Die Stadtwahrnehmung des Flaneurs in den Gedichten von Charles Baudelaire in „Les Fleurs du Mal“


Hausarbeit, 2013

15 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Dandytum
2.1 Das Verhalten des Dandy
2.2 Maîtrise de soi – die Selbstbeherrschung des Dandys

3 Der Flaneur
3.1 Der Flaneur in der Masse
3.2 Die Straße als Wohnung

4 Der Flaneur in Les Fleurs du Mal
4.1 Gedichtanalysen
4.2 Fazit

1 Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit soll die Stadtwahrnehmung des Flaneurs in den Gedichten von Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal dargelegt werden. Der Anreiz wurde durch ein Referat im Seminar „L’introduction à l’oeuvre de Charles Baudelaire“ gegeben. Die Referenten bezogen sich hierbei zunächst auf den Dandy, der eine gewisse Arroganz ausstrahlte. Der Dandy ist dem Flaneur sozusagen übergeordnet, welcher einige Züge des Dandys annimmt. Wie etwa solche, dass er ein Spaziergänger ist. Dieses Thema schien sehr Interessant zu sein, da es bemerkenswert ist, dass sich jemand in Zeiten der Veränderung gerade dieser Veränderung widersetzen möchte. Diese Ausarbeitung soll im theoretischen Teil zunächst sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen Dandy und Flaneur hervorbringen. Darüber hinaus sollen die Wahrnehmungen des Flaneurs analysiert werden. Dabei soll darauf eingegangen werden, wie er seine Mitmenschen sieht und beschreibt und was er über die Stadt denkt, die ihm in der Gegenwart präsentiert wird. Im Bezug dazu wird sein Blick in die Vergangenheit näher untersucht. Ferner stellt sich die Frage, wie der Flaneur zu der Natur steht, wenn er sich gegen die Industrialisierung widersetzt. Das steht mit der Schnelllebigkeit und Flüchtigkeit im Zusammenhang was die folgende Frage aufwirft: Wie steht der Flaneur in Zeiten des aufkommenden Verkehrs und des gesellschaftlichen Pflichtbewusstseins zur Vergänglichkeit? Erkennt er sie an oder lehnt er sie sogar ab? Außerdem soll die Distanz des Flaneurs zu dem Geschehen herausgefunden werden: Hält er Distanz zum Geschehen, oder befindet er sich mittendrin? All diese Fragen sollen durch den praktischen Teil der Analyse von Gedichten aus Les Fleurs du Mal Aufschluss geben. Abschließend soll ein Fazit die Ergebnisse der Fragen und andere Auffälligkeiten bezüglich seiner Wahrnehmung darlegen.

2 Das Dandytum

2.1 Das Verhalten des Dandy

Der Dandy ist ein Mensch, der narzisstische Veranlagungen aufweist und auf sich selbst bezogen ist. Dieses Verhalten führt dazu, dass er sich als „grand homme“[1] und „saint pour soi-même“[2] ansieht. Dies bedeutet für das Ziel des Dandys, dass er für sich selbst ein Heiliger sein soll. Da er auf sich selbst bezogen und dazu sein eigener Heiliger ist, wendet er sich Gott ab und stattdessen sich selbst zu. Anstatt „Gottesschau“[3] zu betreiben, fokussiert er sich auf die „Selbstschau“[4]. Da er sich Gott abwendet und sich besonders mit der Selbstliebe beschäftigt, arbeitet er speziell an der „auto-idolâtrie“[5]. Dabei steigert er seine eigenen Fähigkeiten und feilt an der Ausarbeitung derselben.[6] Anhand dieser Besessenheit der Selbstverehrung erkennt man den Kultus, den der Dandy zu pflegen scheint, denn besonders in der Liebe zu sich selbst, der eigenen Gesundheit, und des Edelmutes, erkennt man die Verehrung der eigenen Person. Es wird so weit gegangen, dass dem Dandy eine „Konversion […] zu sich selbst“[7] zugeschrieben werden kann. Er erkennt Gott nicht als den Schöpfer an, denkt womöglich nicht darüber nach, sondern sieht sich selbst als seinen eigenen Schöpfer.[8] Es ist somit leicht erkennbar, dass jemand, der sich so intensiv mit sich selbst beschäftigt, in seinem Leben keinen Platz für Gott findet. Die Selbstzuwendung ist vor allen Dingen eine Eigenschaft von Melancholikern, wonach der Dandy als Melancholiker zu beurteilen wäre. Um ein Dandy zu werden, bedarf es an Willen, denn der Mensch muss selbst die Ambitionen zeigen, „groß zu werden“[9]. Damit der Mensch das „groß [zu] werden“ erlangen kann, muss er das Erhabene, das Schöne, einatmen und aufsaugen.[10] Die Verinnerlichung des aufgesaugten Erhabenen kann für die eigene Entwicklung verwendet werden. Darüber hinaus müsste der Dandy vor einem Spiegel leben und schlafen[11], nur so kann er sich und sein Verhalten die ganze Zeit beobachten und folglich auch kontrollieren. Anhand dieser Selbstkontrolle kann der Dandy zur Selbstbeherrschung gelangen. Dies ist allerdings einem ständigen Training von Kräftigung des Willens[12] unterworfen unter besonderer Berücksichtigung des Disziplinierens seiner Seele. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass der Dandy auf seine Selbstästhetisierung achtet, sich pflegt und sogar für seinen Körper Regeln gebraucht. Allerdings sind diese Regeln nicht zielgerichtet, sondern haben „einen Grund in sich“[13]. Dieselbe Ziellosigkeit findet sich im Verhältnis des Dandys der Liebe gegenüber. Charles Baudelaire erläutert in den Oevres Complètes, dass der Dandy sich zwar fortlaufend mit der Liebe beschäftigt, er allerdings kein bestimmtes Ziel verfolgt und die Liebe an sich nicht als spezielles Ziel für ihn gilt. Es ist jedoch eine natürliche Beschäftigung des Menschen, vor allem des „Müßiggängers“[14], sich mit der Liebe auseinanderzusetzen.[15] Diese ganze Wendung des Dandys auf sich selbst ist eine Einübung von Macht, um über sich selbst zu herrschen.

