind in einer kleinen Ortschaft. Herr F. war in einem schlechten Gesundheitszustand und lebte mit seiner Lebensgefährtin in einem anderen Bundesland. Die zuständige Sozialarbeiterin Frau M. war weiterhin als Mitarbeiterin in dergleichen Funktion beim Land OÖ beschäftigt. Herr Sch. war zwischenzeitlich in Pension gegangen.
Ich gehe in der Fallbearbeitung vorwiegend auf die Blickwinkel von Herrn P., Herrn F. und Frau M. ein. Somit kann ich die Sichtweise der MitarbeiterInnen der behördlichen KJH und der freien KJH analysieren.
2.2.1. Umgang des ehemaligen Dienstgebers
Von den Anschuldigungen haben Herr P. und Herr F. erfahren, weil sich die mit beiden befreundete Sozialarbeiterin Frau M. bei ihnen gemeldet hat und Herrn P. mitteilte, dass er Beschuldigter in besagtem Verfahren sei. An Frau M. ist bereits die ermittelnde Kommissarin herangetreten und hat sich bereits im Vorfeld über alle betreffenden Personen informiert. Seitens der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes Linz hat sich diesbezüglich zu diesem Zeitpunkt niemand gemeldet. Herr P. hat daraufhin Herrn F. informiert und die beiden haben Absprachen bezüglich des weiteren Vorgehens getroffen. Herr P. hat daraufhin die Initiative ergriffen und Kontakt mit der zuständigen Beamtin aufgenommen. Diese teilte ihm mit, dass es Anschuldigungen gegen ihn und die genannten weiteren Personen gäbe und dass daher seitens der Staatsanwaltschaft ermittelt werde. Es wurde ein Termin für eine Vernehmung vereinbart.
Auf die Frage, ob es ratsam wäre einen Anwalt aufzusuchen, gaben die Ermittlungsbeamten eine unzureichende Antwort. Nämlich, dass man niemandem einen Anwalt verwehren kann und darf und dass man immer die Möglichkeit hat, einen Anwalt zu konsultieren.
Nach Rücksprache mit Frau M. erkundigte sich Herr P., welches Vorgehen sie plane. Frau M. teilte ihm mit, dass das Land Oberösterreich den MitarbeiterInnen eine Rechtsvertretung in dieser Causa zur Verfügung stellen werde. Da Herr P. ebenfalls Mitarbeiter beim Land OÖ zum Zeitpunkt des Vorfalls gewesen war, nahm er an, dass er diesbezüglich ebenfalls einen Rechtsanwalt zur Seite gestellt bekommt. Demzufolge telefonierte er mit der Fachabteilung des Landes OÖ, welche ihm mitteilte, dass er keinen Anspruch auf einen Rechtsvertreter habe, da er zum Zeitpunkt der Anklage nicht mehr im Landesdienst war. Daraufhin versuchte er über die Personalvertretung des Landes einen Anspruch geltend zu machen, da dieser Fall zu einem Zeitpunkt der Anstellung vorfällig war. Nach Prüfung durch die Rechtsabteilung des Landes OÖ wurde dies abgewiesen mit derselben Begründung, welche Herr P. seitens der Fachabteilung ebenso erhalten hatte – die Beschuldigungen seien erst nach Vertragsauflösung zu Tage getreten. Daraufhin verständigte Herr P. auch Herrn F., der die Fallvorbereitung und rechtlichen Erkundigungen Herrn P. überlassen hatte, dass keinen Rechtsanspruch vom ehemaligen Dienstgeber bestehe. Herr P. führte mit seinem Rechtsanwalt ein Beratungsgespräch und erarbeitete mit diesem eine Strategie. Für den Fall, dass die Vernehmung beim Landeskriminalamt ein Unbehagen bei Herrn P. hervorrufen würde, wäre der Jurist zur Vernehmung jederzeit dazugekommen. Dies ließ sich auch Herr F. bei seiner Vernehmung offen.
2.2.1.1. Emotionale Belastung der MitarbeiterInnen in dieser Phase
In dieser Phase des Prozesses war die Gefühlslage des Herrn P. sehr ambivalent. Zum einen machte sich bei ihm großes Unverständnis breit, wie so eine Anschuldigung zustande kommen könne, zum anderen Teil hatte er große Angst vor einer Anklage und Verurteilung, obwohl er wusste, dass er unschuldig ist und sich in seiner Laufbahn noch nie etwas zu schulde kommen ließ. Es beherrschte ihn auch die Furcht, dass die Nachbarschaft oder Familie von den Beschuldigungen erfährt, zumal er zu diesem Zeitpunkt jüngst selber Vater eines Sohnes wurde. Die möglichen Beschränkungen in beruflicher Hinsicht (Berufsverbot,
[...]
1 "Menschen mit Migrationshintergrund" sind laut Statistik Austria Personen, von denen beide Elternteil im Ausland geboren wurden.
2 Kulturalisierung bezeichnet die Überbetonung des Faktors Kultur unter Ausblendung individueller Persönlichkeitsmerkmale, was zu stereotypen Sichtweisen führen kann. (http://www.christian-wille.de/glossar.html)
3 Laut Leistungskatalog Land OÖ
4 Staatsanwaltschaft Ried/Innkreis, AZ: 4 St 182/13 x
5 Erfahrungsberichterstatter
6 Interviewpartnerin behördliche KJH
7 Familiennamen sind in meiner Arbeit aus Datenschutzgründen abgekürzt, im Gerichtsakt jedoch voll angeführt