Erzähltheorien in Ludwig Tiecks "Der blonde Eckbert". Faktuales und fiktionales Erzählen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Faktuales vs. Fiktionales Erzählen

2. Zeitverhältnisse
2.1 Ordnung/Reihenfolge
2.2 Dauer/ Erzähltempo
2.3 Frequenz

3 Modus
3.1 Distanz
3.2 Fokalisierung

Fazit

4 Anhang
4.1 Abkürzungsverzeichnis
4.2 Literaturverzeichnis

Einleitung

Ludwig Tieck (31.05.1773-28.04.1853) war nicht nur ein Schriftsteller der romantischen Bewegung, er arbeitete auch als Herausgeber und Sammler von Literatur und als Übersetzer. So führte er beispielsweise A.W. Schlegels Shakespeare-Übersetzungen (1825-33) fort. Zudem gehörte er dem Künstlerkreis der Jenaer Frühromantik an. Genau in dieser Zeit – um 1800 – entstand auch das Märchen Der blonde Eckbert. Während meiner Recherche zu dieser Arbeit sind mir zahlreiche Interpretationen des blonden Eckberts, sowie Ansätze zur Beantwortung der Gattungsfrage ins Auge gefallen. Mein Interesse gilt jedoch der Erzählstruktur des als Kunstmärchen ausgewiesenen Textes.[1] Deshalb möchte ich hauptsächlich auf die erzähltheoretische Analyse eingehen, wobei ich mich ausschließlich an Matías Martínez und Michael Scheffel – Einführung in die Erzähltheorie – orientieren werde.

„Im Gegensatz zu anderen Überblicksdarstellungen der Erzähltheorie leitet [dieses Buch] zentrale Komponenten literarischen Erzählens aus dem Grundphänomen der Fiktionalität ab und umfasst sowohl das ›Wie‹ als auch das ›Was‹ von Erzählungen.“ [2]

Zunächst werde ich den Begriff des Erzählens erläutern um auf das faktuale und fiktionale Erzählen einzugehen und um aufzuzeigen, welche Art des Erzählens im blonden Eckbert angewendet wurde. Es folgt das Kapitel der Zeitverhältnisse, das von Gérard Genette begründet ist und von Martínez und Scheffel aufgegriffen wird. Es setzt sich hauptsächlich mit drei Leitfragen auseinander, nämlich:

1. Welcher Reihenfolge geht die Erzählung nach (Ordnung/Reihenfolge),
2. Über welchen Zeitraum werden die Geschehnisse einer Erzählung geschildert (Dauer) und
3. Wie oft wird wiederholendes oder nichtwiederholendes Geschehen in einer Erzählung präsentiert (Frequenz).[3]

Abschließend werde ich auf den Modus eingehen, der in Distanz und Fokalisierung unterteilt wird.

Auf Grund des vorgegebenen Rahmens dieser Hausarbeit werde ich mich ausschließlich auf die oben genannten Themen fokussieren und die interpretativen Ansätze dieses Märchens auslassen. Bezogen auf Martínez und Scheffel bedeutet das, dass ich mich überwiegend mit dem Wie beschäftigen und das Was eher außer Acht lassen werde.

1. Faktuales vs. Fiktionales Erzählen

Zunächst erscheint es sinnvoll zu klären, was genau unter Erzählen beziehungsweise einer Erzählung zu verstehen ist, um danach zwischen faktualem und fiktionalem Erzählen zu unterscheiden. So ist beispielsweise im fünften Band des Reader´s Digest Universal- Lexikon nachzulesen:

Erzählung, in Prosa oder Versen abgefasste Darstellung von wirkl. oder erdachten Geschehnissen; i. w. S. Sammelbegriff für alle epischen Gattungen (→ Epik); i. e. S. eine zwischen Roman u. Novelle stehende Erzählform.“ [4]