2.2 Maîtrise de soi – die Selbstbeherrschung des Dandys

Mit dem Dandy geht Baudelaire auf die Herrschaftstechnik und Selbsttechnik ein. Dies steht im Zusammenhang mit der Selbstbeherrschung, die der Dandy übt. Ihm geht es um die „domination de soi“[16]. Um überhaupt ein Dandy zu werden, muss man sich Regeln unterwerfen. Diese Regeln werden als klösterlich, streng und unerbittlich beschrieben. Um über sich selbst herrschen zu können, muss der Dandy sich diesen Regeln unterwerfen, besonders um die Selbstästhetisierung erfolgreich durchführen zu können, denn diese stellt die Selbstrepräsentation dar[17]. Der Dandy gilt als seine eigene Institution und steht außerhalb des Gesetzes, allerdings bedeutet das nicht, dass er ohne Regeln lebt, denn anders als diese Aussage scheinen mag, ist er seinen eigenen strengen Regeln stark unterworfen. Des Weiteren führen die Selbstbeherrschung und der kontrollierte Selbstbezug zum Dandyismus, was eine asketische Haltung andeutet. Die Selbstkontrolle des Dandy verschafft ihm eine Eigenständigkeit gegenüber den Bedingungen, die vorherrschen, um sich von diesen abzugrenzen. Er steht so wieder als eigenständiges Individuum mit Autonomie und Freiheit dar. Zum einen kann der Dandy durch die Freiheit völlig autonom leben, zum anderen muss er sich wiederum an neue Regeln halten, die die erworbene Freiheit kreiert. Obwohl der Dandy außerhalb des Gesetzes lebt, benötigt er Normen, die zwar selbst bestimmt und individuell sind, jedoch auch auf die gesellschaftlichen Normen abgestimmt sein müssen.[18] Da er für sich seine eigenen Regeln aufstellt und ihnen gleichzeitig unterworfen ist, wird er als „Priester und Opfer“[19] beschrieben. Der souveräne Priester, was zu der klösterlichen Strenge passt, bestimmt die Regeln, denen sich das unterlegene Opfer beugen muss.