Nach diesem Lexikoneintrag kann der Terminus Erzählung auf unterschiedlichste Weise ausgelegt werden. Zum einen können reale, also wirkliche, zum anderen aber auch erfundene, also erdachte, Vorgänge oder Geschehnisse wiedergegeben werden. Genau an dieser Stelle kommen die Begriffe faktuales und fiktionales Erzählen zum Einsatz. Reale Begebenheiten sind mit faktualem und erfundene mit fiktionalem Erzählen gleichzusetzen. Tieck schafft es bereits im ersten Satz des blonden Eckberts – „In einer Gegend des Harzes [...].“[5] – die Leserschaft glauben zu lassen, dass es sich um eine wirklich so geschehene Erzählung handle. Denn das Geschehen ist ziemlich genau lokalisiert und dadurch gibt Tieck der Erzählung eine gewisse historische Faktizität.[6] Gleichzeitig verwendet er im selben Abschnitt die sogenannte Als-Ob-Struktur – „[...], und beide schienen sich von Herzen zu lieben, [...].“[7] – die auf einen personalen Erzähler verweist, der die Leserschaft verunsichert, da es den Eindruck instabiler Erzählverhältnisse macht.[8] Das romantische Erzählen setzt genau hier an: Es sucht die Auseinandersetzung zwischen Fiktion und Authentizität. So verletzen die Sätze der fiktionalen Erzählrede mehr oder weniger konsequent die Illusion einer faktualen Erzählung.[9] Auf dieser Grundlage basierend wird im Folgenden ausschließlich vom fiktionalen Erzählen ausgegangen.

2. Zeitverhältnisse

Das Besondere in Tiecks romantischer Erzählung Der blonde Eckbert ist unter anderem seine Konstruktion – das Gefüge aus äußerer und innerer Erzählhandlung, der Rahmen- und Binnenhandlung. Dies lässt sich im Folgenden an verschiedenen Merkmalen feststellen.

2.1 Ordnung/Reihenfolge

Zunächst ist eine chronologische Ordnung erkennbar. Die Erzählung entwickelt sich von außen nach innen. Es wird zuerst die Landschaft beschrieben – „In einer Gegend des Harzes [...].“[10] – gefolgt von der Beschreibung des Ritters – „Er war ohngefähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, [...]“[11] – hin zu der Beschreibung der Ehe – „Sein Weib liebte die Einsamkeit ebenso sehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben [...].“[12] – bis zur Vorstellung des einzigen Freundes – „Niemand kam so häufig auf die Burg als Philipp Walther [...].“[13] Erst mit dem Beginn Berthas Erzählung, der ihrer Lebensgeschichte, wird diese chronologische Ordnung unterbrochen und die Binnenhandlung setzt ein. Diese Anachronie beschreiben Martínez und Scheffel als eine Analepse. Demzufolge wird in der Form der Analepse „[...] ein Ereignis nachträglich dargestellt, das zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat als dem, den die Erzählung bereits erreicht hat; [...].“[14] In der Binnenhandlung ist ebenfalls die chronologische Ordnung erkennbar. Bertha fängt in der Lebensgeschichte bei ihrer Geburt an, geht über zur Beschreibung ihrer Eltern und der Kindheit, weiter zu ihrer Flucht vor den Eltern und der Stadt. Sie berichtet von der Begegnung mit der alten Frau, das Leben bei dieser und wieder die Flucht vor ihr, bis hin zum Kennenlernen des jungen Ritters Eckbert. Nachdem sie ihre Geschichte beendet hat, geht die chronologische Ordnung der Rahmenhandlung wieder weiter. Die Binnenhandlung selbst wird durch Rückwendungen in die fiktive Gegenwart unterbrochen. So zum Beispiel als sich Bertha erinnert wie viel Angst sie als Kind vor dem bloßen Wort Gebirge hatte.[15] Und auch als sie feststellt, dass sie sich nicht an den Namen des kleinen Hundes erinnern kann – „Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen Namen des Hundes besinnen können, so oft ich ihn auch damals nannte.“[16] Als Bertha von der Flucht vor der Alten berichtet und der ersten Nacht in einer Schenke, verweist sie darauf, dass sie „[...] von der Alten träumte, die [ihr] drohte."[17] Dies könnte eine Anspielung auf eine Drohung der Alten sein, die sie ihr gegenüber einst ausgesprochen hatte – „[...]; ›wenn du sofortfährst, wird es dir auch immer gut gehen: aber nie gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch so spät.‹“[18] Es lässt sich feststellen, dass die Binnenhandlung vermehrt Rückwendungen aufweist. Nach Martínez und Scheffel sind diese an die Figurenperspektive gebunden, da sie in der Figurenrede – hier in Form von Berthas Erinnerungen – erfolgen.[19]

2.2 Dauer/ Erzähltempo

Beide Erzählhandlungen weisen summarisches Erzählen, auch als Raffung bezeichnet, auf. Nach Martínez und Scheffel handelt es sich dabei um eine Erzählung eines umfangreichen Geschehensabschnittes, die stark zusammengefasst ist.[20] In der äußeren Handlung ist dies an unterschiedlichen Zeitangaben erkennbar – „Eckbert lebte nun eine lange Zeit in der größten Einsamkeit; [...].“[21] Aber auch in Berthas Lebensgeschichte sind verschiedene Temporalangaben zu finden – „Die Alte war schon einige Tage abwesend, [...].“[22] Oder „So war ich ohngefähr vier Tage fortgewandert, [...].“[23] Das bedeutet, dass Berthas komplette Lebensgeschichte, also eigentlich sehr viele Jahre, auf nur knapp 14 Seiten – nach der unten aufgeführten Ausgabe des blonden Eckberts – zusammengefasst wird. „Sowohl der Erzähleingang als auch die Binnengeschichte zeichnen sich durch die häufige Verwendung der Raffung aus, [...].“[24] Auch Ellipsen sind in der Binnenhandlung vorzufinden. Unter einer Ellipse, so Martínez und Scheffel, sei ein Zeitsprung zu verstehen.[25] So erzählt Bertha beispielsweise wie schlecht sie von ihrem Vater behandelt wurde und, dass sie selten ein gutes Wort von ihm zu hören bekam, als sie plötzlich schon acht Jahre alt geworden war.[26] Und auch bei den Schilderungen, was Bertha in vier Jahren alles bei der Alten lernte und welche Aufgaben ihr zugeteilt wurden, wurden genauere Beschreibungen ausgespart.[27] Bei beiden Ellipsen handelt es sich um explizite, das heißt bestimmte Ellipsen. Denn durch die Zeitangaben – acht und vier Jahre – wird die Zeitspanne benannt.[28] Anders verhält es sich in der Rahmenhandlung: Nachdem Eckbert Walther ermordet hatte, machte er sich wieder auf den Heimweg. „[...] er hatte einen großen Weg zu machen, denn er war weit hinein in die Wälder verirrt. – Als er ankam, [...].“[29] Hierbei handelt es sich um eine implizite, also unbestimmte Ellipse. Welcher Zeitraum zwischen dem Beginn des Heimwegs und der Ankunft auf der Burg liegt, wird in der Erzählrede nicht benannt. Lediglich der Gedankenstrich vermittelt der Leserschaft, dass Eckbert den Heimweg durch den Wald geschafft hat und auf der Burg angekommen ist.

2.3 Frequenz

Laut Martínez und Scheffel existieren drei Typen von Wiederholungsbeziehungen, wobei nur zwei Typen davon im blonden Eckbert vorzufinden sind. Zum einen der Typ der singulativen Erzählung. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass ein einmaliges Geschehnis einmal erzählt wird. Ein Beispiel hierfür lässt sich in der Beschreibung des Ritters in der Rahmenhandlung finden: „Er war ohngefähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, und kurze hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte.“[30] Martínez und Scheffel bezeichnen den singulativen Typ als Regelfall in Erzählungen.[31]