3 Der Flaneur

3.1 Der Flaneur in der Masse

Im 19. Jahrhundert, in einer Zeit, in der der Großstadtverkehr aufkam und sich die Schnelllebigkeit ausbreitete, zeigte sich der Flaneur. Wie auch der Dandy erscheint der Flaneur in Zeiten des Wandels.[20] Der Flaneur ist ein Fußgänger, der sich dort aufhält, wo Passanten zu finden sind, folglich vor allen Dingen in der Stadt. In der Stadt spaziert er über die gegenwärtigen Straßen, die ihn in die Vergangenheit befördern.[21] Da im 19. Jahrhundert allerdings der Großstadtverkehr fortschreitet, muss der Flaneur zum Spazieren in die Passagen flüchten, um dort weiter gehen zu können.[22] Durch das Spazieren erscheint der Flaneur wie ein Tourist, allerdings verachtet er den Tourismus und das Betrachten von Sehenswürdigkeiten.[23] Während er die Menge beobachtet, hält er Distanz zu ihr, da ihn in der Masse das Gefühl von Einsamkeit übermannt.[24] Diese Einsamkeit entsteht durch die Anonymität, die sich in der Masse ausbreitet und in der der Mensch seine Individualität verliert. Wenngleich der Flaneur von dem Gefühl der Einsamkeit heimgesucht wird, sucht er die Konfrontation mit der Menge, da er so zu einem intensiveren Empfinden der „eigenen Subjektivität“[25] gelangt und sich selbst begegnet. Dieses Empfinden ist von besonderer Bedeutung in dieser Epoche, in der das Individuum in der Masse unterzugehen droht und durch die Anonymität nicht mehr wahrgenommen wird. Während er sich von der Masse distanziert in der Stadt aufhält, was zusammen mit der Rationalisierung bezeichnend für den Flaneur ist,[26] widmet er sich seiner Hauptbeschäftigung, dem Beobachten einzelner Personen, dem Wahrnehmen von Individuen, besonders Prostituierten, Bettlern und Passanten.[27] Die Verführungen der Läden werden bei dieser Beschäftigung immer unbedeutender. Diese These verweist auf den Dandy, der sich ebenfalls in Askese übt.[28] Der Flaneur hingegen scheint von sich aus kein Interesse an diesen Dingen zu haben. Bei diesen Beobachtungen wird er mit der Flüchtigkeit des Moments konfrontiert, die ihn begeistert, obwohl er sich deutlich gegen die Schnelllebigkeit ausspricht. Darüber hinaus gliedert der Flaneur die Passanten in Typen, welche Berufe sie ergriffen haben und welchen Lebensstil sie pflegen.

Während der Flaneur Distanz gegenüber der Masse bzw. der Menge wahren möchte, ist ein Individuum dieser Masse von innerer Distanz den anderen Menschen gegenüber gekennzeichnet. Jedoch ist diese Distanz fast ausschließlich innerlich, denn äußerlich bzw. räumlich kommen sich die Menschen immer näher, da immer mehr Bevölkerung existiert und mehr Wohnräume vorhanden sind. Um weiter auf die Masse einzugehen, die einen Schleier über die Stadt wirft, muss der Flaneur zuerst näher beschrieben werden. Er ist ruhelos und ein Tier, das jagt und gleichzeitig gejagt wird. Des Weiteren ist er ein Philosoph, Melancholiker und empfindet Lust am Schönen. Allerdings ist das Grauenhafte der Stadt vom Schleier der Masse verhangen, der wie ein Rauschmittel auf dem Flaneur liegt. Es ist der „Schleier der Wirklichkeit“[29], der das Individuum untergehen lässt. Jedoch verschließt der Flaneur vor der Masse, die für ihn zum Proletariat wird, nicht die Augen. Erst wenn diese Masse verschwindet, der Schleier also aufreißt, werden die Plätze sichtbar und das Grauenhafte liegt frei.[30] Einerseits sieht der Flaneur die Stadt als eine Landschaft, die ihn als Stube umschließt,[31] andererseits steht sie für ihn im Gegensatz zur Natur.[32] Über Baudelaire ist dabei zu sagen, dass er zwar die Einsamkeit liebt, sie jedoch in der Menge realisiert haben möchte.[33]

[...]


[1] Wild, S.113

[2] Ebd.

[3] Wild, S.116

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Vgl. Wild, S.116

[7] Wild, S.116

[8] Vlg. Wild, S.116

[9] Wild, S.114

[10] Vlg. Wild, S.114

[11] Ebd.

[12] Vgl. Wild, S.114

[13] Wild, S.115

[14] Anmerkung von mir: meinem Verständnis nach jemand, der keiner sinnvollen Beschäftigung nachgeht und eventuell gelangweilt seinen Tätigkeiten nachgeht

[15] Vgl. Wild, S.115

[16] Wild, S.113

[17] Vgl. Wild, S.114

[18] Vgl. Wild, S.115

[19] Wild, S.116

[20] Vgl. Wild, S.115

[21] Vgl. Weidmann, S.73

[22] Vgl. Weidmann, S.75

[23] Vgl. Weidmann, S.76

[24] Vgl. Gomolla, S.51

[25] Gomolla, S.52

[26] Vgl. Gomolla, S.29

[27] Vgl. Gomolla S.52

[28] Vgl. Kap. 1.2, S.3

[29] Weidmann, S.78

[30] Vgl. Weidmann, S.79

[31] Vgl. Wiedmann, S.87

[32] Vgl. Weidmann, S. 72-89

[33] Vgl. Benjamin, S.52

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Stadtwahrnehmung des Flaneurs in den Gedichten von Charles Baudelaire in „Les Fleurs du Mal“
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Romanistik)
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V359005
ISBN (eBook)
9783668437685
ISBN (Buch)
9783668437692
Dateigröße
1176 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fleurs du mal, Charles Baudelaire, Flaneur, Wahrnehmung
Arbeit zitieren
Katharina Paegert (Autor:in), 2013, Die Stadtwahrnehmung des Flaneurs in den Gedichten von Charles Baudelaire in „Les Fleurs du Mal“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/359005

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