Zum anderen lässt sich der iterative Typ finden. Dabei handelt es sich um das einmalige Erzählen von Geschehnissen, die sich wiederholt ereignet haben. Temporaladverbien wie zum Beispiel „oft“, „immer“ und auch „selten“ machen den iterativen Typen aus. Deutlich wird dies vor allem in der Binnenhandlung, als Bertha beispielsweise über das Verhältnis ihrer Eltern erzählt – „[...] mein Vater und meine Mutter sich oft über ihre Armut entzweiten, [...].“[32] Und auch in Kindheitserinnerungen kommt der iterative Typ zur Geltung: „Sonst hörte ich beständig von mir, [...]. Oft saß ich dann im Winkel [...]. Mein Vater war immer [...]. [...] und es war selten, [...].“[33] Durch die in Kapitel 3.2 beschriebenen Ellipsen kann Berthas Lebensgeschichte stark verkürzt werden. Aber auch der iterative Erzähltyp trägt dazu bei. Nämlich dadurch, dass die Leserschaft beispielsweise nur einmal erfährt, dass die Alte oft ausging und erst spät am Abend zurückkam.[34] Und auch die Beschreibung des beständigen Wiederholens des Vogelgesangs[35] und nicht dessen Ausführung verkürzt Berthas Lebensgeschichte. Der dritte, der repetitive Typ, der wiederholt erzählt, was sich nur einmal ereignet hat, lässt sich im blonden Eckbert nicht auffinden.

[...]


[1] Fischbacher, Andrea (1998): Freundschaft und Einsamkeit. Erzähltheoretische Überlegungen zu Ludwig Tiecks Der Blonde Eckbert. In: van Ingen, Ferdinand; Juranek, Christian (1998): Ars et amicitia. Beiträge zum Thema Freundschaft in Geschichte, Kunst und Literatur; Festschrift für Martin Bircher zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1998. Amsterdam: Rodopi (Band 28). S.609-622. S.609.

[2] Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 10. Auflage. C. H. Beck: München 2016. S.8.

[3] Vgl. ebd., S.34.

[4] Reader's Digest Universal-Lexikon (2000). Autorisierte Sonderausgabe für Reader´s Digest Deutschland, Schweiz, Österreich. Band 5. Gütersloh, München: Bertelsmann. S.181.

[5] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. Stuttgart: Reclam Verlag 2002. S.3.

[6] Fischbacher, Andrea: Freundschaft und Einsamkeit. Erzähltheoretische Überlegungen zu Ludwig Tiecks Der Blonde Eckbert. a.a.O., S.612.

[7] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. Stuttgart: Reclam Verlag 2002. S.3.

[8] Vgl. Greiner, Bernhard (1987): Patho-logie des Erzählens: Tiecks Entwurf der Dichtung im „Blonden Eckbert". In: Der Deutschunterricht 39 (1), S. 111-123. S.111.

[9] Vgl. Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.22.

[10] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S.3.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.36.

[15] Vgl. Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S.6.

[16] Ebd., S.12.

[17] Ebd., S.16.

[18] Ebd., S.13.

[19] Vgl. Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.36 f.

[20] Vgl. ebd., S.43.

[21] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S.21.

[22] Ebd., S.15.

[23] Ebd., S.7.

[24] Fischbacher, Andrea: Freundschaft und Einsamkeit. Erzähltheoretische Überlegungen zu Ludwig Tiecks Der Blonde Eckbert. a.a.O., S. 613.

[25] Vgl. Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.45.

[26] Vgl. Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S.5.

[27] Vgl. ebd., S.11 f.

[28] Vgl. Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.45.

[29] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S. 21.

[30] Ebd., S. 3.

[31] Vgl. Martínez, Matias; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. a.a.O., S.48.

[32] Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. a.a.O., S.5.

[33] Ebd.

[34] Ebd.

[35] Vgl. ebd., S.10.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Erzähltheorien in Ludwig Tiecks "Der blonde Eckbert". Faktuales und fiktionales Erzählen
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Germanistik)
Veranstaltung
Romantisches Erzählen - Literaturdidaktik
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V358376
ISBN (eBook)
9783668434028
ISBN (Buch)
9783668434035
Dateigröße
705 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erzähltheorie, Ludwig Tieck, Der blonde Eckbert, Martinez und Scheffel, Erzählstrukturen, Romantik
Arbeit zitieren
Tabea Nau (Autor:in), 2017, Erzähltheorien in Ludwig Tiecks "Der blonde Eckbert". Faktuales und fiktionales Erzählen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358376

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